Echo

«Zürcher Herzkrise»: Der Presserat rügt die Recherche der Republik in zwei von fünf Punkten

Reaktionen auf die Republik – Sonderfolge.

Von Philipp Albrecht, Dennis Bühler und Brigitte Hürlimann, 02.02.2022

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Wer sich an einem Beitrag stört, der in einem Schweizer Medium erschienen ist, kann dagegen juristisch vorgehen, indem er beispiels­weise eine Gegen­darstellung verlangt. Und er kann sich auch an den Schweizer Presserat wenden. Das Ethik­gremium und Organ zur Selbst­kontrolle für die Medien­branche prüft auf Beschwerden hin, ob sich Redaktionen an die Prinzipien halten, die im sogenannten «Journalisten­kodex» festgeschriebenen sind.

Dieses Vorgehen hat André Plass gewählt. Plass war als leitender Arzt am Universitäts­spital Zürich (USZ) einer der Haupt­akteure der im vergangenen März in der Republik veröffentlichten Recherche­trilogie «Zürcher Herzkrise».

Der Presserat hat seine Beschwerde gegen die Republik «teilweise gutgeheissen». Konkret hat der Arzt in zwei von fünf Punkten recht bekommen (hier finden Sie die Stellungnahme des Presserats).

Unsere Bericht­erstattung verstiess gegen die Ziffern 5 (Berichtigungs­pflicht) und 7 (identifizierende Berichterstattung). Nicht aber gegen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Quellen­bearbeitung und Anhörungs­pflicht bei schweren Vorwürfen).

1. Verstoss gegen Berichtigungspflicht

In Teil 2 der Trilogie berichtete die Republik am 4. März 2021 über ein Whistleblowing, mit dem besorgte USZ-Angestellte im Juli 2020 den Spital­direktor über angebliche Verfehlungen des leitenden Arztes André Plass informiert hatten. Die Vorwürfe waren gravierend: Der Herz­chirurg soll die Sorgfalts­pflicht verletzt und dadurch die Gesundheit von Patienten geschädigt «oder womöglich sogar den Tod verursacht» haben.

In seiner Beschwerde an den Presserat machte Plass geltend, er sei sechs Tage nach Erscheinen der Trilogie in einem Untersuchungs­bericht vom Vorwurf des medizinischen Fehlverhaltens entlastet worden, worüber er die Republik schon zuvor per E-Mail informiert habe. Dennoch hätten wir den Vorwurf nicht berichtigt.

Dazu hat der Presserat ein differenziertes Urteil gefällt: Inhaltlich habe die Republik die Berichtigungs­pflicht nicht verletzt, weil sie in einem «Update»-Artikel am 18. März 2021 korrekt darüber informiert habe, dass ein vom USZ in Auftrag gegebener Untersuchungs­bericht Plass entlastet habe. Auch sei es den drei Republik-Journalistinnen «offensichtlich nicht möglich» gewesen, bereits in der Trilogie über den Inhalt des Berichts zu schreiben, weil sie diesen nicht kannten – Plass hatte den Untersuchungs­bericht in einer Mail an die Redaktion zwar erwähnt, aber keine Details nennen oder den Bericht vorlegen wollen. Auch das USZ äusserte sich auf Anfrage der Republik nicht.

Hingegen hat die Republik nach Ansicht des Presse­rats nicht schnell genug reagiert: Richtlinie 5.1 verlange, dass «unverzüglich» zu berichtigen ist. Das «Update» zur Trilogie sei jedoch erst neun Tage nach der Medien­mitteilung erschienen, mit der das USZ am 9. März 2021 über die für den Arzt André Plass entlastenden Untersuchungs­ergebnisse informiert hatte. «Angesichts der Schwere der Vorwürfe ist das deutlich zu spät», so der Presserat.

2. Verletzung des Schutzes vor ungerechtfertigter Identifizierung

In seiner Beschwerde­schrift vertrat André Plass die Ansicht, er sei keine Person des öffentlichen Interesses und habe nie den Gang an die Medien gesucht, weshalb die Republik seinen Namen nicht hätte publizieren dürfen.

