Gefangen im Labyrinth

Die Politik der kleinen Schritte brachte Simonetta Sommaruga ganz nach oben. Doch in der Klimapolitik bringt sie dringend nötige Reformen nicht durch. Für die SP-Bundesrätin geht es jetzt um alles oder nichts.

Von Elia Blülle (Text) und Uli Knörzer (Illustration), 30.05.2022

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Vorlage: Simon Tanner

Auf dem Bücher­regal, hinter dem Schreib­tisch von Simonetta Sommaruga, wächst ein Elefanten­fuss, dessen lange Blätter in den Raum ragen, als wollten sie auf das Pult schielen. Die Zimmer­pflanze mit dem dicken Stamm hat Moritz Leuen­berger einst an Doris Leuthard vererbt. Und der Elefanten­fuss war dann auch so ziemlich das einzige Geschenk, das die Mitte-Politi­kerin ihrer Nach­folgerin im Büro hinterliess, als diese im Januar 2019 im Umwelt- und Energie­departement (Uvek) einzog.

Ansonsten warteten fast nur Probleme: Die Energie­wende stockte, und es war klar, dass die Schweiz ihre CO2-Reduktions­ziele nicht erreichen würde. Eine doppelte Heraus­forderung also, und damit das schlechteste aller Szenarien: Machte die Schweiz weiter wie bisher, würde sie weder das eine noch das andere ihrer wichtigsten strategischen Ziele erreichen.

Damals hofften viele, Sommaruga könnte die klima­politischen Blockaden endlich lockern – weg von den schein­baren hin zu den echten Lösungen.

Sommarugas Gabe war schon immer die Real­politik. Sie verwandelte grosse Reformen geräuschlos in Gesetze. Ihr Politik­stil hat in Bern einen eigenen Namen: die «Methode Sommaruga». Nur scheint sie seit drei Jahren nicht mehr zu funktionieren.

Drei von drei Referenden verloren

Wie stark Sommaruga dagegen kämpft, dass sich ihr Image als erfolg­lose Klima- und Energie­politikerin festsetzt, erfährt die Republik, als sie beim Umwelt­departement für ein Gespräch mit der Bundes­rätin anfragt. Vor dem Inter­view verschickt die Medien­sprecherin ein drei­seitiges Papier, in dem sie auflistet, was die neusten politischen Klima- und Energie­massnahmen aus dem Uvek alles bewirken. Für Sommaruga habe die Stärkung der erneuer­baren Energie und der Versorgungs­sicherheit oberste Priorität, beginnt das Schreiben. Es folgt eine Liste mit allen Vorlagen, die Sommaruga in den letzten drei Jahren initiiert hat.

Einige Tage später sitzt Somma­ruga im Bundeshaus Nord und hat das Papier ihrer Presse­sprecherin vor sich aus­gebreitet. Sie sagt, ihr sei als neue Energie- und Klima­ministerin sofort klar gewesen, dass die Schweiz vom Öl und Gas wegkommen, zudem aber auch die erneuerbaren Energien massiv ausbauen müsse: «Die Schweiz hat sich in den letzten 10 Jahren zu stark auf Strom­importe aus dem Ausland verlassen. Es war mir darum wichtig, rasch die Weichen anders zu stellen, um unsere einheimische Energie­produktion zu stärken.» Um die Abhängigkeit zu reduzieren, sei in der Vergangen­heit zu wenig geschehen.

Nun will der Bundesrat insgesamt 12 Milliarden Franken in den Ausbau von erneuerbaren Energien investieren. Die wichtigste Vorlage, der sogenannte «Mantelerlass» (Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien), wird demnächst im Parlament beraten. Sagt die Bundes­versammlung Ja und kommt die Vorlage nach einem allfälligen Referendum auch beim Volk durch, dann krempelt Sommaruga die Energie­politik um.

Aber eben: Sommaruga hat bisher als Umwelt- und Energie­ministerin drei von drei Referenden verloren: Zuerst 2020 das neue Jagdgesetz, dann das CO2-Gesetz im letzten Juni, zuletzt das Mediengesetz acht Monate später.

