Plopp oder ppolP?
Erdöl, Kohle, Gas: Im Gegensatz zum ersten Pandemiejahr sind fossile Rohstoffe nun wieder teurer. Die Gründe, die Folgen.
Von Simon Schmid, 31.01.2022
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Plopp!
So klang es bei der Republik im Sommer 2020. Die Weltwirtschaft lief damals auf Sparflamme, unter dem Einfluss der Pandemie waren die Rohstoffpreise eingebrochen. Wir schrieben damals wörtlich: «Fossile Energien sind keine guten Investments – sondern nur eine Blase, die gerade platzt.»
Und nun dies, keine zwei Jahre später: Erdgas erzielt im Handel rekordhohe Preise; die Welt produziert so viel Kohlestrom wie nie zuvor; und in die Taschen der Ölmultis fliesst so viel Cash wie seit 13 Jahren nicht mehr.
War demnach alles nur Wunschdenken? Legt die Dekarbonisierung an den Finanzmärkten den Rückwärtsgang ein? Entplatzt die geplatzte Blase wieder?
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So viel vorweg: Abschliessend beantworten werden wir die Frage in diesem Datenbriefing nicht. Was wir jedoch tun werden: Wir schauen uns den Verlauf der Öl-, Kohle- und Gaspreise anhand von drei Zeitreihen an und analysieren, welches die wichtigen Einflüsse sind, von denen sie abhängen.
Die Daten der drei Zeitreihen stammen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und fassen die Preisentwicklung auf verschiedenen Handelsplätzen zusammen. Sie werden nicht wie üblich in Dollar, sondern als Index angegeben.
In unseren Grafiken zeigen wir, wie stark der Index zu einem bestimmten Zeitpunkt vom langfristigen Durchschnitt (gerechnet ab 2010) abweicht.
Öl
Beim Erdöl, der symbolträchtigsten aller fossilen Energiequellen, sieht die Sache folgendermassen aus: Im April 2020, zu Beginn der Coronapandemie, sackte der Preis ab – auf 31 Punkte, also auf unter ein Drittel des langfristigen Schnitts. Heute stehen wir bei 105 Punkten. Erdöl kostet also etwas mehr als üblich – aber doch nicht so viel wie während der Hausse von 2011 bis 2014.
Dass der Ölpreis während einiger Jahre höher und dann wieder einige Jahre lang tiefer liegt, ist an und für sich nichts Aussergewöhnliches. Es entspricht den typischen «Schweinezyklen», die man an manchen Märkten beobachtet.
Auch Ausschläge sind normal: Während der Finanzkrise von 2008 stieg der Ölpreis zuerst auf ein Allzeithoch, um kaum ein Jahr später wieder in den Keller zu rasseln. Dass es während der Coronakrise zu einer ähnlichen Achterbahnfahrt kommt, ist rein aus Datensicht also nicht überraschend.
Wie geht es weiter?
Kurzfristig rechnet die Internationale Energieagentur (IEA) damit, dass Erdöl wieder günstiger wird. In den USA wird nach der Flaute fleissig gedrillt, und auch die arabischen Staaten und Russland dürften ihre Fördermengen erhöhen – das entspannt den Markt. Andere Beobachter spekulieren derweil auf einen Preisanstieg: Wegen des Konjunkturaufschwungs werde so viel Öl nachgefragt, dass die Förderunternehmen kaum mit Pumpen nachkämen.
Langfristig – und das ist wohl der interessantere Aspekt – ist jedoch eine andere Frage zentral: Wie rasch wird die Energiewende umgesetzt?
Erdöl wird nebst dem Heizen auch für Flugzeuge und Schiffe und in der Industrie vor allem für einen Zweck genutzt: den Strassenverkehr. Und hier hält mit der E-Mobilität gerade eine epochale Neuerung Einzug. Über kurz oder lang dürften Elektroantriebe die bisherigen Verbrennermotoren verdrängen. Geht es schnell, so sinkt der weltweite Erdölverbrauch bis 2025 um 5 Prozent, schätzt die Internationale Energieagentur. Geht es langsam – und das ist das Basisszenario –, steigt er gegenüber dem heutigen Niveau noch etwas an, bevor er fällt. So oder so ist der peak oil demand, der Zenit des Verbrauchs, aber absehbar. Entscheidend für den Preis ist, wie die Industrie damit umgeht.
Die westlichen Ölmultis waren während der Coronakrise zurückhaltend. Sie haben kaum in die Erschliessung neuer Quellen investiert, sondern Geld in Form von Dividenden ausgeschüttet. Wegen zurechtgestutzter Zukunftspläne haben acht grosse Ölfirmen alleine über 100 Milliarden Dollar abgeschrieben und 40’000 Arbeitskräfte entlassen, berichtet die IEA. Auch die Förderstaaten im mittleren Osten, von deren Verhalten die Preisentwicklung in Zukunft massgeblich abhängt, haben zuletzt kaum in neue Kapazitäten investiert.
Wegen der hohen Ölpreise wird 2022 voraussichtlich ein sehr ertragreiches Jahr für die Industrie. Werden Firmen wie Chevron, Shell & Co. das Geld nutzen, um zusätzliche Ölfelder zu erschliessen und Förderanlagen zu bauen? Oder werden sie – so, wie es nicht wenige Investorinnen mittlerweile verlangen – die Transformation ihres Geschäfts hin zu sauberen Energien beschleunigen?
Vom race to the bottom der beiden Faktoren – Angebot und Nachfrage, und welcher der beiden rascher sinkt – hängt in den kommenden Jahrzehnten jedenfalls der Ölpreis ab. Dabei ist, so wie während der Coronakrise, immer wieder mit Ausschlägen zu rechnen. Einen generellen Anhaltspunkt für die Zukunft bietet dabei die Vergangenheit: So schätzt etwa die Weltbank, dass der Ölpreis (um die Inflation bereinigt) bis ins Jahr 2035 wieder leicht sinkt – ungefähr dorthin, wo er in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt lag.
Kohle
Mit dem Ölpreis sind die meisten Leute aus den Medien halbwegs vertraut. Mit dem Kohlepreis weniger: Dieser Rohstoff spielt für Konsumenten kaum eine Rolle, da er primär in der Schwerindustrie eingesetzt wird: zur Stromerzeugung in Kohlekraftwerken und in Stahl- oder Zementfabriken.
Diesen Herbst sorgte der Kohlepreis trotzdem für Schlagzeilen. Im Zuge einer allgemeinen Energieknappheit verteuerte sich auch Kohle – und zwar massiv: Nachdem sie im ersten Pandemiejahr noch spottbillig war, stiegen die Preise für Kohle nun plötzlich auf über 200 Prozent des langjährigen Schnitts.
Was ist passiert? Die Marktturbulenzen haben ihre Ursache in China – der weltgrössten Konsumentin, die für die Hälfte des globalen Kohleverbrauchs verantwortlich ist, aber auch einen Drittel der globalen Produktion stemmt.
Wegen der anziehenden Weltwirtschaft – aber auch wegen eines heissen Sommers und eines kalten Winters (Kohle bzw. Kohlestrom wird in China auch fürs Heizen und Kühlen gebraucht) – nahm die dortige Nachfrage im Verlauf des Jahres 2021 stark zu. Gleichzeitig hielt die Regierung in Peking die Abnahmepreise künstlich tief: Kohleminen in China hatten keinen Anreiz, ihre Produktion hochzufahren.
Hinzu kam, dass auch in Europa und in den USA temporär mehr Kohlestrom produziert wurde. Aus all diesen Gründen zogen die weltweiten Preise an.
Nachdem die chinesische Regierung den Engpass erkannt hat und die Minen nun anhält, auf Teufel komm raus Kohle zu fördern, dürften die Preise dieses Jahr nach Einschätzung der Consultingfirma Wood Mackenzie sinken.
Mittel- und langfristig ist der Ausblick zweigeteilt. Denn der Trend geht für verschiedene Ländergruppen in eine diametral unterschiedliche Richtung:
In Europa und in den USA ist der Kohleausstieg bereits eingeläutet. Der Verbrauch hat im vergangenen Jahrzehnt markant abgenommen und dürfte – trotz eines kurzen Aufbäumens im Jahr 2021 – weiter abnehmen.
China und Indien, die beiden grössten Verbraucher, wehren sich jedoch gegen einen raschen Kohleausstieg. Kein Wunder: Ihr Kohlebedarf wächst weiterhin, und er dürfte dies auch noch ein gutes Jahrzehnt weiter tun, sollte sich die Klimapolitik dieser beiden Länder nicht ändern.
Für die Stromproduktion in den grossen Schwellenländern, aber auch für Industriezwecke wie die Stahlerzeugung gibt es kaum Alternativen zur Kohle. Egal, in welchem Klimaszenario man sich befindet: Bis ins Jahr 2050 und sogar darüber hinaus existiert deshalb ein Bedarf an Kohle. Somit ist auf dem Weltmarkt auch ein gewisser Abnahmepreis für diesen Rohstoff garantiert.
Wie hoch er genau ist, hängt nicht zuletzt von der Energiepolitik ab. Je mehr Elektrizität künftig in Kernkraftwerken oder mit erneuerbaren Energien generiert wird, desto weniger kommen Kohle und Erdgas zum Einsatz – und desto geringer ist der Bedarf für diese beiden fossilen Energieträger.
Unter dem Strich schätzt die Weltbank, dass dies den Ausschlag gibt. Kohle wird weniger nachgefragt und deshalb ab den 2030er-Jahren eher günstiger.
