Palästinenser haben weniger Rechte als Israelis: Was sagt es über einen Staat aus, wenn er sich von der Forderung nach Gleichheit bedroht sieht? (Bild: Ramallah, Westjordanland). Peter van Agtmael/Magnum Photos/Keystone

«Egal wie Sie es drehen und wenden: Es ist Apartheid»

Geht Amnesty International zu weit, wenn es Israel eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit bezichtigt? Nein, sagt der israelische Menschen­rechtler Hagai El-Ad. Und wirft seiner Regierung vor, Antisemitismus zu instrumentalisieren.

Ein Interview von Daniel Ryser, 11.03.2022

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:

Anfang Februar publizierte Amnesty International einen fast 300-seitigen Bericht mit dem Titel «Israels Apartheid gegen die Palästinenser. Ein grausames System der Unter­drückung und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit». Vier Jahre intensive Recherche und Zusammen­arbeit mit führenden Rechts­experten liessen keinen Zweifel, schrieb die Menschen­rechts­organisation, dass der Umgang Israels mit den Palästinensern der Apartheid entspreche, einem im Völker­recht festgehaltenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Unter den Begriff der Apartheid, so die Definition laut der Anti-Apartheid-Konvention von 1973, fallen «unmenschliche Handlungen, die zu dem Zweck begangen werden, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere rassische Gruppe zu errichten und aufrecht­zuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken».

Amnesty International kommt in seinem Bericht zum Schluss, Israel mache sich dieses Verbrechens schuldig: weil es die Bewegungs­freiheit der Palästinenserinnen im West­jordanland mit einem Netzwerk von Check­points und Strassen­blockaden massiv einschränke, kombiniert mit einem Bewilligungs­system, das nur Palästinenser nutzen müssen, wenn sie andere Bereiche in den besetzten palästinensischen Gebieten besuchen wollen. Weil Israel Jüdinnen und Nichtjuden vor dem Gesetz nicht gleich behandle. Weil es den Palästinenserinnen in Ostjerusalem systematisch verweigere, Häuser zu bauen, was diese in immer kleinere Enklaven vertreibe, während gleichzeitig der Siedlungs­bau aktiv betrieben werde. Weil vertriebenen palästinensischen Familien das Recht zur Rückkehr in ihre früheren Dörfer verweigert werde. Weil Israel im Gaza­streifen die Nutzung von Land­wirtschafts- und Fischerei­zonen verbiete.

Die israelische Regierung distanzierte sich umgehend von den Vorwürfen von Amnesty International, wie auch wichtige jüdische Organisationen in den USA. Der Bericht sei unausgewogen und wolle Israel dämonisieren, schrieben diese in einem gemeinsamen Statement: «Wir weisen die Darstellung zurück, dass Israels Handlungen Apartheid bedeuteten.»

Das palästinensische Aussen­ministerium wiederum begrüsste den Bericht als «detaillierte Bestätigung der grausamen Realität von verwurzeltem Rassismus, Ausgrenzung, Unter­drückung, Kolonialismus, Apartheid und des Versuchs, die palästinensische Bevölkerung auszulöschen».

Innerhalb jener Gruppen in den USA, die sich als liberale Zionisten verstehen, entstand eine Debatte darüber, ob die Verwendung des Apartheid-Begriffs konstruktiv sei. In Israel selbst stellten sich zahlreiche NGOs in einem gemeinsamen Statement hinter den Bericht von Amnesty International, darunter auch die bekannteste Menschen­rechts­organisation des Landes, B’Tselem.

Die 1989 gegründete Menschen­rechts­organisation wird heute von Hagai El-Ad geführt, der in Jerusalem und Harvard Astro­physik studierte und 2002 die erste Gay Pride in Jerusalem organisierte. B’Tselem war bereits im Januar 2021 in einem Bericht zum selben Schluss gekommen wie Amnesty International heute: Israel habe ein System der Apartheid entwickelt.

Hagai El-Ad, ein wort­mächtiger deutscher Kolumnist schrieb kürzlich: Wer Israel der Apartheid bezichtige, sei ein Antisemit. Sie selbst haben vor einem Jahr einen Bericht mit dem Titel «Das ist Apartheid» veröffentlicht. Sind Sie ein Antisemit, Herr El-Ad?
Was soll ich als jüdischer Israeli zu so einem aberwitzigen Vorwurf schon sagen?