Seit Sommaruga vor gut drei Jahren vom ungeliebten Justiz­departement ins Umwelt- und Verkehrs­departement gewechselt hat, sei von der genialen Strategin nicht mehr viel zu spüren, schrieb die «NZZ am Sonntag»: «Ausgerechnet jetzt scheint die Bundesrätin amts­müde.»

Früher wurde Sommaruga als Licht­gestalt verehrt, die es schaffte, Menschen zu überzeugen, selbst wenn sie politisch anders ticken. Warum aber fällt es ihr heute so schwer, mit ihren Anliegen an der Urne durch­zukommen?

Der «Faktor Sommaruga» sei mittlerweile bei Volks­abstimmungen ein Nachteil, sagen mehrere lang­jährige und ehemalige Mitarbeiter aus ihrem Departement, die sich öffentlich nicht zu erkennen geben wollen. Bei Doris Leuthard, ihrer Vorgängerin, sei das ganz anders gewesen. Keine andere Bundes­rätin hat so erfolgreich ihre Anliegen durchgeboxt wie sie.

Die «Methode Sommaruga» kommt ans Limit

Die beiden Frauen, Leuthard (Jahrgang 1963) und Sommaruga (1960), sind fast gleich alt und nur wenige Kilometer voneinander im aargauischen Freiamt aufgewachsen. In ihrem Auftreten und in ihrer Art zu politisieren könnten sie aber unter­schiedlicher nicht sein.

Während Doris Leuthard noch heute im Freiamt lebt, zog die Sozial­demokratin Sommaruga früh aus ihrer tief katholischen Heimat­gemeinde Sins weg, deren Pfarrer nationale Berühmt­heit erlangte, als er 1980 das Jugend­magazin «Bravo» verbot. Sie arbeitete anfänglich im nahen Luzern als Klavier­lehrerin, gab klassische Konzerte.

Aber Konzert­besucher seien nicht die Leute gewesen, für die sie ihr Leben lang arbeiten wollte, sagte sie in einem Inter­view. Also studierte sie Literatur, übernahm Nacht­schichten im Freiburger Frauen­haus und wurde 1993 Geschäfts­leiterin der Stiftung für Konsumenten­schutz.

«Wahrscheinlich erhob sich bei manchen Stiftungs­räten das Hohn­gelächter, als sie Simonetta Sommarugas Bewerbung lasen», schrieb der «Blick» bei ihrem Antritt und fragte: «Wie wird eine Seminar­lehrerin ein Budget von 700’000 Franken verwalten?»

Sommaruga, damals 32 Jahre alt, verwaltete aber nicht nur, sondern heizte ein. Sie legte sich mit der Migros, Coop und sogar den Bauern an. Das gefiel den Medien, aber auch den Bernerinnen und Bernern. 1999 wählte sie der Kanton Bern in den Nationalrat, vier Jahre später sass sie im Ständerat.

Im Parlament heisst es bis heute, sie sei scharf­sinnig und klug. Eine der Besten im politischen Geschäft. Allen immer einen Schritt voraus.

Als Sommaruga 2010 in den Bundes­rat gewählt wurde, übernahm Doris Leuthard, die zu diesem Zeit­punkt bereits vier Jahre Bundes­rätin war, gerade das Umwelt- und Energie­departement. Leuthard war bürgerlich, aber nicht spiessig. Unver­krampft und charmant. Mit dem schrittweisen Atom­ausstieg erstritt sie sich die Liebe vieler Linker. «Super-Doris» war eine Politikerin, die mit vielem brach, was die Schweizer Politik so langweilig und tranig machte.

Ehemalige Mit­arbeiter erzählen, wie Leuthard Verbands­chefs und Unternehmer – meistens Herren – vor Publikum zusammen­stauchen konnte, wenn sie nicht spurten. Natürlich wird Leuthard heute gerne verklärt. Ihr politisches Erbe, besonders in der Klima­politik, ist bescheiden.

Trotzdem: Sie gewann in ihrer Amtszeit 16 von 18 Volks­abstimmungen.

Bei Sommaruga ist das anders.

Der ehemalige SP-Nationalrat Rudolf Strahm, ein enger Vertrauter von Sommaruga, schrieb 2020 in der «Weltwoche», ihre Reform­schritte im Bundes­rat seien so klein gewesen, dass sie stets unter der Referendums­schwelle durch­schlüpften. In der Gesamt­heit habe sie so aber im Justiz­departement ein beachtliches Reform­werk im Zivilrecht hinterlassen.

Das änderte sich im Uvek: Anders als im Parlament musste sie nun nicht mehr nur Polit­profis, sondern vor allem die Stimm­bevölkerung überzeugen. Die «Methode Sommaruga» geriet ans Limit. Volks­nähe ist nicht ihr Ding. Gemäss der NZZ erhielt Sommaruga bereits beim Konsumenten­schutz den Übernamen «Eisprinzessin».

Strahm schreibt, Sommaruga erscheine vielen als unnahbar, ihre «Entourage» sei darauf bedacht, sie abzuschotten. Unvergessen bleibt die Neujahrs­ansprache als Bundes­präsidentin, die sie 2020 aus einer Bäckerei hielt und mit einer schau­spielerischen Einlage einleitete. Das Video ging viral und gesellte sich zu Johann Schneider-Ammanns «rire c’est bon pour la santé» in der Liste peinlicher Bundesrats­auftritte.

Natürlich schwingt bei solchen Zuschreibungen oft Sexismus mit. Sommaruga gilt als fleissig, ehrgeizig – Eigenschaften, die bei Politikerinnen noch immer schnell als verbissen oder über­heblich gewertet werden. Seit jeher kommen­tieren Journalisten und Politiker Sommarugas körperliche Statur, ihr Auf­treten, ihre Ehe mit Schrift­steller Lukas Hartmann und, wie bei fast allen weiblichen Bundes­rätinnen bisher, auch die Kinder­losigkeit.

Kaum war Sommaruga Bundes­rätin, geriet sie ins Faden­kreuz der SVP. Lange galt die Regel, dass einem Bundes­rat hundert Tage Ruhe gewährt werden. Nicht so bei Sommaruga. SVP-Hardliner Adrian Amstutz stellte bereits an ihrem fünften Arbeitstag fest, sie erzähle «einen Seich nach dem anderen». Und auch Roger Köppel, damals noch Journalist, kommentierte umgehend, die Bundesrätin würde Unwahrheiten verbreiten und sei bereits entzaubert: «Simonetta Sommaruga wirkte säuerlich bis arrogant, auf Vorrat beleidigt, mit gebieterischer Allüre, als ob ihr das Amt bereits zu Kopf gestiegen sei.»

Der Schaden war angerichtet. Und wirkt bis heute fort. Martin Candinas, Mitte-Nationalrat aus dem Kanton Graubünden, sagte im vergangenen Februar zum «Blick»: «Ich muss mich meinen Wählern schon fast erklären, wenn ich in der ‹Arena› an der Seite von Bundesrätin Sommaruga für das Medien­gesetz kämpfe.»

Sie konnte keinen Pieps sagen, ohne dass die SVP auf Sommaruga eindrosch. Auch weil sie im Justiz- und Polizei­departement eine erfolgreiche Politik gegen die SVP-Total­opposition machte, das Asyl­wesen umkrempelte und das Familien­recht modernisierte wie kaum eine Bundes­rätin zuvor. Seit sie nun Abstimmungen an der Urne verliert, kennen die SVP-Vertreter kein Halten mehr. SVP-Fraktions­chef Thomas Aeschi brach jüngst ein weiteres Tabu und forderte ihren Rücktritt: «Es ist Zeit für einen Wechsel.»

