Aus der Arena

Schein und Scheinchen

Der russische Geheimdienst sollte mit Milliarden von Dollars in der Ukraine Verbündete für Putin kaufen. Stattdessen sieht es jetzt so aus, als hätten da zwei Gauner den Gangster betrogen.

Von Constantin Seibt, 05.04.2022

Synthetische Stimme
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Der Krieg in der Ukraine wird mit jedem Tag schrecklicher. Er ist unverzeihlich.

Und unverständlich.

Es gibt einige Rätsel. Woher nahmen Präsident Putin und seine Generäle die Gewissheit, die Ukraine in spätestens zwei Tagen erobert zu haben? Sodass den russischen Angreifern gleich zu Anfang Essen und Benzin ausgingen? Als die russische Presse bereits den Leitartikel zum Sieg vorverfasst hatte?

Und wie kam es, dass die Amerikaner schon Monate vor der Invasion über die russischen Pläne bis ins Detail informiert waren? Etwa über den Dreh eines Dokumentar­videos über einen angeblichen Überfall der Ukraine, das den Kriegs­grund liefern sollte? So genau, dass der französische Geheimdienst­chef letzte Woche gefeuert wurde, weil er den Amerikanern nicht geglaubt hatte?

Und warum fanden zwei Wochen nach dem Beginn der Invasion Durch­suchungen im für die Ukraine zuständigen Teil des russischen Inlands­geheimdienstes FSB statt?

Im Netz kursiert eine Geschichte, die alle diese Fragen beantwortet. Vielleicht zu gut. Doch falls sie wahr ist, ist sie eine Seltenheit: eine wirklich lustige Kriegs­geschichte.

Sie erschien am 21. März in einem obskuren Blog eines Business­beraters mit einer Sammlung von Kriegs- und Geheim­dienst­storys.

Aber von Anfang an:

Am 11. März meldete der investigative russische Journalist Andrei Soldatow, dass zwei ranghohe Geheimdienst­offiziere festgenommen worden waren: Sergei Beseda und sein Vize Anatoly Bolyukh – wie es später hiess wegen «Unter­schlagung von Staats­geldern».

Beseda war der Leiter des Büros 5 des FSB, welches zuständig ist für internationale Angelegenheiten. Seine Abteilung beschäftigt sich mit der Ukraine: Beseda ist international auf einer schwarzen Liste, weil er sich 2014 während der Maidan-Proteste in Kiew aufhielt, kurz bevor der russland­treue Präsident Wiktor Janukowitsch russische Scharf­schützen in die Menge schiessen liess.

Genützt hat es nichts. Weil Janukowitsch kurz darauf gestürzt wurde. Worauf Putin aus Rache die Krim besetzen liess.

Was, so beginnt unsere Geschichte, aber nur der erste Teil seines Plans war. Denn Putin begann sofort nach der Besetzung der Krim damit, die vollständige Übernahme der Ukraine vorzubereiten. Schlicht dadurch, dass er sie kaufen würde.

Kassieren statt schmieren

In den folgenden acht Jahren belieferte die russische Regierung das Büro 5 des FSB mit mehreren Milliarden Dollar. Mit dem Auftrag, sämtliche wichtigen Leute in der Ukraine zu bestechen: Militärs, Geheim­dienstler, Beamte, Politiker.

Nun waren Beseda und Bolyukh pragmatische Leute – sie kassierten die Milliarden und verteilten einen Teil der Beute, ohne nur einen einzigen Dollar an irgend­welche Ukrainer zu verschwenden, an die Agenten im Büro 5.

Da das Bestechungs­geld jeweils in Scheinen angeliefert wurde, um keine Papierspur zu hinterlassen, war es das perfekte Verbrechen. Jedenfalls wenn man wie Beseda und Bolyukh annahm, dass Putin nie so verrückt sein würde, in die Ukraine einzu­marschieren.

Irgendwann Ende Oktober muss eine Sitzung stattgefunden haben, in der Präsident Putin den FSB-Chefs mitteilte, dass er, auch ihrer erfolgreichen Arbeit wegen, genau das beabsichtige.

Für Beseda und Bolyukh muss es die Hölle gewesen sein. Sie wussten: Sie sässen tief in der Scheisse, falls Putin wirklich einmarschieren würde.

Was also tun, um die Invasion zu verhindern? Beseda und Bolyukh spielten ihren letzten verzweifelten Trumpf: Sie lieferten sämtliche Invasions­pläne den westlichen Kollegen weiter. So wussten CIA und MI6 schon Monate vor dem Einmarsch bis ins Detail Bescheid – und der amerikanische Präsident Biden und seine Leute überlieferten sie fast in Echtzeit der Weltpresse.

Doch Putin liess sich nicht davon abhalten. Vielleicht weil er sich sicher war, dass die Offen­legung seiner Pläne nichts zur Sache tat. Und er davon ausging, dass die Geld­empfänger in der Ukraine ihren langjährigen Wohltäter bereits mit offenen Armen erwarteten.

Am 24. Februar startete Präsident Putin seine auf zwei, drei Tage angelegte militärische Sonder­operation. Heute, über einen Monat später, sind weit über 10’000 russische Soldaten gefallen, die Städte zerbombt, furchtbare Kriegs­verbrechen verübt worden – und wer weiss, ob daraus ein Weltkrieg wird.

Im Büro 5 finden angeblich weitere Unter­suchungen und Verhaftungen statt. Niemand erwartet, Beseda und Bolyukh je wieder lebend zu sehen.

Nun, die Wahrscheinlichkeit ist nicht gross, dass diese Geschichte stimmt – als Quelle zitierte der Blog einen nicht existenten Artikel der Londoner «Times». Christo Grozev, der Chef der unabhängigen Recherche­agentur Bellingcat, schrieb ebenfalls vom Vorwurf der Unter­schlagung.

Gut möglich, dass die Geschichte aus dem russischen Verteidigungs­ministerium kommt: um dem FSB die Schuld an der militärischen Katastrophe zuzuschieben. (Denn irgend­jemand muss für Putins Fehl­einschätzung verantwortlich sein.)

Wahrscheinlicher ist, dass sich die Sache unspektakulärer abgespielt hat: rein dadurch, dass seit Jahren kein Minister mehr Putin unangenehme Nachrichten überbringen wollte, so wie auch seit Jahren niemand mehr den Ministern – und so weiter.

Doch trotzdem ist die Geschichte brauchbar: als Trost, falls irgendwann in der eigenen Nähe eine Atom­bombe explodiert und man mit einem letzten Lächeln denken kann: «Beseda und Bolyukh – ihr Teufelskerle!» Und: «Sehr albern, Herr Putin!»

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