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In der Praxis

27.09.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Warum bloss gibt es kein Medikament dagegen?

Wer Fieber hat, bekommt einen Fieber­senker, wer Husten hat, nimmt Husten­sirup, wer an einer Lungen­entzündung leidet, schluckt allenfalls Antibiotika. Ausgerechnet bei Covid-19 aber soll nichts nützen.

Vielleicht sind auch Sie erstaunt, dass es auch nach gut anderthalb Jahren kein Mittel gibt, das Ärztinnen gegen Covid verschreiben können. (Leider hat Echinaforce die Pandemie bekanntlich nicht magisch beendet.)

Das verunsichert, und es kann sich zu allgemeinen Zweifeln am Umgang mit der Pandemie auswachsen. «Manchmal habe ich das Gefühl, man schickt einfach alle Leute ins Spital», sagt eine Freundin der Verfasserin. «Dabei müsste es doch unter all den Medikamenten längst eins geben, das gegen Covid hilft.»

Warum lässt das so lange auf sich warten? Und wie wird Covid nach aktuellem Stand überhaupt behandelt, bevor das ganze Arsenal einer Intensiv­station zum Einsatz kommen muss?

1. Wie der Hausarzt behandelt

«Das Ziel ist ganz klar: Patienten so lange wie möglich ambulant zu behandeln und nur bei Notwendigkeit ins Spital einzuweisen», sagt Felix Huber. Er ist langjähriger Hausarzt und Präsident der Medix-Gruppe, eines der grössten Ärzte­netzwerke der Schweiz. Die Medix hat einen Leitfaden entwickelt, an dem sich Haus­ärztinnen orientieren können, wenn sie Patientinnen mit Covid begleiten.

Die Ärztin prüft erst einmal allfällige Risiko­faktoren (wie etwa Diabetes, Rauchen, eine Nieren­krankheit oder eine Schwangerschaft) und den Allgemein­zustand des Patienten. Sie spricht mit ihm über persönliche Wünsche und eine allfällige Patienten­verfügung und misst den Sauerstoff­gehalt im Blut. Falls kein Grund zum sofortigen Alarm besteht und die Lebens­umstände es erlauben, empfiehlt der Leitfaden, den Patienten mit einem Gerät zur Sauerstoff­messung auszustatten (einem sogenannten Puls­oximeter), mit dem er selber zu Hause regelmässig den Sauerstoff­gehalt messen kann.

Wenn der Sauerstoff­gehalt im Blut abfällt, dann ist das ein Alarm­zeichen. Gemeinerweise merken Menschen mit Covid oft lange nicht, dass ihr Körper zu wenig Sauer­stoff bekommt. Grob gesagt: Alles von 95 Prozent aufwärts ist okay. Fällt der Wert darunter, sollte das der Arzt sofort wissen.

Viele Menschen mit Covid überstehen das Gröbste zu Hause im Bett. Aber weil sich – auch das ist besonders fies bei Covid – der Zustand sehr schnell und überraschend verschlechtern kann, müssen Patient wie Ärztin wachsam sein und in Kontakt bleiben. Lieber ein Telefon zu früh als eines zu spät.

Ins Spital schicken Hausärzte ihre Patientinnen also nur, wenn sich deren Zustand verschlechtert. Alle anderen werden ambulant begleitet.

Was das bedeutet, erklärt auch Svend Capol. Er ist leitender Arzt in einer Gruppen­praxis in Luzern und Geschäfts­leitungs­mitglied der Sanacare. «Bei einem milden Verlauf von Covid behandeln wir nur die Symptome, ähnlich wie beispiels­weise bei einer Grippe.» Das bedeutet allfällige Medikamente gegen das allgemeine Unwohl­sein, Fieber oder Schmerzen – wie beispiels­weise Haus­mittel, Paracetamol oder Ibuprofen. Wichtig aber: Diese Mittel heilen die Krankheit nicht, sie mildern nur die Symptome.

«Es gibt aktuell kein Medikament gegen Covid», sagen beide Ärzte, Huber wie Capol.

Entgegen allen Gerüchten und Geheim­tipps aus dem Internet. Und obwohl rund um den Globus in vielen Laboren tiefnachts noch die Lichter brennen, weil dort genau danach gesucht wird.

2. Das fehlende Medikament

Sars-CoV-2 ist ein Virus, und die Entwicklung von antiviralen Medikamenten ist immer anspruchsvoll. Dies, weil jedes Virus sich leicht anders und zunächst unberechenbar verhält. Sowohl beim HI-Virus wie bei Hepatitis B und C dauerte es Jahre, bis entsprechende Mittel zur Verfügung standen. Selbst das Grippe­virus (Influenza) lässt sich bis heute nicht zuverlässig bekämpfen – am ehesten wirkt der Viren­hemmer Tamiflu noch prophylaktisch.

Dazu kommt: Viren sind in der Tendenz schwieriger zu behandeln als Bakterien. Bakterien sind Lebe­wesen, die man gezielt vergiften kann. Viren kapern dagegen Ihre Körper­zellen. Das macht es viel schwieriger, sie anzugreifen, ohne gleichzeitig den gesunden Rest zu fest zu belasten.

