Ein zerstörter jüdischer Friedhof: Ukraine, 1943. Herbert List/Magnum Photos

Die Stille zum Schreien bringen

Putins Propaganda bereitete seit Jahren einen grossen Krieg vor. Sie beruht auf Lügen­gebäuden, die viele nicht sehen wollen. Dem müssen wir die Macht der Sprache entgegenhalten.

Ein Essay von Marina Skalova, 20.04.2022

Synthetische Stimme
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Seit Tagen setze ich immer wieder an, um diesen Text zu schreiben. Gestern Abend habe ich mir bis spätnachts immer wieder die Bilder des in Butscha verübten Massakers angesehen. Verkohlte Körper. Körper von Frauen ohne Hände, mit verschmolzenem Gesicht. Körper von nackten Frauen, die vergewaltigt, dann in Reifen gelegt wurden, um angezündet zu werden. Verstümmelte Leichen. Hunderte von Zivilisten. Die Sprach­losigkeit angesichts der Gewalt in der Ukraine. Seit Wochen schon.

Vor diesem Massaker hatte ich angefangen, Material zu den Massen­morden an der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine zu lesen. Über unsere Familien­geschichte mütterlicher­seits war lange nichts bekannt, bis meine Mutter vor einigen Jahren recherchierte und Dokumente bei verschiedenen Archiven beantragte. Schliesslich fand sie heraus, dass ihre Familie in einem Städtchen im Südwesten der Ukraine gelebt hatte, nahe der moldauischen Grenze.

1939 bestand die dortige Bevölkerung zu über 60 Prozent aus Juden. Nach dem Einmarsch der national­sozialistischen Truppen am 20. Juli 1941 in dieser Stadt wurden Zeugen­berichten zufolge in diesem Städtchen mehrere hundert Juden auf einem Platz versammelt, ausgezogen, brutal verprügelt und schliesslich erschossen. Die Urgrosseltern meiner Mutter fielen diesem Terror zum Opfer. Nach dem gleichen Muster verübten Sonder­kommandos der SS in den meisten jüdischen Schtetl der Ukraine Massenmorde.

Weitere meiner Vorfahren wurden während des Massakers in Odessa getötet, wo damals eine der grössten jüdischen Gemeinden Europas beheimatet war. Zwischen dem 22. Oktober und dem 1. November 1941 ermordeten die Einsatz­gruppen Hand in Hand mit ihren rumänischen Verbündeten über 40’000 jüdische Zivilisten. Sie wurden erschossen oder bei nacktem Leib verbrannt. Heute kehren auch diese Bilder wieder.

Schweigen über Kriegs­gräuel

Ich wurde 1988 in Moskau, in der damaligen Sowjetunion, geboren. Auf meiner Geburts­urkunde wurde als Nationalität noch «Jüdin» angegeben. Seit 1932 markierte Stalin die ethnische Zugehörigkeit in den Pässen der sowjetischen Bürger und begründete damit eine Politik der nationalen Präferenz. Diese Art der Brandmarkung, die eine religiöse und kulturelle Besinnung als ethnischen Unterschied darstellte, setzte sich bis zum Fall der UdSSR fort.

Auf dem Territorium der Ukraine lebten im Jahr 1939 2,5 Millionen Juden: Während des sogenannten «Holocaust durch Kugeln» (ein Begriff des französischen Priesters Patrick Desbois) wurden 1,5 Millionen von ihnen ermordet. Heute sind die damaligen Juden aus der Sowjetunion Russen oder Ukrainer geworden, viele von ihnen empfanden sich weder als das eine noch als das andere, werden nun aber im Krieg verfeindeten Fronten zugewiesen.

Ich selbst fühle mich keiner Art von ethnischer oder nationaler Identität zugehörig, ich hasse Grenzen und jeglichen Nationalismus. Und doch konfrontieren uns die heutigen Ereignisse damit, dass trotz des offiziellen Grund­satzes der Sowjetunion, die sich 1917 «das Recht der Völker Russlands auf freie Selbst­bestimmung, einschliesslich des Rechtes auf einen eigenen Staat» auf die Fahnen schrieb, die sowjetische Praxis eine koloniale Politik blieb, die die Sprache und Kultur von nationalen Minderheiten herabsetzte.