Die israelische Regierung erklärte bereits vor Erscheinen des Berichts, dieser sei «falsch, voreingenommen und antisemitisch» und die Verwendung des Begriffs «Apartheid» befeuere Antisemitismus.
Darauf kann ich Ihnen eine klare Antwort geben: Die israelische Regierung benutzt falsche Antisemitismus-Beschuldigungen oder Terrorismus­vorwürfe, um Kritik zu verunmöglichen. Menschen wie mich, israelische Menschen­rechts­aktivisten, bezeichnet sie als Landes­verräter. Meine palästinensischen Kolleginnen bezeichnet sie als Terroristinnen. Und Organisationen wie Amnesty bezeichnet sie eben als antisemitisch. Das ist nicht neu. Die Regierung macht das systematisch. Benjamin Netanyahu hat den Internationalen Straf­gerichts­hof in Den Haag vor einem Jahr auch schon als antisemitisch bezeichnet, weil dieser im West­jordanland, in Gaza und in Ostjerusalem wegen möglicher Kriegs­verbrechen ermitteln will.

Sie sagen, der Vorwurf des Antisemitismus gegen Amnesty International sei nicht berechtigt?
Ich halte diese falsche Anschuldigung für abscheulich. Es ist der Gipfel des Zynismus, dass Israel eine Organisation wie Amnesty International, die sich weltweit für Menschen­rechte einsetzt, als antisemitisch bezeichnet, während die Regierung gleichzeitig gegenüber echten Antisemiten wie Viktor Orbán oder Donald Trump die Zunge verschluckt hat. Da kommt kein Wort der Kritik, weil es um politisches Kalkül geht. Der Antisemit Trump war uns genehm, weil er Israel freie Hand im Umgang mit den Palästinensern gab, und der Antisemit Orbán ist Israel genehm als Partner Israels in Brüssel, wo er etwa verhinderte, dass die EU Israel aufforderte, das Völker­recht zu achten und die Zwangs­räumungen in Ostjerusalem zu stoppen. In diesem Kontext sind die Vorwürfe an Amnesty International einzuordnen: Die israelische Regierung instrumentalisiert Antisemitismus. Sie hat in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass sie wirklich keine Scham hat, was das betrifft.

Aber Sie müssen doch zugeben, dass die Bezeichnung Israels als Apartheid­staat auch von Juden­feinden instrumentalisiert wird.
Wer die Arbeit von Menschen­rechts­organisationen ausschlachtet, um Rassismus gegen Juden anzufachen – oder gegen jede andere Gruppe von Menschen –, ist verabscheuens­würdig. Ein solches Verhalten weise ich voll und ganz zurück, während ich gleichzeitig nicht genug betonen kann, dass es essenziell wichtig ist, dass wir uns den Fakten verpflichten und diese klar kommunizieren. Als Menschen­rechts­gruppe können wir es uns nicht leisten, zu sagen: «Wir teilen zwar die Befunde von Amnesty International, aber wir benennen sie aus strategischen Gründen nicht.» Wenn wir das täten, würden wir unsere Berechtigung verlieren. Speaking truth to power – den Mächtigen gegenüber die Wahrheit auszusprechen –, das ist unsere Pflicht.

Was wäre denn eine angebrachte Reaktion gewesen auf den Bericht?
Schauen Sie, der entscheidende Punkt ist, und darauf wurde aus jüdisch-intellektuellen Kreisen in den vergangenen Wochen zur Genüge hingewiesen, dass Israel und andere fundamentale Kritikerinnen eben nicht den Inhalt des Amnesty-Berichts kritisieren, sondern die blosse Existenz dieses Berichts. Aber eine inhaltliche Debatte, die wichtig wäre, findet nicht statt. Stattdessen bedient man sich der Strategie, den Überbringer schlechter Nachrichten zu diskreditieren – schon bevor der Bericht überhaupt erschienen ist. Und greift dabei auf falsche Antisemitismus-Vorwürfe zurück. Das ist wirklich abscheulich. Denn der Schaden ist immens.

Inwiefern?
Man schadet dem Kampf gegen echten Antisemitismus massiv, den es zur Genüge gibt. Dieser Amnesty-Bericht ist nicht antisemitisch.

