Am Gericht

Tiraden mit Jesus, Gott und dem Heiligen Geist

Ein Corona-Skeptiker feuert Verschwörungs­theorien und Schimpf­tiraden gegen Gerichts­mitarbeiter ab. Wie soll so ein vernünftiger Prozess möglich sein? Ein Luzerner Richter versucht es mit Engelsgeduld.

Von William Stern, 06.04.2022

Synthetische Stimme
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Am 27. Januar dieses Jahres geriet ein kleines Bezirks­gericht im Thurgau in die Schlagzeilen. Es ging um zwei Bussen gegen einen Masken­verweigerer, 900 Franken insgesamt. Während der Mann im Gerichts­saal Streit anzettelte und den Richter beschimpfte, versammelten sich vor dem Gerichts­gebäude in Münchwilen rund 100 Anhänger des Beschuldigten. Ein Dutzend Polizisten musste das Gerichts­gebäude sichern, wie die NZZ berichtete. Die «Thurgauer Zeitung» schrieb von einer Stimmung, «wie man es eher von Mafia-Prozessen gewohnt ist».

Das Auftreten, das Vokabular, die Instrumente dieser Staats­verweigerer erinnern an die rechtsextreme Reichsbürger­bewegung in Deutschland. Die Republik berichtete im September 2020 von einem Prozess im Kanton Aargau, bei dem der Beschuldigte mit querulatorischem Auftreten aufgefallen war und in seinen Äusserungen Parallelen zum Reichsbürger-Gedankengut aufwies.

Während der Covid-Pandemie erhielten staats­feindliche Bewegungen Auftrieb. In einer Studie untersuchten Forscher an der Universität Basel die Denkhaltung der Corona-Demonstranten in der Schweiz und Deutschland. Ihr Befund: «Das institutionell Etablierte scheint unter dem ständigen Verdacht der Parteilichkeit, der Einseitigkeit oder sogar der Unterwanderung zu stehen.»

Auch Luzerner Gerichte haben es immer wieder mit Fällen im Zusammenhang mit den Corona-Massnahmen zu tun. Meistens geht es um die Nicht­einhaltung der Maskenpflicht. «Die Verhandlungen haben bisher in einer guten Atmosphäre statt­gefunden», sagte der Mediensprecher der Luzerner Gerichte letzten Dezember gegenüber dem Schweizer Fernsehen.

Das allerdings kann man von der Verhandlung, die Ende März am Bezirks­gericht Luzern stattfand, nicht behaupten.

Ort: Bezirksgericht Luzern
Zeit: 22. März 2022, 9 Uhr
Fall-Nr.: 2Q1 21 138
Thema: Widerhandlung gegen das Reglement über die Nutzung des öffentlichen Grundes, Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage

In den Gassen der Luzerner Altstadt kleben an diesem Dienstag­morgen Ende März noch immer Konfetti zwischen den Pflaster­steinen. Der Urknall, der Beginn der Luzerner Fasnacht, ist schon einen Monat her. Doch bereits vergangenen Sommer fanden hier, zwischen Schwanenplatz und Spreuer­brücke, Umzüge statt – eine Art Mini-Monstercorso, mit Trychlern anstelle der Guggen­musig, und statt Konfetti regnete es Schmäh­reden gegen den Staat.

Markus Brand, der in Wirklichkeit anders heisst, war bei diesen Umzügen angeblich an vorderster Front mit dabei. Er habe, so steht es im Strafbefehl der Luzerner Staats­anwaltschaft, «massgebend» an den Kundgebungen teilgenommen, «durch Auftreten als Anführer, Halten einer Ansprache und Ausrufen von Parolen». Zudem habe er in einem Fall «pflichtwidrig» die Hygiene­maske nicht getragen sowie in einem anderen Fall eine «mittel­grosse Glocke» mitgeführt und geläutet.

400 Franken Busse. Brand erhob Einsprache.

Kinderblut, Chemtrails, George Soros

Im Eingangs­bereich des Bezirksgerichts Luzern unterhält sich kurz vor 9 Uhr ein Mann mit imposanter Haarpracht aufgeregt mit einer Sekretariats­mitarbeiterin. Es ist der Beschuldigte Brand, das Gesicht sonnengegerbt, das Gemüt schon zünftig erhitzt.

