Der Erfinder der «Konservativen Revolution»

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Faschismus diskreditiert. Dann legt ein Schweizer die Basis für die Modernisierung rechtsextremer Ideologie: Armin Mohler beeinflusst bis heute die Neue Rechte – von den Identitären bis zur AfD.

Von Cenk Akdoğanbulut, 06.10.2021

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Spiritus Rector der Rechts­populisten: der Basler Armin Mohler (1920–2003). Bayerische Staats­bibliothek München/Bildarchiv

Als Philosophie­professor Karl Jaspers 1949 die Dissertation seines Studenten Armin Mohler an der Universität Basel entgegennimmt, tut er das nur mit Widerwillen. «Eigentlich dürfte ich Ihre Dissertation nicht annehmen», soll er vier Jahre nach dem Sieg der Alliierten über Nazi­deutschland zu seinem Doktoranden gesagt haben. «Aber es kommt ja nicht mehr auf Deutschland an, nur noch auf Amerika und Russland. Folglich kann Ihr Buch nur beschränkten Unfug anrichten. Folglich kann ich mir leisten, es anzunehmen.»

Das war eine grobe Fehleinschätzung des Professors.

Zum Autor

Cenk Akdoğanbulut ist Doktorand und Assistent am Departement der Zeit­geschichte der Universität Freiburg. Er forscht zu den Themen Neue Rechte, Migration und Rassismus und schreibt eine Dissertation über Armin Mohler.

Bis heute ist Armin Mohlers Doktor­arbeit «Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932» ein in rechten Kreisen äusserst beliebtes Werk. Darin beschreibt, vergleicht und versammelt Mohler die unterschiedlichsten anti­demokratischen und antiliberalen Denker der äussersten Rechten zur Zeit der Weimarer Republik und stellt sie in eine Reihe. Mohler fasst sie zu einer vermeintlichen Strömung, einer angeblich gemeinsamen Denk­schule zusammen und begründet damit den Mythos einer «Konservativen Revolution», der essenziell war für die Entstehung der Neuen Rechten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Zu dieser angeblichen Denk­schule zählt Mohler Publizisten und politische Denker wie Ernst Jünger, Carl Schmitt oder Oswald Spengler. Doch eine solche Denk­schule ist historisch nicht feststellbar, wie der Historiker und Soziologe Stefan Breuer belegt hat. Den Begriff hatten radikale Publizisten der Weimarer Republik zwar vereinzelt verwendet, allerdings weder programmatisch noch einheitlich. Erst Mohler konstruierte in seiner Dissertation unter diesem Begriff eine eigentliche Denkschule.

Die Autoren waren viel zu unterschiedlich, als dass man von einer Strömung hätte reden können. Ausserdem gelten viele Publizisten der angeblichen «Konservativen Revolution» in der Forschung als ideologische Wegbereiter des Faschismus. Für den SS-Ober­gruppen­führer und Organisator der Gestapo, Werner Best, beispiels­weise verwirklichte der National­sozialismus die Ideen der autoritär-nationalistischen Publizisten, die Mohler der «Konservativen Revolution» zurechnete.

Die von Mohler postulierte «Konservative Revolution» entpuppt sich also als Mythos. Erst Mohlers Dissertation aus dem Jahr 1949 ist das eigentliche Gründungs­dokument der «Konservativen Revolution». Bis heute hat sie grossen Einfluss auf die Neue Rechte – von der AfD bis zu den Identitären.

Weltweites Interesse am rechten Schweizer

Mohler gilt den Neuen Rechten in ganz Europa als Klassiker und Autorität. Diverse Rechte beziehen sich heute auf den Schweizer, der sich selber als «geistiger Vater der Neuen Rechten» sah.

Die Nouvelle droite in Frankreich ist ebenso von Mohler geprägt wie die «Junge Freiheit», das Leitmedium der deutschen Neuen Rechten. 1993 warb sie mit dem Motto «Jedes Abo eine konservative Revolution», und Chef­redaktor Dieter Stein erklärte die «Kultur­revolution von rechts» zum Ziel seiner Zeitung. Auch das neurechte Verleger­paar Götz Kubitschek und Ellen Kositza sieht sich als Schüler Mohlers und legt die Werke der «Konservativen Revolutionäre» der Weimarer Republik neu auf. Kubitschek gilt überdies als Einflüsterer von Björn Höcke, dem Chef des «völkischen» Flügels der AfD.