Zur Autorin

Marina Skalova ist in Moskau geboren, in Deutschland und Frankreich aufgewachsen und lebt heute in Genf. 2016 erschien ihr zweisprachiger Gedicht­band «Atemnot (Souffle court)», 2018 folgte «Exploration du flux», 2020 «Silences d’exils». Ihr Theaterstück «Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten» beschäftigt sich mit dem Ende der Sowjetunion und wird 2022/2023 am Theater G7 in Mannheim aufgeführt. Sie übersetzt Literatur aus dem Deutschen und Russischen ins Französische. Derzeit recherchiert und schreibt sie zur Geschichte der Frauen in der UdSSR.

Obwohl sie der staatliche Diskurs als «Brudervolk» bezeichnete, hat bereits Stalin die Ukraine als Experimentier­feld seiner Politik missbraucht. Während der erzwungenen Kollektivierung in den 1930er-Jahren wurde die fruchtbare Erde systematisch beschlagnahmt. Die Grossbauern, die sogenannten kulaks, wurden verhaftet und fielen Stalins Repressionen zum Opfer. Die Konfiszierung der Ernte führte in der Ukraine 1932/1933 zu einer schrecklichen Hungersnot, dem sogenannten Holodomor.

Organisierte Hungerkatastrophe: Der Holodomor verursachte in den 1930er-Jahren Millionen von Toten in der Ukraine. Alamy Stock Foto/CBW

Der Hunger gilt als eine der prägendsten körperlichen Erfahrungen des sowjetischen Totalitarismus; heutige Historiker wie Nicolas Werth sehen in ihm eine von den Herrschern bewusst eingesetzte politische Waffe. Während des Holodomors wurden die Städte abgeriegelt, um eine massenhafte Flucht der Einwohner zu verhindern: Das wahre Gesicht der gepriesenen sowjetischen Planwirtschaft sollte ein gehütetes Geheimnis bleiben. Erst mit der Publikation von Alexander Solschenizyns «Der Archipel Gulag» ab dem Jahre 1973 erfuhr die Öffentlichkeit von diesen Verbrechen. Und erst nach dem Fall der Sowjetunion konnten die Archive geöffnet und die Verbrechen offiziell bestätigt werden.

Die genaue Zahl der Opfer des Holodomors kann nur geschätzt werden, doch beläuft sie sich nach aktuellen Rechnungen auf über drei Millionen Tote. Während der Repressionen 1937/1938 zahlte die Ukraine wieder einen besonders hohen Preis. Stalin rief damals zu einer «Säuberung» in der Ukraine auf – heute erklingen diese schauderhaften Worte wieder.

Angesichts dieser Verbrechen der Sowjetmacht ist es leider nicht unvorstellbar, dass ein Teil der ukrainischen Bevölkerung damals in den deutschen Soldaten Befreier sehen wollte – was freilich nichts entschuldigt. Meine Mutter berichtet, dass viele Ukrainer damals die Juden den Nazis ausgeliefert, sich an den Misshandlungen beteiligt oder ihnen wie einem makabren Schauspiel zugesehen hätten. Dazu muss man wissen, dass die Strategie der national­sozialistischen Einsatz­gruppen darin bestand, bewusst lokale Bevölkerungs­gruppen einzuspannen, um mit ihnen die Massen­morde zu verüben.

Auch beim Massenmord von Babyn Jar in der Nähe von Kiew im September 1941, als über 33’000 Juden von den Nazis erschossen und in die gleichnamige Schlucht geworfen wurden, weiss man, dass ukrainische Bürger, denen ebenfalls mit ihrer Erschiessung gedroht wurde, die Feuer anzünden und die Körper hineinwerfen mussten. In den folgenden Jahren wurden Tausende weitere Juden, Roma und politische Opponenten dort begraben; insgesamt zwischen 100’000 und 200’000 Menschen.

