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World Wide Njet

Russland startet das Grossprojekt Runet und schottet sich damit vom globalen Internet ab. Was bedeutet das konkret? Und kann das gut gehen?

Von Adrienne Fichter und Patrick Seemann 10.03.2022

Synthetische Stimme
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Am 28. Februar forderte die ukrainische Regierung von der Icann – das ist die Organisation, die für das weltweite Routing des Internet­verkehrs zuständig ist –, Russland auszuschliessen. Parallel zum Ausschluss aus dem Finanz­transaktions­system Swift wären russische Nutzerinnen so vom World Wide Web abgekoppelt worden.

Die Icann hat diesen Vorschlag abgelehnt und darauf verwiesen, dass Kommunikations­mittel unabhängig von Konflikten und Kriegen allen Ländern zur Verfügung stehen müssen.

Jetzt zieht Russland ironischer­weise von sich aus den Stecker.

Mit dem sogenannten Runet soll die nationale Internet­struktur einerseits autark ausgestaltet und andererseits vom globalen Internet entkoppelt werden.

Kremlchef Wladimir Putin hat die «Russifizierung» des Netzes von langer Hand vorbereitet: Bereits 2019 wurde ein Gesetz zur Säuberung des Internets erlassen – angeblich aus Sicherheits­gründen, falls der Westen Russland vom Netz abklemmen sollte (was, wohl­gemerkt, nie in Planung war, wie die Reaktion der Icann zeigt).

Im Zuge der Proteste nach der Inhaftierung des Oppositions­politikers Alexei Nawalny und den Parlaments­wahlen im Jahr 2021 wurden bereits populäre VPN-Dienste vom Kreml gesperrt. Mit diesen Diensten konnten vorher in Russland Websites aufgerufen werden, die der Staat gesperrt hatte.

Ein Testlauf des Projekts «Souveränes Internet», wie das Gesetz auch heisst, erfolgte dann offenbar letzten Sommer: Lokale Internet­provider wurden aufgefordert, zwischen dem 15. Juni und dem 15. Juli 2021 für sämtlichen Internet­verkehr nur die russische Infra­struktur zu nutzen.

Letzte Woche vollzog nun die Medien­aufsichts­behörde Roskomnadzor weitere drastische Abschottungs­schritte: Als Reaktion auf die Sperrung der russischen Propaganda­kanäle Russia Today und Sputnik in westlichen Staaten wurden in Russland Facebook und Twitter gesperrt.

Um die russische Bevölkerung von der Realität des Krieges in der Ukraine fernzuhalten, folgt nun die nächste Eskalations­stufe: Das gesamte Internet wird ab 11. März über eigene Knoten­punkte gesteuert und verwaltet, wodurch Daten und Daten­wege auf russischem Territorium verbleiben sollen.

Das belarussische Medien­projekt Nexta hatte vor einigen Tagen dazu ein Dekret aus dem Kreml auf Twitter veröffentlicht. Bestätigt wurde dies durch russische Medien­berichte, auch wenn unklar bleibt, ob die Anweisung nun «nur» staatliche Stellen betreffen wird oder sämtliche Internet­nutzung in Russland.

Was heisst das aus technischer Sicht? Drei Antworten.

1. Nur noch russische DNS-Server und .ru-Adressen

Die ganze Routing-Infrastruktur, also die Systeme, die Daten an ihr jeweiliges Ziel bringen, soll national ausgerichtet werden. Da die Struktur hierarchisch aufgebaut ist, lässt sich das verhältnis­mässig einfach umsetzen.

Im Grunde reicht dazu eine Order an die russischen Telecom­unternehmen, dass diese neu einen russischen DNS-Server verwenden, wenn eine IP-Adresse «nachgeschlagen» wird. DNS (Domain Name System) ist der Verzeichnis­dienst, der für die Umwandlung von alpha­numerischen Domain-Namen (zum Beispiel republik.ch) in numerische IP-Adressen (52.212.52.84) zuständig ist.