In Österreich rekurrieren die Identitären unter Martin Sellner unmittelbar auf Mohlers philosophische Fundierung seiner Ideologie, die abstrakte Kategorien wie «Menschheit» und «Wahrheit» ablehnte.

Einflüsterer: Verleger Götz Kubitschek (Mitte) mit den AfD-Politikern Alexander Gauland (links) und Björn Höcke. Bernd von Jutrczenka/dpa/Keystone
Von Mohler inspiriert: Martin Sellner, Chef der österreichischen Identitären. Christian Bruna/epa/Keystone

Selbst der norwegische Massen­mörder Anders Breivik berief sich in seinem Manifest auf die «Konservative Revolution» als «einzige Lösung für freie Europäer».

Und offenbar wächst auch in den USA das Interesse für den rechten Schweizer: Dort wurde Mohlers Dissertation vor einigen Jahren von einem der Alt-Right-Bewegung nahestehenden Verlag ins Englische übersetzt und herausgegeben.

Trotzdem ist das nationale und transnationale Wirken von Armin Mohler kaum im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Dabei sind rechte Akteure wie Mohler oder auch James Schwarzenbach ein wichtiger Teil der Schweizer Geschichte. Wer die post­faschistischen Kontinuitäten in der Gegenwart verstehen will, muss sich mit der Geschichte der Schweizer Rechts­intellektuellen auseinandersetzen.

Wer also war Armin Mohler?

Ein Neuanfang für die extreme Rechte

Mohler wurde 1920 in Basel geboren und überquerte 1942 als Rekrut illegal die Grenze ins Dritte Reich, um sich dort wie Hunderte weiterer Schweizer der Waffen-SS anzuschliessen. Aus unbekannten Gründen wurde Mohler aber nicht aufgenommen. Stattdessen machte er ein Studien­semester in Berlin, kehrte in die Schweiz zurück und schloss das Studium mit einer Dissertation beim deutschen Philosophie­professor Karl Jaspers ab. Zuerst aber musste er wegen «illegalem Grenz­übertritt» und «versuchter Schwächung der Wehrkraft» eine Haftstrafe absitzen.

Die Doktorarbeit zur «Konservativen Revolution in Deutschland 1918–1932» schrieb er nicht, weil er sich wissenschaftliche Erkenntnisse versprach. Vielmehr war sie als «Hilfe für die rechte Intelligenz» angelegt, wie Mohler später sagte. Entsprechend führte er verschiedene Publizisten und politische Denker von ideologisch unterschiedlichster Richtung unter dem Schlagwort der «Konservativen Revolution» zusammen.

Der Sinn dieser Traditions­stiftung lag darin, die Autoren der äussersten Rechten vom Ruf zu befreien, dem Faschismus den Weg bereitet zu haben, und sie als Opfer darzustellen, deren Ideen von den National­sozialisten missbraucht worden waren.

So erschien rechtes Gedanken­gut vermeintlich vom National­sozialismus dekontaminiert. Die extreme Rechte nach 1945 konnte scheinbar von der Last des Faschismus gelöst werden.

Ganz so, als hätten die «konservativ-revolutionären» Pamphlete und Invektiven gegen die Weimarer Republik nichts mit dem Aufstieg des National­sozialismus zu tun gehabt, stilisierte Mohler sie in seiner Dissertation zur unverbrauchten ideologischen Ressource. So versuchte er, der extremen Rechten der Nachkriegs­zeit einen Neuanfang zu ermöglichen.

Fest davon überzeugt, dass die demokratische und liberale Nachkriegs­ordnung nur eine Übergangs­zeit war, setzte sich Mohler sein Leben lang dafür ein, die Ideen der von ihm verehrten «Konservativen Revolutionäre» in die Nachkriegs­zeit zu retten. Sein Ziel charakterisierte er mit Zitaten des völkischen Publizisten Arthur Moeller van den Bruck damit, eine Ordnung zu schaffen, die «ewig gültigen Werten» entspreche, und «Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnen».

Nach Beendigung der Dissertation hoffte Mohler, dass von seinem Idol, dem Schrift­steller Ernst Jünger, ein Zentrum des Widerstands gegen die Nachkriegs­ordnung ausgehen würde, und er liess sich 1949 noch vor Druck­legung seiner Dissertation als Privat­sekretär von Jünger anstellen. Da Jünger als intellektuelle Figur Beachtung genoss und viele Prominente bei ihm einkehrten, konnte sich Mohler so ein beachtliches Netzwerk aufbauen. Unter anderem war er mit der «Münchener Tafel­runde» verbunden, einem exklusiven Diskussions­kreis aus ehemaligen Wehrmachts­soldaten, SS-Angehörigen und Adligen.

Auf der Besucher­liste dieses Zirkels waren zwei weitere Schweizer eingetragen: James Schwarzenbach und Rolf Henne. Schwarzenbach machte sich später mit der zweiten sogenannten «Überfremdungs­initiative» einen Namen, die die Ausweisung von 300’000 Italienern vorsah, und gilt als Vorreiter des europäischen Rechts­populismus. Der überzeugte National­sozialist Rolf Henne war von 1934 bis 1938 Chef der Nationalen Front gewesen, einer faschistischen Partei in der Schweiz.

Überzeugter Schweizer Fremden­feind: James Schwarzenbach. Blick/RDB/ullstein bild/Getty Images
Überzeugter Schweizer National­sozialist: Rolf Henne. IBA-Archiv/Keystone

Mohler verliess sein Idol Jünger jedoch, als dieser sich für Mohlers Geschmack zu sehr an die Bundes­republik anbiederte. 1953 ging Mohler nach Paris, um als Frankreich­korrespondent für «Die Tat» zu schreiben, der liberalen Zeitung von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler.

Dort nutzte er die Gelegenheit, um Kontakte zu wichtigen Protagonisten der französischen Rechten zu knüpfen, bei denen er mit seiner Idee einer Neuen Rechten auf offene Ohren stiess.

Mit der Diktatur gegen die Dekadenz

Auch wenn Mohler vor allem im deutsch­sprachigen Raum auf Anklang stiess, erfüllte sich sein Wunsch nach einer «Neuen Rechten», die sich auf antiliberale und anti­demokratische Publizisten der Weimarer Republik stützte, zuerst in Frankreich. Nach 1968 entstand in Paris neben der Neuen Linken auch eine Neue Rechte, etwa der «Groupement de recherche et d’étude pour la civilisation européenne» (GRECE). Der Denkzirkel widmete sich der intellektuellen Auseinander­setzung, lancierte Zeit­schriften, gründete Verlage und schrieb Bücher. Begründer und Cheftheoretiker war Alain de Benoist, ein enger Freund und – wenn man so will – Schüler Mohlers.

Der Denkzirkel wurde spätestens ab 1979 einer grösseren Öffentlichkeit bekannt und als eine Neue Rechte, als «Nouvelle droite», wahrgenommen.

Diese Neue Rechte wollte der Erfolglosigkeit der «Alten Rechten» entkommen. Dazu zählten sie ehemalige National­sozialisten und militante Neofaschisten, die in ihren Augen nostalgisch, anti­intellektuell und unwissenschaftlich waren. Zwar wurden sie wegen ihrer Aufopferungs­bereitschaft und ihrem militärisch-jugendlichen Stil bewundert, hätten aber keine Antworten auf die politischen Entwicklungen und den gesellschaftlichen Wandel in der Nachkriegs­zeit – und seien damit nicht mehrheits­fähig. In den Augen der «Nouvelle droite» frönten die «Alten Rechten» mehr einem emotionalen Bedürfnis, als dass sie eine adäquate politische Strategie für die Nachkriegs­zeit erarbeiteten.

Damit reagierte eine junge Generation von Rechten auf den von ihnen wahrgenommenen Stillstand im eigenen Lager, der gerade zur Zeit der 68er-Bewegung besonders frappant auffiel. Innerhalb dieses Modernisierungs­prozesses erprobte die französische Neue Rechte diverse ideologische und strategische Anpassungs- und Selbstdarstellungs­praktiken.