Die Republik vertritt die gegenteilige Meinung. Erstens handle es sich bei einem leitenden Arzt an einer der wichtigsten und prestige­trächtigsten Kliniken des mit öffentlichen Geldern finanzierten Universitäts­spitals Zürich um «eine relative Person der Zeitgeschichte, mithin um eine Person des öffentlichen Interesses», schrieben wir in unserer Beschwerde­antwort. Zweitens sei Plass als Whistle­blower der Initiator für die Turbulenzen am USZ gewesen (zum selben Schluss kam im vergangenen November das Zürcher Verwaltungs­gericht in einem Urteil, in dem es Plass als «mass­geblichen Akteur des Konflikts» bezeichnete). Und drittens habe er sich Anfang 2021 in der Fernseh­sendung «10 vor 10» selbst an die Öffentlichkeit gewandt und sich über Monate in mehreren Artikeln öffentlich geäussert.

Mit derselben Argumentation hatte auch eine vom Kantons­rat mit einer Untersuchung der Vorkommnisse am USZ beauftragte Subkommission entschieden, Plass beim Namen zu nennen. Ihr Bericht war am 4. März erschienen, wenige Stunden nach Teil zwei der Republik-Trilogie.

Der Presserat hatte somit zu entscheiden, ob die identifizierende Bericht­erstattung – die Namens­nennung von André Plass – zulässig war oder nicht.

Das Ethikgremium schreibt in seiner Stellung­nahme, dass Plass dem SRF zwar ein Interview gegeben habe, in dem er für sein berufliches und privates Umfeld gut erkennbar gewesen sein dürfte. «Darüber hinaus dürfte er aber nicht erkennbar gewesen sein, weil sein Name nicht genannt wurde.» In der Öffentlichkeit sei er zum Zeitpunkt der Republik-Publikation nicht allgemein bekannt gewesen.

Zur Frage, ob Plass eine Person von öffentlichem Interesse sei, verweist der Presserat zunächst auf den Wortlaut von Richt­linie 7.2, in der eine identifizierende Bericht­erstattung unter anderem dann für zulässig erklärt wird, wenn «die betroffene Person (…) eine staatliche oder gesellschaftlich leitende Funktion wahrnimmt und der Medienbericht damit im Zusammen­hang steht».

Und schreibt dann:

Der Presserat hat diesen Punkt kontrovers diskutiert. André Plass hatte eine wichtige Funktion in einem vom Staat kontrollierten und von Steuer­zahlern finanzierten Unternehmen. Zudem ist er in diesem Fall nicht einfach ein Whistle­blower, sondern ein wichtiger und aktiver Akteur. Auch wenn er offenbar lange versucht hat, seinen Namen aus den Medien zu halten, hat er diese doch grosszügig mit seiner Sicht der Dinge beliefert. Trotzdem hilft die Namens­nennung dem Publikum nicht, sich ein geeignetes Bild der Vorfälle zu machen. Das Interesse am Schutz der Privat­sphäre überwiegt das öffentliche Interesse an einer identifizierenden Bericht­erstattung. Die Mehrheit der 3. Kammer befindet deshalb, dass die Republik mit der Namens­nennung gegen Richt­linie 7.2 verstossen hat respektive Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt ist.

3. Kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht

Plass störte sich in seiner Beschwerde auch an diversen Formulierungen in der Trilogie. Der Presserat aber sieht in keiner der monierten Passagen eine Verletzung der Wahrheits­pflicht, womit die Republik das wichtigste medien­ethische Prinzip (Ziffer 1) nicht verletzt hat.

So stützt er unter anderem die Formulierung, die USZ-Leitung habe das gegen Plass gerichtete Whistle­blowing «versanden» lassen. Die Republik hatte diesen Begriff gewählt, da die Untersuchung sieben Monate in Anspruch nahm und der abschliessende Bericht – wie bereits erwähnt – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Trilogie noch immer nicht vorlag. Laut Presserat «eine legitime journalistische Einschätzung».

Auch die von der Republik gewählten Bezeichnungen «Macht­kampf» und «Arbeits­konflikt» verletzten die Wahrheits­pflicht nicht. Auf etliche Beschwerde­punkte, die, wie er schreibt, «offensichtlich unbegründet sind», ging das Ethik­gremium gar nicht ein.