Zum Reporter sagt Brand, von ihm aus könne er die Maske ausziehen, und in verschwörerischem Ton lässt er ihn wissen, dass Atemschutz­masken entgegen den Beteuerungen von Wissenschaft und Behörden in schwerem Masse gesundheits­gefährdend sind. Wichtig seien, doziert er mit einem mitleidigen Blick auf den offenbar kränklichen Teint des Reporters, viel Licht, Bewegung und eine gute Ernährung.

Brand ist 59 Jahre alt, laut eigenen Angaben seit Beginn der Corona-Pandemie arbeitslos, und es wird bereits während des kurzen Geplauders im Foyer deutlich, dass dieser Mann viel zu viel Zeit im Internet verbringt.

Der Schweizer leiert das gesamte Repertoire der einschlägigen Verschwörungs­theorien herunter: der russische Einmarsch in die Ukraine – ein Befreiungskrieg. Gestartet, weil sich dort Labors befänden, in denen Eliten aus Wirtschaft und Politik nicht nur Kinder vergewaltigten und ihr Blut abzapften, sondern auch ein neues Virus heran­züchteten. Diese Labors stünden unter der Leitung des US-Auslands­geheimdienstes CIA. Das Geschick der Welt werde durch sieben Familien bestimmt, darunter auch US-Investor George Soros. Die Welt­bevölkerung zähle nicht sieben [sic], sondern fünf Milliarden Menschen, und mit unseren Steuern finanzierten wir Chemtrails.

Verwalter seiner selbst

Als die Gerichts­schreiberin die Tür zum Saal öffnet, wünscht Brand dem Reporter viel Glück. Brand selber bleibt sitzen. Nach mehrmaliger Aufforderung bewegt er sich schliesslich bis in den Türrahmen, bleibt dort stehen und zückt sein Handy. Die Feststellung des Einzelrichters Jonas Rohrer, die Verhandlung sei nun eröffnet, ignoriert Brand. Stattdessen hält er schon zwischen Tür und Angel eine erste Brandrede.

Er habe recherchiert, es sei nicht ganz leicht gewesen, aber er habe Beweise, dass das Bezirks­gericht Luzern ein Unternehmen sei.

«Ich frage Sie deshalb: Sind Sie ein Amt oder eine Firma?!»

Es folgt eine Suada, in der Brand die Gerichts­mitarbeitenden abwechselnd als «Angestellte» oder «Schwerst­kriminelle» bezeichnet und den Strafbefehl gegen ihn als «illegales Riesen­geschwurbel». Der Beschuldigte tritt auf wie eine Mischung aus gravitätischem Staats­anwalt und ekstatischem Fernseh­pfarrer, bei dem der Lautstärke­regler kaputtgegangen ist.

Nachdem ihn Richter Rohrer ein erstes Mal verwarnt hat und Brand seinerseits ankündigt, dass «Wladimir vor der Türe» stehe und nach dem Rechten schauen werde, lässt sich der Beschuldigte etwas widerwillig doch noch auf einen Stuhl nieder.

«Ich setze mich, jedoch nur als Mensch», brummt Brand.

«Ja, setzen Sie sich als Mensch», seufzt der Richter.

«Name Markus Brand?», fragt der Richter.

»Nein, nein, nein! Rufname Markus Brand.»

Seine juristische Person, erklärt der Beschuldigte, die Sonnenbrille in die Haartolle gesteckt, sei gestorben, «nur noch eine Fiktion». Er sei hier als Verwalter des Menschen Markus Brand. Fortan spricht er von sich abwechslungsweise in der ersten und dritten Person.

«Beruf?»

«Alles, was er gerne macht.»

«Monatliches Nettoeinkommen?»

«Minus tausend, seit der Corona-Lüge bin ich arbeitslos.»

Die folgenden 41 Minuten gleichen einer etwas missglückten Cabaret-Vorstellung. Der Beschuldigte redet sich in einen kaum zu kontrollierenden Wort­schwall, jongliert mit Versatz­stücken aus Rechts­vorlesungen, verhaspelt sich regelmässig, blickt zwischendurch triumphierend zum Journalisten rüber und strapaziert die Nerven der Gerichts­schreiberin und des Richters.

