Briefing aus Bern

Mitte-Präsident redet wie ein Juso, der Bundesrat will Kampf­jets am Volk vorbei kaufen – und eine Bank fürs Klima

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (192).

Von Priscilla Imboden und Cinzia Venafro, 19.05.2022

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Mitte-Präsident Gerhard Pfister lässt seit Kriegs­beginn mit erstaunlichen Vorschlägen aufhorchen. Ende Februar kritisierte er das Zögern der Regierung bei den Sanktionen scharf: «Die Schweiz darf nicht der europäische Business-Hub für Russlands Krieg werden.» Zwei Monate später forderte er, dass der Bundesrat es Deutschland erlauben solle, Munition aus der Schweiz in die Ukraine weiterzuexportieren.

Der streitbare Zuger Nationalrat wagt es, ein Schweizer Tabu zu brechen: die Neutralität – und er argumentiert dabei moralisch. Anfang Mai stellte er an der Delegierten­versammlung der Mitte-Partei im glarnerischen Näfels die Frage: «Ab wann wird Neutralität unanständig?»

Die NZZ sieht darin den Versuch einer neuen Wertedebatte. Schon nach seiner Wahl zum Präsidenten der damaligen CVP im Jahr 2016 wollte Pfister über Werte reden, damals ging es um Islamismus und die Verteidigung der christlichen Werte. Vier Jahre später fusionierte die CVP mit der BDP zur Mitte und das Wort christlich verschwand aus dem Parteinamen.

Diesmal nun geht es Pfister nicht ums Christentum, sondern um die Demokratie. In der «NZZ am Sonntag» sagte er letztes Wochenende: «Wir müssen unsere westlichen Werte, unsere Demokratie, schützen.» Und damit meint Pfister nicht die Politik: «Wirtschaft ohne Werte geht nicht. Die wertfreie Globalisierung ist aus meiner Sicht gescheitert.» Das Konzept Handel für Wandel sei naiv gewesen. Darum soll die Schweiz nach Pfisters Willen nur noch Freihandels­verträge abschliessen mit Ländern, die sich verpflichten, demokratische Rechte zu respektieren. Dabei schreckt er auch vor Gross­mächten nicht zurück. Das Freihandels­abkommen mit China würde er heute viel kritischer anschauen, sagte der Mitte-Präsident im Interview. Und weil er grad so im Schuss war, erklärte er die «Weiter­entwicklung der sozialen Markt­wirtschaft» zu einem zentralen Anliegen seiner Partei und fragte: «Besteuern wir nicht Arbeit zu stark und Kapital zu wenig?»

Der «Blick» titelte daraufhin «Pfister rückt die Mitte nach links» und stellte fest, dass diese Aussagen auch aus dem Mund einer Juso-Präsidentin kommen könnten. Pfister wäre nicht Pfister, hätte er nicht auch darauf eine Antwort parat. Auf Twitter schrieb er, seine Kritik an der naiv liberalen Haltung der Schweiz gegenüber China sei vor fünf Jahren auch schon als links taxiert worden, heute aber würden ihm auch Vertreter der FDP recht geben. Wer weiss, so wie Pfister grad in Fahrt ist, zieht er am Ende mitsamt der Mitte auch noch die FDP nach links.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Kampfjets: Bundesrat will schon vor Volks­abstimmung Fakten schaffen

Worum es geht: Der Bundesrat hat am Mittwoch entschieden, dass er die Verträge für den Kauf der F-35-Kampfjets bis Ende März 2023 unter­schreiben will – ohne eine allfällige Volks­abstimmung abzuwarten. Damit folgt er einem Antrag der Sicherheits­kommission des Ständerates. Laut dem Bundesrat läuft dann die Frist der Offerte aus den USA ab. Anschliessend könnten sich die Bedingungen verschlechtern.

Warum Sie das wissen müssen: Der geplante Kauf der Kampfjets ist die teuerste Beschaffung der Schweizer Geschichte. Es bestehen offene Fragen zur Evaluation im Vorfeld des Typen­entscheids, die aktuell von der Geschäftsprüfungs­kommission des Nationalrates und der Eidgenössischen Finanz­kontrolle EFK untersucht werden. Vor allem aber ist der Entscheid des Bundesrats demokratie­politisch heikel. Derzeit läuft die Unterschriften­sammlung für eine Initiative, die den Kauf von F-35-Jets verbieten will. Nach Angaben der Initiantinnen sind bereits über 88’000 der nötigen 100’000 Unter­schriften zusammen­gekommen. Stattfinden würde die Abstimmung aber erst, nachdem der Bundesrat die Kaufverträge unterschrieben hat – womit sie hinfällig wäre. «Volks­initiativen entfalten vor Annahme durch Volk und Stände keine rechtliche Vorwirkung. Eine neue Verfassungs­bestimmung würde frühestens mit der Annahme in Kraft treten», schreibt der Bundesrat. Was im Klartext heisst: Wir kaufen den Jet, und sollte danach eine Mehrheit an der Urne gegen den F-35 stimmen, ändert das gar nichts.

