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Asylsuchende aus Afghanistan: Die Schweiz ändert ihre Praxis

Der Bund gewährt neu zahlreichen abgewiesenen afghanischen Asylsuchenden ein vorläufiges Bleiberecht.

Von Lukas Häuptli, 02.02.2022

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Das Staats­sekretariat für Migration (SEM) ändert seine Praxis im Umgang mit afghanischen Asyl­suchenden. Wenn diese einen negativen Entscheid ans Bundes­verwaltungs­gericht ziehen oder wenn sie ein zweites Gesuch stellen, werden sie in der Schweiz «grundsätzlich» vorläufig aufgenommen.

Diese Praxisänderung sei am 13. Januar 2022 von Bundes­rätin Karin Keller-Sutter genehmigt worden, heisst es in einem Brief, den das Staats­sekretariat für Migration am 17. Januar 2022 an die Kantone verschickt hat. Er liegt der Republik vor. Einzig wer «erheblich straffällig» geworden sei oder eine «Gefährdung für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz» darstelle, sei von der neuen Regelung ausgenommen.

Das Staatssekretariat begründete seine Praxis­änderung mit der Lage in Afghanistan. Abgewiesene Asyl­suchende könnten bis auf weiteres kaum dorthin zurück­geführt werden, schreibt das SEM im Brief.

Wie viele abgewiesene Asyl­suchende aus Afghanistan dank der Praxis­änderung ein vorläufiges Bleibe­recht in der Schweiz (eine sogenannte «F-Bewilligung») erhalten, steht nicht fest. Ein Sprecher des Staats­sekretariats für Migration sagt dazu nur, dass beim Bundes­verwaltungs­gericht zurzeit rund 1200 negative Asyl­entscheide hängig seien.

Seit der Macht­übernahme der Taliban im letzten August stellen in der Schweiz jeden Monat zwischen 300 und 400 Afghanen und Afghaninnen ein Asylgesuch. Im letzten November (neuere Zahlen gibt es nicht) erhielten rund 20 Prozent der Gesuch­stellenden einen Flüchtlings­status, rund 55 Prozent eine vorläufige Aufnahme und rund 25 Prozent eine Wegweisung beziehungs­weise einen Nicht­eintretens­entscheid.

Der Bund war im letzten Herbst wegen seiner Asylpraxis scharf kritisiert worden. Einerseits hatte er sich geweigert, afghanische sogenannte Resettlement-Flüchtlinge aus Lagern in Pakistan und dem Iran aufzunehmen. Andererseits vergab er an afghanische Staats­angehörige nur sehr selektiv humanitäre Visa, die zur Einreise in die Schweiz berechtigen.

Das hat sich seither kaum geändert. Seit Anfang 2021 hätten 534 afghanische Staats­angehörige ein humanitäres Visum für die Schweiz beantragt, sagt der SEM-Sprecher. Davon seien 39 gutgeheissen und 495 abgelehnt worden. Ursprünglich hatten mehr als 6000 Afghaninnen und Afghanen den Bund um eine sogenannte Chancen­beurteilung für ein humanitäres Visum ersucht.

Der Sprecher weist allerdings darauf hin, dass die Schweiz seit 2020 fast 300 afghanische Resettlement-Flüchtlinge aus Lagern in der Türkei aufgenommen habe.

In Afghanistan ist die Lage seit der Macht­übernahme der Taliban im letzten August äusserst angespannt. Das UNHCR, die Flüchtlings­behörde der Vereinten Nationen, schätzt, dass wegen der Menschen­rechts­verletzungen mehr als 6 Millionen Afghaninnen und Afghanen auf der Flucht seien. Rund 3,5 Millionen seien im Land selbst Vertriebene, rund 2,6 Millionen Geflüchtete im Ausland. 2,2 Millionen von ihnen hielten sich in Lagern in Pakistan und im Iran auf.

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