Reden wir über den Inhalt des Berichts von Amnesty, der Israel als Apartheid­staat bezeichnet. Eine Kritik daran lautet: Wie kann es in Israel Apartheid geben, wo die Palästinenserinnen in Israel doch Rechte haben und Israel eine Demokratie ist? Was antworten Sie darauf?
Leute, die so was behaupten, beweisen vor allem, dass sie den Amnesty-Bericht nicht gelesen haben. Oder jenen von Human Rights Watch. Oder jenen von B’Tselem. Es wird dort präzise beschrieben, wie das Rechts­system in Israel und den besetzten Gebieten funktioniert und wie es darin eben Abstufungen gibt, wo man als Palästinenser lebt, während für die jüdische Bevölkerung überall die gleichen Rechte gelten.

Können Sie das ausführen?
Es gibt eine Abstufung von Palästinenserinnen in verschiedene rechtliche Klassen: Die 1,6 Millionen Palästinenser, die auf israelischem Staats­gebiet leben, haben durchaus Rechte. Ihnen geht es rechtlich gesehen von allen Palästinenserinnen am besten. Aber selbst ihre Bürger­rechte sind im Gegensatz zu ihren jüdischen Mitbürgern eingeschränkt.

Zum Beispiel?
Der Staat diskriminiert die palästinensische Minderheit mittels Politik, Praxis, Gesetz. Der grösste Teil palästinensischen Landes wurde nach der Staats­gründung enteignet. Dutzende palästinensische Städte im Süden sind bis heute von Israel nicht anerkannt und ständig davon bedroht, vom Staat zerstört zu werden. Gleichzeitig ist es vielen kleinen jüdischen Gemeinden in den Gebieten Galiläa und Negev erlaubt, mittels sogenannter Zulassungs­ausschüsse Palästinenserinnen zu verbieten, dort zu leben. Ehepartnern von palästinensischen Israelis ist es per Gesetz verboten, die israelische Staats­bürgerschaft zu erhalten. Palästinensische Gemeinden sind diskriminiert in Sachen Budget und Infrastruktur, es ist ihnen verboten, zu bauen oder als Gemeinden in normalem Sinn Bauten zu planen – und das auf Land, das früher ihnen gehörte.

Diskriminiert in Sachen Budget, Infrastruktur und Baugenehmigungen: Die Stadt Qalqilya im Westjordanland. Gianluca Cecere/laif/Keystone
Israelisches Militär vor dem Damaskustor in Ostjerusalem. Gianluca Cecere/laif/Keystone
Palästinenserinnen werden vertrieben, Land­nutzung durch jüdische Israelis wird aktiv gefördert: Hinter dem palästinensischen Dorf Wadi Fukin im Westjordanland thront die Siedlung Beitar Illit. Gianluca Cecere/laif/Keystone

Und im Westjordanland?
Die Bewegungs­freiheit der übrigen 5 Millionen Palästinenserinnen ist massiv eingeschränkt – im West­jordanland, aber auch im komplett abgeschnittenen Gaza­streifen. Während jede jüdische Person woher auch immer nach Israel kommen kann, die Staats­bürgerschaft bekommt und sich überall nieder­lassen kann – auch in den nach Völker­recht illegalen Siedlungen –, können Palästinenser praktisch weder ein- noch ausreisen. Während die Siedlerinnen in den besetzten Gebieten dem israelischen Zivil- und Verwaltungs­recht unterstellt sind, sind die Palästinenser dem israelischen Militär­recht unterstellt und werden immer wieder ohne Anklage und ohne Recht auf Verteidigung in Administrativ­haft genommen. Allein durch die massive Einschränkung der Bewegungs­freiheit verletzt Israel die Grund­rechte von Millionen von Palästinenserinnen täglich auf schwerste Art und Weise. Und von den ganzen Vertreibungen, den Haus­zerstörungen, den Enteignungen, die jedes Jahr im West­jordanland und in Ostjerusalem Hunderte palästinensische Familien treffen, haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen.

Wie lauten für Sie die Kern­punkte israelischer Apartheid?
Zunächst ist eines wichtig: Wenn man Apartheid sagt, denken die Leute automatisch an Südafrika. Aber seit dem Ende der Apartheid in Südafrika ist Apartheid zu einem unabhängigen politischen und rechtlichen Begriff geworden. Apartheid in Israel muss also rechtlich gesehen keine Kopie dessen sein, was die Weissen mit den Schwarzen in Südafrika gemacht haben, sondern lediglich die Definition der Apartheid nach internationalem Recht erfüllen. In dem Moment, wo ein Regime die Vorherrschaft einer Gruppe anstrebt mit dem Ziel, diese Vorherrschaft in der Zukunft zu etablieren – dann ist das Apartheid. Israel betreibt in den besetzten Gebieten ein systematisches Reengineering des Raums und der Bevölkerung, einen gezielten Umbau.

Was heisst das?
Seit 1948 wandert palästinensisches Land systematisch in die Hände des israelischen Staates und wird für die Schaffung jüdischer Städte zugeteilt, für den Bau von Infra­struktur, Dörfern, Land­wirtschaft. Diese Umwandlung von Land ist die eine Säule der Apartheid. Die andere Haupt­säule ist die Demografie. Der Staat betreibt eine systematische Maximierung des jüdischen Bevölkerungs­anteils bei einer systematischen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung.

Wie das?
In Ostjerusalem wird den Palästinensern seit der Eroberung durch Israel 1967 und der späteren Annexion systematisch das Baurecht verweigert. Als Folge davon kommt es jedes Jahr zu Hunderten Haus­zerstörungen und erzwungenen Vertreibungen. Während gleichzeitig Siedlungs­bau aktiv gefördert wird.

Diese Hauszerstörungen, die Sie erwähnen und die im Amnesty-Bericht ebenfalls eine wichtige Rolle spielen – können Sie ausführen, worum es da geht?
Die israelische Regierung nutzt verschiedene rechtliche Verfahren, um Land von Palästinensern zu enteignen, auf beiden Seiten der Grünen Linie, der Demarkations­linie von 1949, in Israel und vor allem in Ostjerusalem und im West­jordanland. Häuser von Palästinenserinnen werden mit Bulldozern plattgemacht, und Israel behauptet, dass es nur das Gesetz anwende. Das ist möglich, weil die Häuser ohne Bewilligung gebaut wurden. Dabei hatten die Palästinenser gar keine andere Wahl: Anders als Jüdinnen erhielten und erhalten sie keine Baubewilligungen. Also bauten sie ohne. Das wird nun von Israel als Recht­fertigung genutzt, Häuser nieder­zureissen und die Palästinenser hinter die sogenannte Sicherheits­mauer zu vertreiben, die Ostjerusalem und das West­jordanland zerschneidet. Menschen, die schon einmal vor dem Krieg flüchten mussten, verlieren somit noch einmal alles und müssen wieder flüchten. Es ist ein Zustand der Recht­losigkeit. Die Gemeinschaften dieser Vertriebenen werden von Israel nicht anerkannt. Man verweigert ihnen Elektrizität, fliessendes Wasser und setzt sie dann auch noch direkter, massiver Gewalt aus.

Welcher direkten, massiven Gewalt?
Von Siedlerinnen, die Palästinenser physisch angreifen und straflos bleiben oder dabei sogar von der Armee unterstützt werden. Das ist die andere Seite: Während die Palästinenserinnen vertrieben werden, wird die Land­nutzung durch jüdische Israelis aktiv gefördert. Israel schafft somit ein Umfeld, wo der Alltag zum Albtraum wird. Nichts von all dem ist temporär.

Was meinen Sie damit: Nichts davon ist temporär?
Als B’Tselem 1989 gegründet wurde, bezog sich unser Mandat darauf, Menschen­rechts­verstösse in den besetzten palästinensischen Gebieten zu rapportieren, dem West­jordanland, inklusive Ostjerusalem und des Gaza­streifens. Die zentrale Annahme war, dass es sich bei diesem Zustand um eine temporäre Realität handelt. Dann schuf Israel Fakten: Das West­jordanland ist nicht offiziell annektiert, aber de facto ist es das. Mit Hunderten Millionen Dollar baut Israel im West­jordanland ein segregiertes Autobahn­system, das die Palästinenser nicht benutzen dürfen, um die Siedlungen an Ostjerusalem zu koppeln. Wir haben es heute mit einer Ein-Staaten-Realität zu tun – ein 14-Millionen-Staat, wo 7 Millionen Palästinenserinnen nicht dieselben Rechte haben und systematisch unterdrückt werden. Egal wie Sie es drehen und wenden: Es ist Apartheid.

