Aus der Arena

Das grosse Lichterlöschen mit Furrerhugi und Co.

Wie Parteien, Verbände und Lobbys Ängste vor einem totalen Strom­ausfall schüren. Und damit dem Klima­schutz schaden.

Von Elia Blülle, 17.02.2022, Update um 20.30 Uhr

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Das Internet: tot. Die Städte: dunkel. Die Fabriken: still. Geht es nach der PR-Agentur Furrerhugi, könnten solche Szenarien bald Realität sein. Es drohe ein «Blackout», warnte das einfluss­reiche Lobby­büro jüngst. Bald will es deshalb eine «Sensibilisierungs­kampagne» starten, bezahlt von diversen Interessen­gruppen – umgesetzt von Furrerhugi selbst. Natürlich.

Offerierter Preis für eine erste Projekt­phase: 300’000 Franken.

Das geht aus einem Papier von Furrerhugi hervor, das der Republik vorliegt. Furrerhugi stellte es Ende Januar bei einer Präsentation vor, zu der Energie­firmen und Wirtschafts­fachverbände eingeladen waren, die künftig auf Initiative von Furrerhugi eine «Allianz für Versorgungs­sicherheit» bilden sollen.

Laut «NZZ am Sonntag», die bereits vor zwei Wochen über das Treffen berichtete, war auch Renato Tami vor Ort. Er war bis letzten Oktober Geschäfts­führer der Eidgenössischen Elektrizitäts­kommission Elcom, die im Herbst wiederholt vor Strom­knappheit gewarnt hatte.

Furrerhugi will seinen Kunden für viel Geld eine Blackout-Kampagne andrehen. Unter anderem möchte die Agentur mit Propaganda­filmen die Bevölkerung aufrütteln. Werbeclips sollen gemäss Offerte zeigen, wie in Fussball­stadien die Flutlichter ausgehen. Die von Furrerhugi vorgeschlagene Überschrift: «Reden wir darüber, bevor alles stillsteht.»

Ferner soll die «Allianz für Versorgungs­sicherheit» mit einer Umfrage vom Meinungs­forschungs­institut Sotomo lanciert werden, bei der es um die Frage geht: Wo liegen die Prioritäten bei der Bevölkerung in der Energie- und Klima­debatte? Journalistinnen würden in der Kampagne «proaktiv» angegangen – für «investigative Recherchen» und «Hintergrund­gespräche». Furrerhugi will damit öffentliche «Narrative ändern».

Das schreibt die Agentur in ihrer präsentierten Offerte. Sie möchte aufzeigen, «dass die Versorgungs­sicherheit und der Klima­schutz derzeit die höchste Priorität haben». Die PR-Firma hat offenbar in der Klimakrise einen neuen Business-Case gefunden. Warum aber ist es für die Lobbyisten gerade jetzt so lukrativ, an die Debatte um die Versorgungs­sicherheit anzudocken?

Die Antwort darauf gibt Furrerhugi gleich selbst. Es gehe darum, Deutungs­hoheit zu erlangen, schreibt die Agentur in ihrem Papier. Alle Parteien würden versuchen, sich vor den Wahlen 2023 in der Energie­politik zu positionieren. Wer sich in der Debatte erfolgreich behauptet, gewinnt neue Sitze im Bundeshaus.

Kommt hinzu: Mit der Energie­wende lässt sich viel Geld verdienen. In welche Firmen und Technologien es künftig fliesst, entscheidet nicht allein der Markt, sondern vor allem auch die Politik.

Politisch ist in der Debatte um die Versorgungs­sicherheit für alle etwas dabei: Die Ökoparteien können ihre Solar­programme bewerben, die FDP lanciert die Atomkraft neu und die SVP kann ihre «vernünftige» Energie­politik wieder­beleben, ohne sich zur Klimakrise verhalten zu müssen. Sie will – «wie in Kriegs­zeiten» – einen «Strom­general» einsetzen, der «einen bevor­stehenden Strom­kollaps in zwei bis drei Jahren» verhindern soll.

