Vom Unwissen eines Polizisten, das ihn vor Strafe schützt
Neues zum Fall des Baukartell-Whistleblowers Adam Quadroni: Ein Polizist wird erstinstanzlich vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs und der Urkundenfälschung freigesprochen. Laut Gericht hat er nicht vorsätzlich gehandelt.
Von Anja Conzett, 18.12.2021
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Fast wäre der Prozess abgesagt worden. Einen Tag vor dem Termin überlegt sich das Regionalgericht Prättigau/Davos, ob es die seit August vorliegende Anklageschrift nicht zur Überarbeitung an den Staatsanwalt zurückweisen sollte. Kurz nach 16 Uhr am festgelegten Prozesstag dann die Mitteilung: Die Verhandlung findet statt.
Es ist der zweite Strafprozess in einer Reihe von Verfahren, die der ausserordentliche Staatsanwalt Urs Sutter gegen verschiedene Mitglieder von Bündner Behörden eröffnet hat. Und stets wird deren Umgang mit dem Baukartell-Whistleblower Adam Quadroni verhandelt.
Beim jüngsten Prozess geht es nicht um das Kartell selbst, sondern um einen von mehreren fragwürdigen Polizeieinsätzen gegen Quadroni.
Zu den «Baukartell»-Recherchen
Der Unterengadiner Bauunternehmer Adam Quadroni liefert 2012 der Wettbewerbskommission des Bundes Dokumente, die zur Aufdeckung der grössten Kartellabsprachen bei Vergaben der öffentlichen Hand führen. «Dies nachdem er drei Jahre zuvor bei den kantonalen Ämtern auf Desinteresse stiess». In den Jahren nach der Enthüllung des Baukartells wird Quadroni regelrecht schikaniert. Auch die Bündner Behörden leisten sich grobe Fehler. Unverhältnismässigkeiten, ungenügende Dokumentation, Amtspflichtverletzungen – das stellen zwei Untersuchungen der parlamentarischen Untersuchungskommission sowie zwei Administrativuntersuchungen fest. Das Verhalten mehrerer Behördenmitglieder ist nun Gegenstand von Strafverfahren. Besonders fragwürdig: der Umgang der Polizei mit dem Whistleblower. Die Geschehnisse im Nachgang eines Polizeieinsatzes gegen Adam Quadroni sind Gegenstand des aktuellen Prozesses.
Die im Gerichtssaal nicht anwesende Staatsanwaltschaft wirft dem angeklagten Polizisten vor, aktiv und bewusst Beweismittel aus einem Kriminalrapport ausgeklammert sowie entlastende Aussagen wahrheitswidrig festgehalten zu haben. Thema des Verfahrens sind Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung – und damit zweimal Vorsatzdelikte.
Die Staatsanwaltschaft schildert in ihrer Anklageschrift das Vorgefallene folgendermassen: Am 17. November 2017 betreten sieben Polizisten Adam Quadronis Grundstück; es geht um ein laufendes zivilrechtliches Verfahren zwischen den Eheleuten Quadroni – konkret um die Aushändigung von Gegenständen. Vor Ort sind vier Polizisten des Polizeipostens Scuol sowie drei Grenadiere der Sicherheitspolizei. Diese sind damit beauftragt, (den damals fälschlicherweise als gefährlich eingestuften) Quadroni während des gesamten Einsatzes zu überwachen. Im Nachgang zum Einsatz erstatten zwei der Postenpolizisten Anzeige gegen Quadroni: wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte.
Mit der Bearbeitung dieser Anzeige wird der später angeklagte Polizist beauftragt, der selbst nicht am Einsatz beteiligt war. Der Polizist befragt informell die drei Grenadiere und verfasst darüber eine interne Aktennotiz. Diese wird nur deshalb publik, weil sie im Zuge der Administrativuntersuchung versehentlich an den ausserordentlichen Staatsanwalt Andreas Brunner ausgehändigt wurde. Brunner reichte daraufhin die Anzeige ein, die zum Verfahren gegen den Polizisten führte.
In der Aktennotiz heisst es, die Grenadiere hätten ausgesagt, dass gegen sie keine Drohungen ausgesprochen worden seien. Und: «Weiter waren (die Grenadiere) einstimmig der Meinung, dass aus ihrer Sicht der Tatbestand Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte seitens Quadroni und dessen Schwester (…) nicht erfüllt wurde. Daher wird nach Rücksprache mit (dem Vorgesetzten) darauf verzichtet, die drei (Grenadiere) in das Verfahren miteinzubeziehen.»
