Briefing aus Bern

Bundesrat beim Volk, Anti-Terror-Gesetz soll bereits verschärft werden und eine Gewerkschaft legt ihren Reichtum offen

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (163).

Von Dennis Bühler, Anja Conzett und Cinzia Venafro, 14.10.2021

Vor lauter Nachrichten den Überblick verloren? Jeden Donnerstag fassen wir für Sie das Wichtigste aus Parlament, Regierung und Verwaltung zusammen.

Kommen Sie an Bord, und abonnieren Sie unser wöchentliches «Briefing aus Bern»!

Autogramme, Selfies, Hände­schütteln: Für gewöhnlich ist die Bundesrats­sitzung «extra muros» ein Folklore­stündchen. In regel­mässigen Abständen hält die Landes­regierung ihre Sitzung nämlich ausserhalb von Bern ab, so wie diesen Mittwoch in Luzern. Und wie es die Tradition will, fand danach im Verkehrs­haus ein Plausch mit der Bevölkerung statt – als Demonstration der Volksverbundenheit.

Doch da war noch eine andere Demonstration, die im Vorfeld für Schlag­zeilen sorgte: Via Chats riefen Massnahmen­kritiker zu Protesten auf, jemand kündigte an: «Ich nehme Steine mit!»

Vor dem Verkehrs­haus stehen dann am Mittwoch rund 20 Journalistinnen, 50, vielleicht 60 Demonstranten und ein imposantes Polizei­aufgebot. Die Massnahmen­gegnerinnen halten Transparente hoch – «Fertig mit den Lügen», «A. B. können Sie noch in den Spiegel schlafen?» (sic!) – und tun das, was sie am besten können: über­proportionales Aufsehen erregen. Auf eine direkte Konfrontation mit dem Bundesrat wartet das Protest­grüppchen aber vergebens – die Regierung nimmt den Hintereingang.

Weitaus mehr Menschen als vor dem Verkehrs­haus haben sich in der Luftfahrt­halle eingefunden. Dort gilt wie überall im Verkehrs­haus Zertifikats­pflicht, entsprechend rar sind die Massnahmen­kritiker, zu sehen sind bloss zwei junge Männer in lila «Mass-voll»-Shirts. Einer der beiden wird, kurz bevor er an der Reihe wäre, mit Alain Berset zu sprechen, von einem Polizisten in Zivil abgefangen. Eine reguläre Personen­kontrolle, wie der Mann im T-Shirt selbst sagt – spekulieren, dass die Kontrolle mit seinem Tenue zu tun haben könnte, will er nicht.

Ansonsten ist die Stimmung aufgekratzt, die Bundes­räte werden gelobt, ihre Arbeit verdankt. Einer aus dem Volk hat sehr spezifische Fragen zu PCR-Tests, eine andere übt Kritik an der Asyl­politik und die Dritte hat Mühe mit dem Schul­system. Am Ende übertönt der Applaus die Buhrufe und nach etwa 40 Minuten ist der Zauber auch schon vorbei, der Bundes­rat verschwindet, wie er gekommen ist, der Apéro wird abgeräumt, die Protest­grüppchen lösen sich auf. Eine Frau fragt mit erschrockenem Blick einen Polizisten in Vollmontur, was denn passiert sei. Nichts von grossem Nachrichten­wert. Glücklicherweise.

An der Sitzung, die dem Bad in der Menge voran­gegangen ist, hat der Bundes­rat eine nationale Impfwoche vom 8. bis 14. November beschlossen. Dafür will er 96,2 Millionen Franken investieren. Ziel ist eine Impfquote von über 80 Prozent bei 18- bis 65-Jährigen, und von 93 Prozent bei den über 65-Jährigen. Die Impf­offensive kommt damit günstiger als geplant. Die Idee eines 50-Franken Gutscheins als Belohnung für jene, die andere zum Impfen motivieren, hat die Landes­regierung nach Kritik aus den Kantonen begraben.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Anti-Terror-Gesetz: Parlament gleist Verschärfungen auf

Worum es geht: Die Sicherheits­politische Kommission des National­rats will das Bundes­gesetz über polizeiliche Mass­nahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, kurz PMT, verschärfen. Eine Mehrheit befürwortet eine parlamentarische Initiative von SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Diese verlangt, dass auf Anordnung eines Zwangs­massnahmen­gerichts Personen gesichert unter­gebracht werden können, die «zu terroristischen Aktivitäten oder sonst zu Gewalt» aufrufen. Hingegen ist die Kommission gegen eine von den Grünen geforderte Präzisierung der Terrorismus-Definition. Das Gesetz solle, schreibt die Kommission in einer Mitteilung, «eben gerade die Verfolgung von gewalt­freien terroristischen Aktivitäten ermöglichen» – so die Anwerbung und die Propaganda für Terrorismus oder die Terrorismus­finanzierung. Die Befürworter der Präzisierung befürchten, dass das PMT eingesetzt werden könnte, um politische Aktivistinnen ins Visier zu nehmen.