Anders als früher ist er mit diesem Gedanken nicht mehr allein.

Die Klima­verantwortlichen in der Verwaltung leiden

Als in der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 das revidierte CO2-Gesetz abstürzte und sich die SVP-Männer in den Armen lagen, herrschte beim Umwelt- und Energie­departement eine Stimmung wie auf einer Beerdigung.

Es gibt Dutzende Gründe, wieso die Schweizer Stimm­bevölkerung die wichtigste Klima­vorlage in der Geschichte des Landes beerdigt hat: die potente Gegner­schaft, die schlaffe Kampagne, die Identitäts­krise der FDP – und natürlich die unglückliche Terminierung, von der Sommaruga sogar der mächtige Mitte-Bauern­präsident Markus Ritter abgeraten hatte. Die Vorlage fiel mit zwei linken und radikalen Landwirtschafts­initiativen zusammen, die auf dem Land konservative Wähler stark mobilisierten.

Einige sagen, ein konsequenteres Gesetz wäre durch­gekommen, andere meinen, die Bevölkerung habe nicht begriffen, dass sie – insbesondere auf dem Land – von Lenkungs­abgaben profitieren würde. Sommaruga selbst meint, das Parlament habe das Gesetz mit «zusätzlichen Elementen» wie der Flugticket­abgabe überladen, die für viele mit Blick auf die Anliegen der Klima­bewegung symbolisch aber wichtig waren, und so die Widerstände stark kumuliert. «Das muss man in der Schweiz immer sehr genau im Auge behalten. Ansonsten hat man bei der Abstimmung Wider­stand statt breite Unterstützung.»

In ihrer eigenen Verwaltung herrscht teilweise die Überzeugung, eine linke Umwelt­ministerin müsse aufgrund ihrer Partei­zugehörigkeit bereits vor einer Volks­abstimmung konsequent 5 Prozentpunkte abschreiben. Anderer­seits habe Sommaruga die Debatte gescheut: Sie sei, trotz Warnungen, unvorbereitet gewesen, als die SVP nur noch über die Kosten sprach.

Das Resultat: Die Schweiz verfügt seit einem Jahr über keine Gesetz­gebung, die ausreicht, um in den nächsten sieben Jahren die Treibhausgas­emissionen schnell zu senken. Zwar hat das Parlament nach dem abgelehnten CO2-Gesetz rasch die bestehenden Mass­nahmen verlängert, aber damit wird der Bundes­rat die völker­rechtlichen Verpflichtungen nicht einhalten, die er mit der Ratifizierung des Pariser Klima­abkommens 2015 eingegangen ist.

Sommaruga droht als die Umwelt­ministerin in die Geschichte einzugehen, unter der die Schweiz erstmals das Pariser Klima­abkommen offen­sichtlich verletzt.

Also hat sie nun mehrere Gänge hoch­geschaltet. Das erklärte Ziel: So schnell wie möglich eine neue Vorlage durch Bundes­rat und Parlament zu peitschen. Im Sommer 2021 lud Sommaruga alle relevanten Verbände und Parteien nach Bern ein und forderte sie auf, ihre Erwartungen an die Politik im Bereich Klima­schutz zu formulieren.

Ein Positions­papier, das die Republik, gestützt auf das Öffentlichkeits­gesetz, verlangt hat, zeigt: Die Erdöl­vereinigung und Auto­verbände, die das Referendum gegen das CO2-Gesetz ergriffen hatten, gaben sich in den Gesprächen zwar erstaunlich aufgeschlossen, markierten aber eine rote Linie: Die Einführung einer erneuten Treibstoff­abgabe würden sie nicht tolerieren.

Am 18. August 2021 stellte Sommaruga ihre künftige Politik in der SRF-Sendung «Rundschau» vor. Die Benzin­preise seien das sensibelste Thema, sagte sie, die künftige Klima­politik werde nicht über neue Abgaben geführt.

