Wie klimafreundlich sind Klimafonds?
«Paris-kompatibel» und mit «netto null» Treibhausgasausstoss investieren: Das versprechen manche Anlageprodukte. Zu Recht? Serie über klimafreundliches Investieren, Teil 3.
Von Simon Schmid, 22.11.2021
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Klimafreundliche und klimaschädliche Firmen auseinanderzuhalten, ist eine Wissenschaft für sich. Das haben Teil 1 und Teil 2 dieser Serie gezeigt.
Noch komplizierter wird es, wenn man nicht nur einzelne Unternehmen, sondern Fonds einstufen will – also Anlageprodukte, über die man indirekt in eine ganze Reihe von Firmen investiert. Welche Kriterien gibt es dafür – und wie erkennt man, ob ein Fonds wirklich klimafreundlich ist?
Eine neue Studie, die an der Hochschule Luzern erschienen ist, hat sich die Vielfalt an Anlageprodukten näher angeschaut. Sie wartet mit einigen interessanten Erkenntnissen rund um klimafreundliche Investments auf.
Wo Klima draufsteht, ist meistens auch Klima drin
Die gute Nachricht vorweg: Anlagefonds, die explizit eine Klimastrategie verfolgen – oft sind sie an Kennwörtern wie low carbon, Paris aligned, climate aware oder net zero erkennbar –, schneiden bei gängigen Klimametriken typischerweise besser ab als Fonds, die keine Klimastrategie verfolgen.
Das ergibt eine Auswertung von mehr als 9000 Fonds, die das Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) an der Hochschule Luzern durchgeführt hat. Fonds mit Klimastrategie investieren erstens weniger Geld in Firmen, die sehr CO2-intensiv wirtschaften. Und sie sind zweitens auch besser mit den Pariser Klimazielen im Einklang als Fonds ohne Klimastrategie.
Ich will es genauer wissen: Was ist ein Anlagefonds?
Einen Anlagefonds kann man sich als grossen Topf vorstellen. In diesen zahlen viele Leute Geld ein. Das eingezahlte Geld wird dann am Finanzmarkt investiert, also beispielsweise in Aktien, Obligationen oder Immobilien. Die Rendite aus diesen Investments kommt den Leuten gemäss ihrem Anteil am Fonds zugute.
Fonds sind ein praktisches Mittel, um zu diversifizieren. Statt etwa 1000 Franken in Aktien einer einzelnen Firma wie Nestlé zu stecken, investiert eine Anlegerin über einen Fonds indirekt 1000 Franken in Aktien von Dutzenden von Firmen.
Damit reduziert sich das Anlagerisiko, und es fallen beim Kauf der Wertpapiere weniger Transaktionskosten an. Allerdings verlangt das Finanzinstitut, das den Fonds herausgibt, von den Anlegern eine jährliche Managementgebühr.
Die Kohlenstoffintensität haben wir in dieser Serie bereits kennengelernt. Diese Metrik gibt an, für welchen Treibhausgasausstoss eine Firma verantwortlich ist – ausgedrückt in Tonnen CO2 pro Million Dollar Umsatz.
Man kann diese Metrik auch für einen Fonds berechnen. Dazu bildet man den Durchschnitt der Kohlenstoffintensität aller Firmen, in die der Fonds investiert. Die Firmen sind dabei anhand des Anteils gewichtet, den sie am Gesamtinvestment ausmachen. Investiert ein Fonds beispielsweise drei Viertel des Geldes in die Firma A (mit einer Kohlenstoffintensität von 120) und ein Viertel des Geldes in die Firma B (mit einer Kohlenstoffintensität von 110), so liegt die gewichtete durchschnittliche Kohlenstoffintensität des ganzen Anlagefonds bei 117,5 Tonnen CO2 pro Million Dollar Umsatz.
Die Studie der Hochschule Luzern hat ermittelt: Fonds, die als «nachhaltig» deklariert sind, sind im Durchschnitt 30 Prozent weniger kohlenstoffintensiv als die restlichen, «konventionellen» Anlagefonds. Und Fonds, die explizit eine Klimastrategie verfolgen – also zum Beispiel eine Dekarbonisierung der Wirtschaft anstreben oder klimabedingte finanzielle Risiken für die Anleger minimieren wollen –, sind sogar rund 55 Prozent weniger kohlenstoffintensiv.
