Flug vs. Zug
Fliegen geht schneller – Bahnfahren ist ökologischer. Und was ist günstiger? Eine Datenanalyse via 13 europäische Städte.
Von Philipp Albrecht, 29.11.2021
Journalismus, der Ihnen hilft, Entscheidungen zu treffen. Und der das Gemeinsame stärkt: die Freiheit, den Rechtsstaat, die Demokratie. Lernen Sie uns jetzt 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich kennen:
Die EU will die Bahn zum bevorzugten Verkehrsmittel auf dem Kontinent machen. Ein enormes Unterfangen: Europas Schienennetz ist heute ein einziger Flickenteppich. Warum das so ist – und was die Politik dagegen tun will – hat die Republik letzte Woche in einer Recherche aufgezeigt.
In diesem Datenbriefing vertiefen wir das Thema. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Preis – denn dieser trägt massgeblich dazu bei, welches Transportmittel man wählt. Was ist günstiger: Fliegen oder Zugfahren? Wir zeigen zum Ende dieses Briefings die Zahlen für 13 Destinationen.
Doch bevor wir dazu kommen: zunächst der systematische Vergleich für die zwei anderen relevanten Grössen – die Reisedauer und die Klimabilanz.
1. Reisedauer
Da spielt der grosse Vorteil des Fliegens: Sämtliche Destinationen, für die wir die Reisedauer ab Zürich zusammengetragen haben, sind auf dem Luftweg schneller erreichbar als auf der Schiene. Und dies, obwohl die Wartezeiten am Flughafen bereits miteinberechnet sind (nicht dazugezählt wurde die zusätzliche Reisezeit zwischen Flughafen und Stadtzentrum, da diese je nach Stadt sehr unterschiedlich sein kann).
Nach London dauert die Zugfahrt zum Beispiel gut 9 Stunden. Per Flugzeug ist man dagegen schon in 3 Stunden und 9 Minuten am Ziel, ist also in fast einem Drittel der Zeit am Ziel.
Das lässt sich aus der folgenden Grafik ablesen. Sie zeigt die 13 untersuchten Städte gemäss ihrer Distanz zu Zürich: Zuoberst das 964 Kilometer entfernte Kopenhagen, zuunterst das 362 Kilometer entfernte Venedig.
Zwei Punkte liegen auf der Grafik sehr nahe beieinander: die Flug- und die Zugreise von Zürich nach Paris. Dank einer Kooperation zwischen den SBB und der französischen SNCF ist diese Verbindung seit einigen Jahren im TGV in 4 Stunden möglich – vor 2007 dauerte die Fahrt noch 6 Stunden.
Trotzdem nehmen viele Menschen für diese Strecke den Flieger – vor zwei Jahren lag Paris auf Platz 8 der beliebtesten Destinationen ab Zürich. Das liegt unter anderem daran, dass Airlines kurze Europaverbindungen auch als Zubringer für die Hubs benutzen, von wo aus Fernziele bedient werden.
Von den 13 ausgewählten Destinationen sind 5 auch im Nachtzug erreichbar: Hamburg, Berlin, Wien, Prag und Budapest. Diese Züge fahren langsamer. Nach Berlin zum Beispiel dauert die Reise mehr als 3 Stunden länger als tagsüber. Dafür trumpft der Nachtzug mit einem anderen Vorteil gegenüber Flugzeug und Tagesverbindung auf: Man spart sich eine Nacht im Hotel.
Der grösste Vorteil der Bahn ist aber die Klimabilanz.
2. CO2-Ausstoss
Hier ist das Flugzeug chancenlos. Der Energieverbrauch, der nötig ist, um Maschine, Passagiere und Gepäck in die Luft zu heben, ist riesig. Weil das Flugzeug beim Start besonders viel Treibstoff benötigt, fällt der CO2-Ausstoss auf Kurzstrecken stärker ins Gewicht als bei Mittel- und Langstrecken.
Anders als bei der Reisedauer – sie steigt bei Zugfahrten im Gleichschritt mit der zurückgelegten Distanz – spielt die Distanz bei der Klimabilanz deshalb eine untergeordnete Rolle. Egal ob die Reise nach Brüssel oder nach Budapest geht: Flüge verursachen deutlich mehr Emissionen als Zugfahrten.
Warum aber gibt es unter den Zugstrecken so grosse Unterschiede? Eine Zugfahrt nach Berlin etwa verursacht rund fünfmal so viele CO2-Emissionen als eine Zugfahrt nach Paris, obschon die Strecke in die deutsche Hauptstadt nur knapp eineinhalb Mal so lang ist.
Grund dafür ist der Strommix der jeweiligen Länder. Die Deutsche Bahn zum Beispiel hat einen Anteil fossiler Energien von aktuell 39 Prozent in ihrem Bahnstrommix, während die französische Bahn ihre Züge mit CO2-armem Strom aus Atom- und Wasserkraftwerken betreibt.
Sauberes Frankreich, schmutziges Deutschland? Hoffentlich nicht mehr lange: Deutschland baut seinen Ökostromanteil schrittweise aus: 2014 lag er bei der Deutschen Bahn noch bei 42 Prozent, inzwischen hat er schon 61 Prozent erreicht. Bis im Jahr 2038 – so der Plan – wird der gesamte Bahnstrom in Deutschland grün sein.
Die Bahn ist also sauberer, aber langsamer als das Flugzeug. Eine neue Erkenntnis ist das nicht. Neu ist aber die Preisentwicklung.
3. Reisekosten
In den letzten zwei Jahrzehnten sind Flüge immer günstiger geworden. Das hat dazu geführt, dass mehrere europäische Bahnbetreiber grenzüberschreitende Strecken eingestellt haben. Vor allem die kostenintensiven Nachtzuglinien konnten preislich nicht mehr mithalten.