Im offiziellen Kriminalrapport zuhanden der Staatsanwaltschaft heisst es dann wiederum: Die Grenadiere könnten gemäss eigenen mündlichen Angaben keine Aussage zu den fraglichen Tatbeständen machen, weshalb auf eine formelle Befragung verzichtet werde.
Nach seiner Auffassung würden sich die Darstellungen in der Aktennotiz und im Rapport nicht widersprechen, gab der angeklagte Polizist vor Gericht an. Er räumte ein, dass die Formulierung im Rapport «unglücklich» sei, dass es aber nicht seine Absicht gewesen wäre, jemandem zu schaden.
Die Verteidigerin des angeklagten Polizisten doppelt nach: Die Formulierung im Rapport sei unklar, aber ihr Mandant sei schliesslich Polizist und nicht Jurist und habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Auch stellt sie infrage, ob es sich bei einem Kriminalrapport um eine Urkunde handle. Weiter hält sie fest, dass die Staatsanwaltschaft dafür verantwortlich wäre, die Aussagen der Grenadiere einzuholen – nicht der Polizist, der den Kriminalrapport verfasste.
Der Anwalt von Adam Quadroni, der zusammen mit seiner Schwester als Privatkläger auftrat, hält dagegen, dass sich die Aussagen des Beschuldigten in Aktennotiz und Kriminalrapport offensichtlich diametral widersprächen, dass in der Praxis die Staatsanwälte teilweise rein auf Basis von Kriminalrapporten Zwangsmassnahmen anordnen würden – und er zitiert die Aussagen eines der drei Grenadiere.
Dieser hatte bei der Befragung durch Sonderstaatsanwalt Urs Sutter ausgesagt, man habe dem beschuldigten Polizisten einstimmig angegeben, nichts strafrechtlich Relevantes festgestellt zu haben. Und weiter: Wenn etwas nicht strafrechtlich relevant sei, sei das entlastend. Er selbst würde so etwas in den Rapport aufnehmen.
Das Dreiergremium am Regionalgericht Prättigau/Davos, bestehend aus der Gerichtspräsidentin und zwei Laienrichtern, stellt dem Beschuldigten rund ein halbes Dutzend Fragen – und spricht ihn am zweiten Prozesstag von beiden Vorwürfen frei.
In der mündlichen Urteilsbegründung heisst es allerdings, bei einem Kriminalrapport handle es sich tatsächlich um eine Urkunde – und der beschuldigte Polizist habe darin unwahre Tatsachen wiedergegeben. Weiter stellt das Gericht fest, das Rechtsverständnis des Polizisten werfe Fragen auf, kommt aber zum Schluss: Das Verfassen des unwahren Kriminalrapports sei nicht vorsätzlich geschehen.
Der Beschuldigte habe eine falsche Auffassung vom Tatbestand Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte – er habe das subjektive Empfinden der Anzeige erstattenden Polizisten höher gewertet als das, was objektiv passiert ist. Gemäss Gericht ein schwerwiegender Verständnisfehler. Aber da der Beschuldigte überzeugt gewesen sei, richtig zu handeln, könne man keinen Vorsatz aus seinem Verhalten ableiten. Auch beim Anklagepunkt des Amtsmissbrauchs geht das Gericht von einem fehlenden Vorsatz aus. Der Beschuldigte sei davon überzeugt gewesen, sein Amt korrekt auszuführen.
Der Beschuldigte ist übrigens noch immer Polizist, er wurde 2020, im Nachgang zu Staatsanwalt Andreas Brunners Enthüllungen in der Administrativuntersuchung, sogar in eine Kaderposition befördert.
Der Freigesprochene erhält 24’000 Franken Entschädigung für seine Anwaltskosten.
Privatkläger Adam Quadroni dagegen wurde vom Regionalgericht die unentgeltliche Rechtspflege bereits vor dem Prozess entzogen. Dagegen ist eine Beschwerde beim Kantonsgericht hängig. Wird der Beschwerde stattgegeben, erhält er im Maximum 15’000 Franken Entschädigung für seine Anwaltskosten.