Aus der Arena

Im Kriegsrausch

Augen zu und durch: Der Ständerat nutzt die Gunst der Stunde und stimmt dem Kauf des F-35 zu – ohne laufende Unter­suchungen abzuwarten. Das ist verantwortungslos.

Ein Kommentar von Priscilla Imboden, 03.06.2022

Synthetische Stimme
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So halsbrecherisch, wie Tom Cruise im neuen «Top Gun»-Film im Kampfjet hoch über den Wolken und tief unter Brücken­bögen fliegt, so hals­brecherisch rast auch der Ständerat über alle Bedenken, Vorsicht und demokratische Gepflogen­heiten hinweg.

Die bürgerliche Mehrheit im Rat hat am Donnerstag das teuerste Rüstungs­geschäft in der Geschichte der Schweiz kritiklos abgenickt und dem Kauf des US-Jets F-35 zugestimmt. Die Rechnung dafür beläuft sich auf 6 Milliarden Franken und noch weitere 10 bis 15 Milliarden Franken an Betriebs­kosten über 30 Jahre verteilt – je nach Schätzung.

Bei solchen Summen wäre bei den Volks­vertretern eigentlich Vorsicht angesagt: sorgfältiges Abwägen der verschiedenen Optionen, akribisches Hinter­fragen des Auswahl­verfahrens und eine gründliche Analyse des Entscheids des Bundesrats, den US-Hightech-Jet zu kaufen.

Denn dass Risiken bestehen, ist klar – und selbst im neuesten Bericht des US-Rechnungshofs nachzulesen: Die gewaltigen Kosten­überschreitungen des F-35-Programms halten an. Am Flugzeug wurden mehr als 800 fehlerhafte Funktionen festgestellt, für Kriegs­einsätze startet und funktioniert es nicht verlässlich genug. Ausserdem verschlingt die Erneuerung des Informatik­systems, das auch in den für die Schweiz vorgesehenen Flugzeugen eingebaut wird, immer mehr Geld. Das US-Verteidigungs­ministerium hat deshalb die volle serielle Produktion des Kampfjets mehrfach in die Zukunft verschoben.

Es stellt sich eine Reihe von brisanten Fragen.

Ist das Auswahl­prozedere sauber abgelaufen? Wollte die Armasuisse Akten vernichten? Welche Rolle spielten aussen­politische Aspekte? Hat das Verteidigungs­departement die finanziellen Risiken des F-35 realistisch eingeschätzt?

Um diese Fragen zu klären, laufen aktuell Unter­suchungen der Geschäfts­prüfungs­kommission des Nationalrats und der Eidgenössischen Finanz­kontrolle.

Das interessiert den Ständerat aber nicht, der als chambre de réflexion den Ruf geniesst, überlegt und umfassend zu debattieren und ruhig austariert zu entscheiden. Er schlägt die brisanten Fragen in den Wind und entscheidet ausgerechnet bei diesem Kauf in Rekord­höhe unreflektiert.

Dabei hätten die Politikerinnen nicht lange warten müssen, um sich ein vollständigeres Bild der Lage zu machen: Die Finanz­kontrolle wird ihren Bericht Anfang Juli publizieren. Die Geschäfts­prüfungs­kommission plant, ihre Untersuchungs­ergebnisse spätestens Anfang September zu veröffentlichen.

Doch das kümmert den Ständerat nicht. Ebenso wenig interessieren ihn die Volks­rechte. Er will den Bundesrat verpflichten, Tatsachen zu schaffen und den Kaufvertrag für die Kampf­flugzeuge zu unterzeichnen, noch bevor die Stopp-F-35-Initiative über die Bühne ist. Ein antidemokratisches Gebaren, das auch der Bundesrat neuerdings unterstützt – obwohl er früher betont und auch in der Armee­botschaft versprochen hat, er werde die Verträge nicht vor der Abstimmung über die Stopp-F-35-Volks­initiative unterzeichnen.

Woher kommt die grosse Eile? Ständerat Werner Salzmann (SVP), der die Sicherheits­politische Kommission präsidiert, wie auch Verteidigungs­ministerin Viola Amherd (Mitte) stellen sich auf den Stand­punkt, dass der Krieg in der Ukraine die Sicherheits­lage verändert habe. Dazu kommt ein ganz neues Argument: Die Offerte aus den USA für den Kauf der 36 Kampfjets sei auf Ende März 2023 befristet. Danach werde es teurer.

Bevor der Krieg ausgebrochen ist, war das kein Argument, um Druck aufzubauen. Die Vertrags­frist war weder im November ein Thema, als das Verteidigungs­departement darüber informierte, dass die Verträge mit den USA fertig ausgehandelt seien. Noch taucht die Frist in der Armee­botschaft 2022 auf, mit der der Bundesrat Mitte Februar den Kampfjet­kauf dem Parlament unterbreitete.

Wollen Ständerat und Bundesrat davon ablenken, dass sie unverfroren die Gunst der Stunde nutzen, um unter dem Eindruck des brutalen Angriffes auf die Ukraine das Kampfjet-Geschäft durchzuboxen?

Wie auch immer die Antwort ausfällt: Es ist klar, dass das Verfall­datum des Vertrags ein Schein­argument ist. Denn das Parlament hätte trotzdem die Untersuchungs­berichte abwarten und dann in der Herbst- und Winter­session die Vorlage beraten können. Der Bundesrat hätte sogar die Volks­abstimmung über die Stopp-F-35-Initiative auf Mitte März 2023 anberaumen können – bei einem Nein hätte er noch vor Ende März seine Unterschrift unter den Kauf­vertrag mit der US-Regierung setzen können.

Man mag den Initiantinnen Zwängerei vorwerfen, haben sie doch die Abstimmung über den Kredit für das Kampf­flugzeug verloren (wenn auch nur hauchdünn). Doch was die bürgerliche Mehrheit im Parlament tut, lässt sich nur als rücksichts­lose und sehr unschweizerische Macht­demonstration beschreiben.

Mit diesem Vorgehen schwächt der Ständerat das Vertrauen in die Schweizer Demokratie und foutiert sich um seine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und den Steuer­zahlerinnen.

Und anders als beim Hollywood-Thriller «Top Gun» ist bei diesem hals­brecherischen Manöver kein Happy End garantiert.

Wir haben ursprünglich geschrieben, der Bundesrat hätte bei einem Ja zur Stopp-F-35-Initiative noch vor Ende März 2023 seine Unterschrift unter den Kaufvertrag setzen können – das war verkehrt. Dies hätte er bei einem Nein zur Initiative tun können. Wir entschuldigen uns für den Fehler und bedanken uns für den Hinweis aus der Leserschaft.

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