Wer Anteile an einem nachhaltigen oder klimafreundlichen Fonds erwirbt, investiert also tendenziell in Firmen, die wenig Treibhausgas emittieren.
«Meistens» heisst nicht «immer»
Allerdings können die Unterschiede zwischen den Fonds beträchtlich sein.
So wies der Raiffeisen Futura Swiss Stock – ein Fonds mit «strengen ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien», der in Schweizer Firmen investiert – zum Stichdatum 30. Juni eine Kohlenstoffintensität von 193 Tonnen CO2 pro Million Dollar Umsatz auf. Er ist damit fast gleich kohlenstoffintensiv wie die grosse Masse der konventionellen Fonds.
Der GAM Swiss Sustainable Companies – er investiert in Schweizer Firmen mit «umfassend nachhaltiger Unternehmensgestaltung» und hat damit eine sehr ähnliche Ausrichtung wie der Fonds von Raiffeisen – weist dagegen eine Kohlenstoffintensität von nur 27 Tonnen CO2 pro Million Dollar Umsatz auf. Das ist rund siebenmal weniger als bei Raiffeisen.
Das Label «nachhaltig» oder «klimafreundlich» allein ist also noch keine Garantie dafür, dass ein Fonds tatsächlich wenig kohlenstoffintensiv ist.
Allerdings ist bei der Interpretation dieser Statistik eine gewisse Vorsicht angebracht. Denn jede Klimametrik hat ihre eigenen Tücken. So auch die Kohlenstoffintensität, wenn man sie auf der Ebene von Fonds berechnet.
Beim angesprochenen Raiffeisen-Fonds zeigt sich zum Beispiel, dass diese Metrik stark durch eine einzige Firma verzerrt wird: Holcim. Das ist die Zementproduzentin mit der mit Abstand schlechtesten CO2-Bilanz unter allen Schweizer Firmen. Zwar investiert der Raiffeisen-Fonds nur etwas mehr als 3 Prozent seines Vermögens in Aktien von Holcim. Doch diese Position steuert über 90 Prozent zu den gesamten Treibhausgasemissionen bei.
Würde Raiffeisen die Holcim-Aktien abstossen, so sänke die Kohlenstoffintensität der verbliebenen 54 Aktien im Futura-Swiss-Stock-Fonds also auf einen Schlag massiv. Und genau das ist in der Zwischenzeit auch passiert, wie die Bank auf Nachfrage bestätigt: Nach einer Anpassung des Klimaratings wurde Holcim kürzlich aus dem Fonds entfernt.
Das Beispiel macht deutlich, dass man sich als Anlegerin nicht zu stark auf eine einzelne Metrik verlassen sollte. Und es illustriert auch, wie schwierig es ist, sich im Dschungel der (nachhaltigen) Fonds überhaupt zurechtzufinden.
Wer sich informieren will, scheitert vielfach
Bezüglich Klima ist in der Finanzwelt praktisch nichts standardisiert. Wer das Factsheet eines beliebigen Anlagefonds studiert, der in der Schweiz angeboten wird, findet darauf praktisch keine klimarelevanten Statistiken.
Selbst bei Fonds, die von den Herausgebern als «nachhaltig» deklariert werden, sind die Angaben oft rudimentär. Nachhaltigkeitsprospekte, wie sie etwa Swisscanto publiziert – in denen immerhin die Kohlenstoffintensität aufgeführt ist, allerdings nur für die Scopes 1 und 2 –, sind die Ausnahme.
Der Bundesrat hat letzte Woche einen Bericht über die Klimaverträglichkeit der Schweizer Finanzmittelflüsse publiziert. Zeitgleich hat er eine Empfehlung ausgesprochen: Finanzmarktakteure sollten «mit Hilfe von vergleichbaren und aussagekräftigen Klimaverträglichkeits-Indikatoren Transparenz bei allen Finanzprodukten und Kundenportfolios schaffen».