Das bedeutet: Beim Aufruf einer .ru-Adresse wird die entsprechende IP-Adresse normal ausgegeben. Doch Webseiten­aufrufe für Domains mit .com, .de oder .ch würden entweder ins Leere laufen (die entsprechende Seite wäre schlicht nicht mehr erreichbar) oder die zurück­gelieferte IP-Adresse würde zu einer russischen Seite führen (technisch ausgedrückt wird im DNS einfach die IP-Adresse des .ru-Servers hinterlegt, und der vom russischen Nutzer verwendete Browser verbindet dann direkt dorthin).

Damit könnten etwa russische Userinnen von der im Land beliebten Video­plattform Youtube zum Beispiel auf das russische Pendant Yandex Video weiter­geleitet werden.

2. Keine Einbindung von gängigen Dritt­diensten

Anspruchs­voller wird es für Website­betreiber, die etwa Youtube-Videos einbinden, Fonts (Schriften) von Google beziehen oder direkt Website­code von ausländischen Dritt­parteien einbinden. Das sind Dinge, die im globalen Internet durchaus üblich sind, die aber im Falle eines abgekoppelten russischen Netzes eben nicht mehr funktionieren.

Der Aufwand hierzu ist einiges grösser, muss doch jede Website­betreiberin diesen «fremden» Code entfernen und durch russische Alternativen ersetzen.

Versäumen das die Betreiber, werden bestenfalls Videos nicht mehr abgespielt, die auf einer Website eingebunden sind, und es werden falsche Fonts verwendet. Im schlimmsten Fall verschwindet die gesamte Website.

3. Keine globale Software­entwicklung mehr

Ein wichtiges Merkmal der Software­entwicklung ist die globale Vernetzung. Runet stellt sie infrage. Auf Platt­formen wie Gitlab und Github stehen Hundert­tausende von Software­bibliotheken mit quelloffenen Lizenzen – also zur freien Nutzung – zur Verfügung. Diese Bibliotheken bilden die Basis für viele kommerzielle Produkte.

Ein abgekoppeltes russisches Netz erlaubt konsequenter­weise keinen Zugriff auf diese Bibliotheken mehr.

Unklar ist, wie weit der Kreml in Kauf nehmen wird, dass insbesondere in Russland lebende Software­entwicklerinnen nach der Abschottung nicht mehr so einfach auf verfügbare Software­bibliotheken aufbauen können und erheblich mehr Eigen­leistung erbringen müssen (inklusive der Ortung und Behebung von Sicherheits­lücken).

Ursprünglich für mehr Protektionismus

Sollte das Monster­projekt Runet erfolg­reich umgesetzt werden, wird der Kreml nicht nur wissen, welche Websites oder Dienste in Russland bereit­stehen. Durch den erzwungenen Umzug auf russische DNS- und Hosting­server hätten die Behörden neu auch einen weitgehenden Zugriff auf diese Angebote. Das Fachmagazin «Golem.de» schreibt dazu: «Beides ermöglicht praktisch eine vollständige staatliche Zensur oder auch Blockade für Informationen aus der öffentlichen Hand.»

In China, Nordkorea und dem Iran wird eine ähnliche Infra­struktur­kontrolle bereits angewendet, Russland wird sich nun als viertes Land dazugesellen.

Ein aus russischer Sicht weiteres Argument für das Runet ist ökonomischer Natur: Damit soll der Aufbau der heimischen Internet­industrie angekurbelt und vor Konkurrenz der amerikanischen Tech-Giganten geschützt werden. In einem Gastartikel für die «Washington Post» äussern die russischen Autoren Andrei Soldatow und Irina Borogan aber Zweifel. Ihre These lautet, dass mächtige russische Player wie Yandex.ru (Such­maschine), Telegram (Messenger-App) oder VKontakte (soziales Netzwerk) nicht trotz, sondern wegen der direkten Konkurrenz zum Silicon Valley prosperieren konnten.

Doch um Wettbewerb geht es in diesem Krieg gegen die Ukraine ohnehin nur am Rande. Das Ziel wird immer offensichtlicher: Die Desinformation der russischen Bevölkerung soll mit allen Mitteln voran­getrieben werden.

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