Im Amnesty-Bericht wird das 2018 vom israelischen Parlament verabschiedete National­staats­gesetz erwähnt, das zwischen Juden und Nichtjüdinnen unterscheidet. Damals kam es in Israel zu heftigen Debatten, das Gesetz sei «undemokratisch» und bedeute Apartheid. Worum geht es da?
Das Gesetz war eine Bestätigung dessen, was unsere palästinensischen Kollegen schon lange sagten: dass es Israel darum geht, ein System der Vorherrschaft der einen Gruppe – jüdischer Individuen wie mir selbst – über eine andere Gruppe – die Palästinenserinnen – zu etablieren und zu verfestigen. Im Gesetz heisst es wortwörtlich, dass Israel die historische Heimat des jüdischen Volkes sei und dass nur dieses Volk hier das exklusive Recht auf nationale Selbst­bestimmung habe. Damit wurde die Unterscheidung zwischen Jüdinnen und Nichtjuden ins Gesetz geschrieben. Und diese Unterscheidung erlaubt es, Palästinenserinnen institutionell zu diskriminieren und jüdische Menschen in allen möglichen Bereichen zu bevorzugen. Das Gesetz beinhaltet auch diesen Schlüssel­satz: «Der Staat sieht die Entwicklung jüdischer Siedlungen als nationalen Wert an und wird deren Entstehung fördern und unterstützen.»

Und das bedeutet?
Noch vor zwanzig Jahren hiess es: Israel wolle eigentlich mit diesen Siedlern nichts zu tun haben. Aber das ist nicht wahr, und das Gesetz beweist es: Die Siedlungen sind nicht etwas, mit dem Israel nichts zu tun hätte. Sie sind auch nicht einfach ein Projekt der radikalen Rechten. Die ersten Siedlungen entstanden unter der Arbeiter­partei nach 1967. Sie sind ein Projekt des Staates Israel, mit dem die besetzten Gebiete faktisch annektiert werden und die Bewegungs­freiheit und Wirtschafts­freiheit der Palästinenserinnen massiv eingeschränkt werden.

Was auffällt: In der Schweiz ist man über den Begriff «Apartheid» regelrecht erschrocken. Doch in Israel wird dieser Begriff längst intensiv diskutiert.
Ich kann Ihnen eine ganze Liste von hochrangigen Politikern aufzählen, die schon lange davor warnen, dass wir uns auf dem Weg in einen Apartheid­staat befinden – Ehud Barak, Tzipi Livni, Ehud Olmert, viele mehr. Was dabei aber meistens getan wurde: Man benutzte die Zukunfts­form. Man sagte, wenn dies und das passiere, dann würden wir in die Apartheid übergehen. Es war in den meisten Fällen eine Warnung in die Zukunft. Doch die Zukunft ist jetzt. Wir befinden uns nicht auf dem Weg in eine Apartheid, wir haben sie bereits etabliert. Israel muss endlich in der Realität aufwachen.

Was sagen Sie zum Vorwurf, der seitens der Regierung Israels gegenüber Amnesty International erhoben wurde: Die heutige Situation hänge untrennbar mit der Staats­gründung von Israel von 1948 zusammen, und wer heute von Apartheid spreche, verneine letztlich Israels Existenz­recht?
Der Vorwurf ist unverschämt.

Warum?
Weil die Forderung eine andere ist: dass die Apartheid endet. Dass die israelische Besatzung endet. Wir wollen Gleichheit und Frieden. Das ist es, was wir als Menschen­rechts­aktivisten in Israel uns für die Zukunft der Millionen Menschen vorstellen, die hier zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben: dass wir alle, Jüdinnen wie Palästinenser, die gleichen Rechte haben. Es ist empörend, dass die israelische Regierung Leute dafür attackiert. Wenn ein Staat sich im Kern von der Forderung nach Gleichheit bedroht sieht, was sagt das aus über diesen Staat?

Sie sind sich immer noch nicht sicher, ob die Republik etwas für Sie ist? Dann testen Sie uns! Für 21 Tage, kostenlos und unverbindlich: