Unheilvolle Verstrickungen von Gut und Böse, von Gesetz und Kriminellem: «The Tragedy of Macbeth» von Joel Coen mit Frances McDormand und Denzel Washington. Alison Cohen Rosa/A24/Courtesy Everett Collection/Keystone

Finsterhelle Welt

Shakespeare wird uns nach 400 Jahren fremd. Ausser Joel Coen inszeniert ihn. Seine neue «Macbeth»-Verfilmung ist atemberaubend: Sie feiert die Fremdheit und führt doch direkt ins Hier und Jetzt.

Von Tobi Müller, 25.01.2022

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Am Anfang ist alles schwarz. Wir hören nur eine Stimme den berühmten Vers flüstern: «Fair is foul, and foul is fair, / Hover through the fog and filthy air.» Dann macht etwas sehr laut ratschack. Das Geräusch ist ein alter Film­scheinwerfer, der angeworfen wird. Erst jetzt wird die Leinwand hell. Oder der Bildschirm: «The Tragedy of Macbeth» in der Regie von Joel Coen ist in der Schweiz vorerst nur bei Apple TV zu sehen – aber hoffentlich bald auch anderswo.

Beinahe quadratisch ist das ungewöhnliche Format, statt Farbe ein kontrast­reiches Schwarz­weiss. Manchmal zitieren die Bilder den deutschen Film-Expressionismus mit seinen scharfen Kanten und geometrischen Formen. Auch das Casting ist farben­blind, wenn man so will: Wer schwarz und wer weiss ist von den Schauspielerinnen, scheint keine Bedeutung zu haben.

Ein Coen-Film handelt immer auch von unserer Welt­wahrnehmung, davon, was wir entziffern können und was nicht. Schon Shakespeares «Macbeth» ist ein Stück über das Sehen und Nichtsehen, über das Lesen von Bildern und Zeichen. Es geht um das Erkennen von Unheil, von Geschichte, von Zukunft. Um den Unterschied zwischen Schein und Realität. Fair is foul, and foul is fair, die Worte der Hexen, die dem Krieger Macbeth gleich seine Bestimmung als kommender König vorhersagen, sind deshalb das Leitmotiv, das ins Zentrum der Tragödie führt: Was recht ist und was schlecht, was schön und wüst oder brav und bös, das alles verschwimmt im Nebel.

Aus diesem weissen Nebel taucht Denzel Washingtons Macbeth auf und wiederholt das Motiv lächelnd, fast beiläufig: «So foul and fair a day I have not seen», so einen verwirrend schönen, aber auch verrotteten Tag hat er noch nie gesehen. Aus dem grossen Zweifler Macbeth, der sich hier noch zeigt, wird im Verlauf des Stücks eine Figur, die versucht, die Welt nicht mehr doppel­deutig, sondern eindeutig zu lesen. Und genau das führt zum grossen Blutbad, das er dann nicht mehr stoppen kann.

Der Look des Films ist dark, wie das Stück, das Shakespeare zu zwei Dritteln im Dunkeln der Nacht spielen lässt. Die Kostüme sind alle historisch, nichts sucht die Aktualisierung. Doch gerade in dieser Fremdheit von Text und Ästhetik öffnet Joel Coen in gut hundert Minuten einen Zugang zur Gegenwart, den man nur meisterhaft nennen kann.

Dabei stehen wir vielleicht auf der Schwelle einer Zeit, in der selbst der einfluss­reichste Dramatiker der Welt und der letzten 400 Jahre verblassen wird. Seine Sprache ist für unsere Ohren zu komplex, die historischen Ereignisse, mit denen er sich beschäftigt, liegen mindestens im Mittel­alter, die derben Spässe und Zoten seiner eigenen Zeit, auf die er sich gern wie eine Satire­zeitung bezieht, versteht man heute oft nur mit gelehrten Kommentaren und werden in Theater und Film gestrichen.

Das Werk von William Shakespeare ist uns so fern wie noch nie. Kein Wunder: Wir leben am Anfang einer Medien­revolution, die schon jetzt alles in den Schatten stellt seit der Erfindung des modernen Buchdrucks vor bald schon 600 Jahren.

Allerdings sprechen auch drei Dinge gegen diese These des Verfalls: erstens die Theaterpraxis der letzten 400 Jahre, die Shakespeare immer wieder für ihre eigenen politischen Bedürfnisse zugerichtet hat; zweitens aktuelle Statistiken der meist­aufgeführten Autoren im deutsch­sprachigen Theater; drittens eben die finsterhelle Verfilmung von «Macbeth» von Coen mit Denzel Washington und Frances McDormand. Aber von vorne.

Ein Stück Lehm, zum Leben erweckt

Shakespeares Werk ist kein Fels, der nicht vom Fleck rückt und statisch angebetet werden muss. Seine Stücke sind seit 400 Jahren eine morphende Masse. Im 18. Jahr­hundert hat man Shakespeare gesäubert von den Schweinereien und was man dafür hielt. Mitte des 19. Jahr­hunderts wurde er in den Dienst der bürgerlichen Revolutionen und der Geburt der National­staaten gestellt. In Deutschland gibt es eine Tradition, die sich bis in die national­sozialistische Diktatur mit der Gleichung «Deutschland ist Hamlet» beschäftigte. Selbst die blonde Perücke, die der jüdische Schauspieler und nach dem Krieg prägende Regisseur Fritz Kortner 1926 trug, konnte konservative Kritiker nicht besänftigen: Kortners Hamlet war ihnen nicht deutsch genug, und das sieben Jahre vor Hitlers Machtergreifung.

Das «Zeit»-Magazin titelte noch 2010 mit «Unser Hamlet», als Lars Eidinger in der Berliner Schaubühne den Titel­helden in Thomas Ostermeiers Erfolgs­inszenierung spielte, die mittlerweile um die Welt gereist ist. Im sozialistischen Osteuropa gab es vielerorts die stille Verabredung zwischen Bühne und Parkett, dass mit dem richtig bösen «Richard III.» der jeweils aktuelle Staats­schef gemeint war, in Rumänien etwa Nicolae Ceausescu. Shakespeare ist seit jeher formbares Material gewesen, ein Stück Lehm, das zum Leben erweckt werden musste. Erst auf der Bühne, dann im Film.

Bisher hat sein Werk diese ständigen Wieder­geburten und Anpassungen überstanden, man musste ihm nur genug Raum geben. Die Widerstände, das Eigene, Unassimilierbare produziert der scheinbar unausschöpfliche Text. Aber das muss nicht so bleiben.

Der Zweifler, der ein grosses Blutbad auslöst: Denzel Washington als Macbeth. A24/Courtesy Everett Collection/Keystone
Die einzige Figur, die wirklich zu lesen versteht: Frances McDormand als Lady Macbeth. A24/Courtesy Everett Collection/Keystone

Die vermeintlich aktualisierenden Zurichtungen der Shakespeare-Stoffe sind immer häufiger von solcher Schlichtheit, dass der komplexe Text eher stört. Gerade «Macbeth» ist für solche Inszenierungen besonders beliebt: Man macht ihn beispiels­weise zum Drama unter Managern und will damit «Kapitalismus bedeutet Blut» sagen – was zwar nicht ganz falsch ist, aber auch ohne Shakespeare gesagt werden kann.

In letzter Zeit liegt noch eine andere Macbeth-Lesart für viele nahe: Es sei ein Stück über die Gewalt von Männern. Das klappt nur, wenn man den Text in höchstens drei Bulletpoints zusammen­fasst, wie gerade Manager sie im Übrigen gern lesen. Solche Regie­zugriffe sehen den Text als einfache Metapher: Macbeth ist dieses oder jenes, Hamlet ist … Das sind Gleichungen, nicht Lektüren. Shakespeare jedoch zerstört jede Gleichung, das macht ihn so modern. Seine Stücke sind – wenn schon – Ungleichungen.

Gerade «Macbeth» vollzieht gleichzeitig völlig gegenläufige Bewegungen. Der Titelheld startet als reflektierter Frager und keineswegs als tumber toxischer Schlächter. Er stellt sich alle ethischen Fragen intensiv, während Lady Macbeth, seine so kluge wie toughe Frau, Wege findet, ihre moralischen Zweifel auszuschalten. Genau diese Konstellation dreht Shakespeare im Verlauf des Stücks aber auch wieder um. Macbeth überschreitet sehenden Auges jede Scham­grenze. Sie hingegen verliert den Verstand, als sie zusehen muss, wie das Morden nicht mehr zur Ruhe kommt.