Sein Auftreten gleicht frappant den Beschreibungen aus den Gerichtssälen im Thurgau und Aargau.

«Der ganze Scheissdreck interessiert mich eigentlich nicht»

Abgesehen von seiner lauten Stimme, den martialischen Phrasen und der etwas aufbrausenden Art wirkt der Beschuldigte jedoch harmlos. «Der Mensch Markus Brand», sagt er einmal bedauernd, «könnte heute Nachmittag zu Hause sein und Kartoffeln anpflanzen.»

Warum er überhaupt an der Verhandlung teilnehme, hatte ihn der Reporter vor Verhandlungs­beginn im Foyer gefragt.

«Um die Leute aufzuklären und sie vielleicht auf den einen oder anderen Link im Internet aufmerksam zu machen.»

Diese Hoffnung dürfte sich eher nicht erfüllen. Das Gericht geht auf seine skurrilen Pamphlete in keiner Weise ein.

Klar ist allerdings, dass Leute wie Brand die Behörden ordentlich auf Trab halten. Sie machen Eingabe um Eingabe, weigern sich, amtliche Dokumente entgegen­zunehmen, und versuchen, mit bizarren Formularen und Fantasie­ausweisen wie den sogenannten «Lebend­erklärungen» ihre Souveränität vom Staat auszudrücken. Vorlagen dazu gibt es im Netz und in den einschlägigen Telegram-Chats zuhauf.

Der Einzelrichter behält an diesem Morgen die Nerven. «Es gibt hier drin Regeln, Herr Brand, und die müssen Sie befolgen.» Ob er etwas zu seiner Befragung im Vorverfahren hinzuzufügen habe?

Brand bestreitet nicht, dass er an den beiden Kundgebungen teilgenommen hat. Der Strafbefehl sei allerdings «ein Hohn«, es hätten seitens der Polizei «kriegerische Handlungen» stattgefunden. «Die Genfer Konfession [sic] kennen Sie ja. Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Hören Sie auf damit, das Tribunal wird kommen, ihr seid nur Handlanger der chasarischen Mafia!»

Die Gerichts­schreiberin verdreht einmal kurz die Augen, ansonsten lassen sich die beiden Amtspersonen kaum etwas anmerken. Die Tiraden des Beschuldigten lassen sie über sich ergehen, ohne die Miene zu verziehen, die kurzen Atempausen von Brand nützt der Richter, um die Verhandlung fortzusetzen. Als Prozess­beobachter ist man erstaunt, dass unter diesen Umständen ein Gerichtsbetrieb überhaupt möglich ist.

«Wollen Sie die Einsprache zurückziehen?», fragt Richter Rohrer nach etwas mehr als einer halben Stunde und zahllosen weiteren Erläuterungen des Beschuldigten zu den Themen Kinderblut, Vergewaltigungen und Regierungslügen.

«Der ganze Scheissdreck interessiert mich eigentlich nicht, der Mensch Markus Brand ist gestorben.»

«Es ist eine ganz einfache Frage», sagt der Einzelrichter mit einer Stimme, in der unendlich viel Geduld liegt.

Aber Brand ist längst wieder woanders. Erwähnt noch einmal das Tribunal, schwärmt von «Liebeswellen» und «Metaphysen» und bedankt sich bei seinem «Team, Jesus, Gott und dem Heiligen Geist».

«Ich nehme das als ein Nein», sagt Richter Rohrer ungerührt.

«Händ Sie no en Schnupf welle?», fragt Brand, nachdem der Richter die Verhandlung für beendet erklärt hat. Als sei er bloss zufällig am Tresen in eine hitzige Diskussion geraten und versöhne sich nun mit seinen Kontrahenten. «Ihr müsst es nicht persönlich nehmen, gell», sagt er beim Verlassen des Gerichtssaals. Man meint ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen zu sehen.

Markus Brand wird schuldig gesprochen. Zur Busse von 400 Franken und den Kosten für das Vorverfahren (250 Franken) kommt noch die Gerichtsgebühr (650 Franken) hinzu. Insgesamt muss Brand 1300 Franken bezahlen.

Falls das Urteil rechtskräftig wird.

Illustration: Till Lauer

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