Briefing aus Bern

Bundesrat will Strom­branche mit Milliarden schützen, mehr Geld für die Armee – und bald gibts Cannabis aus der Apotheke

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (188).

Von Elia Blülle, Bettina Hamilton-Irvine und Cinzia Venafro, 21.04.2022

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In der Strom­branche rumort es seit einiger Zeit. Die Schweizer Strom­betriebe kämpfen mit mehreren Problemen: Einerseits sollen sie die Energie­wende umsetzen und dabei die Versorgungs­sicherheit garantieren, andererseits müssen sie enorme wirt­schaftliche Risiken tragen, weil der Strom­markt gerade so verrückt spielt wie noch nie.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat deshalb nun einen «Rettungs­schirm» von 5 bis 10 Milliarden Franken für die grossen Strom­unternehmen aufgegleist. Das ist viel Geld für eine Branche, die in den letzten Jahren richtig gut verdient hat. Wie lassen sich diese Beträge rechtfertigen?

Die Preise an den Strom­märkten schwanken derzeit – und zwar mit einer erstaunlich hohen Frequenz. Dafür gibt es unter­schiedliche Gründe, aber der wohl wichtigste ist der russische Angriffs­krieg in der Ukraine. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Unsicherheiten destabilisieren den Markt.

Für die Energie­konzerne ist das Segen und Fluch zugleich. Einerseits profitieren sie im Verkauf von hohen Preisen, weil sie dadurch höhere Gewinne schreiben. Andererseits führt die Instabilität zu einem grossen Risiko im Einkauf. Will ein Konzern zum Beispiel Strom aus dem Ausland importieren, muss er dafür oft weit im Voraus finanzielle Sicherheiten hinterlegen. Verdreifacht sich dann der Strompreis, muss der Konzern auch sein Liquiditäts­polster verdreifachen. Um überhaupt am Handel teilnehmen zu können, benötigt er also viel mehr Cash als früher. Bei den aktuellen Markt­schwankungen droht den Konzernen deshalb sehr rasch das Geld – und damit der Strom – auszugehen.

Wie bedrohlich die Lage ist, hat sich bereits vor dem russischen Krieg in der Ukraine gezeigt. Ende 2021 hat Alpiq, der zweit­grösste Schweizer Strom­konzern, beim Bund eine Liquiditäts­spritze in Milliarden­höhe beantragt. Ein Schock, der in Bern den Stein ins Rollen gebracht hat. Mittler­weile hat Alpiq das Gesuch zwar zurück­gezogen, doch der Bundesrat will kein Risiko eingehen. Sollte einem der system­relevanten Strom­konzerne das Geld ausgehen, will die Regierung bereitstehen.

Bereits im Sommer soll das Parlament darum ein Gesetz behandeln, das rasches Handeln ermöglichen würde, sollten sich die Strom­konzerne verspekulieren.

Diese Woche aber sind Wandel­halle und Bundesrats­zimmer verwaist: Bundes­präsident Ignazio Cassis ist auf Japan-Reise, Finanz­minister Ueli Maurer und Wirtschafts­minister Guy Parmelin wiederum nehmen heute Donnerstag und morgen Freitag an der Frühjahrs­tagung des Inter­nationalen Währungs­fonds und der Weltbank in Washington teil. In Japan und den USA werden der Russland-Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen Thema Nummer eins sein.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Armee: Bundesrat will Budget aufstocken

Worum es geht: Der Bundesrat hat einer schritt­weisen Erhöhung des Armee­budgets bis 2023 zugestimmt. Er empfiehlt zwei gleich­lautende Motionen der Sicherheits­politischen Kommissionen beider Räte teilweise zur Annahme. Diese fordern eine Erhöhung bis 2030 auf mindestens 1 Prozent des Brutto­inlandprodukts – was in etwa 7 Milliarden Franken entspricht. So genau will sich der Bundesrat jedoch nicht festlegen, sondern «die Entwicklung der Armee­ausgaben im Lichte der Gesamt­ausgaben des Bundes­haushaltes laufend beurteilen». Eine weitere Motion der SVP-Fraktion, die 20’000 zusätzliche Armee­angehörige fordert, geht dem Bundesrat zu weit.

Warum Sie das wissen müssen: Der Angriffs­krieg in der Ukraine hat in vielen Ländern Diskussionen über das Armee­budget ausgelöst. So sprach etwa Deutschland bereits zusätzliche 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Auch in der Schweiz argumentieren vor allem bürgerliche Sicherheits­politiker, der Russland-Ukraine-Krieg zeige, dass in Europa nach wie vor Kriege mit Panzern und Kampf­flugzeugen geführt würden. Der Urner FDP-Ständerat und frühere Berufs­offizier Josef Dittli sagte Anfang Monat in der «Arena», die Schweiz habe Handlungs­bedarf in der Sicherheits­politik und müsse jetzt «Leistungs- und Fähigkeits­lücken in der Armee» stopfen. Linke Politikerinnen wie die Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter warnen hingegen davor, «überhastet Milliarden in die Armee zu pumpen»: Mit Waffen­gewalt könne man langfristig keinen stabilen Frieden erreichen.

Wie es weitergeht: Vom 9. bis 11. Mai findet in Bern eine Sonder­session statt. Im Nationalrat wird dann die grosse Debatte über Armee und Aufrüstung zeigen, welchen Einfluss der Krieg in Europa auf die Sicherheits­politik der Schweiz hat.

