
Ganz schön oberflächlich
Die Welt ist aus den Fugen, der Mensch scheint unzivilisierter denn je. Zeit, ihn auf die richtige Bahn zu bringen. Wie uns Mode, Architektur und Design zu besseren Menschen macht. Kommen Sie mit in eine «Schöne, bessere Welt».
Von Solmaz Khorsand (Text) und Bodara (Animation), 01.07.2022, letztes Update 30.06.2022
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Ernst zu nehmende Menschen beschäftigen sich mit ernst zu nehmenden Themen. Schwer muss es dabei immer sein, wuchtig, fast schon erschlagend. Alles andere könnte womöglich den Anschein des Oberflächlichen haben. Und nichts wird unter ernst zu nehmenden Menschen mehr verspottet, gar verachtet, als die Oberfläche. Sie ist der Zeitvertreib eitler Prinzessinnen und noch eitlerer Prinzen, verortet in Ästhetik, Mode und Design. Alles Frivolitäten, die keine grossen Essays ernst zu nehmender Menschen verdient haben. Wozu auch? In feinen Stoffen, verspielten Sitzgarnituren und verschnörkelten Stuckdecken werden sich keine Lösungen für die grossen Probleme unserer Zeit finden. Krieg, Pandemie, Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit lassen sich nicht mit Kaschmir, Holz und Eierschalenfarbe aus der Welt verjagen.
Und was, wenn doch?
Was, wenn das richtige Hemd für ein bisschen mehr Gerechtigkeit sorgt? Eine Sitzbank auf der Strasse für etwas mehr Empathie? Ein knarrender Holzboden für etwas mehr psychische Gesundheit? Ein heller Raum für mehr Selbstbewusstsein?
Die Umweltpsychologin Lorraine Maxwell von der Cornell University hat 2012 in einer Studie beschrieben, wie stark die Selbstwahrnehmung von Schülern von der Qualität ihrer Schulgebäude beeinflusst wird. So erbrachten Jugendliche, die in gepflegten, sauberen, hellen und gut durchlüfteten Gebäuden lernen konnten, nicht nur mehr Leistung im Unterricht – sondern sie hatten auch mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, diese Leistung zu erbringen, als jene, die in schmutzigen und heruntergekommenen Bauten ihren Schulalltag verbrachten. Ein gutes Schulgebäude, so Maxwell, würde den Kindern vermitteln, dass sie «wertvoll» seien, ein schlechtes das Gegenteil.
Ähnlich argumentiert der deutsche Designer Peter Schmidt: «Man kann Menschen mit Hässlichkeit erschlagen wie mit einer Axt, oder man kann sie durch die Veredelung von Alltagsgegenständen zu schönheitsbewussten Wesen erziehen», sagte er 2015 dem «SZ Magazin». «Die Dinge, die uns umgeben, prägen uns ähnlich stark wie die Sprache, die wir sprechen. Die Gewöhnung an die alltäglichen Scheusslichkeiten greift tiefer in unseren Charakter ein, als viele meinen.»
Wenn uns also das Hässliche hässlich macht, müsste uns im Umkehrschluss das Schöne doch auch schön machen? Zu besseren Menschen? Kriegen wir mit der richtigen Wahl bei Kulisse, Garderobe und Inventar die zivilisierte Seite des Menschseins wieder hin?
Ja, sagen die Expertinnen.
Es ist Zeit, ihnen zuzuhören. Sich die Oberfläche einmal genau anzusehen, ganz seriös, und festzustellen, wie tief sie in Wahrheit sein kann. Gehen Sie mit uns ab morgen Samstag in der dreiteiligen Serie «Schöne, bessere Welt» auf die Suche nach dem schönen Leben, und lassen Sie sich erklären, wie sehr ein Hemd mit Magneten seine Trägerin ermächtigen kann; wie sehr echtes Holz in einer Gefängniszelle beruhigt; und wie ein paar richtig arrangierte Sitzbänke auf einem Platz die Schere zwischen Arm und Reich für einen Moment schliessen können.