Das Ziel des GRECE war nicht die Gründung einer Partei oder der Einstieg ins politische Tages­geschäft, sondern – offensichtlich beeinflusst von der Neuen Linken – die «Kultur­revolution von rechts». Darunter verstand die Gruppe die «kulturelle Hegemonie» in der Gesellschaft, die Hoheit über die geistige Sinn­produktion und den «Kampf um die Köpfe». Wer die politische Macht in einem Land wolle, müsse die ideologische Mehrheit erreichen. Die parlamentarische Mehrheit würde sich dann von selbst einstellen.

Obschon sie sich als intellektuelle Stoss­truppe und nicht als Partei verstand, ebnete die Gruppe rechts­populistischen Parteien in einer Art Arbeits­teilung ideologisch den Weg: Sie verschob den politischen Diskurs nach rechts und generierte so Wählerinnen für die Rechtspopulisten.

Das Konzept der «kulturellen Hegemonie» war ironischerweise dem kommunistischen Theoretiker Antonio Gramsci entlehnt, der im faschistischen Italien eingekerkert worden war und vor Kriegs­ende starb.

Bestandteil dieser bewussten, Verwirrung stiftenden Strategie war es, linke Rhetorik und Ikono­grafie nachzuahmen. Anschauliches Beispiel liefert etwa das Cover von Alain de Benoists Buch «Kultur­revolution von rechts»: Che Guevaras Porträt, angelehnt an die Fotografie des kubanischen Fotografen Alberto Korda, die eine Hälfte des Gesichts ersetzt durch den Kopf einer antiken Statue. Eine geschickte Verbindung der für die Ideologie des GRECE (der Bezug zu Griechenland in der Abkürzung ist kein Zufall) zentralen Besinnung auf die «europäische Zivilisation», gleichzeitig anknüpfend an den revolutionären Geist zeit­genössischer Bewegungen. Oder mit anderen Worten: Vorwärts in die Vergangenheit.

Ein enger Freund: Alain de Benoist schrieb auch das Nachwort zur englischen Ausgabe von Mohlers Hauptwerk. Thierry Rannou/Gamma-Rapho/Getty Images

Allerdings eigneten sich die Mitglieder der «Nouvelle droite» Gramscis Werke – wenn überhaupt ernsthaft – mangels Italienisch­kenntnissen lediglich über die Sekundär­literatur an.

Das bedeutendste gesellschaftliche Problem in der Nachkriegs­zeit erblickte die «Nouvelle droite» in der Dekadenz, deren Ursache sie im Egalitarismus verortete. Im neurechten Menschen­bild sind die Menschen ungleich, und diese Ungleichheit muss erhalten bleiben. Damit rechtfertigten die Neurechten ihre Vision einer kollektivistischen hierarchisch-autoritären Nation mit einer aristokratischen Elite, die einerseits bestimmte charakterliche Tugenden aufweisen müsse, andererseits durch biologische Kriterien ausgewählt würde. Den beiden Konkurrenz­strömungen Liberalismus und Marxismus warfen sie vor, «Gleichmacher» zu sein.

Bei der Bekämpfung der angeblichen Dekadenz war die «Nouvelle droite» bezüglich der Wahl der Mittel freimütig: «Jede Diktatur ist verächtlich, aber noch verächtlicher ist jede Dekadenz», schrieb de Benoist in seinem Essay «Kultur­revolution von rechts». «Eine Diktatur kann uns morgen als Individuen vernichten. Dekadenz jedoch vernichtet unsere Überlebens­chance als Volk.»

«Geistige Gegenwehr» und publizistische Kampffelder

Dem intellektuellen Habitus und der Theorie­affinität der linken Studenten­bewegung folgend, erschien es der «Nouvelle droite» attraktiv, ihren Ideen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. «Mit der Theorie ist es wie mit der Armee: Wer keine eigene hat, hat eine fremde im Land», so Alain de Benoist.

Beliebte Referenz waren etwa zeitgenössische Autoren aus der Sozio­biologie und Ethologie wie Konrad Lorenz oder Irenäus Eibl-Eibesfeldt, bei denen die Neue Rechte zunächst nach Recht­fertigungen ihres biologischen Rassismus und ab den 1970er-Jahren ihres kulturellen Rassismus suchte.

Allerdings sollte dies nicht darüber hinweg­täuschen, dass die theoretische Auseinander­setzung der «Nouvelle droite» immer instrumentell und selektiv war. So konnte sie sie für ihre nationalistische Ideologie nutzbar machen.

Wissenschaft war für sie nicht primär Erkenntnis­instrument, sondern Macht­eroberungs­strategie. Schliesslich galt es, der Neuen Linken theoretisch etwas entgegenzusetzen.

Da kam die Traditions­stiftung Mohlers gerade recht. Alain de Benoist hatte Mohler zu Beginn der 1960er-Jahre getroffen und auf diesem Weg auch die Autoren der «Konservativen Revolution» kennengelernt. Die Werke der äussersten Rechten der Weimarer Republik wurden zum theoretischen Referenz­rahmen der «Nouvelle droite». Besonders Ernst Jünger und Carl Schmitt, in deren Umfeld sich auch Mohler in der Bundes­republik bewegte, hatten es den jungen französischen Neuen Rechten angetan. Mohler war für sie nicht nur ein wichtiger Inspirator, sondern auch ihr grösster Promoter in der Bundes­republik. Er war sozusagen der Verbindungs­mann zwischen deutschen und französischen Neuen Rechten.

Um aus dem nationalistischen Ghetto auszubrechen und die ideologische und diskursive Hoheit zu gewinnen, erkannte auch die deutsche Neue Rechte, dass eine «geistige Gegenwehr» notwendig war, und verfolgte das Ziel einer langfristigen Strategie der «Kultur­revolution von rechts». Mit Entschiedenheit ging es den Neuen Rechten – das war ja auch ihre Kritik an der von ihnen so genannten «Alten Rechten» – darum, politischen Erfolg zu haben und nicht als rechte Subkultur vor sich hin zu vegetieren.

Schon seit den 1950er-Jahren war Mohler überzeugt von der Notwendigkeit einer ideologischen Gegenoffensive. Diese Einsicht wurde während der 1968er-Bewegung noch stärker. An dieser arbeitete sich die Neue Rechte einerseits theoretisch ab, andererseits bewunderte sie deren Vordenker und ihre Theorie­affinität. Bei Mohler löste sie zudem das Gefühl aus, eine publizistische Gegenoffensive starten zu müssen. Mit seinem Freund, dem Schrift­steller und Verleger Caspar von Schrenck-Notzing, gründete er 1970 das zweimonatlich erscheinende Magazin «Criticón», das zu einem der führenden Theorie­organe der Neuen Rechten werden sollte.

Die Heimat in Bayern gefunden: Mohler (Mitte) an der Jahres­sitzung der Akademie der Schönen Künste in München (mit Hans Egon Holthusen, links, von 1968 bis 1974 Präsident der Akademie). Bayerische Staats­bibliothek München/Bildarchiv

Das Magazin versammelte als Diskussions­plattform konservative bis extrem rechte Positionen und bezweckte neben der Verbreitung neurechter Ideen vor allem die Einfluss­nahme auf konservative Publizisten. Gleichzeitig sollte es zur Theoretisierung und Intellektualisierung des rechten Lagers beitragen.

Sekundiert wurde diese publizistische Gegenoffensive von Mohlers Arbeit in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung, der er seit 1963 als Geschäfts­leiter vorstand. Nachdem Mohler 1961 nach München gezogen war, hatte ihm sein Lands­mann, der Schweizer Arzt und SS-Ober­sturmbann­führer Franz Riedweg, zu dieser Anstellung verholfen.

Riedweg war in der Zwischen­kriegszeit kurzzeitig Sekretär des Bundes­rats Jean-Marie Musy gewesen und war ein leidenschaftlicher Antikommunist, der den Landes­streik von 1918 als jüdisch-bolschewistische Verschwörung diskreditierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Riedweg in der Bundes­republik – in der Schweiz war er in Abwesenheit zu sechzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

In der Siemens-Stiftung organisierte Mohler Vorträge und Workshops, die einerseits rein wissenschaftlichen Themen gewidmet waren und Glaub­würdigkeit generierten, andererseits aber auch immer stärker von den strategischen Ziel­setzungen der Neuen Rechten getragen wurden. Die Stiftung widmete etwa Themen­abende den Autoren der «Konservativen Revolution», zum Beispiel Oswald Spengler, und gewann so Einfluss auf die Ideologie­bildung und Vernetzung der Neuen Rechten.

Ein Dauer­brenner in neurechten Medien war die Aufarbeitung des Holocaust, die rechte Autoren als «Umerziehung» und «mentale Versklavung» denunzierten: Diese verhindere, dass die Deutschen zu ihrem National­bewusstsein fänden und zu einem autoritären Staat zurück­kehrten. Die plumpe Leugnung des Holocaust wurde dabei immer mehr von subtileren Methoden der Relativierung abgelöst. Mohler, der der Vergangenheits­bewältigung mehrere Aufsätze und Bücher widmete, war berühmt für seine diversen Verschleierungs­taktiken. Er verstand es gekonnt, Behauptungen in Fragen zu verpacken und die Leserin durch Suggestiv­fragen zu den Behauptungen zu leiten, ohne diese offen aussprechen zu müssen. Der ehemalige Feuilleton­leiter der deutschen «Zeit», Fritz J. Raddatz, verglich die Auseinander­setzung mit Mohler einmal mit dem Problem, «wie man einen Pudding an die Wand nagelt».

Die «Konservative Revolution» realisieren

Für Mohler lag die Aufgabe der Neuen Rechten darin, eine «Entsprechung auf neuen Ebenen» zu finden, also eine der Nachkriegs­zeit angemessene Form der «Konservativen Revolution» zu finden und zu etablieren. Diese Adaptions­leistung dürfe weder ein schematischer Kopier­vorgang sein, noch dürfe sie so weit gehen, dass sie die Substanz verletze.

Mohler forderte, man müsse die modernen technologischen Mittel ungeniert nutzen und auch Sprach­stil und Rhetorik immer wieder strategisch anpassen.

Begeistert zeigte er sich etwa von den direkten Fernseh­ansprachen des französischen Präsidenten Charles de Gaulle, der damit in Mohlers Augen das Parlament und die politischen Eliten umgehen und direkt zum Volk sprechen konnte. Während die extreme Rechte in Frankreich de Gaulle Widersprüchlichkeit in seiner Argumentation und opportunistische Meinungs­wechsel etwa bei der Algerien­frage vorwarf, belächelte Mohler diese Art von Kritik. Kohärenz und Widerspruchs­freiheit waren für ihn nicht erstrebens­wert. Er war fasziniert von de Gaulles Erfolg und seiner Politik für die «grandeur de la France». Politik im Dienst der Nation dürfe sich nicht von moralischen oder legalistischen Argumentationen behindern lassen. An die bundes­republikanischen Politiker appellierte er, keine Angst vor Macht­politik zu haben und sich nicht von «Moralismus» leiten zu lassen. Moral und Politik seien unterschiedliche Sphären und würden ohnehin nie Hand in Hand gehen.

Um die Wieder­vereinigung Deutschlands und die Rückkehr zu einem autoritär-nationalistischen Staat zu erreichen, erachtete Mohler eine Anbindung an einen Machertyp als ziel­führendste Strategie – also einen Politiker, der ohne grosses Geschwätz die Welt vor fertige Tatsachen stellt. Einen solchen meinte er im CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauss gefunden zu haben. In den 1960er-Jahren stieg Mohler denn auch zu Strauss’ Berater auf. Beeindruckt von dessen politischem Geschick, war er ihm in politischen Krisen publizistisch beigestanden und konnte so sein Vertrauen gewinnen. In ihm glaubte er eine Leader­figur mit Instinkt entdeckt zu haben. Mohler vermittelte Strauss sogar seinen Schüler Marcel Hepp, der mit der Führung der CSU-Partei­zeitung «Bayern­kurier» betraut wurde. Von Mohler beeinflusst, forderte dieser in seinen Artikeln regelmässig den Zugang zu Atom­waffen für die Bundes­republik und liess sich auch von internen Protesten gegenüber diesem Kurs nicht irritieren.