Die meisten ihrer Mitarbeite­rinnen in der Verwaltung erfuhren aus dem Fern­sehen von der neuen Stoss­richtung. Seit der Abstimmung im letzten Jahr wird vor allem das Verhältnis zwischen der Bundes­rätin und dem Bundes­amt für Umwelt, das für die Umsetzung der Klima­politik verantwortlich ist, als dysfunktional beschrieben. Die Klima­verantwortlichen in der Verwaltung leiden, weil sie bei der Ausarbeitung der neuen Vorlage nur noch ober­flächlich miteinbezogen wurden. Die Unzufrieden­heit zeigte sich auch daran, dass im Oktober der interne Entwurf für die neue CO2-Vorlage durch­sickerte und von den Organisationen Extinction Rebellion und Scientist Rebellion veröffentlicht wurde. Innerhalb des Bundes­amtes für Umwelt herrscht die Meinung vor, dass mit der neuen Vorlage die Schweizer Klima­ziele nicht eingehalten werden können. Das zeigen Gespräche, die die Republik im Umfeld des Uvek geführt hat.

Das Pariser Abkommen sähe vor, dass die Schweiz bis 2030 ihre CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 halbieren müsste – gemäss Selbst­verpflichtung primär mit inländischen Massnahmen. Die neue Vorlage will aber einen beträchtlichen Teil im Ausland kompensieren. Das funktioniert so: Über die bereits heute geltende CO2-Abgabe auf fossile Treib­stoffe sollen Klimaschutz­projekte in Vertrags­ländern wie Ghana oder Georgien finanziert werden. Die dadurch eingesparten Emissionen kann sich die Schweiz später anrechnen lassen.

Die Investitionen in Auslands­projekte würden nur so getätigt, dass sie auch entwicklungs­politisch Sinn ergäben, sagt Sommaruga: «Wir unter­stützen nur Projekte, die der Bevölkerung vor Ort etwas bringen. Wenn Menschen weniger abholzen müssen, weil sie mit Solar­energie kochen, unterstützen wir den Klima­schutz und die Biodiversität gleich­zeitig.»

Die Idee, Schweizer Klima­politik über die Auslands­kompensationen voran­zutreiben, ist alt. Als Anfang der 2000er-Jahre die gesetzlich vorgesehene Einführung einer CO2-Abgabe von bis zu 50 Rappen pro Liter drohte, schlug die Erdöl- und Autolobby mit Unterstützung der FDP einen Klima­rappen auf Treib­stoffe vor. Dessen Einnahmen sollten Reduktions­projekte im Ausland finanzieren. Kein anderer Bereich verfehlt in der Schweiz seine Emissions­ziele heute so stark wie der Strassen­verkehr.

Sommaruga sagt, die neue CO2-Vorlage wolle die Menschen finanziell unter­stützen, auf Infra­struktur setzen und nicht neue Abgaben einführen, die als Bestrafung empfunden werden. Unter anderem würden rund 4 Milliarden in den Ersatz von Öl- und Gas­heizungen fliessen sowie für die Sanierung von Häusern und Wohn­blocks zur Verfügung stehen. Zudem soll die Lade­infrastruktur für Elektro­autos ausgebaut werden. Flug­gesellschaften müssten künftig erneuerbare Treib­stoffe dem Kerosin beimischen.

Umwelt­organisationen und diverse Parteien kritisieren, der Bundes­rat habe mit seiner neuen Vorlage den Kompromiss vorweg­genommen, weil er so schnell wie möglich einen Sieg ein­fahren wolle. Sommarugas eigene Partei, die Sozial­demokraten, schreiben in der Vernehmlassung, sie erwarte nun einen Gesetz­entwurf, der den Heraus­forderungen auch wirklich gerecht werde.

Sommaruga erwidert, dass in der Energie- und Klimapolitik der Fächer jener Kräfte, die alles blockieren, und jener, die sehr tiefgreifende Änderungen wollten, extrem breit sei. Die Erwartungen an ihre Politik seien stark polarisiert. Und darum werde das neue CO2-Gesetz auch nicht jedes Traum­programm erfüllen können, aber die Vorlage helfe, die Ziele zu erreichen.