Wie es weiter geht: Die Kampfjet­beschaffung wird im Juni im Ständerat beraten und im September im Nationalrat. Somit kann nur der Nationalrat reagieren, falls die Geschäftsprüfungs­kommission oder die eidgenössische Finanz­kontrolle Fehler oder Unregel­mässigkeiten beim Beschaffungs­prozess feststellen, denn deren Berichte werden im Juni noch nicht vorliegen.

Oligarchengelder: Anwälte sollen in die Pflicht genommen werden

Worum es geht: In einer dringlichen Inter­pellation will der grüne Nationalrat Raphaël Mahaim vom Bundesrat wissen, ob Schweizer Anwälte Vermögen von sanktionierten russischen Oligarchinnen den Behörden melden müssen. SP und Grüne möchten die Frage in einer ausser­ordentlichen Session zum Sanktions­regime im Rahmen der Junisession klären. Die Schweiz hat derzeit als Reaktion auf den Angriffs­krieg gegen die Ukraine russische Vermögen in der Höhe von 6,3 Milliarden Franken gesperrt. Laut Schätzungen der Schweizer Bankier­vereinigung liegen aber rund 150 bis 200 Milliarden Franken russischer Herkunft auf Schweizer Konten.

Warum Sie das wissen müssen: Die Schweiz ist eine Drehscheibe für Oligarchen­gelder. Schweizer Anwältinnen spielen bei der Beratung reicher Kunden – nicht nur aus Russland – seit Jahren eine zentrale Rolle. Falls sie Vermögen verwalten und diese unter ein Sanktions­regime fallen, müssen sie das melden. Wenn sie aber nur als Beraterinnen tätig sind, um etwa Firmen­konstrukte aufzubauen und Geld in Offshore-Zentren zu verschieben, sind sie vom Anwalts­geheimnis geschützt und dürfen Oligarchen­gelder laut einem Gutachten des Schweizerischen Anwalts­verbandes nicht melden. Diese Lücke im Geldwäscherei­regelwerk der Schweiz führte zu Kritik der inter­nationalen Anti-Geldwäscherei-Taskforce FATF. Der Bundesrat wollte deshalb das Geldwäscherei­gesetz bereits 2019 anpassen. Doch die geplante Reform scheiterte am Widerstand des Parlaments.

Wie es weitergeht: Der Krieg in der Ukraine verleiht der Frage neue Brisanz. Finanz­minister Ueli Maurer sagte letztes Jahr im Nationalrat, als sich SVP, Mitte und FDP gegen die Unterstellung der Anwälte unter das Geldwäscherei­gesetz wehrten: «Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir werden Ihnen dieses Thema in einer nächsten Revision unterbreiten müssen.» Das könnte nun früher geschehen als vorgesehen.

Klimaschutz: Breite Allianz will staatliche Klima-Investitionsbank

Worum es geht: Die Schweiz soll eine Klimabank erhalten. Das fordern Politikerinnen aus fünf Parteien. In einem gleich­lautenden Vorstoss verlangen die Vertreter von Grünen, SP, Mitte, FDP und Grün­liberalen vom Bundesrat, eine Investitions­bank für Klimaprojekte im In- und Ausland zu schaffen und mit mindestens 10 Milliarden Franken über zehn Jahre zu dotieren. Die Klima-Investitions­bank soll Gross­projekte finanzieren, bei denen sich Banken aus Risiko­gründen zurückhalten. Möglich wären etwa Gross­projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, Schutz der Arten­vielfalt und Negativ­emissions­technologien, wie das Heraus­filtern und Speichern von Treibhausgasen.

Warum Sie das wissen müssen: Seit dem Scheitern des CO2-Gesetzes an der Urne im Sommer 2021 ist offen, wie es mit der Klima­politik weiter­gehen und wie die Energie­wende finanziert werden soll. Die SP hat bereits vor drei Jahren im Rahmen eines Klimaschutz-Masterplans die Schaffung einer Klima-Investitions­bank vorgeschlagen. Die Grünen und die SP haben Anfang dieses Jahres eine Klimafonds-Initiative angekündigt. Mit dem politisch breit abgestützten Vorgehen im Parlament könnte diese Idee nun schneller Realität werden.