Ein Macher nach Mohlers Vorstellungen: Franz Josef Strauss, lang­jähriger bayrischer Ministerpräsident. Blick/RDB/ullstein bild/Getty Images

Die Zusammenarbeit mit Strauss scheiterte letztlich, weil dieser nicht offen für Mohlers Forderung war, die CSU als bundes­weite Partei rechts von der CDU zu positionieren und nationalistische Kreise durch entsprechende Programmatik aufzusaugen.

Konsequenterweise unterstützte Mohler später den rechts­populistischen Politstil der «Republikaner», denen ab 1985 der ehemalige Waffen-SS-Soldat Franz Schönhuber vorstand. Zu ihm entwickelte Mohler eine enge Freundschaft. Mohler soll ihn etwa bei der Ausarbeitung des Partei­programms beraten haben. Er schätzte, wie Schönhuber es verstand, die Emotionen der Menschen anzusprechen. Dessen Politik­stil passte Mohler: Nicht Partei­programme, sondern Sinn­stiftung und Gemeinschafts­gefühl würden die Massen ansprechen. Man müsse die Menschen «in den Eingeweiden bewegen» und ihnen «seelische Erlebnisse» bieten, dies sei das Erfolgs­rezept des National­sozialismus gewesen, sagte Mohler 1987 in einem Interview mit dem Politik­wissenschaftler Claus Leggewie.

Warnung vor «Verschweizerung der Bundesrepublik»

Auch heute verfolgt die Neue Rechte weiterhin die Strategie der «kulturellen Hegemonie»: Sie versucht Begriffe umzudeuten und zu setzen, den Diskurs nach rechts zu verschieben und die Deutungs­hoheit über politische Probleme zu erlangen. Haupt­elemente ihres Weltbildes sind dabei das Freund-Feind-Denken, Ungleichheits­denken, Nationalismus, Anti­liberalismus, Autoritarismus, Rassismus und Antifeminismus.

Obschon in der Schweiz ähnliche Diskurs­muster sichtbar sind, referieren Rechte in der Schweiz dabei nicht so explizit auf Mohler wie in Deutschland. Der Begriff der «Konservativen Revolution» allerdings wird – ob ihrer Geschichte bewusst oder nicht – von rechten Akteurinnen in beiden Ländern immer wieder aufgegriffen.

Im letzten Interview vor seinem Tod offenbarte Armin Mohler 1995 die Hoffnung, dass es mit der liberal-demokratischen Ordnung nicht ewig so weitergehen könne. Auch in Deutschland werde es wieder Sehnsucht nach einer Führungs­figur geben. Und sich selbst bezeichnete er als «Faschisten im Sinne des Falange-Chefs José Antonio Primo de Rivera». Damit ist er neben James Schwarzenbach der zweite bedeutende rechts­intellektuelle Akteur, der sich positiv auf den spanischen Faschismus bezog. Der im Gegensatz zu Mohler gläubige Katholik Schwarzenbach hatte in seinen letzten Lebens­jahren in einem Fernseh­interview erklärt, dass er in Spanien wohl Faschist wäre.

Mohlers Verhältnis zur Schweiz war emotional und politisch distanziert. Einerseits stand Mohler zu seiner Schweizer Herkunft. Andererseits ist es bezeichnend, dass er lieber in Deutschland wirkte. Von der Schweiz sprach er verächtlich als «unpolitischem Ort» des Konsenses und des Kompromisses. Die Deutschen warnte er gar vor einer «Verschweizerung der Bundesrepublik».

Seiner Geburtsstadt Basel fühlte er sich freilich ein Leben lang verbunden. In einem Interview mit der «Basler Zeitung» von 1980 bezeichnete er sich als «Basler in einer deutschen Haut». Aber stärker als mit seiner Heimat­stadt fühlte er sich mit etwas Grösserem verbunden, nämlich einem meta­physischen Deutschland – also einer imaginierten deutschen Nation, die nicht nur Deutschland einbezog.

83-jährig starb der Schweizer Vordenker der Neuen Rechten 2003 in der Nähe von München. Seine neurechten Adepten indes pflegen fleissig die Idealisierung seiner Person und den Mythos der «Konservativen Revolution».

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