Was «Gegendarstellung» bedeutet und wie die Republik damit umgeht
Wer sich in Medien falsch dargestellt sieht, kann eine Gegendarstellung verlangen. Wie läuft so was ab? Wann kommen Gerichte ins Spiel? Und wie interpretieren Sie als Leserin, Leser eine Gegendarstellung richtig?
Von Dennis Bühler, 22.10.2021
Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:
Manche Geschichten in der Republik lösen nach der Veröffentlichung aufwendige medienethische oder juristische Prozesse aus. Vor allem, wenn Protagonisten ihre Rechte verletzt sehen oder sich falsch dargestellt fühlen. Oder wenn Journalistinnen der Republik angegriffen oder in ihren Rechten verletzt werden. Nicht immer trifft das dann auch wirklich zu. Manchmal aber schon.
Kritisierten Personen, Firmen und Organisationen stehen grundsätzlich vier Wege offen, um im schlechteren Fall gegen unliebsame Presse und im besseren Fall gegen tatsächliche journalistische Fehlleistungen vorzugehen:
Um Korrektur bitten: Tatsächliche Fehler werden transparent korrigiert, falsche Fakten berichtigt. So handhabt das die Redaktion der Republik.
Gegendarstellung fordern: Darum geht es in diesem Beitrag. Wie funktioniert dieses rechtliche Instrument überhaupt – und wozu dient es?
An den Presserat gelangen: Das Gremium prüft auf Beschwerden hin, ob Beiträge gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen – und spricht allenfalls eine Rüge aus.
Klage einreichen: Wer sich durch eine medial verbreitete Information in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sieht, kann zivilrechtlich gegen den Absender vorgehen und auf eine Genugtuungszahlung hoffen.
In diesem Beitrag erklären wir das Instrument der Gegendarstellung: Wie geht die Republik damit um, wenn sich Betroffene mit einer Gegendarstellung zur Wehr setzen wollen? Wie oft kommt das eigentlich vor?
Wann endet so was vor Gericht?
Und was bedeuten Gegendarstellungen für Sie als Leserin, Leser?
Korrektur oder Gegendarstellung
Fünfmal hat die Republik in den gut dreieinhalb Jahren seit ihrem Start als Publikation Gegendarstellungen zu veröffentlichten Beiträgen publiziert:
einmal ging es um die ETH,
einmal um die NZZ und ihren Chefredaktor Eric Gujer,
und einmal um das Universitätsspital Zürich – wobei nicht die Leitung des Spitals gegen die Republik vorging, sondern der Verlag Tamedia.
Selbstverständlich tun wir alles Mögliche, um sicherzustellen, dass wir keine Unwahrheiten veröffentlichen. Jede Autorin ist angehalten, sorgfältig, nach bestem Wissen und Gewissen und ergebnisoffen zu recherchieren. Vertrauen allein genügt aber nicht. Deshalb hat die Republik auch einen Faktencheck.
Wenn wir dennoch auf Unstimmigkeiten in unseren Beiträgen hingewiesen werden, etwa über einen Kommentar im Dialog, korrigieren wir tatsächliche Fehler und machen die Korrektur am Schluss des Beitrags transparent. Gröbere Irrtümer berichtigen wir so, dass Sie das auch mitbekommen würden.
Was aber, wenn wir den vermeintlichen Fehler auch nach einer nochmaligen Überprüfung der Fakten nicht erkennen können?
Wenn die Redaktion an ihrer Aussage festhält?
Von Tatsachen, Behauptungen und Meinungen
Manchmal erreicht uns in diesen Fällen mittels eines eingeschriebenen Briefes die Aufforderung, eine Gegendarstellung zu publizieren.
Verlangen darf das jede natürliche oder juristische Person, deren berufliches oder soziales Ansehen durch eine maximal drei Monate zurückliegende mediale Tatsachenbehauptung geschädigt worden sein soll.
«Tatsachenbehauptung»: Dieses Wort ist entscheidend. Laut Zivilgesetzbuch dürfen sich Gegendarstellungen nur auf reine Tatsachenbehauptungen beziehen – also auf Äusserungen, die einem Beweis zugänglich und objektiv feststellbar sind. Hingegen sind Meinungen, Vermutungen, Schlussfolgerungen und übrige Werturteile nicht «gegendarstellungsfähig».