Wie es weitergeht: Die Vorstösse werden zunächst von den Kommissionen für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation beraten. Stimmen diese zu, wird ein Gesetz ausgearbeitet. Widerstand ist allerdings angekündigt. Skeptisch äussert sich etwa die Schweizerische Bankier­vereinigung: Sie sieht keinen Bedarf für eine vom Bund garantierte Klimabank. Laut einer von ihr heraus­gegebenen Studie wäre die Finanzierung der klima­neutralen Schweiz praktisch ohne staatliche Lösungen möglich.

Postauto-Affäre: Fedpol verliert vor Bundesgericht

Worum es geht: Das Verfahren zum Postauto­skandal muss neu aufgerollt werden: Das Bundes­gericht hat entschieden, dass das Bundesamt für Polizei (Fedpol) bei den Ermittlungen über die von der Postauto AG unrecht­mässig bezogenen Subventionen einen Verfahrens­fehler begangen hatte. Das Fedpol hatte für die verwaltungs­strafrechtliche Untersuchung zwei externe Experten als Verfahrens­leiter eingesetzt. Das Bundes­gericht stützt mit dem Entscheid das Berner Wirtschaftsgericht.

Warum Sie das wissen müssen: Die Postauto­affäre gilt als grösster Subventions­betrug der Schweizer Geschichte. Verschiedene Manager des Post-Konzerns sollen jahrelang Gewinne bei der Verkehrs­sparte der Post verschleiert haben. So wurden etwa der Kauf von Pneus und Diesel oder Aufwände für Personal erfunden. Dadurch erhielt der Konzern hohe Abgeltungen für den subventionierten Personen­verkehr. Sechs ehemalige Manager stehen im Verdacht, sich des Leistungs­betrugs schuldig gemacht zu haben. Die Post hatte bereits über zwei Millionen Franken Steuer­gelder zurück­zahlen müssen. Mitte Februar 2018 reichte der Bund Strafanzeige bei der Bundes­anwaltschaft ein. Im darauf­folgenden Juni trat Susanne Ruoff als Postchefin zurück, einen Tag später stellte der Post-Verwaltungsrat die Geschäfts­leitung der Postauto AG per sofort frei.

Wie es weitergeht: Zwei Ermittler der Steuer­verwaltung haben nun die Untersuchung übernommen, beginnen aber auf Feld eins. Das Fedpol befürchtet, dass die neue Straf­untersuchung zu einem «schlechteren Beweis­ergebnis» führen werde. Die beschuldigten Manager wüssten durch Akten­einsicht mittler­weile, welche Aussagen ihre mutmasslichen Komplizen getätigt hatten. Sie könnten sich nun absprechen. Die Aussagen aus dem früheren Verfahren sind nicht mehr verwertbar. Ob es je zu einer Verurteilung kommt, ist fraglich. Die sechs Beschuldigten erhalten eine Parteien­entschädigung von je 4000 Franken aus der Bundeskasse.

Sternchen der Woche

Die Bundes­verwaltung hat vor einem Jahr in einem Leitfaden die Verwendung von typografischen Mitteln für eine geschlechter­gerechte Sprache verboten. Nationalrät*innen und Ständerät:innen gibt es in offiziellen Schrift­stücken des Bundes nicht – weder im Abstimmungs­büchlein, noch in Texten auf der Website des Bundes oder den Antworten des Bundesrats auf parlamentarische Vorstösse. Die Bundes­kanzlei findet, man könne diese Zeichen nicht aussprechen, das schade der Lesbarkeit. Und vor allem sei die Verwendung des Gender­sternchens Ausdruck einer bestimmten gesellschafts­politischen Haltung. SP-National­rätin Céline Widmer will dieses Verbot nun kippen: In einem Vorstoss fordert sie Sternchen für die Bundes­verwaltung. Es sei «an der Zeit, dass auch in den Texten des Bundes eine Sprache verwendet wird, die Menschen aller Geschlechter einbezieht – also auch trans und non-binäre Menschen – und niemanden ausschliesst». Damit macht sich Widmer nicht nur Freund_innen. Aber ein Sternchen für ihr Partei­büchlein hat sie sich auf jeden Fall verdient.

Illustration: Till Lauer

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