4. Keine Verletzung der Anforderungen an die Quellenbearbeitung

Zu beurteilen hatte der Presserat auch den Umgang der Republik mit dem gegen André Plass gerichteten Whistle­blowing der anonymen USZ-Angestellten.

Der leitende Arzt sah darin eine Verletzung der Ziffer 7 der Erklärung, in der es heisst: Journalistinnen und Journalisten «unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen». Die Republik wies darauf hin, erstens mit den Urhebern des Whistle­blowings in direktem Kontakt gestanden zu sein und ihre Vorwürfe zweitens nicht unbesehen übernommen zu haben – diese seien vielmehr Ausgangs­punkt für weitere Recherchen gewesen.

Der Presserat entscheidet zugunsten der Republik, da diese die Vorwürfe mit grossem Aufwand überprüft habe. «Zudem wird die Quellen­situation dem Publikum ausführlich dargelegt, damit es sich ein eigenes Bild machen kann.» Diesbezüglich sei weder Ziffer 7 verletzt noch Richt­linie 3.1 («Ausgangs­punkt der journalistischen Sorgfalts­pflicht bildet die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit»).

5. Keine Verletzung der Anhörungspflicht

Bevor Journalisten in einem Beitrag schwere Vorwürfe gegen eine Person erheben, müssen sie diese damit konfrontieren. Denn nur so hat die beschuldigte Person die Möglichkeit, sich gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Als schwer gelten Vorwürfe gemäss der Praxis des Presse­rats dann, wenn sie ein illegales oder damit vergleichbares – zum Beispiel unredliches – Verhalten unterstellen.

Anders als von André Plass moniert, hat die Republik dieses in Richt­linie 3.8 verbriefte Fairness­prinzip vor der Publikation der Trilogie eingehalten. «Plass wurde ausführlich mit den Vorwürfen konfrontiert», hält der Presserat fest. Dies sowohl via E-Mail als auch bei zwei mehrstündigen Gesprächen. In der Trilogie habe die Republik die Entgegnungen von Plass sodann auch «angemessen wiedergegeben».

Der Presserat hat immer recht

Medien, die vom Presserat gerügt werden, müssen weder Artikel löschen noch mit einer Geldstrafe rechnen. Allerdings werfen Urteile selten ein gutes Licht auf gerügte Medien. Auch dann nicht, wenn eine Redaktion – wie die Republik in diesem Fall – teilweise recht bekommt.

Unverändert gilt, was wir im Juni 2020 schrieben, als wir in einem «Echo» ausführlich über uns betreffende Stellungnahmen des Presserats berichteten:

Ob wir mit allen Erwägungen einverstanden sind oder nicht, spielt keine Rolle: Der Presserat hat immer recht. Wir bedanken uns für seine Arbeit.

Eine zweite Beschwerde ist hängig – und ein Gegendarstellungs­begehren vor Bundesgericht

Auch nach dieser Stellung­nahme des Presserats ist die medien­ethische und -juristische Nachbearbeitung der Republik-Trilogie zu den Vorgängen am Universitäts­spital Zürich nicht abgeschlossen.

So wird der Presserat in den nächsten Wochen eine zweite Beschwerde zu beurteilen haben. Mit ihr wehren sich drei Mitarbeitende des Recherche­desks der Tamedia, weil sie von der Republik vor der Publikation der Trilogie nicht mit angeblich schweren Vorwürfen konfrontiert worden seien. Zudem stellen sie sich auf den Stand­punkt, wir hätten ein Zitat «erfunden». Die Republik hält beide Vorwürfe für ungerechtfertigt. Wir werden auch über diese zweite Stellung­nahme in diesem Fall berichten, sobald sie veröffentlicht worden ist.

Auch medien­rechtlich geht Tamedia gegen die Republik vor: Am Bundes­gericht ist eine Gegendarstellungs­klage hängig. Nach der Publikation der Trilogie und dem kurz darauf publizierten Interview mit Herz­spezialist Thomas Lüscher hatte der grösste Schweizer Medien­konzern zwei Gegen­darstellungen durchzusetzen versucht. Eine hiess das Zürcher Handels­gericht gut, worauf wir sie umgehend publizierten; die andere wies das Gericht in erster Instanz ab. Tamedia akzeptierte das Urteil nicht und reichte am 7. Juli 2021 beim Bundes­gericht Beschwerde dagegen ein.

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