So weit ist das eher eine Inhalts­angabe als eine Interpretation. Aber bereits diese gegenläufigen Bewegungen scheinen den Bedürfnissen unserer Zeit nach Eindeutigkeit zuwiderzulaufen. Wir haben Mühe, Uneindeutigkeiten auszuhalten, vielleicht ja auch, weil Fakten immer häufiger als blosse Meinungen gelten und weil im Namen der Vielfalt auch blanker Unsinn ein Recht auf demokratisches Gehör verlangt.

«Der Prototyp toxischer Männlichkeit»

Ob der Klimawandel vom Menschen verursacht sei oder das Tragen von hoch­wertigen Masken die Corona-Infektionen deutlich reduziere? Es gibt in diesen Fällen eindeutige Antworten, ja und ja. Dass wir vermehrt dazu gezwungen werden, Fakten von Meinungen zu trennen und nach Eindeutigkeit zu verlangen, trainiert uns an, binäres Denken möglichst überall einzufordern. In der Kunst ist das leider etwas langweilig. Wenn dieses Denken an Vorlagen wie Shakespeare herangetragen wird, könnte man es aber gleich lassen.

Deshalb sagen die Zahlen nicht alles. Die aktuellste Statistik des Deutschen Bühnenvereins für die Spielzeit 2019/20 zeigt zwar, dass Shakespeare im deutsch­sprachigen Raum weiterhin auf Platz eins der am meisten gespielten Autoren liegt. Der Alte brachte es in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf 77 Inszenierungen, 655 Aufführungen und 217’651 Zuschauerinnen, die Oper eingeschlossen. Die Frage ist allerdings, wie die Inszenierungen mit Shakespeares Komplexität umgehen.

Schauen wir kurz in die Schweiz und auf «Macbeth». Im digital erfassten Zeitraum von 2009 bis heute wurde «Macbeth» im deutsch­sprachigen Raum 48-mal im Theater inszeniert, aber nur zweimal in der Schweiz. Der Regisseur Pedro Martins Beja hat im November 2014 im Zürcher Theater Neumarkt das Stück als Männer­problem­stück inszeniert und mit viel toxischem Gebaren und eigenen Texten zum lauten Thesenknaller toupiert.

Aktuell läuft im Schauspiel­haus Zürich «Before the Sky Falls» als Überschreibung von «Macbeth», und auch da werden keine Zweifel an der Botschaft des Stücks gelassen. Der Ankündigungs­text: «‹Macbeth› ist die Geschichte eines ehrgeizigen Tyrannen, der im Zentrum eines Netz­werks von korrupten, brutalen und frauen­verachtenden Machos steht. Damit scheint ‹Macbeth› der literarische Prototyp toxischer Männlichkeit zu sein und seine Herrschaft ein Spiegel für die aktuellen autoritären Regimes weltweit.»

Auf der Basis dieser klaren Diagnose geht es in dem Stück dann um die Rache des Regen­walds im Amazonas an den «frauen­verachtenden Machos». Regisseurin Christiane Jatahy und ihr Mitarbeiter Thomas Walgrave verlängern die weinrote Samt­tapete des Pfauen­theaters auf die Bühne und stellen einen grossen Spiegel auf, der uns sprich­wörtlich vorgehalten werden soll.

Was ist Wahn, was ist reale Welt?

Aber was wäre, wenn wir den Spiegel einmal umdrehen würden und schauen, wie das Stück selbst zurück­blickt? Was passiert, wenn «Macbeth» aus der Tiefe der Geschichte und der Kunst mit mehr Komplexität antwortet?

Genau das gelingt Joel Coen mit seiner Verfilmung. Erstmals ohne seinen Bruder Ethan am Werk, schafft er ein Kunststück: nah beim Text zu bleiben und dabei doch einen Coen-Film zu machen, wie man das von den Brüdern seit bald 40 Jahren kennt. Coen nimmt Shakespeare beim Wort, setzt ihn aber ins eigene Bild.