«Ich habe noch nie Gesetze vor einer Vernehm­lassung bewusst aufgeladen, mit dem Ziel, danach mit der Hälfte zufrieden zu sein. Solch taktische Manöver werden von der Bevölkerung nicht goutiert. Im Zusammen­hang mit dem CO2-Gesetz wäre dies angesichts des Volks­entscheids vor einem Jahr erst recht nicht respektvoll gewesen», sagt Sommaruga. «Mir geht es um die Sache. Entscheidend ist jetzt, dass wir endlich einen nächsten Schritt machen.»

Moderieren reicht nicht

Sommaruga sagt, Reformen mache man in der Schweiz mit kleinen Schritten. Das braucht aber Zeit. Und die läuft Sommaruga davon: Einer­seits kann sie nicht ewig Bundes­rätin bleiben; verliert die SP weiter Stimmen bei den nächsten Wahlen, wackelt ihr Sitz. Anderer­seits verträgt die Klima- und Energie­politik keinen weiteren Aufschub. Kompro­misse würden nicht mehr reichen, schrieb jüngst auch die NZZ in einem Kommentar zur Klima- und Energie­politik: «Was es braucht, sind politische Deals. Führungs­figuren, die Parteien und Verbänden Gründe liefern, sich eben doch gerade hier zu bewegen.»

Sommaruga hat eine Klima- und Energie­politik über­nommen, deren Perspektiven entworfen waren. Konkrete Massnahmen fehlten aber. Jetzt muss sie gemeinsam mit unversöhnlichen Umwelt­organisationen, mächtigen Energie­firmen und deren angehängten PR-Agenturen nach Lösungen suchen, die nur sehr schwierig in tragfähige Kompro­misse zu verpacken sind, da immer jemand aufheulen und bis zum Letzten dagegen ankämpfen wird.

Es besteht die Gefahr, dass das Parlament ihre neue CO2-Vorlage erneut zerzausen und überladen wird, denn der GLP, der SP und den Grünen geht das Gesetz deutlich zu wenig weit. In einer unheiligen Allianz mit der SVP können sie es zum Absturz bringen, wie das bereits 2018 noch unter Leuthard der Fall war. Letztlich dürfte die SVP oder ihre verbündeten Kräfte ohnehin ein Referendum ergreifen. Und wie schwer es solche klima­politischen Abstimmungen haben, zeigte das letzte Referendum.

Noch als Stände­rätin schrieb Sommaruga gemeinsam mit Rudolf Strahm ein Buch mit dem Titel «Für eine moderne Schweiz». Darin plädierte sie für eine «Revitalisierung der Konkordanz». Sie setzte sich dafür ein, dass alle Parteien im politischen Prozess eine Rolle spielten. Sie schrieb, das bedeute keine Verbrüderung, keine Fusion. Aber es benötige mehr verbindliche Allianzen, damit die Schweiz künftig weiter­komme: «In einer länger­fristigen Planung haben momentane Stimmungen und Ideologien wenig Platz.»

Bis heute hält sie an dieser Politik fest. Wie schwierig es für die SP-Politikerin aber geworden ist, insbesondere in der Klima- und Energie­politik Allianzen zu schmieden, zeigten die letzten Monate.

Sommaruga lud verschiedene Verbände, Unternehmen und Kantone, die den Ausbau der Wasser­kraft blockieren oder ihn vorantreiben wollen, zum runden Tisch ein. Im letzten Dezember einigten sich die Teilnehmer in einer gemeinsamen Erklärung auf 15 Bauprojekte. Das war der grosse Erfolg, den Sommaruga benötigte. Doch nur wenige Wochen später distanzierten sich die Ersten schon wieder davon. FDP-Ständerat Martin Schmid liess im Februar gegenüber CH Media verlauten, der runde Tisch sei am Ende. Es benötige eine politische Entscheidung, und diese könne der runde Tisch nicht bieten.

Sommaruga versteht sich als Moderatorin. Damit hatte sie im Parlament grossen Erfolg. Eine linke Stände­rätin, die mit allen redete und scheinbar inkompatible Positionen zusammen­brachte: Das war erfrischend.

Von einer Bundes­rätin aber wird mehr erwartet: Haltung und Entscheidungen.

Sommaruga aber höre lange zu, halte sich bedeckt und gebe immer erst ganz am Ende ihre Posi­tion durch. Das habe teil­weise etwas Opportunis­tisches, verärgere Verbände und Parlamentarierinnen, erzählen diverse Personen aus der Verwaltung, die bei solchen Gesprächen dabei waren. Sommaruga gelte im Departe­ment als «Sphinx», weil sie nur schwierig zu durch­schauen sei. Man kenne zwar ihre Grund­haltung, aber bei vielen Themen wisse niemand wirklich, wo sie stehe.

Sommaruga ist seit über 12 Jahren Bundes­rätin. Innerhalb ihrer eigenen Partei, aber auch bei den Umwelt­organisationen und der Verwaltung, macht sich Unruhe breit. Öffent­lich will niemand darüber sprechen, aber für viele ist klar, dass Sommaruga nach der Abstimmung über das CO2-Gesetz im letzten Juni in Bundes­bern nicht mehr viel erreichen könne. Die Fronten sind zu verhärtet. Um zu gewinnen, muss sie ihre Ambitionen tief halten. Das steht im Wider­spruch zu dem, was die Klima­krise an Politik erfordern würde.

Auf die Frage, was sie sich nach ihrem Rücktritt nicht vorwerfen lassen wolle, antwortet Sommaruga, dass sie mitten in der Arbeit stecke und darum nicht schon Bilanz ziehe. Die Heraus­forderungen und die Verant­wortung seien sehr gross.

Sommaruga sagt, sie sei eine hart­näckige Person und habe einen langen Atem: «Es gab Rück­schläge, aus denen ich meine Schlüsse ziehen musste. Aber ich habe als Bundes­rätin auch immer wieder Vorlagen durch­gebracht. In der Politik muss vor allem auch der Kompass stimmen. Die Ziele, auf die wir hinarbeiten. Mein Kom­pass ist klar – und darauf richte ich alle meine Arbeit aus.»

Noch hat sie ihre Ziele nicht erreicht. Gelingt es Sommaruga, ihre in den letzten Monaten und Jahren aufgegleisten Energie­vorlagen alle durch­zubringen, könnte sie die grünste Bundes­rätin aller Zeiten werden und die Schweizer Energie­landschaft tatsächlich fundamental umkrempeln. Sommaruga glaubt weiterhin, dass die breiten Allianzen möglich sind: «Wir müssen uns jetzt zusammen­raufen und die Komfort­zone verlassen.»

Doch der Druck ist gross. Schafft sie es nicht, sollte sie weitere Male scheitern, wird sie als jene Bundes­rätin in Erinnerung bleiben, die zu spät ein­gesehen hat, dass sie als SP-Politikerin im Uvek keine nennens­werten Erfolge mehr erzielen kann – und trotzdem an der Macht fest­gehalten hat.

Das wäre verheerend. Denn es dürften weitere Volks­abstimmungen folgen, die den Kurs der Schweizer Klima­politik über Jahrzehnte prägen werden: Möglich, dass die Schweiz bald über einen indirekten oder direkten Gegen­vorschlag zur «Gletscher­initiative» abstimmen wird.

Als Sommaruga vor drei Jahren das Uvek übernahm, schenkte ihr Doris Leuthard neben dem prächtigen Elefanten­fuss auch eine Schweizer Edition des Brettspiels «Labyrinth», bei dem die Spieler einem Irrgarten entfliehen müssen, während sie sich einander die Wege verstellen.

Leuthard sagte zu Sommaruga: «Ich hoffe, dass du immer einen Ausweg findest.»

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