Gas
Am meisten Zündstoff birgt die dritte fossile Ressource: Erdgas. Hier sind die Handelspreise ab Mitte 2021 extrem gestiegen. Besonders in Europa und in Asien (etwas weniger stark in den USA) stiegen sie in schwindelerregende Höhen.
Medial drehte sich dabei alles um Geopolitik. Russland – das Land steht mit dem Westen im Konflikt wegen der Ukraine und der nach Deutschland führenden Pipeline Nord Stream 2 – hat seine Gaslieferungen nach Europa um rund ein Viertel gekürzt. Als grösster Gaslieferant der Europäischen Union übt Russland damit ernst zu nehmenden wirtschaftlichen Druck aus.
Doch die Versuche Russlands, Politik mit der Pipeline zu betreiben, sind nicht der einzige Grund für die hohen Preise. Ähnlich wie bei den anderen Rohstoffen hat auch hier der Wirtschaftsaufschwung dafür gesorgt, dass die Nachfrage gestiegen ist – vor allem in Asien. Derweil waren in Europa die Speichertanks leer, weil im Winter zuvor kältebedingt viel Gas verbraucht worden war und im Sommer darauf wenig Wind geweht hat – was bedeutete, dass kaum Windstrom und dafür umso mehr Gasstrom produziert wurde.
Deshalb wurde Erdgas gegen Ende des letzten Jahres knapp. Ob sich dies bald ändert, so, wie es etwa der IWF glaubt, ist offen: Banken wie Goldman Sachs prophezeien, dass die Lage auf dem Gasmarkt noch länger angespannt bleibt. Das würde Länder wie Italien, die Niederlande oder Grossbritannien treffen, die stark von Gas abhängig sind. Erdgas wird in der EU vor allem fürs Heizen von Gebäuden, in der Industrie sowie für die Stromerzeugung gebraucht.
Gas ist – nicht nur für Europa – auch aus einem weiteren Grund heikel: Seine Tage sind klimapolitisch noch lange nicht gezählt. Anders als beim Öl und bei der Kohle, wo der weltweite Verbrauch gemäss den Szenarien der IEA selbst im pessimistischen Fall abflachen soll, nimmt er beim Gas weiter zu. Die EU-Kommission, sonst eher bekannt als Klimavorreiterin, möchte Erdgas unter gewissen Bedingungen sogar als grüne Energie klassifizieren.
So zeichnet sich ab, dass Volkswirtschaften noch über Jahrzehnte hinweg auf Gas angewiesen sein werden. Das bedeutet, dass auch der Handel floriert. Und zwar weltumspannend: Wurde Erdgas früher primär durch Pipelines von einem Land zu den Nachbarn geleitet, so transportieren mit Flüssiggas beladene Tanker den Brennstoff heute vermehrt auch auf andere Kontinente.
In Extremsituationen führt dies dazu, dass Schiffe auf halbem Weg von Amerika nach Asien plötzlich wenden und statt den Panamakanal neu Europa ansteuern, weil dort die Preise höher sind – so geschehen im Dezember.
Allerdings muss Erdgas deswegen nicht zwingend teuer bleiben. Russland, Iran, Katar oder die USA besitzen noch grosse Reserven. Diese können bei Bedarf gefördert werden. Die Weltbank zeigt sich in ihrem Ausblick deshalb erstaunlich gelassen und gibt folgende Prognose ab: überdurchschnittliche Gaspreise in Europa bis 2025, anschliessend eine Normalisierung bis 2035.
Was also gilt nun: Plopp oder ppolP?
Wohl ein bisschen von beidem. Fossile Investments, und das bewahrheitet sich trotz der aktuellen Rohstoffpreishausse, sind keine guten Investments.
Im Vergleich zur restlichen Unternehmenswelt liegen Öl- und Gasfirmen an der Börse noch immer zurück – ihre Aktien haben gerade einmal das Niveau von vor der Krise erreicht, während der Gesamtmarkt weit davongezogen ist. Anleger folgen BP & Co. auf deren Expeditionen längst nicht mehr blind.
Allerdings verschwindet der fossile Rohstoffsektor als solcher deswegen nicht. Jedenfalls nicht so rasch, wie aus Klimasicht wünschenswert wäre. Solange die Nachfrage nach Kohle, Öl und Gas existiert, wird weiter gefördert.
Der Internationale Währungsfonds pflegt ein Datenportal zum Thema Rohstoffe. Von 1990 bis zur Gegenwart werden dort Daten auf monatlicher Basis für eine Reihe von Energieträgern, Metallen und Agrarprodukten zur Verfügung gestellt.
Die Indizes, die in diesem Artikel gezeigt werden, sind Durchschnittswerte aus den Handelspreisen an verschiedenen Handelsplätzen. Beim Erdöl fliessen dabei die Sorten Brent, Dubai und West Texas Intermediate ein. Bei der Kohle sind es die Handelspreise für australische und südafrikanische Kohle. Beim Gas wird der Handel in Europa, in den USA und in Japan zu gleichen Teilen mit einbezogen.