Ob die Hexen bereits der Psychose von Macbeth entspringen oder doch real sind, lässt der Film offen. Kathryn Hunter von der legendären britischen Theater­gruppe Complicité spielt alle drei Hexen als eine einzige Figur. Die Stimme krächzt trocken und tief, der Körper erinnert an einen Vogel, der in der Wüste nach Wasser sucht. Zu den drei Hexen wird sie erst, als sich eine schwarze Lache im Sand vor ihr bildet, die sie doppelt spiegelt. Macbeths befreundeter Feldherr Banquo sagt, das sei komisch: Die Hexen sähen aus, als wären sie nicht von dieser Welt, doch stünden sie auf ihr. Was Vorstellung, also Wahn der frisch von der Schlacht gegen Norwegen traumatisierten Krieger, und was eine reale Erscheinung ist, ist zwar nicht klar, aber noch wird nach diesem Unterschied gefragt.

Aus eins mach drei dank Spiegelbild: Kathryn Hunter als Hexe. A24/Courtesy Everett Collection/Keystone

Flüssige Oberflächen und von Erschütterungen verzerrte Spiegelungen sind ein visuelles Leitmotiv bei Coen: Pfützen und Lachen, auch vom tropfenden Blut, das dem ermordeten König Duncan vom Finger fällt, Schalen mit Wasser. Auch bei der zweiten Erscheinung der Hexen, diesmal im Schloss von Macbeth, erscheint spontan ein kleiner Teich. Es sind alles Spiegel (Shakespeare liebt Theater­metaphern). Aber insbesondere Macbeth verlernt zu erkennen, was er dort in diesen Spiegeln sieht, den Wahn oder die Wahrheit. Wer wirklich lesen auch im Sinne von verstehen kann, als Einzige in dem Stück, ist Lady Macbeth. Zu Shakespeares Zeit konnten wenige Leute lesen, schon gar nicht Frauen. Entsprechend gross ist dieses Zeichen, und Coen führt es genüsslich vor mit seiner Gattin Frances McDormand, die Lady Macbeth spielt.

Als Macbeth seiner Frau von der Prophezeiung schreibt und was sie bedeutet, nämlich dass er König Duncan wohl töten muss, um den Thron zu besteigen, weil gerade dessen Sohn Malcolm die Krone versprochen wurde, liest Lady Macbeth den Brief bei Shakespeare auf der Bühne vor. Bei Coen schreitet McDormand damit einen hohen gotischen Gang herunter: vom hellen Lichteinfall in den Schatten. Sie durchschaut die Lage sofort: Ihr Mann hat den Ehrgeiz, aber nicht die moralischen Mittel, ihn umzusetzen.

«What thou wouldst highly / That wouldst thou holily», sagt die Lady über den Gatten. Was er so sehr möchte, will er mit reinem Gewissen haben. Oder wie es Frank Günther übersetzt hat: «Wo du hoch raus möchtst, / Da möchtst du heilig raus» Mit anderen Worten: Macbeth wird letztlich von dem Terror seiner Tugend in den Wahn getrieben. Er muss die Welt als bös betrachten, seine schlimmsten Gedanken für die Realität halten, um sich selbst das Recht zugestehen zu können, entsprechend böse zu handeln. Kurz vor dem Königsmord kippt Macbeth in einen Wahn, der die Grenzen aufhebt zwischen Gedanken, Bildern und Taten, zwischen Wunsch und Realität:

Wirkliche Greuel

Sind harmloser als Graun, das man sich denkt.

Mein Denken, das noch Mord nur phantasiert, Erschüttert so mein unteilbares Sein

Als Mensch, dass Handeln ganz erstickt im Grübeln, Und nichts ist, als was nicht ist.

«Macbeth», übersetzt von Frank Günther, Verlag Hartmann & Stauffacher.

Das Thema des Scheins kehrt zurück, als Macbeth nach dem vollbrachten Mord in die Ehekammer zurückkehrt, aber die beiden Dolche noch dabeihat, statt sie am Tatort zurückzulassen, um damit den Verdacht auf die mit Betäubungs­mitteln zum Schlafen gebrachten Wachmänner zu lenken. Nun fürchtet Macbeth sich, die Dolche zurückzubringen. Auch das sieht die Lady viel klarer und erteilt ihm dabei eine Lektion in Ästhetik:

Gib mir die Dolche. Die Schlafenden und Toten

Sind nur wie Bilder; nur’s Kinderauge, das Schreckt vorm gemalten Teufel.

Was Macbeth im Moment beruhigt, wird fortan zum Problem: dass ein Bild von einer Leiche und eine Leiche dasselbe sind. Die Vorstellung allein ist dann praktisch schon die Tat, eine blosse Fantasie ist gleichbedeutend mit ihrer Ausführung. Sprache und Bilder können verletzen und sogar töten. Viel näher an die ästhetischen Diskussionen unserer Tage kann man nicht kommen, ohne je das Wort Identitäts­politik, Sensibilität oder Trigger­warnung benutzt zu haben.