Doch das ändert sich gerade wieder: Der Nachtzug erlebt ein Revival und die Preise nähern sich an. Nur 3 der 13 Städte in unserer Auswertung sind per Flugzeug aktuell günstiger zu erreichen: Paris, Rom und London.
Für die restlichen 10 Destinationen ist der Zug günstiger. Eine Bahnfahrt von Zürich nach Wien kostet zum Beispiel 104 Franken. Dagegen ist der Flug in die österreichische Hauptstadt mit 208 Franken exakt doppelt so teuer.
Ausgewertet wurde jeweils eine einfache Reise einer erwachsenen Person von Bahnhof zu Bahnhof respektive von Flughafen zu Flughafen am 26. November 2021. Fahrpläne und Preise wurden am 11. November 2021 abgefragt.
Bei Zugreisen wurde die Strecke mit den wenigsten Umsteigebahnhöfen gewählt; es sei denn, der Zeitgewinn mit einmal mehr Umsteigen beträgt mehr als eine halbe Stunde. Sämtliche Flüge sind Direktverbindungen. Die Flugzeiten sind inklusive durchschnittlicher Wartezeiten an den Flughäfen. Die Preise stammen von thetrainline.com, ch.omio.com und sbb.ch (inklusive Spartarifen) und wurden teilweise von Euro in Franken umgerechnet.
Natürlich ist das eine Momentaufnahme. Die Preise wurden für Ende November ermittelt; schon in einem Monat können sie anders aussehen.
Doch der generelle Trend ist unverkennbar: Die Bahn wird gegenüber dem Flugzeug kompetitiver. Das hat verschiedene Ursachen. So wurde etwa der Takt einiger Zugverbindungen wegen zunehmender Nachfrage in den letzten Jahren erhöht. Das machte Kostensenkungen möglich. Darüber hinaus haben die Bahnbetreiber auf gewissen grenzüberschreitenden Linien flexiblere Preise eingeführt – ganz nach Vorbild des Flugverkehrs. Spartickets und Frühbucherrabatt hatten vor zehn Jahren in der Bahnwelt noch Seltenheitswert, inzwischen gibts auch Zugfahrten zum Schnäppchenpreis.
Eine Rolle spielt auch, welche Airlines die Flughäfen bedienen. Wer etwa ab Zürich nonstop nach Rom, Berlin oder Budapest fliegen will, kommt oft nicht an der Lufthansa-Tochter Swiss vorbei: Es ist die einzige Fluggesellschaft, die diese Strecken anbietet. Fehlender Wettbewerb macht Tickets teurer.
Vieles deutet darauf hin, dass Bahntickets in den kommenden Jahren noch günstiger werden, während der Preis von Flügen in die andere Richtung geht.
Ein Indiz dafür sind die Klimaziele, die sich die europäischen Staaten gesetzt haben. Um sie zu erreichen, müssen in erster Linie fossile durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Im Bereich der Mobilität könnte die sogenannte Kostenwahrheit helfen: Wer das Klima nachweislich schädigt, muss dafür bezahlen. Mehrere Länder haben deshalb eine CO2-Abgabe auf Flugtickets eingeführt, darunter die Nachbarländer der Schweiz. Im Rahmen des CO2-Gesetzes hätte auch hier eine solche Abgabe eingeführt werden sollen, doch das Gesetz wurde im Juni 2021 an der Urne knapp verworfen.
Die Kostenwahrheit hat sich noch längst nicht überall durchgesetzt. So erheben etwa Deutschland, Österreich oder Spanien bei grenzüberschreitenden Reisen immer noch eine Mehrwertsteuer auf Bahntickets, nicht aber auf Flugtickets. Fällt diese Ungleichbehandlung weg, so gewinnen Bahnfahrten im Vergleich zu Flügen an Attraktivität.
Zusammen mit der italienischen Denkfabrik OBCT hat Greenpeace im Oktober in einer Studie festgestellt, dass 29 Prozent der meistgenutzten europäischen Flugstrecken mit dem Zug in weniger als 6 Stunden zurückgelegt werden können. Würden diese Verbindungen künftig nur noch per Zug zurückgelegt, könnten pro Jahr 23 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, was dem jährlichen Ausstoss eines Landes wie Kroatien entspricht.
Greenpeace fordert darum ein Verbot von Kurzstreckenflügen auf Verbindungen, die mit dem Zug in unter 6 Stunden zurückgelegt werden können. In Deutschland hatte die damalige Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock schon im Mai eine ähnliche Forderung gestellt. Politische Gegner warnten damals vor einem Klimaschutz, der auf Kosten der Reiseplanung einkommensschwacher Familien gehe.
Vielleicht gelingt der Umstieg auf die Bahn aber auch gänzlich ohne Verbote. Denn mit der Abschaffung der Kerosinsteuerbefreiung für die Luftbranche plant die EU gerade einen grossen Schritt in Richtung Kostenwahrheit. Diese ist überfällig, stammt das Abkommen zur Steuerbefreiung für Flugbenzin doch aus einer ganz anderen Zeit: dem Zweiten Weltkrieg.
Gleich lange Spiesse für den Luft- und Bahnverkehr: Das wäre zwingend nötig, um die Klimawende in der europaweiten Mobilität zu schaffen.
Sie brauchen Lesestoff für die Festtage? Oder ein Geschenk für Ihre Liebsten? «Auf lange Sicht» gibt es jetzt auch als Buch. In 26 ausgewählten Beiträgen geht es um den Klimawandel, das Frauenstimmrecht oder die Frage, wie man wo in der Schweiz sagt: Chrischtbaum, Wiehnachtsboum oder ganz einfach nur Tanne.