Briefing aus Bern

Die Intimsphäre eines Bundesrats, Neu­regelung der Organ­spende und Einkaufs­touristen sollen an die Kasse kommen

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (160).

Von Reto Aschwanden, Elia Blülle, Dennis Bühler und Cinzia Venafro, 23.09.2021

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«Frau, von Bersets Truppe plattgewalzt»: Unter diesem Titel berichtete der ehemalige SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli vergangenen Donnerstag in der «Weltwoche» über eine mehrere Jahre zurück­liegende ausser­eheliche Affäre von Bundesrat Alain Berset.

Anders als im November 2020, als er die Erpressung Bersets durch seine frühere Geliebte publik gemacht hatte, sparte Mörgeli dieses Mal nicht an Details; selbst sexuelle Vorlieben des Ministers wurden thematisiert. Was ist von der Bericht­erstattung zu halten?

Anders als in den USA und einigen weiteren Ländern gibt es in der Schweiz keine Tradition, Prominenten unter die Bettdecke zu schauen. Der medien­ethische Kompass der Branche – der Kodex des Schweizer Presserats – gibt folgende Regel vor: «Journalistinnen und Journalisten respektieren die Privat­sphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.» Noch höher angesetzt sind die Hürden für Berichte über Vorgänge, die zur Intim­sphäre einer Person zählen, etwa ihre Sexualität.

Die Kernfrage im Fall Berset lautet deshalb: Besteht ein öffentliches Interesse an der Bericht­erstattung, das derart gross ist, dass es die Verletzung von Bersets Privat- und Intims­phäre recht­fertigt? Bejaht werden müsste die Frage, wenn ein begründeter Verdacht bestünde, dass der Bundesrat sein Amt oder seine Macht missbrauchte. Nur: Dafür liefert die «Weltwoche» keine über­zeugenden Hinweise.

Ich will es genauer wissen: Warum die Vorwürfe gegen Berset keine Bericht­erstattung rechtfertigen

«Bundesrat Alain Berset hat in seiner Erpressungs­affäre die Unwahrheit gesagt, Bundes­beamte missbraucht und Steuergeld verschleudert», schreibt die «Weltwoche» gestützt auf ihr vorliegende Strafakten. Doch schaut man sich die kursierenden Vorwürfe im Detail an, ergibt sich ein etwas anderes Bild.

  • Dass Berset sich mit seinem General­sekretär und seinem Kommunikations­chef besprach, nachdem seine ehemalige Geliebte die Übergabe von 100’000 Franken für eine angeblich «ausstehende Schuld» verlangte? Folgerichtig, allfällige politische Implikationen der versuchten Erpressung mit seinen engsten Vertrauten im Departement zu diskutieren.

  • Dass eine Chauffeurin ihn nach zwei angeblichen Liebes­nächten in Süddeutsch­land abholte, um ihn für eine Medien­konferenz nach Bern zu fahren (ein Vorwurf, den die «NZZ am Sonntag» erhob)? Regel­konform. «Den Mitgliedern des Bundesrates (…) steht für Dienst- und Privat­fahrten im In- und Ausland während ihrer Amtsaus­übung ein Repräsentations­fahrzeug mit Chauffeur zur Verfügung», heisst es im Aide-Mémoire der Bundeskanzlei.

  • Dass die Bundes­polizei eine Sonder­einheit losschickte, um Bersets ehemalige Geliebte festzu­nehmen, nachdem diese ihn zu erpressen versuchte? Courant normal.

  • Dass Bersets Anwalt in einer zuhanden der Bundes­anwaltschaft erstellten Chronologie in zwei Punkten die Unwahrheit schrieb (zum einen verkürzte er die Dauer der Affäre um ein paar Wochen; zum anderen gab er an, nach dem Ende der Treffen seien alle Kontakte von der Geliebten ausgegangen, obwohl auch Berset sie gelegentlich per E-Mail anschrieb)? Begründen kein berechtigtes öffentliches Interesse an einer derart detaillierten Berichterstattung.