Mehr Klimatransparenz bei Anlageprodukten tut tatsächlich not. Denn ob wirklich Klima drin ist, wo Klima draufsteht, ist für Aussenstehende schwer zu erkennen. Und nicht nur dies: Für Privatanleger ist es oft unmöglich, in Erfahrung zu bringen, was überhaupt in einem Fonds drinsteckt. In den Verkaufsprospekten werden nämlich typischerweise nur die zehn grössten Positionen deklariert, die ein Fonds aufgebaut hat – nicht aber der Rest.
Umso mehr wird klimafreundliches Anlegen zu einer Vertrauensfrage. Man muss schlicht darauf hoffen, dass ein Fondsanbieter wirklich in Firmen investiert, die einen positiven Klimabeitrag leisten – und dass er mit einem Label wie climate aware nicht einfach Greenwashing betreibt.
Immerhin: Die meisten nachhaltigen oder explizit klimafreundlichen Fonds, die auf dem Markt sind, schneiden klimatechnisch relativ gut ab. Das unterstreicht eine weitere Metrik, die in der Luzerner Studie berechnet wird.
Nachhaltige Fonds sind öfter auf Paris-Kurs
Diese Metrik funktioniert ähnlich wie das Erwärmungspotenzial, das in Teil 2 vorgestellt wurde. Denn sie ist in die Zukunft gerichtet und beschreibt, zu welchem Zeitpunkt eine Firma voraussichtlich das Kohlenstoffbudget aufgebraucht haben wird, das ihr in einem 2-Grad-Erwärmungsszenario zusteht.
Die «2-Grad-Überschreitung» kann verschiedene Werte annehmen:
Budget eingehalten: Eine Firma stösst bis ins Jahr 2050 voraussichtlich weniger Treibhausgase aus, als im Kohlenstoffbudget vorgesehen ist.
Vor 2050 aufgebraucht: Eine Firma überschreitet ihr individuelles Kohlenstoffbudget bereits zwischen 2022 und 2050 – oder sie hat bereits jetzt mehr Treibhausgase ausgestossen, als ihr gemäss dem vor zwei Jahren berechneten Budget zustand.
Ähnlich wie für eine Firma lässt sich die «2-Grad-Überschreitung» auch für ganze Fonds berechnen. Die folgende Grafik zeigt, was dabei herauskommt.
Ich will es genauer wissen: Wie funktioniert die 2-Grad-Überschreitung?
Die 2-Grad-Überschreitung stützt sich auf die Klimaszenarien der Internationalen Energieagentur aus dem Jahr 2019. Darin wird modelliert, wie viel Treibhausgas weltweit noch ausgestossen werden kann, bevor die Temperatur einen gewissen Schwellenwert übersteigt: 1,8 Grad mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent.
Die Ratingagentur ISS ESG hat dieses Kohlenstoffbudget auf verschiedene Wirtschaftssektoren und Subsektoren verteilt. Als Zwischenergebnis kommt dabei heraus, dass zum Beispiel der Transportsektor noch x Tonnen CO2 ausstossen darf, wenn das Temperaturziel nicht überschritten werden soll (wie hoch die Zahl x für die verschiedenen Sektoren ist, macht ISS nicht publik).
Als Nächstes wird geschaut, welchen Anteil an den Emissionen eine bestimmte Firma in ihrem Sektor zu verantworten hat. Dabei kommen je nach Sektor (etwa fossile Rohstoffe oder IT) unterschiedliche Ansätze zum Zug: Teils hängen die Anteile der Unternehmen stärker von den direkten (Scope 1), teils stärker von den indirekten (Scope 2 und Scope 3) Emissionen ab. So wird jedem Unternehmen ein individuelles Kohlenstoffbudget von y Tonnen CO2 zugewiesen.
In einem letzten Schritt wird die Zahl z abgeschätzt: Wie viel Treibhausgas wird das betreffende Unternehmen in Zukunft tatsächlich ausstossen beziehungsweise zu verantworten haben? Aus dem Vergleich von y und z lässt sich ableiten, wann das Kohlenstoffbudget aufgebraucht ist. Hat eine Firma etwa ein Budget von 10 Millionen Tonnen CO2 und beträgt der prognostizierte jährliche Ausstoss 1 Million Tonnen CO2, so wird das Budget wohl in 10 Jahren überschritten – also 2029, gerechnet ab 2019.
