Agata schläft. Sie weiss noch nicht, dass ihre Welt nicht mehr ist, wie sie war.

Leben in Trümmern

Aufwachen

Krieg in der Ukraine. Unser Fotograf wird durch Bomben­lärm geweckt. Neben sich seine noch schlafende Frau. Vor ihm Ungewissheit.

Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Annette Keller (Bildredaktion und Übersetzung), 26.02.2022

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Der Lärm von Explosionen weckt mich um 5.30 Uhr. Auf dem Handy sehe ich eine Nachricht von einem Freund: «Geht es dir gut? Ich nehme an, du bist bald wach, rufe dich noch nicht gleich an.» Ich gehe in die Küche und lese die News, ein beklemmendes Gefühl erfasst mich, ein Stein legt sich auf meine Brust.

Es ist so weit. Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie Menschen Gebäude verlassen, in ihre Autos steigen. Noch mal ein Blick auf die News – überall in der Ukraine explodieren Bomben. Im Norden, im Süden, im Osten. Ich weiss, dass einige Leute wahrscheinlich versuchen, nach Lwiw zu fahren. Aber ob es dort sicherer ist? Vielleicht.

Ich kehre ins Schlafzimmer zurück und sehe, dass meine Frau Agata immer noch friedlich schläft. Sie hat nichts gehört, sie hatte schon immer einen tiefen Schlaf. Ich gönne ihr diesen noch für eine weitere Stunde.

Danach wecke ich sie auf, und wir packen unsere Rucksäcke mit dem Notwendigsten. Wir sind gefasst. Während wir frühstücken, starren wir unentwegt auf unsere Handys, folgen den News.

Kiew wird bombardiert: Rauch steigt auf.
Die Rucksäcke sind gepackt.
Die leere Strasse in Lesha Berezovskiys Quartier.

Später klebe ich die Fenster zu und nehme die gerahmten Bilder von der Wand, die Spiegel. Wir gehen nach draussen, um zu sehen, wo sich der nächste Luftschutz­bunker befindet. Gegen 23 Uhr gehen wir dann auf der Suche nach einem sicheren Ort in eine Metro­station.

In der Metrostation sind nicht viele Leute, es ist ruhig. Sie liegt in einem wenig bewohnten Gebiet, wahrscheinlich deshalb. Trotzdem gelingt es uns nicht, Schlaf zu finden. Um 3 Uhr kommt eine Meldung über weitere Bomben­einschläge, das macht es noch schwieriger. Etwas später taucht eine Frau mit einem Hund auf. Er hat eine beruhigende Wirkung auf uns alle.

Die Menschen übernachten in der Metro­station. Die Anwesenheit eines Hundes sorgt für etwas Entspannung.

Irgendwie kommen wir durch die Nacht. Am Morgen entscheiden wir, nach Hause zu gehen und etwas zu essen. Gerade als ich für unser Frühstück die Pfanne auf den Herd stelle, geht der Alarm wieder los. In den News ist davon die Rede, dass bereits Sabotage­gruppen in Kiew unterwegs sind. In verschiedenen Gebieten der Stadt wird geschossen. Es ist schwierig oder gar unmöglich, richtige Entscheidungen zu treffen – für uns und unsere Lieben, für die wir uns verantwortlich fühlen. Der Druck ist riesig.

Für den Moment bleiben wir in unserer Wohnung.

Zum Fotografen

Lesha Berezovskiy arbeitet als freier Fotograf in Kiew. Er ist 1991 im ostukrainischen Bezirk Luhansk geboren. Als dort 2014 der Krieg ausbricht, zieht er in die Hauptstadt, wo er heute mit seiner Frau Agata lebt.

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