  • Dass die Bundes­anwaltschaft einen IMSI-Catcher einsetzte, um das Mobil­telefon der Erpresserin abzuhören, und ein Psychiater ihr mittels Fern­diagnose eine «narzisstische Störung» attestierte? In der Tat frag­würdige Vorgänge, die Berset aber nicht direkt angelastet werden können.

  • Dass er mit der Erpresserin und einer angeblichen weiteren Affäre Sex wollte, der nicht den Empfehlungen des BAG entspricht? Angaben, die Bersets Intimsphäre auf gravierende Art und Weise verletzen – und auch dadurch nicht zu recht­fertigen sind, dass er Gesundheits­minister ist.

Die Bericht­erstattung der «Weltwoche» folgt einem für mediale Skandalisierungen typischen Muster. Erzählt wird die Geschichte als Kampf zwischen Heldin und Antiheld: da die Künstlerin, die als allein­erziehende Mutter über ein Monats­einkommen von 3000 Franken verfügt; dort der einfluss­reiche Kultur­minister, der sich mit ihr einlässt, sie dann in eine Abhängigkeit treibt – und sie schliesslich mit der geballten Macht des von ihm befehligten Staats­apparats mundtot machen will.

Die Bericht­erstattung zielt auf Bersets Reputation, auf seine Vertrauens­würdigkeit. In einem Moment, in dem er als Gesundheits­minister stärker im Fokus steht als je zuvor: Auf allen Kanälen wird er in den nächsten Wochen die Schweizer Pandemie­bekämpfung und das Covid-Zertifikat verteidigen müssen, über das die Stimm­bevölkerung Ende November im Rahmen des zweiten Referendums über das Covid-19-Gesetz befinden wird. Weil auch die SVP dieses Referendum unterstützt, wird diese Abstimmung deutlich schwerer zu gewinnen sein als die erste Covid-Abstimmung vor drei Monaten.

Berset erhält für seine Pandemie­politik in der Bevölkerung gemäss Umfragen weitherum gute Noten. Seine funktionale Reputation ist also intakt. Diese Geschichte zielt nun auf seine Intim­sphäre und damit seine soziale Reputation. Was dabei auffällt: Alle auflage- und klickstarken Schweizer Medien haben die Bericht­erstattung der «Weltwoche» aufgenommen und den Skandal damit hochgeschaukelt.

Und doch scheint die Skandalisierung ihr Ziel zu verfehlen: Eine Woche ist seit dem Erscheinen des «Weltwoche»-Artikels vergangen, und noch hat niemand explizit den Rücktritt Bersets gefordert. Und schon gar nicht ist sein eigenes Lager auf Distanz zu ihm gegangen, auch wenn sich mit SP-Nationalrat Fabian Molina ein erster Partei­kollege für eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse ausgesprochen hat.

Die Geschichte medialer Skandalisierungen zeigt: In den aller­meisten Fällen stürzt ein Skandalisierter erst, wenn seine Weggefährtinnen auf Distanz zu ihm gehen. «Die Kunst des erfolg­reichen Argumentierens besteht daher darin, die Anhänger des Angegriffenen zur Distanzierung zu zwingen», analysierte einst der bekannte Skandal­forscher Hans Mathias Kepplinger. «Weltwoche»-Verleger und -Chefredaktor Roger Köppel hat das versucht, als er die «SP-Feministinnen» lautstark dazu aufforderte, sich von Alain Berset zu distanzieren, und sie – sollten sie sich seiner Aufforderung widersetzen – zur «Gefahr für die Demokratie» erklärte. Erfolglos.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Klimapolitik: Bundesrat präsentiert neue CO2-Vorlage

Worum es geht: Der Bundesrat hat am vergangenen Freitag die Eckwerte für eine neue CO2-Vorlage präsentiert. Gemäss der zuständigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga sieht die Vorlage keine höheren und neuen Abgaben auf fossile Brenn­stoffe vor. Statt­dessen sollen vor allem finanzielle Anreize die Schweizer Treibhausgas­emissionen senken. So will der Bundesrat die Infra­struktur für Elektro­autos und ökologische Heiz­systeme fördern. Bisherigen Mass­nahmen sollen beibehalten werden.

Warum Sie das wissen müssen: Im Juni hat das Stimm­volk das revidierte CO2-Gesetz abgelehnt. Der Bundesrat muss nun rasch eine neue Vorlage ausarbeiten, damit seine Reduktions­ziele nicht ausser Reichweite geraten. Bis 2030 will er die Schweizer Treibhausgas­emissionen gegenüber 1990 halbieren und so die Anforderungen des Pariser Klima­abkommens erfüllen. Ob dies ohne Verbote und zusätzliche Gebühren noch gelingen kann, ist fraglich. Die Zeit läuft davon.

Wie es weitergeht: Der Bundesrat will die auslaufenden CO2-Massnahmen bis 2024 verlängern und der Bundes­versammlung bis Ende Jahr ein revidiertes CO2-Gesetz vorlegen. Ausserdem stehen in den zwei bevölkerungs­reichsten Schweizer Kantonen Zürich und Bern Abstimmungen zu neuen Energie­gesetzen an, die auch für die gesamt­schweizerische Emissions­bilanz von Bedeutung sind. Neben dem CO2-Gesetz wird das Parlament auch bald die «Gletscher­initiative» beraten, die ein Verbot von fossilen Treib­stoffen ab 2050 fordert.

Korruptionsfall im Seco: Ex-Ressort­leiter muss hinter Gitter

Worum es geht: Vier Jahre und vier Monate, so lautet das Urteil gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Staats­sekretariats für Wirtschaft (Seco). Das Urteil geht über die von der Staats­anwaltschaft geforderten vier Jahre hinaus. Das Bundes­strafgericht in Bellinzona hat den heute 69-jährigen einstigen Ressort­leiter des Seco der mehrfachen Urkunden­fälschung im Amt, des mehrfachen Sich-bestechen-Lassens und der Urkunden­fälschung schuldig gesprochen. Besser kommen drei mitangeklagte Unter­nehmer weg, die von den Aufträgen des Beamten profitierten: Zwei wurden zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt, einer zu einer Geldstrafe – alle erhielten aber Bewährungsstrafen.

Warum Sie das wissen müssen: Die Bestechungs­affäre im Seco gilt als der grösste Korruptions­fall in der Bundes­verwaltung. Aufgedeckt wurde er unter anderem durch eine Recherche des «Tages-Anzeigers» und des «Bunds» im Jahr 2014. Während rund zehn Jahren hatte der nun verurteilte Ressort­leiter rund 1,7 Millionen Franken Bestechungs­gelder angenommen – unter anderem in Form von VIP-Fussball­tickets oder Reisen. Alleine die Tickets für Fussball-Länderspiele und Matches der Young Boys im Jahr 2012 waren laut Gericht 58’968 Franken wert. Im Gegenzug verschaffte er den Mitangeklagten überteuerte IT-Aufträge. Die Anklage­schrift zählt 380 Aufträge im Umfang von 99 Millionen Franken. Der Richter sprach in der Urteils­verkündung von «struktureller Korruption». Der Mann habe aus «übersteigertem Geltungs­drang», aber auch aus «finanziellen Interessen» gehandelt. Auch das Seco selbst bekam sein Fett weg. «Dass ein System so lange im Verborgenen funktionieren konnte, ist dem Versagen eines Dienstzweiges des Secos zuzuschreiben», so der Richter.

Wie es weitergeht: Für die Bundes­anwaltschaft, die selbst immer wieder in der Kritik steht, ist das Urteil ein grosser Erfolg, den sie «mit grosser Zufriedenheit zur Kenntnis» nimmt. Das Urteil habe grosse Bedeutung, weil es die Grundlage für die Straf­verfolgung auf Bundes­ebene in ähnlich gelagerten Fällen bilden könne. Die Verurteilungen sind allerdings nicht rechtskräftig und können noch angefochten werden.

Organspende: Parlament einigt sich auf Widerspruchslösung

Worum es geht: Das Parlament will einen Paradigmen­wechsel bei der Organspende. Am Mittwoch hat der Nationalrat letzte Differenzen mit dem Ständerat ausgeräumt. Damit ist der indirekte Gegen­vorschlag zur Volks­initiative «Organspende fördern – Leben retten» bereit für die Schluss­abstimmung. Der Gegen­vorschlag schreibt eine erweiterte Widerspruchs­lösung vor: Organe können entnommen werden, wenn ein Verstorbener das nicht zu Lebzeiten untersagt hat oder seine Angehörigen Widerspruch einlegen. Die Initiative, die noch weniger Einschränkung wollte, lehnen Bundesrat und Parlament ab.

Warum Sie das wissen müssen: In der Schweiz warten rund 1500 Menschen auf ein Spender­organ. Jedes Jahr sterben Dutzende, weil sie nicht rechtzeitig ein neues Organ erhalten. Ein Grund dafür ist, dass an sich viele Menschen bereit wären, ihre Organe nach dem Tod zu spenden, dies aber nicht ausdrücklich, etwa mit einem Spender­ausweis, festhalten. Mit dem Wechsel zur Widerspruchs­lösung dürften künftig mehr Organe trans­plantiert werden. Allerdings wirft auch diese Lösung schwierige ethische Fragen auf, weshalb sich das Parlament mit der Vorlage schwertat. Anfang dieser Woche äusserte auch die Evangelisch-Reformierte Kirche Schweiz Vorbehalte: Jeder medizinische Eingriff müsse «dem freien und ausdrücklichen Willen der betreffenden Person entsprechen». Ein Erklärungs­modell, wie es die Nationale Ethik­kommission vorschlägt, wäre für die Reformierten die bessere Lösung.

Wie es weitergeht: Es wird damit gerechnet, dass das Initiativ­komitee sein Begehren zurück­ziehen wird. Offen ist, ob die Gegnerinnen der Widerspruchs­lösung das Referendum ergreifen werden.

Verbot von Tabak­werbung: Stimm­bevölkerung wird entscheiden

Worum es geht: Nach dem National- will auch der Ständerat nichts wissen von der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung». Das Parlament empfiehlt das Anliegen zur Ablehnung.

Warum Sie das wissen müssen: Mehr als jeder vierte in der Schweiz wohnhafte Mensch raucht, jedes Jahr sterben hierzulande rund 9500 Personen an den Folgen des Tabak­konsums. Um diesen zu verringern – egal ob der Tabak geraucht, erhitzt, geschnupft oder geschluckt wird –, rang das Parlament seit Jahren um eine Revision des Tabakprodukte­gesetzes. Gestern Mittwoch kam es im letzten noch offenen Punkt zur Einigung: Menthol­zigaretten werden nicht verboten. Damit haben sich die bürgerlichen Parteien auch in diesem Punkt durchgesetzt, nachdem sie zuvor schon mit Verweis auf die Wirtschafts­freiheit die vom Bundesrat geplanten Einschränkungen für Werbung, Verkaufs­förderung und Sponsoring von Tabak­produkten abgeschwächt hatten. Gesundheits­minister Alain Berset zeigte sich enttäuscht: Mit der Vorlage würden «keine nennens­werten Fortschritte beim Schutz der Jugendlichen vor dem Tabak­konsum erzielt», sagte er. Sein Fazit ähnelt damit jenem der Initiantinnen, die das Tabakprodukte­gesetz in einer Mitteilung als «Alibi­übung» bezeichnen. Im Unterschied zum Gesetz verlangt ihre Initiative ein grund­sätzliches Verbot von Tabak­werbung im Internet, wo heute über 80 Prozent des Werbe­budgets dieser Industrie hinfliessen. Die Initianten begründen ihr Begehren unter anderem damit, dass mehr als zwei Drittel der Raucherinnen vor ihrem 20. Altersjahr mit ihrem ungesunden Laster begonnen haben.

Wie es weitergeht: Die Stimm­bevölkerung wird im kommenden Jahr über die Volks­initiative befinden.

DNA-Profil: Polizei soll mehr Informationen auswerten dürfen

Worum es geht: Nach dem Nationalrat hat am Mittwoch auch der Ständerat der sogenannten Phäno­typisierung bei polizeilichen Ermittlungen im Grundsatz zugestimmt. Neu darf die Polizei somit aus gefundenen DNA-Spuren an einem Tatort herauslesen, welche Haar- oder Augenfarbe der oder die Täterin hatte. Bisher durften Ermittler einzig das Geschlecht aus der DNA lesen.

Warum Sie das wissen müssen: Die Phäno­typisierung ist hoch umstritten, da es für die Gegner dieser Ermittlungs­methode der Staats­gewalt zu viel Macht verleiht. So argumentierte etwa der grüne Ständerat Mathias Zopfi, dass der ausgedehnte Anwendungs­bereich «klar zu hinter­fragen» sei. Ohne Straftat­katalog sei das Gesetz politisch und praktisch untauglich. Die vorberatende Kommission hatte daher vorgeschlagen, das Gesetz restriktiver zu gestalten. Der Zürcher SP-Ständerat und Strafrechts­professor Daniel Jositsch hingegen sieht in der Phäno­typisierung «etwas Harmloses». Sein Argument: Die gewonnenen Angaben könne schliesslich auch ein Zeuge angeben.

Wie es weitergeht: Nun geht es an die detaillierte Ausarbeitung des DNA-Profil-Gesetzes. Justiz­ministerin Karin Keller-Sutter betont jedoch, dies sei keine «Wunderwaffe» für Ermittler. Trotzdem könne man dadurch auch «Racial Profiling» verhindern. Denn durch eine detaillierte DNA-Analyse könnten eben auch Personen ausgeschlossen werden, die fälschlicher­weise verdächtigt würden.

Einkaufstourismus: Parlament will Freigrenze senken

Worum es geht: Nach dem Nationalrat hat nun auch der Ständerat entschieden, dass die Zollfrei­grenze beim Einkaufstourismus im nahen Ausland von 300 Franken auf 50 Franken sinken soll.

Warum Sie das wissen müssen:
Die Schweizer kaufen jährlich für 10 Milliarden Franken im grenznahen Gebiet ein. Geschäfte auf Schweizer Seite haben das Nachsehen. Darum reichten die Grenz­kantone Thurgau und St. Gallen Standes­initiativen zur Senkung der Zollfrei­grenze ein. Vor zwei Jahren noch wollte der Ständerat im Gegensatz zum Nationalrat davon nichts wissen. Nun ist er umgeschwenkt und hat den Standes­initiativen sowie einer Motion der national­rätlichen Finanz­kommission zugestimmt. In der Debatte argumentierte die Thurgauer Ständerätin Brigitte Häberli-Koller, dass dem Fiskus durch den Einkaufs­tourismus jährlich etwa 500 bis 600 Millionen Franken verloren gingen. Zudem erleide der Schweizer Detailhandel Einbussen und es gingen Arbeits­plätze verloren. Bundesrat Maurer plädierte im Stöckli vergeblich für eine Beibehaltung der 300-Franken-Freigrenze: «Wenn Sie das überweisen, müssen Sie einfach wissen, das ist eine ‹Mission impossible›», so der Finanz­minister. Eine effektive Kontrolle sei kaum möglich. Bemerkenswert: Letzte Woche erst hat das Parlament die Abschaffung der Industrie­zölle beschlossen und dabei unter anderem mit den Einsparungen für Konsumenten argumentiert.

Wie es weitergeht: Da beide Räte die Vorstösse überwiesen haben, muss sich nun die Finanz­kommission über die detaillierte Ausarbeitung des Gesetzes beugen. FDP-Ständerat Ruedi Noser will mit einer Motion, die noch nicht behandelt wurde, diesem neuen 50-Franken-Gesetz die Flügel stutzen: «Niemand hat etwas dagegen, wenn eine Familie zwei Wochen Ferien im Ausland macht und dann mit Waren unter der Wertfrei­grenze von 300 Franken heimkehrt», sagt der FDP-Mann.

Lex Netflix: Streaming-Firmen müssen Schweizer Filme fördern

Worum es geht: Streaming-Anbieter wie Netflix, Amazon oder Disney Plus – mittlerweile die weltweit grössten Produzenten von Filmen und Serien – müssen künftig 4 Prozent ihres in der Schweiz erzielten Umsatzes in hiesige Film­produktionen investieren. Nach langem Ringen stimmte diesem Vorschlag von Bundes- und Ständerat am vergangenen Donnerstag auch der Nationalrat zu, der sich zuvor stets für 1 Prozent stark gemacht hatte.

Warum Sie das wissen müssen: Kultur­minister Alain Berset sagte im Parlament, im Kontext der sehr schnell laufenden technologischen Entwicklung und Globalisierung helfe der neue Gesetzes­passus, die Angebots­vielfalt in der Schweiz zu sichern. Die einheimischen Film­schaffenden können durch die Neuregelung pro Jahr mit mindestens 18 Millionen Franken zusätzlich rechnen. Bereits heute ist die SRG zu Investitionen in einheimische Filme von jährlich gut 30 Millionen Franken verpflichtet. Mit der «Lex Netflix» schafft die Schweiz nun eine Regelung, die es so ähnlich bereits in anderen europäischen Ländern gibt. So müssen Streaming-Anbieter in Italien 20 und in Frankreich sogar 25 Prozent ihres im Land erzielten Umsatzes in inländisches Filmschaffen investieren, auch Portugal, Slowenien und Kroatien haben jüngst ähnliche Investitions­verpflichtungen beschlossen. Neben der monetären Vorgabe schreibt die von National- und Ständerat beschlossene Regelung den Streaming-Plattformen auch vor, ihre digitalen Videotheken künftig zu mindestens 30 Prozent mit europäischen Produktionen zu bestücken.

Wie es weitergeht: Die Jung­parteien von FDP, SVP, GLP und Mitte-Partei sowie die Piraten­partei haben bereits damit begonnen, Unterschriften für ein Referendum zu sammeln. Der Hauptgrund: Sie befürchten, dass die Investitions­pflicht von 4 Prozent zu höheren Abopreisen für die überwiegend jungen Konsumentinnen führen wird.

Winzer der Woche

Ungewöhnliche Worte hallten diese Woche durch das Uno-Gebäude in New York. «Die meiste Zeit meines Berufs­lebens war ich Winzer», begann der Schweizer Bundes­präsident Guy Parmelin seine Rede. Seine Mission bei der Uno-Vollversammlung: Parmelin warb für die Kandidatur der Schweiz für einen der nicht ständigen Sitze im Uno-Sicherheitsrat 2023 bis 2024. Und so führte er die diplomatische Weltelite in die Höhen und Tiefen der Önologie ein. Frost, Sturm, Fäule: Alles habe er mit seinen Reben schon erlebt. Und so fürs Leben gelernt. Umgemünzt auf die Probleme der Uno wie Pandemie, Klimawandel oder den Weltfrieden lautet des Winzers Weisheit sinngemäss: Vorbeugen komme billiger als am Ende auf dem Trocknen zu sitzen. Mit dem ungewohnten Sprachbild habe sich Parmelin wohltuend abgehoben von Angstmacher- und Scharfmacher­reden, die sich die Uno-Diplomaten ebenfalls anhören mussten, schreibt SRF anerkennend. Na dann: Tchin-tchin, Präsident Parmelin!

Transparenzhinweis: Dennis Bühler, der die Einleitung zur Berset-Affäre verfasst hat, ist Mitglied des Schweizer Presse­rates. Den Beitrag oben hat er aber nicht in dieser Funktion verfasst, sondern als Redaktor der Republik.

Illustration: Till Lauer

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