Die Blackout-Erzählung ist ein brillanter Propaganda­trick. Sie überschattet die Gefährlichkeit der Erderwärmung. Seit 30 Jahren führen Klima­skeptiker und Fossil­konzerne die drohende «Stromlücke» gegen den Ausbau von erneuerbaren Energien an. Das immer gleiche Prinzip: Bekämpfe die latente Angst vor der Klima­krise mit der unmittelbaren Angst vor einem Stromausfall.

Wie gut die Strategie bereits wirkt, zeigte sich in den ersten Wochen des neuen Jahres: In den Medien (und vor allem in Medien) streiten sich Politikerinnen plötzlich über neue Kernkraft­werke, obwohl deren Neubau gesetzlich verboten ist und die Nuklear­energie in absehbarer Zeit weder die Versorgungs­sicherheit noch die Dekarbonisierung voran­treiben würde.

Vor 2050 – bis dahin will der Bundesrat unter dem Strich kein CO2 mehr ausstossen – wird die Schweiz kaum einen neuen Atom­meiler anwerfen.

Ein weiteres Indiz für den verschobenen Fokus: Statt sich intensiv darüber zu unterhalten, wie erneuerbare Energien massiv ausgebaut werden könnten, dreht sich der Diskurs seit einigen Wochen um neue Gaskraftwerke für Ausnahme­lagen. Deren Lobby preist Erdgas als klima­freundlichen Energie­träger an, obwohl durch die Rohre noch immer zu 99 Prozent fossiles Gas fliesst, das hierzulande rund einen Fünftel der energie­bedingten CO₂-Emissionen verantwortet.

Ob ein totaler Stromausfall, wie ihn Furrerhugi und Co. propagieren, aber überhaupt realistisch ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Klar ist: Die Schweiz hat sich in eine vertrackte Lage manövriert – auch weil sie gleichzeitig mit dem Rahmen­abkommen das wichtige Strom­abkommen mit der Europäischen Union beerdigt hat: Ab 2025 verlangt die EU von ihren Mitglieds­staaten, dass sie mindestens 70 Prozent ihrer Strom­kapazität für den Handel zwischen EU-Ländern reservieren. Wird im Ausland der Strom knapp, dürfte er streng nach Gesetz nicht mehr in die Schweiz verkauft werden.

Die neuste Elcom-Studie schliesst deshalb ab 2025 eine Mangel­lage in einer «besonders schwierigen Stress­situation» nicht aus, hält das aber für «eher unwahrscheinlich».

Konkret: Sollten beide Atom­reaktoren in Beznau sowie ein Drittel der französischen Kern­kraft­werke ausfallen, könnte der Schweiz in den späten Winter­wochen während 47 Stunden der Strom ausgehen.

Aber nur, falls die EU ihre neue 70-Prozent-Regel auch wirklich durchsetzt.

Und das ist unwahrscheinlich.

Denn an einem Schweizer Strom­ausfall ist in der EU niemand interessiert. Kein Land hängt so stark an seinem Stromnetz wie die Schweiz. Wir sind gegenseitig voneinander abhängig: Kommt es hier zu einer Störung, würden auch in den EU-Nachbar­regionen die Lichter ausgehen. Die Netze sind verwoben.

Schon jetzt ist klar: Verfängt die Erzählung über den angeblichen Strom­kollaps, dürften die Erdöl­industrie und ihre Sympathisantinnen neue Klima­gesetze bald noch vehementer mit dem Thema «Blackout» bekämpfen als bisher. Künftig werden alle Vorschläge zum Ausbau von erneuerbaren Energien mit dem Verweis auf die drohende «Strom­lücke» torpediert.

Und die am Klima­schutz interessierten Lobbys und Unternehmen – dazu gehören auch Kunden von Furrerhugi –, die sich auf die übersteuerte Versorgungs­debatte einlassen und sie befeuern, werden sich am Schluss mit jener Lösung zufrieden­geben müssen, die niemand wirklich wollen kann: keiner Lösung.

Präzisierung: In einer früheren Fassung haben wir nicht angegeben, wie lange in der Schweiz in den späten Winter­wochen der Strom ausginge, wenn beide Atom­reaktoren in Beznau sowie ein Drittel der französischen Kern­kraft­werke ausfallen würden. Das haben wir nun nachgeführt: Es sind 47 Stunden.

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