Serie «Zu Unrecht vergessen» – Folge 4

Den Staub wegblasen

Die im letzten Dezember verstorbene Maja Beutler war eine der grossen weiblichen Stimmen der Schweizer Literatur. Die Schrift­stellerin Ariane Koch über das Werk der Berner Autorin. Serie «Zu Unrecht vergessen», Folge 4.

Von Ariane Koch (Text) und Yann Kebbi (Illustration), 17.06.2022

Synthetische Stimme
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Ich weiss noch, dass wir im Schnee­matsch wandern waren, es muss kurz vor Silvester gewesen sein, und eine kleine Kapelle mit wunder­schönen Fresken besichtigten, als mir jemand ihren Namen vom Display vorlas. Ich hatte noch nie von ihr gehört.

Später erfuhr ich, dass sie erst wenige Wochen zuvor gestorben war.

Ich suchte alsbald nach Verbindungen zu ihr, nach Menschen in meinem Umfeld, die ihre Stücke gekannt oder sie gar persönlich getroffen hatten – und befragte sie zu ihr.

Meine Mutter sagte: «Der Name sagt mir doch was, aber was nur?» Meine Freundin, die Autorin Friederike Kretzen, schrieb: «Wahrscheinlich kannst du mir inzwischen mehr von Maja Beutler erzählen, sie war einfach schon so alt und ich noch so jung, und sie war auch, wie so oft bei den Schweizerinnen, spiessig. Jedenfalls fand ich das in meiner jugendlichen Arroganz.» Andere sagten, sie seien leider noch nie mit Maja Beutler oder ihren Stücken in Berührung gekommen.

In einer Tagungs­publikation zur Gegenwarts­dramatik in der Schweiz las ich über den Zwist rund um die Uraufführung von Maja Beutlers Stück «Lady Macbeth wäscht sich die Hände nicht mehr». Die Literatur­wissenschaftlerin Franziska Kolp hatte den Skandal in ihrem Kapitel «Um die Lady gingʼs nie» Revue passieren lassen: «Im Gegensatz zur fruchtbaren Zusammen­arbeit zwischen Autor/in und Regisseur/in, wofür es einige Beispiele gibt, blieb bei Maja Beutler der Konflikt zurück (…).» Das Stück wurde 1994 am Schauspielhaus Zürich inszeniert und führte zu einem – teils öffentlichen – Konflikt zwischen Regie und Autorin. Maja Beutler erschien letztlich nicht zur Premiere.

Serie «Zu Unrecht vergessen»

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Maja Beutler

Ich habe mich in letzter Zeit vermehrt mit «vergessenen» Autorinnen beschäftigt. Aktuell werden ein paar wieder aus der Versenkung geholt wie beispielsweise Tove Ditlevsen, Kathleen Collins oder Adelheid Duvanel. Ich muss mich gewisser­massen immer noch vom Schock erholen, dass ich die ersten 32 Jahre meines Lebens nichts von Adelheid Duvanels grossartigem Werk wusste, obwohl sie – wie ich – aus Basel stammte und – wie ich – in mehreren künstlerischen Sparten arbeitete. (Maja Beutler war übrigens eine Freundin und Förderin von Duvanel, besass sogar Zeichnungen von ihr.)

Auch hat mich Nicole Seiferts «Frauen Literatur: Abgewertet, vergessen, wieder­entdeckt» dafür sensibilisiert, dass die Werke von Frauen zwar seit jeher existierten, aber aktiv vom Kanon und von der Öffentlichkeit ausgeschlossen wurden und noch immer werden.

(Wobei zu fragen ist, wie das kurzzeitig wiederbelebte Dasein eines Werkes zu bewerten ist. Ist es ein würdiges Wieder­auferstehen, wenn es nur zur kurzen, lustigen Vorführung dient, um in erster Linie die Gemüter zu beruhigen und danach vielleicht erst recht und für immer in der Versenkung zu verschwinden?)