Die Aggregierung auf der Ebene von ganzen Anlagefonds erfolgt analog. Man zählt das Kohlenstoffbudget aller Firmen zusammen, die in einem Fonds vorkommen (gewichtet nach den Anteilen der Firmen im Fonds), und vergleicht dieses Budget dann mit den prognostizierten Emissionen dieser Firmen (ebenfalls gewichtet). Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist das Kohlenstoffbudget aufgebraucht: Diese Jahreszahl bildet schliesslich die Metrik der «2-Grad-Überschreitung».
Aus der Grafik lässt sich ablesen: Von den konventionellen Fonds, die in der Schweiz zum Verkauf zugelassen sind, halten nur 33 Prozent das ihnen zugewiesene Kohlenstoffbudget ein. Bei den nachhaltigen Fonds ohne explizite Klimastrategie steigt dieser Anteil auf 47 Prozent, und bei den Fonds mit expliziter Klimastrategie beträgt er sogar 63 Prozent. Oft – aber nicht immer – können diese Fonds damit als Paris-kompatibel angesehen werden.
Die Auswertung zur 2-Grad-Überschreitung kommt also zum selben Ergebnis wie jene zur Kohlenstoffintensität: Anlagefonds, die als nachhaltig oder klimafreundlich beworben werden, schneiden in der Regel besser ab als das Gros der restlichen Fonds, die kein solches Versprechen abgeben. Auch die erwähnten Fonds von GAM und Raiffeisen halten das 2-Grad-Budget übrigens ein – Letzterer übrigens auch dann, als er noch in die Zementfirma Holcim investierte.
Das bedeutet nicht, dass diese Fonds per Definition über alle Zweifel erhaben wären. Wie die Studienautoren festhalten, sollten Klimametriken stets mit Bedacht interpretiert werden: Datenpunkte wie das Jahr, in dem eine Firma das Budget fürs 2-Grad-Ziel überschreitet, seien «hochgradig modelliert» und damit von verschiedenen Annahmen abhängig. Dazu gehört beispielsweise, wie viel Treibhausgas man einem bestimmten Wirtschaftssektor (wie etwa der Zementherstellung) bis 2050 zugesteht und als wie glaubwürdig man das Versprechen eines Unternehmens einstuft, seine Emissionen zu reduzieren.
Diskutabel ist zudem eine Grundsatzfrage: Was bewirkt man eigentlich, wenn man Aktien einer (gemäss Metriken) klimafreundlichen IT-Firma kauft, statt in eine (gemäss Metriken) schädliche Zementherstellerin zu investieren?
Die Antwort darauf sparen wir uns für einen späteren Teil dieser Serie auf.
Zum Schluss stattdessen noch eine weitere Grafik aus der Studie, die vor allem kostenbewusste Anlegerinnen (also im Grunde alle Anlegerinnen) freuen wird: Unter den Fonds mit expliziter Klimastrategie schneiden die passiv verwalteten Fonds besser ab als die aktiv verwalteten Fonds.
Das gilt sowohl hinsichtlich der Kohlenstoffintensität als auch hinsichtlich der 2-Grad-Überschreitung, wie die folgende Aufteilung deutlich macht.
Was ein passiver Fonds ist und was hinter diesem Ergebnis steckt, darauf gehen wir im nächsten Teil der Serie über klimafreundliche Investments ein.
Sie stammen aus der «IFZ Sustainable Investments Studie 2021» der Hochschule Luzern. Darin wurden insgesamt 9249 Publikumsfonds untersucht, die in der Schweiz zugelassen sind. 1289 davon wurden als «nachhaltige Anlagefonds» identifiziert, 200 davon haben gemäss den Autoren eine explizite Klimastrategie.
Um diese Fonds zu bewerten, hat die Studie auf verschiedene Datenanbieter zurückgegriffen. Die zwei Metriken, die in diesem Beitrag gezeigt werden (Kohlenstoffintensität und 2-Grad-Überschreitung), stammen von ISS, einer Aktionärsberatungsfirma im Mehrheitsbesitz der Deutschen-Börse-Gruppe.