Während des ganzen Films kehrt ein lautes, tiefes Klopfen wieder, das gruselig durch die Gänge halt. Es kann vieles sein, etwa das reale Klopfen an die Schlosstür. Auch das Blut tropft mit einem gespenstischen Bass auf den Boden. Aber wir hören darin auch das Herz von Macbeth, das sich nach aussen stülpt. Wir hören sein Gewissen.

Macbeth ist also alles andere als eine toxische Dumpfbacke. Er ist eine äusserst sensible Figur, die das Gebot, dass Bilder und Vorstellungen von Gewalt das Gleiche wie Gewalt sind, ernster befolgt als alle anderen. So exzessiv ernst, bis tatsächlich überall nur noch Gewalt übrig bleibt. Wie Denzel Washington und Frances McDormand diese Prozesse in der Schwebe halten mit einer Sprache, die nie hochtrabend und doch nie alltäglich klingt, ist atemberaubend. Und übrigens auch: verständlich – jede Zeile will etwas erzählen, jede Filmszene stellt alles wieder infrage. Selbst die Frage, wie denn die Geschichte eigentlich endet und danach weitergehen soll.

Auch da ist bereits Shakespeare ungemütlich: Am Ende des Stücks zieht zwar der vertriebene Thron­anwärter Malcolm, Sohn des ermordeten Duncan, gegen Macbeths Schloss und gewinnt. Aber die Prophezeiung und auch die Geschichte wissen, dass die Söhne des ebenso ermordeten Banquo die Linie der künftigen Könige begründen werden (die direkt zu King James führt, dem bei der Uraufführung des Stücks 1606 erst seit drei Jahren inthronisierten Herrscher). Und das ist der einzige Punkt, an dem Joel Coen dem Text zünftig in die Parade fährt und in das Stück eingreift.

Aus der schwangeren Polizistin in «Fargo» wird 25 Jahre später die unheilsschwangere Lady Macbeth: Frances McDormand. A24/Courtesy Everett Collection/Keystone

Coen wertet die Figur des Ross massiv auf. Ross ist ein Gefolgsmann erst von Duncan, dann von Macbeth. Und er wird zum heimlichen Strippenzieher, zur einzig wirklich bösen Figur im Film. Vermutlich gebietet er auch über die Hexe, wie das letzte Bild nahelegt. Ross reitet mit Banquos Sohn Fleance über die Hügel, und eine himmel­verdunkelnde Schar von schwarzen Raben fliegt hoch – der Rabe ist der Vogel, dessen Körperlichkeit Kathryn Hunters Hexe so schön gespielt hat im ersten Akt. Coen zeigt in der Schlusssequenz die Münze funkelnd im Bild, die Ross einem Einsiedler gibt, der Fleance vor Macbeths Schergen versteckt hat. Auch der Einsiedler, der die Münze nimmt, wird von Kathryn Hunter gespielt.

Geld ist ein Paradox: Es hegt die Gewalt ein und verhindert den Tod von Fleance; gleichzeitig führt es aber dazu, dass die Gewalt nicht zur Ruhe kommen wird. Denn Fleance wird das neue Königs­geschlecht begründen, nicht der siegreiche Malcolm.

Ein neues Licht auf das Gesamtwerk der Coens

Das kann man mit Shakespeare alles so sehen, ist aber doch ein deutlicher Eingriff. Einer, der zeigt, was die Coens in fast jedem Film interessiert: wie Gewalt vererbt wird, wie sie nicht zur Ruhe kommt und welche Rolle Geld dabei spielt. Alles ist schon im Stück drin, ausser die Betonung auf das Geld eben, die Coen dem Text nun einschreibt.

Dieser «Macbeth» wirkt, als würde er ein neues Licht auf das ganze Werk der Coens werfen. Zum Schluss deshalb ein Rückgriff auf einen ihrer besten in einer Reihe von grossartigen Filmen, auf «Fargo» von 1996, mit dem die Coen-Brüder ihren internationalen Durchbruch hatten und zwei Oscars gewannen. Einer davon ging an Frances McDormand, die Lady Macbeth, die vor gut 25 Jahren die schwangere und smarte Polizistin Marge Gunderson spielte, die es heil aus einem Gewaltinferno herausschafft. Den anderen Oscar erhielten die Coen-Brüder für das Drehbuch. «Fargo» erscheint im Rückblick wie eine Vorbereitung auf «Macbeth».