Nach dem Krieg herrschte jahrelanges Schweigen über die Gräuel. Erst der russische Dichter Jewgeni Jewtuschenko, dessen Gedicht «Babij Jar» 1961 geschrieben und von Paul Celan ins Deutsche übersetzt wurde, erinnerte an Babyn Jar als Schauplatz des Holocausts.

Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang – der eine unbehauene Grabstein. (…)

Über Babij Jar, da redet der Wildwuchs, das Gras.
Streng, so sieht dich der Baum an,
mit Richter-Augen.
Das Schweigen rings schreit.

Jewgeni Jewtuschenko: «Babij Jar», Deutsch von Paul Celan.
Kleiderberge von Ermordeten: Deutsche Soldaten töteten in Babyn Jar Tausende von Menschen. Johannes Hähle/Hamburger Institut für Sozialforschung

Es war ein Gedicht gegen das Schweigen und Verdrängen. Und Jewtuschenko betonte nicht nur den deutschen, sondern auch den sowjetischen Antisemitismus. Dieser äusserte sich auch in dem Umstand, dass 35 Jahre nach den Taten endlich ein Denkmal errichtet wurde – und dabei bloss der sowjetischen Bürger gedacht wurde, die dem Nazi-Terror zum Opfer gefallen waren. Der Holocaust wurde nicht einmal erwähnt.

Nach dem Fall der Sowjetunion wurde der frühere Schauplatz des Massakers zum Park. 2016 wurde das Babyn Yar Holocaust Memorial Center gegründet und war bald Gegenstand von heftigen Kontroversen. Nachdem 2019 der russische Filmemacher Ilja Chrschanowski als künstlerischer Leiter eingesetzt worden war, verliess ein Grossteil der ukrainischen Intellektuellen, die an dem Projekt mitgearbeitet hatten, die Institution – sie warfen Chrschanowski vor, die Gedächtnis­stätte in ein «Holocaust-Disneyland» verwandeln zu wollen.

Babyn Jar war schon vor Beginn des aktuellen Krieges einer der aufgeladensten und geschichts­politisch am meisten umkämpften Erinnerungsorte in der Ukraine überhaupt.

Was wollte Putin bewirken, als seine Armee zu Beginn des Krieges ausgerechnet den Kiewer Fernsehturm in unmittelbarer Nähe dieses Ortes bombardierte und Bilder des aufsteigenden Rauchs über der ehemaligen Gedächtnis­stätte um die Welt gingen? Wie passt dieser Angriff in seine Rhetorik, die behauptet, gegen die ukrainischen «Nazis» vorzugehen?

Natürlich gar nicht. Vielleicht geschah der Angriff tatsächlich unbeabsichtigt und war ein blosser Kollateral­schaden der Bombardierung des Fernsehturms – was schon einiges über das Weltbild dieses Angreifers aussagt, für den Massen­medien alles bedeuten und Kultur nichts. Dieser Angriff verdeutlicht dennoch, dass Putin nur bedingt darum bemüht ist, das eigene Narrativ als glaubwürdig darzustellen – vielmehr geht er mit willkürlicher Brutalität gegen Erinnerung und Menschlichkeit vor. Und bläst damit auf perverse Art in die Glut der traumatischen geschichtlichen Ereignisse.

Allen Ernstes behauptet eine meiner Familien­angehörigen, die Ukrainer würden vielleicht doch Mitschuld am aktuellen Geschehen tragen, schliesslich hätten sie damals den Nazis geholfen. Solche Aussagen sind alles andere als ein Einzelfall. Leider müssen viele Menschen aus Russland derzeit gegen einen Verwandten argumentieren, bei dem Elemente aus Putins Argumentation Funken geschlagen haben.