Warum Sie das wissen müssen: Die Schweiz hat das Anti-Terror-Gesetz am 13. Juni mit 56,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Linke und liberale Kreise, Rechts­expertinnen sowie NGOs wie Amnesty International kritisierten die Ausweitung schon im Vorfeld. Nun will die Mehrheit der Sicherheits­politischen Kommission eine Verschärfung, während eine Minderheit warnt: Die gesicherte Unter­bringung käme «einer schweren Verletzung der Europäischen Menschen­rechts­konvention und des verfassungs­mässig garantierten Rechts auf ein faires Verfahren gleich».

Wie es weitergeht: Die Debatte, ob nun explizite Gewalt­androhung nötig ist, damit jemand weggesperrt wird, ist noch lange nicht abgeschlossen. Als Nächstes diskutiert die Sicherheits­politische Kommission des Stände­rates darüber – danach geht die Vorlage in beide Ratskammern.

Gewerkschaft Unia legt erstmals Vermögen offen

Worum es geht: Die grösste und mächtigste Gewerkschaft der Schweiz hat erstmals ihre finanziellen Verhältnisse transparent gemacht. Sie verfügt über ein Vermögen von 836 Millionen Franken. Allein der Wert ihres Liegen­schafts­portfolios beträgt per Ende 2020 rund 444 Millionen Franken. Die Summe ergibt sich aus 2861 Wohnungen sowie Geschäfts­häusern, Hotels und Land­reserven. Insgesamt besitzt die Gewerkschaft 151 Liegenschaften. Zudem hält sie Aktien und Obligationen im Wert von 329 Millionen Franken. Zieht man die Hypothekar­schulden und Abschreibungen ab, bleibt ein Rein­vermögen von 457 Millionen Franken. Der «Tages-Anzeiger» schätzt das tatsächliche Vermögen noch höher ein: Die Unia bilanziere die Immobilien im Gegensatz zu den Wert­schriften nicht in Markt­werten, sondern nur in Anschaffungskosten.

Warum Sie das wissen müssen: Die Zahlen zeigen, dass die Gewerkschaft viel mehr Geld eingenommen hat als bisher angenommen. Sie ist selbst ein vermögender Gross­konzern, der letztes Jahr allein mit seinen Immobilien einen Gewinn von rund 20 Millionen Franken erwirtschaftet hat. Zudem erhält sie durch ihre eigene Arbeitslosen­kasse und die Über­wachung von Gesamt­arbeits­verträgen auch öffentliche Gelder sowie recht happige Beiträge ihrer Mitglieder. Bisher hatte die Unia ihren Reichtum geheim gehalten: Weil das Vermögen die Streik­kasse bilde, habe man «aus strategischen Gründen kein Interesse, dass alle Akteure genau wissen, wie die Gewerkschaft Unia finanziell aufgestellt ist», sagt Sprecher Serge Gnos. Dass die Zahlen nun doch offen­gelegt wurden, ist eine Reaktion auf Recherchen von «Tages-Anzeiger» und «Blick». Ausgelöst wurden diese durch ein Gerichts­urteil: Die Unia hatte sich erfolg­reich gegen eine Steuer­rechnung gewehrt, wodurch im Lauf des Verfahrens einige Geschäfts­zahlen öffentlich wurden. In der Folge gab es Kritik an der «Dunkel­kammer» Unia.

Wie es weitergeht: Die FDP macht das Unia-Vermögen nun zum Thema im Bundes­haus. Fraktions­chef Beat Walti will in einer Interpellation dazu unter anderem wissen, wie es möglich sei, dass «trotz der strikten regulatorischen Vorgaben Gewerkschaften ein solches Vermögen anhäufen». Unia-Chefin Vania Alleva bezeichnet das Vorgehen der FDP als «verlogene Kampagne». Die FDP fordere jetzt Transparenz, blockiere selbst aber im Parlament die Transparenz bei der Parteienfinanzierung.

Wind- und Wasser­kraft: Rekurs­flut soll gestoppt werden

Worum es geht: Umwelt­ministerin Simonetta Sommaruga will die Bewilligungs­verfahren für grosse Wasser- und Windkraft­projekte vereinfachen, und damit künftig lang­wierige Rekurs- und Gerichts­prozesse vermeiden.