Wie auch immer: Ich versuche, nicht allzu nachtragend zu sein, dass auch Maja Beutler meinen Weg bis anhin nie kreuzte, und begebe mich auf die Spuren ihres Werkes. Spuren gibt es viele, denn Maja Beutler hinterliess ein grosses, vielseitiges Werk bestehend aus Romanen, Kurzprosa und – eben – Theater­stücken.

Gruss aus dem Jenseits

«1936 wurde ich in Bern als Einzelkind geboren. Und doch war ich keines: Mein Gitterbett gehörte dem Bruder, mein Spielzeug war sein Spielzeug, sein Portrait thronte über dem Klavier, und beim Essen lächelte er im kleinen Foto­rahmen über meine Tisch­manieren, ein Toter sieht alles.» So beginnt Maja Beutlers eigens verfasste Biografie auf ihrer Website mit der An- und Abwesenheit ihres toten Bruders. Sie schreibt auch in ihren sonstigen Texten häufiger über den Tod und die Toten.

Ihre eigens verfasste Lebens­erzählung mit dem Titel «Leben und schreiben» liest sich wie die Nachricht eines Geists, ein Gruss aus dem Jenseits. Immer wieder flankieren Bilder, Verweise oder Zitate den Text. Gut, dass sie sich darum gekümmert hat, sie selbst zu erzählen – hätte sie sonst überhaupt jemand erzählt? Und wenn sie jemand erzählt hätte, wo wären diese Eckdaten überhaupt öffentlich zugänglich und dokumentiert? Als hätte sie dem prekären Dasein ihres Werkes bereits zu Lebzeiten entgegen­wirken wollen, schrieb sie ihren eigenen Nachruf.

Dort ist zu lesen: Sie arbeitete als Dolmetscherin in Paris und Rom und heiratete später in Bern den Nachbars­jungen aus der Kindheit, mit dem sie bis zu seinem Tod zusammen­blieb und drei Kinder grosszog. (Meine Mutter sagte: «Deine Oma war ja auch Dolmetscherin, vielleicht haben sie einander sogar gekannt.»)

Mit 40 Jahren publizierte Maja Beutler ihren ersten Erzähl­band, er hiess «Flissingen fehlt auf der Karte». «Im selben Herbst wurde bei mir Krebs diagnostiziert. Im Laufe der nächsten Monate lernten meine Familie und ich das Wort ‹Kranksein› buchstabieren, jedes für sich allein.» Sie musste sich also mehreren Operationen und Bestrahlungen unterziehen und verarbeitete die Krebs­erkrankung im Roman «Fuss fassen», der 1980 erschien – ein Jahr nachdem ihr erstes Theater­stück «Das Blaue Gesetz» am Städte­bund­theater Biel/Solothurn Uraufführung gefeiert hatte. Der Text «stellte die Frage, ob Sterben zur staatlich verwalteten Gnade werden könnte», so Beutler.

Es folgten in den Jahren danach eine Haus­autorinnen­schaft am Stadt­theater Bern und eine Mitarbeit beim Radio DRS, zudem gewann Maja Beutler mit ihren Texten verschiedene Preise wie den Preis der Schweizerischen Schiller­stiftung oder den Welti-Preis. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die zu dieser Zeit für die Bühne schrieben, in der Schweiz war sie sogar weitgehend die einzige.

Friederike sagte, Maja Beutler habe da etwas am Hals gehabt. Es habe wie geätzt oder verbrannt ausgesehen. Später las ich, dass ihr 2001 ein neuer Kiefer eingesetzt wurde.

Maja Beutler überlebte den Krebs, aber ihr Mann erkrankte schwer, brachte sich später um, und auch ihr ältester Sohn verunfallte. Schwere Schicksals­schläge, Tod und Krankheit zogen sich durch ihr Leben und Werk wie ein roter Faden.

Auch in Beutlers zweitem Theatertext, «Das Marmelspiel», rollen 26 szenische Miniaturen – wie Marmeln – die Krebs­erkrankung und den unausweichlichen Tod eines Mannes auf. Es soll ein «Stück der kleinen Leute» gewesen sein, das gerade dadurch Grösse bekommen habe, schrieb Elsbeth Pulver damals in ihrer Theater­kritik für die «Schweizer Monatshefte».

Dürrenmattscher Staub

In Beutlers drittem und letztem (dazu später mehr) Theaterstück, «Lady Macbeth wäscht sich die Hände nicht mehr», bringt die Haupt­figur Hetti Bickel in der Nacht ihres 50. Geburtstags den Ehemann Nick eigenhändig um. Sie lockt ihn zur Öffnung des Öltanks – dessen Deckel sie stets an ein grosses Auge erinnert – im Garten und stösst ihn hinein. Daraufhin kommen abwechselnd der Chauffeur, Gärtner, Büro­angestellte und Kommissar Pensa zu Besuch, um das Rätsel um den verschwundenen Mann aufzuklären. Auch der Verstorbene tritt als Gesprächs­partner auf. Er wird Hetti quasi zum illusionierten Gegen­spieler und Verbündeten.

Es ist ein Text zwischen grösster Tragik und Komik, zwischen Wahn und Wirklichkeit, zwischen Spiess­bürger­tum und Progressivität. Erst las ich den Text wie ein Zeit­dokument aus der Hausfrauen­welt der Fünfziger- oder Sechziger­jahre, obwohl die erste (Prosa-)Vorlage für das Stück 1989 erschien. (Ist es das, was Friederike meinte, als sie mir schrieb, Maja Beutler sei ihr spiessig vorgekommen?) Auch ich merke: Ein dürrenmattscher Staub – bestehend aus Negligés, verqualmten Büros und Seiten­sprüngen mit Sekretärinnen – liegt über den Figuren.

Fühlte sich manchmal wie in einem Konservenglas: Maja Beutler. Isolde Ohlbaum

Je länger ich mich mit dem Text beschäftige, desto mehr glaube ich aber, dass er genau mittels dieser Staub­schicht die Rückständigkeit von Ehe, Geschlechter­verhältnissen und Gesellschaft aufzuzeigen versucht. Maja Beutler sollte später in einem Interview sagen, die Situation für Frauen verbessere sich nur schleppend. Ausserdem sagte sie: «Ich hatte immer den Eindruck, die DDR und die Schweiz seien sich in manchem verdammt ähnlich. Eine Art Abschottung von der Welt wehte mich hüben wie drüben an, als wäre nach dem Krieg über beide Länder ein Konserven­glas gestülpt worden.»

Manchmal muss ich mir vergegenwärtigen, dass Maja Beutler der Generation meiner Gross­eltern angehörte. Die sogenannte Gegenwarts­dramatik von damals aus der heutigen Gegenwart zu betrachten, ist wie der Blick durch mehrere Linsen, von der eine verschwommener als die andere ist. Was also kommt von diesem Text – durch all das gebrochene Licht – noch bei mir an?

Hetti: Abend, Herr Mond, wie wär’s denn mit uns beiden?

Die von Maja Beutler für Hetti entworfene Sprache ist oft poetisch, lakonisch und steckt voller Komik, während die Männer ihre Worte technisch und vernunft­betont absondern.

Nick: Marsch, steig runter und such die Schlüssel selber. Wird’s?

Hetti stösst Nick; er tritt auf den Deckel, der unter seinem Gewicht kippt. Nick stürzt schreiend in die Grube; Hetti stupst mit dem Pantoffel den Deckel drüber.

Hetti: Fertig die Wirklichkeit.

Später gesteht Hetti die Tat, aber wird nicht ernst genommen oder falsch verstanden. Die Figuren reden aneinander vorbei, was einerseits Situations­witz erzeugt und andererseits Fragen um die (gesellschaftliche) Glaub­würdigkeit von Frauen aufwirft. Es scheint, als werde ihr nicht geglaubt, weil das Bild von ihr als trauernder und damit verwirrter Ehefrau bereits in den Köpfen der auftretenden Männer gemacht ist und keinesfalls mit ihr als Mörderin kompatibel ist.

Hetti: Er ist tot. Ich weiss es, ich bin seine Frau, mir muss man glauben: er ist tot.

Pensa: Ruhig, Frau Bickel, ganz ruhig. Ihr Mann taucht wieder auf, mein Gespür täuscht selten.

Das Stück spielt damit, dass seiner Protagonistin (als Frau) der Mord und die dazugehörende Kaltblütigkeit nicht zugetraut werden. Der Umstand, dass ihr nicht geglaubt wird, ist auch, was den Text vorantreibt und dramatische Spannung erzeugt. Gleichzeitig ist der Mord als Rache an der Unsichtbarkeit in der Ehe und in der Gesellschaft zu lesen, wobei diese Rache von den männlichen Figuren wiederum nicht einmal wahr­genommen wird – schon gar nicht als Rache. Es ist eine Rache an der Freiheit, die Nick durch sein Mannsein hat: die Freiheit, über Karriere, Familie, Affären und Autorität gleichzeitig verfügen zu können, während Hetti weder ein erfülltes Arbeits-, Liebes- noch Eheleben hat.

Zur Veranstaltung

«Die lange Nacht der vergessenen Stücke. Swiss Edition». Samstag, 18. Juni, ab 16 Uhr. Eine Kooperation des Schauspiels Bern mit der Republik. Hier finden Sie alle Details. Und hier gibts die Tickets.

Hinzu kommt das Alter der Protagonistin. Frauen sind gesellschaftlich bereits mit 40 oder 50 Jahren einer drohenden Unsichtbarkeit ausgesetzt. Diese spezifische Art der Alters­diskriminierung von Frauen wird gegenwärtig vermehrt diskutiert, war Ende der 1980er-Jahre aber ein Novum im Diskurs. Nur wurde es von der medialen Öffentlichkeit nicht erkannt, denn auch die damalige Rezeption dieses Stückes schliesst sich der Blindheit gegenüber der weiblichen Autorität an: «Maja Beutler stellt in ihrem dritten Theater­stück eine Frau vor, deren Problem gewöhnlicher kaum sein könnte», resümiert Hugo Bischof für die «Luzerner Zeitung» nach der Uraufführung in Zürich.

Die Protagonistin Hetti und ihr Problem als «gewöhnlich» zu beschreiben, zeigt die Blindheit gegenüber der Universalität des Problems und reproduziert oder illustriert es tragischer­weise umso mehr. Dabei sind Hettis Beweg­gründe, ihre eigene Handlungs­macht zu vergrössern, den Beweg­gründen eines männlichen Helden – wie des originalen Macbeth zum Beispiel – nicht unähnlich. Es ist leider typisch in der Rezeptions­geschichte von Werken von Frauen, dass auch der Wirkraum der fiktiven Frauen­figuren aufs Private und Unbedeutende reduziert wird.

Meine Mutter kommentierte, Dürrenmatt habe ja auch so krimiartige Stücke geschrieben, insofern sei Beutlers «Macbeth»-Stück doch eine sehr interessante Weiter­entwicklung oder Gegen­darstellung. Ein Inspektor, der das Wesentliche nicht sehe, weil er unfähig sei, die Perspektive einer Frau einzunehmen.

Keine Selbst­verständ­lichkeit

«Wir haben keine selbst­verständliche weibliche Tradition im Rücken», sagte Maja Beutler 2012 in einem Interview. Eine Tatsache, die ihr eigenes Schreiben bestimmt. Und ihren Umgang mit dem literarischen Kanon.

Auch in dem im Titel zitierten Stück von Shakespeare ermordet Lord Macbeth zusammen mit seiner Ehefrau Lady Macbeth den König, damit Macbeth selbst die Thronfolge antreten kann. Dabei verfallen beide in eine Welt zwischen Wirklichkeit und Wahn. Hetti aus «Lady Macbeth wäscht sich die Hände nicht mehr» versucht sogar, im Alleingang die Position ihres beseitigten Ehemanns (er leitete ein Pharma­unternehmen) auszufüllen, doch kommt der Verwaltungsrat nicht im Traum darauf, sie als Nachfolgerin ernst zu nehmen. Der ursprünglich mit dem Vater zerstrittene Sohn Mathis hingegen kehrt am Ende zurück, um den Thron der männlichen und königlichen Nachfolge anzutreten.

Vermehrt enthob Beutler Frauen­figuren aus kanonischen Werken und verhalf ihnen zu einem grösseren Handlungs­spielraum, zu einer eigenen Perspektive oder gar Existenz, beispielsweise in ihrer Kurz­prosa­sammlung «Das Bildnis der Doña Quichotte». Darin entwirft sie einen «weiblichen» Don Quichotte und Dorian Gray zugleich. Oder mit ihrem Minidrama «Die unverstandene Frau» von 1987, das einen (sehr kurzen) Auftritt für den stereotypisch unsichtbaren Frauen­beruf am Theater schafft:

«SOUFFLEUSE: (flüsternd) Endlich ein Drama für mich!»

Die Kritiker der damaligen Uraufführung von «Lady Macbeth» reproduzierten nicht nur Geschlechter­ungleichheit, indem sie das Stück nicht als feministisch rezipierten, sondern werteten auch den Entscheid der Autorin, sich von der Inszenierung zu distanzieren, als unüberlegt und emotional ab: «Nach zügigem Beginn scheint das Stück stillzustehen, es bringt nur noch Variationen, dümpelt ziellos vor sich hin.»

(…) Maja Beutler sollte nicht schmollen, sondern sich die Zürcher Uraufführung genau ansehen. Vielleicht geht sie dann nochmals über ihren Text. Oder sie lässt das Stückeschreiben ganz sein.

«Tages-Anzeiger», Peter Müller, 1994.

«Offenbar wurde es als ungehörig empfunden, vielleicht besonders, weil ich die erste Frau war, deren Stück das Schauspiel­haus auf der grossen Bühne zeigte», schrieb Maja Beutler auf ihrer Website. Es war tatsächlich das letzte Theater­stück, das sie geschrieben hat.

Prekariate des Über­dauerns

Theaterstücke sind ihrer Form geschuldet grosser Vergänglichkeit ausgesetzt. Es braucht also Grosszügigkeit gegenüber der Kurzlebigkeit der Texte, vor allem als Verfasserin. Vielleicht sind Theater­texte tatsächlich nicht für die Ewigkeit gemacht, vielleicht müssen es kurzfristig reagierende Texte sein. Jedenfalls schaffen es viele Stücke gar nicht über eine Uraufführung hinaus, werden also nie ein zweites Mal an einem anderen Haus inszeniert oder gar literatur­wissenschaftlich kanonisiert (zum Beispiel irgendwo abgedruckt) – ausser die sogenannten Klassiker. Die meisten Stücke jedoch sind nach zehn Jahren bereits «alt» und abgespielt.

Die Theaterautorin und Literatur­wissenschaftlerin Hannah Zufall sagt: «Für Theater­texte fühlt sich niemand wirklich zuständig, zumindest in der Literatur­wissenschaft nicht.»

Aber wozu eigentlich all diese Ausführungen? Wahrscheinlich möchte ich sagen: Es kommen im Fall von Maja Beutler ein paar Prekariate des Überdauerns zusammen, medial und sozial. Und wahrscheinlich ist es überhaupt eine Frechheit, Maja Beutler als vergessen zu bezeichnen. Erst noch war sie da (lebendig), und noch sind ihre Bücher in den Regalen, in den Bibliotheken (der Schweiz). So muss es darum gehen, ihre Werke weiterhin zu lesen, sie viel mehr vor dem drohenden Vergessen zu bewahren.

Die beim Schweizerischen Literatur­archiv ehemals für Beutler zuständige Kuratorin Franziska Kolp sagte, es sei immer mal wieder Interesse an ihrem Werk aufgeflammt, beispielsweise anlässlich einer Neuerscheinung oder Preis­verleihung. Und Maja Beutler habe ihren Nachlass auffällig gut und übersichtlich geordnet, das sei sonst selten der Fall. Der einzige Nachlass einer Schweizer Autorin, der oft konsultiert werde, sei der von Annemarie Schwarzenbach.

«Gut möglich, dass bei meiner Maturalektüre 1977 etwas von Maja Beutler dabei war», sagte meine Mutter schliesslich. «Oder vielleicht war auch eine Geschichte von ihr in einem Sammelband, den ich circa 1980 geschenkt bekam, zum Thema Muttersein. Eigentlich denke ich, dass ich es nicht weggegeben habe, weil es eben damals eine besondere Bedeutung hatte für mich.»

Und Friederike erläuterte: «Es ist Maja Beutlers mangelnde Radikalität, die ich meinte. Und dazu gehört, dass ich mich, wenn ich das sage, traue, so ungerecht zu sein. Denn es geht ja auch um eine nötige Abstossung – gerade von denen, die uns voraus­gegangen sind. Die für uns gearbeitet haben, damit wir anders arbeiten können. Das ist der wesentliche Bezug, der aber auch erfordert, sich zu trennen, sich abzuwenden, etwas anderes, Radikaleres zu wagen – auf den Schultern all derer, die es vor uns gewagt haben.»

Plötzlich entspann sich vielerorts ein Gespräch über Maja Beutler. Erst schien es nur leise Ahnungen zu geben, jetzt kam es mir vor, als habe ich mit ihrem Namen ein Fischer­netz ausgeworfen und würde mich nun dem üppigen Fang widmen.

Mögen wir Maja Beutlers Werk annehmen oder abstossen, aber mögen wir es nicht übersehen.

«Wenn ein Text geschrieben ist, dann ist er da. Nur nicht ein für alle Mal, nur nicht eindeutig und nie komplett. Er muss beim Lesen immer neu entstehen», sagte Maja Beutler im Interview. Wie wäre das zu übertragen auf ihre Theater­stücke? Am besten wohl, indem man sie wieder aufführt und sie damit immer neu entstehen lässt.

Zur Autorin

Ariane Koch, geboren 1988 in Basel, ist Autorin. Sie schreibt Theater- und Performance­texte, Hörspiele und Prosa. Der vorliegende Beitrag ist entstanden mit Inputs von Esther Ludwig-Koch, Franziska Kolp, Friederike Kretzen und Hannah Zufall.

Zur weiteren Literatur von und über Maja Beutler

Eine gute Übersicht über Beutlers Werk gibt es auf ihrer Website.

Maja Beutler: «Lady Macbeth wäscht sich die Hände nicht mehr». Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1992.

Maja Beutler: «Ich lebe schon lange heute. Texte 1973 bis 2013». Zytglogge-Verlag, 2013. 392 Seiten, ca. 38 Franken.

Franziska Kolp: «Um die Lady ging’s nie. Die Kontroverse um die Uraufführung von Maja Beutlers ‹Lady Macbeth wäscht sich die Hände nicht mehr›». Aus Elio Pellin, Ulrich Weber (Hrsg.): «‹Wir stehen da, gefesselte Betrachter.› Theater und Gesellschaft». Chronos-Verlag, 2010. 176 Seiten, ca. 23 Franken.