Der lange Weg zu einem grossen Krieg

Die Propaganda basiert auf einer Mischung aus verzerrten geschichtlichen Fakten und der bewussten Verwirrung rationalen Denkens durch permanente Vereinfachungen und gedankliche Kurzschlüsse. Sie sucht nach wunden Stellen, in die sie sich einnisten und wo ihre Gangrän sich ausbreiten kann. Die permanente Selbst­wahrnehmung der Russen als Opfer, auf die Putins Propaganda abzielt, schaltet die Frage der Verantwortung aus. Indem aktuelle Verbrechen mit Fehlern der Vorfahren gerechtfertigt werden, wird die Geschichte in einen unendlichen Kreislauf aus Rache und Vergeltung verwandelt. Dazu werden Ukrainerinnen und Juden, die in der Sowjetunion beide Schrecklichstes erlebt haben, schamlos gegeneinander ausgespielt.

Dabei ist das grundsätzliche Problem, dass das Schweigen nie durchbrochen und die sowjetische Geschichte niemals aufgearbeitet wurde. Nachdem Nazideutschland den Krieg verloren hatte, mussten die Deutschen sich ihrer Verantwortung stellen. Weder in Russland noch in der Ukraine oder den anderen postsowjetischen Ländern erlebte man je etwas Vergleichbares. Das Drama der Sowjetunion war, dass sie sich als Siegerin des Zweiten Weltkriegs auf der guten Seite der Geschichte befand. Der Sieg über die Nazis verunmöglichte, dass sich die Menschen auch als Täter wahrnahmen, Verantwortung anerkannten, Reue zeigten.

Hinzu kam, dass die Sowjetmacht systematisch Spuren verwischte und Archive verschwinden liess. Die Arbeit der NGO Memorial International, die sich seit Ende der 1980er-Jahre zum Ziel gesetzt hatte, sowjetische Verbrechen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde am 5. April 2022 vom russischen Staat liquidiert. Viele von der Sowjet­macht verübte Massaker und Verbrechen gegen die Menschheit warten noch darauf, ans Licht geführt zu werden.

Als ich zuletzt in Moskau war, sah ich in einem Schulhof im Herzen der Stadt jugendliche Soldaten Marsch­übungen ablegen. Sie sangen die russische Hymne und wirkten wie hypnotisiert. Am 9. Mai, dem Tag des Sieges im «Grossen Vaterländischen Krieg», wie der Zweite Weltkrieg in Russland heisst, fallen in allen russischen Städten blonde Mädchen mit geflochtenen Zöpfen und rosa Kleidern weinend den medaillen­beladenen Veteranen vor die Füsse.

Der russische Staat beruht auf diesem Fanatismus, einer Hysterie, in der Gefühle systematisch für eigene Zwecke ausgeschlachtet werden. Seit über 20 Jahren hält Putin Russland durch den Kult des militärischen Heroismus zusammen. Das heutige Russland wurde schon lange auf einen grossen Krieg vorbereitet.

Das Recht der Ukraine, als politisch souveräner Staat zu agieren und sich aus der Einflusszone Russlands – hier in der Rolle des toxischen Elternteils – zu lösen, wird in der russischen Propaganda als gefährlicher Nationalismus abgetan. Dass die Russische Föderation mit ihrem nationalistischen Autoritarismus inzwischen alle Merkmale eines faschistischen Staates aufweist, wird dabei allzu gerne übersehen – auch von Teilen der westlichen Linken, die leider eine lange Geschichte der Anfälligkeit für die russische Propaganda aufweist.

Nach der Maidan-Revolution blieb die westliche Öffentlichkeit vom Narrativ der angeblich zahllosen ukrainischen Nazis geprägt. Es hat gedauert, bis man stattdessen die Fakten zur Kenntnis nahm, allen voran den Umstand, dass heute in der Ukraine – anders als in der Schweiz, Deutschland oder Frankreich – die Rechtsextremen gerade mal 2,15 Prozent bei den Parlaments­wahlen erreichen.

Wer in den letzten Jahren in die Ukraine gereist ist, weiss, dass das Land sich seit 2014 trotz vielfältiger Probleme zu einem pluralistischen, weltoffenen und demokratischen Staat entwickelt hat – wovon man in Russland leider nicht einmal träumen kann. Natürlich müsste auch in der Ukraine geschichtliche Verantwortung reflektiert und anerkannt werden – doch diese gesellschaftliche Auseinander­setzung kann nicht in einer Zeit stattfinden, in der Bomben fallen.