Warum Sie das wissen müssen: Die Schweiz soll bis 2050 klima­neutral werden – darauf hat sich der Bundesrat vor zwei Jahren verständigt und im letzten Januar eine auf dieses Ziel ausgerichtete Strategie verabschiedet. Dazu gehört, dass die Strom­produktion aus Wasser- und Wind­kraft drastisch erhöht werden soll. Dem Ausbau der erneuer­baren Energie stehen jedoch oft Rekurse im Weg. Obwohl die Energie­produktion aus Windkraft seit zwei Jahr­zehnten stark anwächst, klagen ihre Befürworterinnen gemäss «NZZ am Sonntag» über 76 zurzeit vor Gericht blockierte Bauprojekte. Sommarugas Konzept sieht nun vor, dass der Bund künftig festlegt, welche Stau- und Windkraft­anlagen für die Ziele der Energie­wende prioritär sind. Für diese Anlagen soll danach ein spezielles Genehmigungs­verfahren gelten: Nutzungs­plan, Baubewilligungen und andere nötige Entscheide wie Wasserrechts­konzessionen würden neu in einem Schritt erteilt, womit die Gegner auch nur einmal die Möglichkeit erhielten, das Projekt vor kantonalen Gerichten und allenfalls vor Bundes­gericht anzufechten. Erste Reaktionen aus Umweltschutz­kreisen fallen positiv aus: Die Bündelung der Verfahren wäre ein Vorteil, hiess es etwa.

Wie es weitergeht: Die Debatte über den Strommix der Zukunft wird weiter­gehen, nicht nur im Rahmen von Bewilligungs­verfahren. Sondern auch im Parlament und an der Urne: So verlangt etwa die vor einem Jahr zustande gekommene Biodiversitäts­initiative, welcher der Bundes­rat einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber­stellen will, mehr Natur­schutz. Die Gegnerinnen der Initiative sehen darin eine Gefahr für die Energie­wende, was die Initianten entrüstet zurückweisen.

Nach «Ehe für alle»: Grüne wollen Konkubinats­paare gleichstellen

Worum es geht: Die Grüne Fraktion will nach dem Ja zur «Ehe für alle» nun unverheiratete Paare rechtlich besser­stellen. So fordert die Tessiner National­rätin Greta Gysin in einer Motion, «Regelungen für die schnelle Aufteilung von Wohnung, Sorge-, Unterhalts- und Besuchs­recht von Kindern auszuarbeiten – so, wie sie das Eheschutz­verfahren für verheiratete Paare vorsieht». Zudem sollen Pensions­kassen bei Todes­fällen für Konkubinats­paare künftig dieselben Regelungen anwenden wie für Ehepaare. In die gleiche Kerbe schlägt National­rätin Aline Trede: Sie will einerseits eine Klärung bei der elterlichen Sorge bei Trennungen und Scheidungen. Anderer­seits fordert sie, dass alle Paare künftig eine eingetragene Partnerschaft eingehen können. Ein modernes Recht müsse auch Familien absichern, in denen die Eltern nicht heiraten möchten.

Warum Sie das wissen müssen: Viele Paare entscheiden sich gegen eine Heirat und für ein Zusammen­leben im Konkubinat. «Das Familien­recht deckt diese moderneren Familien­modelle aber nur sehr schlecht ab, insbesondere im Falle von Trennungen und Todes­fällen», so die Grünen.

Wie es weitergeht: Die familien­politischen Anliegen der Grünen gehen in den parlamentarischen Prozess, werden also zunächst im Nationalrat diskutiert. Gysin hat ihren Vorstoss breit abgestützt: So haben nicht nur linke Politiker ihre Motion unter­schrieben, sondern mit Martina Bircher (SVP) und Christian Wasserfallen (FDP) auch Kollegen aus dem bürgerlichen Lager.

Message Control der Woche

Bundesrätinnen stehen nach ihren Medien­konferenzen nicht für bilaterale Interviews zur Verfügung. Diese Regelung wurde zu Beginn der Pandemie installiert und mit gesund­heitlichen Über­legungen begründet. Nun hat die Regierung beschlossen, das Corona-Regime in die normale Lage zu über­nehmen. Das spielt den Magistraten und vor allem dem obersten Kommunikations­chef der Eidgenossenschaft in die Hände: Vizekanzler André Simonazzi. Der Bund betreibt damit eine Art «Message Control» – ein inter­national zu beobachtendes Phänomen, das vor allem in Österreich diskutiert wurde, wo der eben zurück­getretene Kanzler Sebastian Kurz ein Meister dieses Fachs war. Gemeint ist damit Medien­arbeit, die politische Botschaften möglichst kontrolliert an die Öffentlichkeit vermittelt. Für die Medien­konferenzen des Bundes­rates heisst das: Indem sich die Regierung vor der versammelten Medien­schar äussert, erfahren alle Journalistinnen gleichzeitig das Gleiche. Und ohne Möglichkeiten zur Nachfrage gibt es auch keine exklusiven Informationen. Allerdings: Dass die gedruckten Zeitungen derzeit dünner sind als gewohnt, liegt an einem Brand in der Papier­fabrik, die einen Grossteil der Schweizer Medien­häuser beliefert. Und nicht daran, dass die Bundes­räte sich nicht den Mund verbrennen wollen.

Illustration: Till Lauer

Die Republik bietet nicht nur Überblick, sondern auch Tiefblick: mit Recherchen, Analysen und Reportagen zur aktuellen Tagespolitik. Jetzt 21 Tage kostenlos Probe lesen: