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Die Glut von toten Imperien

Nach Wladimir Putins Rede zur Ukraine versammelte sich der Uno-Sicherheitsrat zur Notfall­sitzung. Dabei hielt der kenianische Botschafter eine bemerkenswerte Rede.

Von Martin Kimani (Text) und Oliver Fuchs (Übersetzung), 22.02.2022

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Mr President,

Kenia, wie fast jedes afrikanische Land, wurde aus dem Ende eines Imperiums geboren. Unsere Grenzen waren nicht die unseren. Sie wurden in den fernen kolonialen Metropolen gezogen, in London, Paris und Lissabon – ohne einen Gedanken an die uralten Nationen, die sie auseinanderzwangen.

Heute leben unsere Landsleute beidseits jeder Grenze eines jeden einzelnen afrikanischen Landes, verbunden durch tiefe historische, kulturelle und sprachliche Bande.

Hätten wir, als die Unabhängigkeit kam, in unseren Staaten nach der Einheit von Ethnie, Rasse und Religion gestrebt – wir würden noch immer blutige Kriege führen, auch jetzt, viele Jahrzehnte später.

Stattdessen haben wir eingewilligt, uns mit den Grenzen abzufinden, die wir geerbt haben. Und doch verfolgen wir noch immer die politische, wirtschaftliche und juristische Integration auf dem Kontinent. Statt Nationen zu formen, die für immer mit gefährlicher Nostalgie auf die Geschichte zurückblicken, richtet sich unser Blick entschlossen voraus – auf eine Grösse, die keine unserer vielen Nationen und Völker je gekannt hat.

Wir haben beschlossen, den Regeln der Organisation für Afrikanische Einheit zu folgen und der Charta der Vereinten Nationen. Nicht weil wir mit unseren Grenzen zufrieden wären, sondern weil wir gemeinsam nach etwas Höherem streben, das im Frieden geschmiedet wurde.

In allen Staaten, die sich nach dem Kollaps oder dem Rückzug von Imperien formten, wohnen Menschen, die sich nach Vereinigung mit Menschen in den Nachbar­staaten sehnen. Das ist normal, und es ist verständlich. Wer will nicht vereint sein mit seinen Brüdern und zusammen mit ihnen gemeinsame Ziele verfolgen?

Doch dieser Sehnsucht mit Gewalt nachzugehen, das weist Kenia zurück. Wir müssen uns von der Glut toter Imperien abwenden, ohne in neue Formen von Herrschaft und Unterdrückung zurückzufallen.

Wir haben den Irredentismus und den Expansionismus zurückgewiesen, egal auf welcher Basis, sei es jene der Rasse, Ethnie, Religion oder Kultur.

Und wir weisen ihn auch heute zurück.

Zum Autor

Der kenianische Uno-Botschafter Martin Kimani hielt diese Rede am 21. Februar anlässlich der dringlichen Sitzung des Uno-Sicherheitsrats zur Ukraine. Hier können Sie die Rede nachhören – und hier nachlesen.

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