Darüber, was nun eine Tatsachenbehauptung ist oder aber eine Meinungsäusserung, gibt es jedoch oftmals keinen Konsens.
Hat die Angelegenheit untergeordnete Bedeutung, weil sie bloss ein Detail unserer Recherche betrifft, nichts, was die Aussage der Recherche verändert, entsprechen wir der Bitte um Gegendarstellung und veröffentlichen sie.
So etwa, als Tamedia-Verleger Pietro Supino seine Rechtsabteilung zweimal gegen die Republik in Stellung brachte, nachdem wir in einem Artikel über die Zusammenlegung der beiden Tageszeitungen «Bund» und «Berner Zeitung» sowie in der Rubrik «Briefing aus Bern» geschrieben hatten, er habe sich im medienpolitischen Prozess anders verhalten, als es seine Rolle als Verlegerpräsident verlangt hätte.
Wenn wir die Gegendarstellung aber für offensichtlich unrichtig oder rechtsmissbräuchlich halten, lehnen wir das Begehren ab.
Aus einem einfachen Grund: Journalismus ist nicht PR.
Das Prozedere vor Gericht
Nicht immer können wir unsere Rechtsauffassung bis zum Ende durchhalten. Manchmal entscheiden Gerichte gegen uns, manchmal wird der Einsatz von Ressourcen schlicht unverhältnismässig gross.
Als rechtsmissbräuchlich taxierten wir zum Beispiel das Vorgehen der ETH, die uns nach einer Serie über Vorgänge an der renommierten Hochschule im Frühjahr 2019 gleich mit mehreren Dutzend Gegendarstellungen eindeckte – nachdem die ETH während der Recherche alle unsere Fragen unbeantwortet gelassen hatte. Wir weigerten uns, die Gegendarstellungen zu publizieren.
Die ETH klagte und gewann in erster Instanz in mehreren strittigen Punkten. Wir zogen das Urteil nicht weiter. Aus zwei Gründen: Erstens ist der Rechtsweg mit hohen Kosten verbunden, die uns als Redaktion viel stärker belastet hätten als die potente (und durch die Öffentlichkeit finanzierte) Hochschule; zweitens hätte der Weiterzug keine aufschiebende Wirkung gehabt – eine vom Gericht angeordnete Gegendarstellung muss so oder so unverzüglich publiziert werden. Längst ist das Urteil rechtskräftig. (Selbstverständlich hält es uns nicht davon ab, weiterhin kritisch über die ETH zu berichten.)
Matthias Schwaibold, ein bekannter Medienanwalt, der nie für die Republik tätig ist oder war, analysierte später unter dem Titel «Eine ‹republikfeindliche› Gegendarstellungslawine»: «Die Gegendarstellung ist nicht dazu da, in umfassender Weise an Stelle möglicher Antworten auf rechtzeitig gestellte Fragen die Inhalte eines Artikels zu bestreiten.»
Tamedia vs. Republik
Um die Grenzen zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil drehen sich auch die beiden jüngsten gerichtlichen Auseinandersetzungen.
Sie entzündeten sich aufgrund unserer Serie um den «Fall Maisano» und die Turbulenzen in der Herzmedizin am Universitätsspital Zürich zwischen Tamedia und der Republik.
Im ersten Fall entschied das Zürcher Handelsgericht zu unseren Gunsten: Es urteilte, dass es sich bei Aussagen des ehemaligen Kardiologie-Chefs Thomas Lüscher, der im Interview mit der Republik die Tamedia-Berichterstattung scharf kritisiert hatte, um Werturteile und nicht um Tatsachenbehauptungen handle, weshalb keine Gegendarstellung möglich sei. Tamedia hat das Urteil vom 4. Juni 2021 nicht akzeptiert; die Beschwerde ist derzeit am Bundesgericht hängig.