«Klar ist, dass man auch bei Covid bei der direkten Viren­bekämpfung sehr früh therapieren muss», sagt Manuel Battegay, Chefarzt der Klinik für Infektiologie und Spital­hygiene am Universitäts­spital Basel. Eine schwere Covid-Erkrankung verläuft nach bisherigen Erkenntnissen in zwei Stufen, wie unter anderem die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie festhält: Nach einer ersten etwa 7-tägigen Phase der viralen Ausbreitung («viral replication») folgt die zweite Phase mit einer starken Immun­reaktion, Entzündungen und Organ­versagen. «Sobald die Entzündung ausgelöst wird, ist es schwierig, das Virus direkt zu bekämpfen, denn es ist zu spät», sagt Battegay. Ein vielversprechendes Medikament setzt darum vorher an: Es hindert die Viren daran, sich zu vervielfältigen – zerstört also sozusagen die ihnen innewohnende Kopier­maschine. Genau daran, an sogenannt direkt aktiven Substanzen, forschen derzeit Teams rund um die Welt, etwa bei den Pharma­unternehmen Merck, Pfizer und Regeneron.

Bereits bestehende antivirale Medikamente – etwa gegen HIV oder Ebola – haben sich alle als ungenügend wirksam herausgestellt, weil Sars-CoV-2 ein anderes Virus ist und ein anderes Verhalten aufweist. Die WHO aktualisiert regelmässig ihre Liste mit Wirkstoffen, die in Versuchen rund um die Welt eingesetzt werden: Hinter jedem einstigen Hoffnungs­träger steht inzwischen ein «Nein, leider doch nicht». Selbst der zuerst vielversprechende Einsatz von Remdesivir zeigt eine fragliche Wirkung.

«Leider, muss man wirklich sagen», sagt Manuel Battegay. Er habe aber Hoffnung, dass sich eines der nun neu erforschten Mittel möglicher­weise im Jahr 2022 durchsetzen werde.

Darum gilt bei Covid-19 ganz besonders, was Erasmus von Rotterdam vor Hunderten von Jahren gesagt haben soll und was die Mediziner seit Hunderten von Jahren als Grundsatz predigen: Vorbeugen ist besser als heilen.

Was Sie diese Woche wissen sollten:

  1. In den nächsten eidgenössischen Abstimmungen geht es um das Zertifikat. In acht Wochen, am 28. November, wird es um das Covid-19-Gesetz gehen. Also genau genommen schon zum zweiten Mal um einen Teil davon, was die Sache ziemlich verwirrend macht. Sollte das Referendum angenommen werden, würde die gesetzliche Grundlage für das Zertifikat wegfallen. Ab Mitte März 2022 wäre es dann im Inland Geschichte. Und sollte die Schweiz zusammen mit der EU nicht irgendeine Notlösung finden (was der Bundesrat im Moment ausschliesst), könnte das Reisen in andere Länder dann leider ziemlich kompliziert werden.

  2. Bis übernächste Woche sind die Tests für das Zertifikat noch für alle gratis – vielleicht noch länger. Eigentlich will der Bundesrat, dass nicht geimpfte Menschen ab dem 11. Oktober den Test selber bezahlen müssen (und Einfachgeimpfte ab Dezember). Kann aber gut sein, dass ihn eine Mehrheit im Parlament zum Verlängern zwingt. SVP, SP und die Grünen wollen diese Woche eine Initiative dazu durchbringen. Ende Woche ist sehr wahrscheinlich klar, wer sich durchsetzt.

  3. Falls Sie die Zahlen nicht so genau verfolgt haben: Sie sind gerade recht erfreulich. Seit etwa zwei Wochen geht die Impf­quote hoch, die neuen Ansteckungen sinken und es müssen weniger Menschen ins Spital. Etwas ausführlicher (und mit schönen Kurven!) lesen Sie das im Republik-Nachrichten­briefing, wo wir jeden Freitag die wichtigsten Nachrichten der Woche und die Corona-Lage zusammenfassen.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Oliver Fuchs und Olivia Kühni

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Das mit der «Spaltung der Gesellschaft» wegen der Zertifikats­pflicht, war wohl ein bisschen übertrieben. Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass der Präsident der Gastro­lobby sehr laut und sehr entschieden gegen die Zertifikats­pflicht war. Darum sind die Restaurants wahrscheinlich ein ganz guter Gradmesser dafür, wie sehr diese Dinger die Bevölkerung polarisieren. Kurzes Zwischen­fazit: Viele Wirte hatten deutlich weniger Gäste, aber die Einbussen sind alles in allem nicht so gross wie befürchtet. Und der Gastro­verband hat seinen Widerstand jetzt aufgegeben und unterstützt die Wirtinnen jetzt bei der Umsetzung.

PPPPS: Eines muss man Jair Bolsonaro wirklich lassen: Die Konsequenz, mit der sich der brasilianische Präsident diesem Virus in die Arme wirft, ist wirklich beeindruckend. Nachdem er im Juli positiv getestet wurde, musste er sich vergangene Woche (mal) wieder isolieren, weil er ungeimpft am Uno-Gipfel war – und sich dann dort herausstellte, dass sich sein Gesundheits­minister infiziert hatte.

PPPPPS: Offenbar genug vom ständigen Viren­drama hat übrigens Frau Bolsonaro. Sie war mit nach New York geflogen – und hat sich dort vor ihrer Rückreise impfen lassen.

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