Urkomisch und unheimlich zugleich, wie «Fargo» mit Marge und ihrem lahmen Ehemann Norm am Schluss, als alle tot sind, eine kleine Geschichte über das Lesen von Bildern erzählt. Norm zeichnet Tiermotive für Briefmarken. Sie feuert ihn unterstützend an, er sei doch besser als die Konkurrenz. Sie sind eine Art zivilisiertes Ehepaar Macbeth. Sie hat den Ehrgeiz und die Intelligenz, er die Depression. Am Ende liegen sie wieder im Ehebett, schauen fern wie immer, und man fragt sich, wie so ein Ehepaar je schwanger werden konnte (in einem Film, der sehr viel über Reproduktion spricht: in Tierfilmen im TV, mit dem ständigen Essen und offensiven Kauen auch in Nahaufnahme, mit dem Kochen von Eiern). Norm hat einen Wettbewerb gewonnen, aber nur für die 3-Cent-Briefmarke. Das Motiv: eine Stockente, a mallard.

Die 3-Cent-Briefmarke sei wichtig, sagt McDormands Polizistin, weil die müsse stets dazugeklebt werden, wenn das Porto erhöht werde. Das ist also der Mehrwert: was dazugeklebt werden muss. In einem Film, der die exzessive Gewalt allein mit Geld motiviert hat, bringen 3 Cent die Welt wieder ins Lot. Die Ente auf der Briefmarke ist natürlich die Polizistin selbst: Sie watschelt breitbeinig durch die Gegend, der provinzielle Akzent, mit dem die Leute fast deutsch «Jaaa, aha» sagen statt Yes oder Yeah, klingt verdächtig nach einem Quaken; und als sie kurz vor dem Ende den Schlächter mit einem Schuss ins Bein arretiert, watschelt sie auf einen zugefrorenen Teich (was in «Macbeth» der Nebel, ist in «Fargo» der Schnee: Unterschiede verschwimmen). Die Ente ist wie die 3-Cent-Marke die Kleinigkeit, die am Schluss dazukommt und den Eindruck erweckt, alles sei in Ordnung. Bei der Post, im Ehebett und in dieser Stadt. Dabei ist selbst­verständlich nichts in Ordnung, weder in dieser Ehe noch in der Kleinstadt Fargo.

An der Ortsgrenze erinnert eine grotesk grosse Statue an den Gründer. Es ist ein grimmiger Holzfäller mit einer Axt im Anschlag, der wiederholt ins Bild gerückt wird. «There is more to life than a little money, you know», sagt die Polizistin Marge im Auto zum verhafteten Mörder auf der Rückbank, der beharrlich schweigt. Sie fahren an der Statue vorbei mit dem Axtmann. Der Mörder (Peter Stormare) hatte seinen Komplizen (Steve Buscemi) ebenso mit der Axt getötet, um das Lösegeld nicht teilen zu müssen. Die Gründerstatue und der Mörder sind Zwillinge, sie schauen sich an. Sie wissen: Nein, es gibt nicht mehr in diesem Leben als ein bisschen mehr Geld. Und das bisschen mehr Geld ist zum Beispiel die 3-Cent-Marke, die Marge zeigt, die Ente in Uniform.

Was in «Fargo» noch böse Witze waren, erscheint in «Macbeth» in dunklerem Licht. Es sind die unheilvollen Verstrickungen von Gut und Böse, Gesetz und Kriminellem, Sicherheit und Schlachten. «Macbeth» dreht «Fargo» gleichsam die Farbe raus und zeigt ihn als das, was er immer auch war: ein Film noir. Fair is foul, and foul is fair: Es gibt keinen Moralpokal zu gewinnen bei Shakespeare. Wer das unbedingt möchte, muss den Text erst durch den Holzhäcksler lassen.

Zum Autor

Tobi Müller ist Kultur­journalist und Autor in Berlin. Er schreibt vor allem über Pop- und Theater­themen. Im September 2021 ist sein Buch «Play Pause Repeat. Was Pop und seine Geräte über uns erzählen» bei Hanser Berlin erschienen.

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