Angriff auf die kollektive Erinnerung

Was Putin mit der Sprache anstellt, indem er behauptet, die Ukrainer seien zwar «Nazis», die man vernichten müsse, und dennoch gäbe es keinen Krieg, legalisiert den Revisionismus auf höchster staatlicher Ebene. Es macht deutlich: Man kann allen Ernstes auf ein rotes Haus zeigen und behaupten, es sei grün, zumindest sei das vor wenigen Sekunden der Fall gewesen; und dass das niemand gesehen hat, beweise ja nichts, in der Vergangenheit habe man ja auch dies und das übersehen, ausserdem gehe auf einem anderen Kontinent gleichzeitig Schreckliches vor sich.

Nach und nach gewöhnt man sich an die permanenten Relativierungen, an die fehlenden Grenzen zwischen dem Annehmbaren und dem Unannehmbaren, an den ständigen Whataboutism. Die Grund­bausteine des russischen wie auch des sowjetischen Regimes, das seit jeher auf der Fabrikation einer parallelen Wirklichkeit beruht, sollten heute eigentlich als nacktes Gerüst sichtbar sein – und die Lügen­gebäude offenlegen. Und doch atmen die russische wie auch Teile der europäischen Öffentlichkeit weiterhin täglich Bruch­stücke dieser abstrusen Argumentation ein wie feine, verschmutzte Luftpartikel.

Das grundlegende Trauma, das der Zweite Weltkrieg im Bewusstsein der Europäer und der Russen hinterlassen hat, wird heute von Putins Argumentation instrumentalisiert. Gleichzeitig wecken die Bilder der heutigen Massaker ebenjene Erinnerungen – auch wenn die historischen Kontexte ganz andere sind. Der Krieg erscheint manchmal als schlechtes Reenactment, wie ein postmoderner Film voller unreflektierter Zitate, mit denen Szenen aus den 1940er-Jahren wieder aufgenommen werden. Jene Szenen, die das Gedächtnis unserer Grosseltern und Eltern aufs Tiefste prägten. Die uns als Affekte und oft auch körperliche Traumata weiter­gegeben wurden.

Indem Putin in seiner Rhetorik und auf dem Kriegsfeld die schauderhaften Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg wieder aufleben lässt, greift er ebenjene kollektive Erinnerung an. Geschichte wiederholt sich nicht. Es sind die Bilder, die sich wiederholen.

Odessa, im Januar 1942: Jüdische Leichen im Zuge der Deportation. ullstein bild/adoc-photos

Die assoziative Macht der Bilder kann stärker wirken als Argumente. Sie prägen sich ins Unter­bewusstsein ein: in diesen Bereich jenseits des Rationalen, wo Gewalt­fantasien oft ihren Ursprung haben. Als Schrift­stellerin bin ich von ihrer Macht überzeugt – und fürchte mich auch vor ihr.

Worin besteht heute ein verantwortungs­voller Umgang mit den Bildern, den Bildern aus der Sprache und den Fotografien der Realität, die uns heimsuchen? Eine Ethik der Sprache und eine Politik der Darstellung?

Wie Jewtuschenko in seinem Gedicht über Babyn Jar müssen wir heute wieder versuchen, aus der Verwirrung, aber auch der Ohnmacht und der Sprach­losigkeit heraus­zutreten, um nach der grösst­möglichen Präzision zu suchen. Um die Stille zum Schreien zu bringen.

Hinweis: In einer früheren Fassung schrieben wir, in Odessa sei zu Beginn des Zweiten Weltkriegs die grösste jüdische Gemeinde Europas beheimatet gewesen. Das ist falsch, da in Odessa zu dieser Zeit zwischen 180’000 und 200’000, in Warschau aber über 300’000 Jüdinnen und Juden lebten. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

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