In der zweiten Angelegenheit erhielt Tamedia recht. Die Republik hatte im Zusammenhang mit der Medienberichterstattung im «Fall Maisano» geschrieben: «Zudem zitiert die Redaktion von ‹Tages-Anzeiger› und ‹SonntagsZeitung› selektiv nur Belastendes aus dem Untersuchungsbericht der Kanzlei Walder Wyss […].»
Wir hatten dieses Begehren um Gegendarstellung abgelehnt, weil wir uns nach Rücksprache mit unseren Anwälten auf den Standpunkt gestellt hatten, bei dieser Aussage handle es sich um ein sogenannt «gemischtes Werturteil», bei dem die Wertung gegenüber der objektiv nachprüfbaren Tatsachenbehauptung überwiegt – womit auch sie nicht gegendarstellungsfähig gewesen wäre.
Das Zürcher Handelsgericht sah es anders. Und rief wieder in Erinnerung, welche Bedeutung im Journalismus selbst ein einzelnes Wort haben kann. Hätten wir das Wörtchen «nur» weggelassen – Tamedia wäre vor Gericht ziemlich sicher abgeblitzt.
Wie schon im «Fall ETH» verzichteten wir auf einen Weiterzug an die nächste Instanz und publizierten die Gegendarstellung am Ende des Beitrags.
Wie sind Gegendarstellungen zu lesen?
Das ist etwas komplizierter, als es auf den ersten Blick vielleicht scheint.
Auch wenn ein Gericht eine Gegendarstellung gutheisst, sagt es damit nichts darüber aus, welche der beiden Streitparteien in der Sache richtig liegt. Es hat bloss beurteilt, ob es sich bei der in Zweifel gezogenen Aussage um eine Tatsachenbehauptung handelt, der eine davon betroffene (natürliche oder juristische) Person die eigene Version des Sachverhalts entgegenstellen kann.
Im konkreten Fall bedeutet das: Ob die Redaktionen von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» fair und ausgewogen über den «Fall Maisano» berichtet haben, wie Tamedia geltend macht, oder eine vorverurteilende Kampagne führten, wie es neben der Republik auch ein Untersuchungsbericht des Zürcher Kantonsrats sowie eine gemeinsame Erklärung mehrerer Kantonsratsfraktionen nahelegten: Darüber hat das Gericht nicht entschieden, und es bleibt offen. (Man kann es natürlich trotzdem anders verkaufen.)
Gegendarstellungen werden deshalb meist auch mit dem Satz ergänzt: «Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest.» Es steht Aussage gegen Aussage.
Wird das Instrument der Gegendarstellungen nicht dazu missbraucht, die Glaubwürdigkeit von aufklärerischem Journalismus zu unterminieren, ist es eine gute Sache: Es ermöglicht den Leserinnen, sich zu einer umstrittenen Sachlage dank Kenntnis beider Positionen eine eigene Meinung zu bilden.
Und genau so sollten Sie Gegendarstellungen lesen, wo immer Sie eine entdecken: nicht als Urteil über richtig oder falsch, sondern als eine Sicht.
Übrigens: Einmal hat auch die Republik eine Gegendarstellung verlangt. «20 Minuten» hatte in der Ausgabe vom 17. Dezember 2020 ein Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts so dargestellt, als wäre die Republik-Recherche zu den Zuständen und Arbeitsverhältnissen bei der Kita-Kette Globegarden falsch gewesen. Daraufhin veröffentlichte das Blatt die Gegendarstellung, mit der zulässigen Ergänzung, dass «20 Minuten» an seiner Version festhalte:
Im Artikel vom 17. Dezember 2020 mit dem Titel «‹Republik›-Recherche ist laut Gericht falsch» wurden Aussagen gemacht, die nicht den Tatsachen entsprechen. So ist die Behauptung im Titel falsch. Falsch ist auch die Aussage «Nun hat ein Urteil die Vorwürfe des Online-Magazins (…) widerlegt». Richtig ist: Im entsprechenden Gerichtsentscheid betreffend «Globegarden» wurden weder Aussagen zur «Republik» noch zur Recherche der «Republik» gemacht. Republik AG
Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest und stützt sich auf das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. November 2020.