Sehr geehrte Chefs
Ihr Magazin hat einen neuen Chefredaktor. Was heisst das?
Von Oliver Fuchs, 07.02.2022
Journalismus kostet. Dass Sie diesen Beitrag trotzdem lesen können, verdanken Sie den rund 29’000 Leserinnen, die die Republik schon finanzieren. Wenn auch Sie unabhängigen Journalismus möglich machen wollen: Kommen Sie an Bord!
Guten Tag. Willkommen in der neuen Woche.
Vielleicht haben Sie es mitbekommen, vielleicht auch nicht. Christof Moser, Co-Chefredaktor Nummer 1 und Chefredaktor Nummer 5, hat diesen Posten Anfang der vergangenen Woche an die Nummer 6 übergeben. Ich bin 31, kam via Twitter in den Journalismus, war bei der NZZ, dann bei der Republik verantwortlich für die Community – und zuletzt zweieinhalb Jahre lang Christof Mosers Stellvertreter.
Tatsächlich ist die Chance aber grösser, dass Sie erst jetzt, in diesem Moment, von diesem Wechsel an der Spitze Ihres Magazins erfahren – wenn Sie denn kein intimer Kenner der Branche oder gleich selbst Teil davon sind. Wir Journalisten haben in meiner Erfahrung die Tendenz, massiv zu überschätzen, wer unsere Namen kennt.
Jedenfalls wäre es ganz in unserem Sinn – in Christofs und meinem –, wenn Sie ob dieser Personalmeldung Ihren Morgenkaffee nicht kalt werden liessen.
Dies übrigens keinesfalls, weil wir beide aussergewöhnlich zurückhaltende Menschen sind – wahrscheinlich hat jede Journalistin den Antrieb, in der Welt auch Spuren zu hinterlassen, gelesen, gehört, gesehen zu werden. Es entspricht vielmehr einfach den Tatsachen in der Republik, dass Chefredaktor nicht zuallererst und zuallervorderst eine Bühnenrolle ist, sondern ein Regieposten.
Es ist zum Beispiel nicht so, dass die Chefredaktion der Republik einfach so Storys befiehlt. Oder eine politische Linie durchdrückt, sich zu Abstimmungen äussert und Leitartikel schreibt – alles klassischerweise Chefredaktionsjobs.
(An dieser Stelle das Geständnis: Ich fand und finde es immer ein bisschen albern, mit welchem Selbstbewusstsein Chefredaktorinnen in Leitartikeln wahlweise der Bundeskanzlerin von Deutschland, dem Nobelpreiskomitee oder gleich «der Gesellschaft» an und für sich erklären, was diese denn nun zu tun oder zu lassen hätten. Eine Redaktion von etwas zu überzeugen, scheint mir gross genug.)
Die Republik ist das Kondensat der Interessen, Fähigkeiten und Neigungen dieser Crew. Und der Job des Chefredaktors ist hier im Wesentlichen: die publizistische Verantwortung zu übernehmen, bei Uneinigkeiten Entscheide zu fällen, dafür zu sorgen, dass unsere Autorinnen und Rechercheure möglichst unbeschwert arbeiten können – und aus dem Ergebnis jeden Tag eine möglichst ansprechende und abwechslungsreiche Ausgabe zu bauen.
Kurz: Idealerweise werden Sie von meiner Arbeit meistens nur indirekt etwas mitbekommen. Aber wenn ich sie gut mache: umso mehr direkt von einer glänzenden Crew.
Als Verlegerin und Leser dieses Magazins können (und müssen) jedenfalls Sie und nicht ich beurteilen, wie sich die Republik seit ihrem Start entwickelt und geschlagen hat. Sollte Sie meine Einschätzung dennoch interessieren: Wir sind im Grossen und Ganzen heute relevanter, konstanter, fokussierter, nützlicher und vielfältiger als im Januar 2018 – und wir haben trotzdem immer noch zu oft Beiträge im Angebot, die sich bei der Lektüre ein bisschen zu sehr wie Arbeit anfühlen.
Idealerweise gelingt es der Crew der Republik in den kommenden Monaten, unsere (wie ich finde: unterdessen klar ersichtlichen) Stärken und Alleinstellungsmerkmale weiter zu beackern. Und ebenfalls an unseren (wie ich ebenfalls finde: klar ersichtlichen) Schwächen weiter zu arbeiten. Nachfolgend eine persönliche Auswahl.
Drei wichtige Stärken:
Unser Geschäftsmodell. Wir sind werbefrei. Und seit über einem Jahr vollständig eigenfinanziert. Diese hohe Unabhängigkeit garantiert Ihnen: gesellschaftsrelevanten, aufklärerischen und unbequemen Journalismus. Und Entspanntheit in politischen Geschäften, die auch unser gemeinsames Unternehmen betreffen könnten.
Unsere Crew. Ich bin der Meinung, dass wir eine beachtliche Zahl der besten Journalistinnen dieses Landes beschäftigen.
Und natürlich vor allem Sie – die derzeit rund 29’200 Menschen, die dieses Projekt überhaupt möglich machen.
Und zwei wichtige Schwächen:
Unsere Schwere. Wir haben immer noch keine echte Antwort auf die Kritik, dass unsere Texte zu ausufernd oder träge seien. (Wobei ich glaube, dass wir jetzt eine gefunden haben. Wir bauen sie gerade. Nur so viel: Wenn die heutige Republik das digitale Pendant zum wertigen Printmagazin ist, dann ist dieses Projekt wohl ein leicht zerknülltes Flugblatt.)
Und unsere Grösse. Dafür, was wir täglich tun und Ihnen bieten wollen, ist die Crew der Republik immer vergleichsweise klein. Wir hatten in dieser und allen vergangenen Covid-Wellen Glück. Unsere Notfallpläne blieben in der Schublade, das Magazin erschien immer. Aber jeder und jede Angestellte in diesem Haus fehlt sofort bemerkbar, wenn er oder sie einmal krank, ausgelaugt oder leer geschrieben ist.
Auch weil es in diesem Magazin meiner Einschätzung nach heute wenig bis gar keine Puffer gibt, wird Christof uns als Chefredaktor fehlen – eben nicht als Verfasser von Leitartikeln, aber als jemand, der in der Regie Tag für Tag dafür sorgte, die nächste Ausgabe der Republik ein bisschen schnittiger gemacht zu haben.
Ehrlicherweise ist es darum meine Pflicht, Sie als unsere Chefs darauf vorzubereiten, dass Ihr Magazin in den kommenden Wochen und Monaten ein Stück weniger poliert daherkommen könnte – und dass wir den einen oder anderen zusätzlichen Irrtum begehen werden (ihn aber, versprochen, in gewohnter Transparenz korrigieren und transparent machen werden).
Kurzfassung: Republiken haben keine Könige. Und diese Republik bleibt die Republik. Falls Sie als eine unserer erfreulich vielen Chefinnen Wünsche, Ideen und Ermahnungen haben: Lassen Sie es uns wie immer wissen.
Wir machen dieses Magazin für Sie. Und wir können es nur Ihretwegen machen.
Merci.