Covid-Impfstoffe: So viel zahlt die Schweiz

Worum es geht: Der Bundesrat hat stets geheim gehalten, wie viel er für die Corona-Impfstoffe bezahlt. Nun gibt ein Dokument erstmals Hinweise auf den Preis. Wie die CH-Media-Zeitungen berichten, liefert die etwas umständlich formulierte «Botschaft über den Nachtrag Ib zum Voranschlag 2022» Anhalts­punkte: So seien 2022 insgesamt 623 Millionen «für die Bezahlung von total 33 Millionen Impfdosen von den Firmen Moderna, Pfizer/Biontech und Novavax» fällig gewesen. Daraus lassen sich Gesamtkosten von 934,5 Millionen Franken errechnen, was einen Einzeldosis­preis von 28 Franken ergibt.

Warum Sie das wissen müssen: Die Impfungen werden vom Bund mit Steuer­geldern finanziert. Darum sind die Kosten von öffentlichem Interesse. Der nun errechnete Preis liegt deutlich höher als die zuletzt bekannte Preisangabe aus der EU mit 19,50 Euro für Pfizer/Biontech respektive 19 Euro für Moderna. Der höhere Preis für die Schweiz lässt sich teilweise mit der deutlich kleineren Bestell­menge erklären.

Wie es weitergeht: Bisher waren die Verträge mit den Impf­herstellern unter Verschluss. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeits­beauftragte empfahl im Januar aber eine Offenlegung. Solange die Verhandlungen liefen, stellte sich das Bundesamt für Gesundheit jedoch dagegen. Diese sind nun grösstenteils abgeschlossen, und die Verträge dürften bald publik werden. Ob die Preise dann tatsächlich bekannt gegeben oder geschwärzt werden, ist jedoch noch nicht klar.

Olympisches Komitee: Sport­ministerin Amherd fordert Ausschluss von russischen Funktionären

Worum es geht: Bundesrätin Viola Amherd hat dem Inter­nationalen Olympischen Komitee einen bösen Brief geschickt. Russische und bela­russische Funktionärinnen sollen im Komitee nicht länger akzeptiert werden, verlangt sie darin. Das Olympische Komitee will davon jedoch nichts wissen: In seiner Antwort teilt es mit, dass Mitglieder als Individuen gewählt werden und deshalb nicht ihr Land vertreten. Sie würden als Botschafter für die Sport­organisationen in ihrem jeweiligen Land delegiert.

Warum Sie das wissen müssen: Schon kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurden russische Sportlerinnen von Wettkämpfen ausgeschlossen. Doch viele russische Funktionäre sind nach wie vor in inter­nationalen Sport­verbänden tätig – obwohl nicht wenige den Krieg in der Ukraine offen unterstützen. Gemäss einem Report des Thinktanks «Play the Game» haben nur 7 von 40 Verbänden russische Offizielle suspendiert. Bereits vor mehr als einem Monat forderten deshalb 30 Sport­ministerinnen aus aller Welt die inter­nationalen Verbände auf, russische und belarussische Funktionäre auszuschliessen. Doch das Inter­nationale Olympische Komitee ignorierte die Forderung. In ihrem Brief stellte die Schweizer Sport­ministerin nun klar, dass «die Schweiz von der Welt des Sports ein entsprechendes Signal erwartet». Die Schweiz hat in der Sportwelt eine besondere Position, weil das Olympische Komitee seinen Sitz in Lausanne hat und sich in der Nähe Dutzende verwandte Organisationen nieder­gelassen haben. Auch Parlamentarier aus verschiedenen Parteien fordern, dass das Olympische Komitee als Dach­organisation Einfluss nimmt auf die Sport­verbände.

Wie es weitergeht: Das Inter­nationale Olympische Komitee weigert sich standhaft, die russischen Funktionärinnen auszuschliessen. Der Druck dürfte jedoch weiter zunehmen. Komitee­mitglied Richard Pound sagte, er wisse nicht, warum ein Unterschied zwischen Sportlern und Funktionärinnen gemacht werde: «Es erscheint unverständlich, dass die Strafen hier selektiv sind.»

Dealer der Woche

Cannabis ist beliebt in der Schweiz. In Umfragen geben jeweils etwa 4 Prozent an, im Vormonat gekifft zu haben. Doch eine Analyse des Abwassers vor zwei Jahren zeigte, dass es wohl eher 5 bis 6 Prozent sind, die mindestens einmal pro Monat Cannabis konsumieren. Bisher ist die Droge jedoch noch immer illegal: Zuletzt sagte das Schweizer Stimmvolk 2008 mit 63 Prozent Nein zu einer Legalisierung. Doch seither hat der Wind gedreht: Gemäss aktuellen Umfragen befürworten mittler­weile zwei Drittel der Stimm­berechtigten eine Liberalisierung. Nun macht der Bund einen grossen Schritt vorwärts: Am Dienstag hat er den ersten von mehreren Pilot­versuchen bewilligt, mit denen die Folgen eines legalen Verkaufs analysiert werden sollen. Ab dem Spätsommer können in Basel ausgesuchte Studien­teilnehmerinnen Cannabis in der Apotheke beziehen, im Herbst sollen Zürich und Bern folgen. Alle vier Monate müssen die Konsumenten zur Befragung antraben. Die Forscherinnen wollen so heraus­finden, wie sich das legale Cannabis auf die konsumierte Menge, die physische und psychische Gesundheit sowie auf den Schwarz­markt auswirkt. Kosten wird das Cannabis in der Apotheke etwa so viel wie auf der Strasse. In Basel werden dies 7 bis 20 Franken pro Gramm sein, pro Monat und Person gibts Produkte mit einem Gesamt-THC-Gehalt von höchstens 10 Gramm. Nach zweieinhalb Jahren wird Bilanz gezogen: Dann wird sich zeigen, ob der Staat am Ende doch der bessere Dealer ist.

Illustration: Till Lauer

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