Ein Richter vor Gericht
Der Gerichtspräsident, der Baukartell-Whistleblower Adam Quadroni die Polizei vorbeischickte, hat nicht Amtsmissbrauch begangen. Das Regionalgericht Prättigau/Davos spricht ihn frei – auch wenn es urteilt, dass nicht alles sauber gelaufen ist.
Von Anja Conzett, 18.09.2021
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Ein Richter, der wegen Amtsmissbrauch vor Gericht kommt, ist hierzulande so selten wie ein dreizehnblättriges Kleeblatt, ein Steinbock mit vier Hörnern oder ein weisser Elefant – nicht ausgeschlossen, aber irgendwie hat es noch niemand mit eigenen Augen gesehen.
Und doch musste sich diese Woche Orlando Zegg, Gerichtspräsident des Regionalgerichts Engiadina Bassa, vor seinen Kollegen des Regionalgerichts Prättigau/Davos verantworten.
Es ist der erste Prozess in einer Reihe von Strafverfahren, die der ausserordentliche Staatsanwalt Urs Sutter gegen mehrere Bündner Behördenmitglieder wegen deren rechtlich fragwürdigen Umgangs mit Adam Quadroni führt – dem Mann, der das Bündner Baukartell auffliegen liess.
Es geht an diesem Prozess also nicht ums berüchtigte Bündner Baukartell selbst, sondern spezifisch um den zweiten Polizeieinsatz gegen Quadroni – und um den Mann, der ihn veranlasst hatte: Regionalgerichtspräsident Zegg.
Das Geschehen in Kürze:
Am 17. November 2017 werden sieben Polizisten bei Adam Quadroni vorstellig mit dem Ziel, eine vom Gerichtspräsidenten superprovisorisch angeordnete Zwangsmassnahme durchzusetzen; es geht um ein laufendes Eheschutzverfahren. Die Aktion sollte es der Ehefrau Quadronis, die nach dem ersten Polizeieinsatz im Juli mit den Kindern ausgezogen war, ermöglichen, persönliche Gegenstände und die Zimmereinrichtung der gemeinsamen Kinder aus dem Familienhaus abzutransportieren.
Quadroni legte den Polizisten daraufhin ein Schreiben des Kantonsgerichts vor, das belegte, dass im Rahmen dieses Eheschutzverfahrens noch Rechtsmittel hängig waren. Auch der Termin für die Räumung stand noch nicht rechtsgültig fest, was ebenfalls aus dem Schreiben hervorging. Daraufhin zogen die Polizisten wieder ab – um kurze Zeit später auf Anordnung des Gerichtspräsidenten zurückzukehren und die Massnahme mit einer neuen superprovisorischen Verfügung durchzusetzen; im (falschen) Glauben, das Vorgehen sei von Zegg mit dem Kantonsgericht abgesprochen worden.
Adam Quadroni und seine Schwester wurden während des mehrere Stunden dauernden Ausräumens der Gegenstände, bei dem nicht nur das Familienhaus, sondern auch Quadronis Elternhaus und sein Büro durchsucht wurden, in Handschellen gelegt, weil sie sich «aufgebracht und rechthaberisch aufführten». Der «reibungslose Ablauf» habe gesichert werden sollen.
Im Nachgang wurden die beiden Geschwister von einem Teil der Polizisten wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte angezeigt. Die Grenadiere, die den Auftrag hatten, Quadroni und seine Schwester zu überwachen, widersprachen den Aussagen ihrer Kollegen – es liege ihres Erachtens kein strafrechtlich relevantes Verhalten vor. Doch diese belastenden Aussagen wurden nicht als Beweismittel aufgenommen. Einem am Einsatz nicht beteiligten Polizisten wird vorgeworfen, sie unter den Tisch gewischt zu haben. Im Schlussrapport hiess es dann, die Grenadiere hätten keine Aussagen machen können. Gegen diesen Polizisten wurde vom Staatsanwalt unlängst Anklage wegen Amtsmissbrauch und Urkundendelikten erhoben.
Gerichtspräsident Zegg wird indes von Staatsanwalt Sutter vorgeworfen, «seine Amtspflichten schwerwiegend und zum krassen Nachteil» von Quadroni verletzt zu haben. Dies, indem er
versuchte, eine Zwangsmassnahme durchzusetzen, obwohl er dafür gar keine Anordnungskompetenz hatte;
einen Vollzug anordnete, obwohl der Entscheid, auf dem dieser basierte, den Parteien nicht ordnungsgemäss eröffnet wurde und damit nicht gültig sein kann;
und das alles auch noch ohne ersichtliche Dringlichkeit.
Gemäss Staatsanwalt handelte der Richter dabei wider besseres Wissen – in vollem Bewusstsein, dass er mit seinem Handeln die Chancen Quadronis auf die Zuteilung der noch zu verhandelnden Obhut empfindlich schwächte.
Das Regionalgericht Prättigau/Davos kommt nun zu einem anderen Schluss. Sie spricht den angeklagten Richterkollegen am Freitagmorgen vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs frei.
Die Begründung der vorsitzenden Richterin Patrizia Winkler, flankiert von zwei Laienrichtern: Ob der Richter die Anordnungskompetenz hatte, den in Berufung liegenden Entscheid mit einer erneuten superprovisorischen Verfügung zu überschreiben, ist bei Experten umstritten – das Gericht legt diesen Punkt zugunsten des Beschuldigten aus. Davon unabhängig stehe fest, dass sich Gerichtspräsident Zegg als zuständig wähnte. Damit fehlt es am Vorsatz, der beim Delikt des Amtsmissbrauchs zwingend vorliegen muss. Einen fahrlässigen Amtsmissbrauch kennt das Strafgesetz nicht.
Bezüglich des Anklagepunkts, dass der Entscheid den Parteien nicht ordnungsgemäss eröffnet wurde, gibt das Gericht der Anklage recht – doch trotz der groben Verletzung solch elementarer Verfahrensrechte ist der für eine Amtspflichtverletzung nötige Schweregrad aus Sicht des Regionalgerichts nicht gegeben. Und auch in Sachen Dringlichkeit hat das Gericht eine andere Auffassung als der Staatsanwalt – schliesslich hätten die Kinder des Ehepaars Quadroni seit dem Auszug im Juli 2017 auf besagte Gegenstände verzichten müssen.
Insgesamt wird dem angeklagten Richter von seinen Bündner Richterkollegen attestiert, im Sinne des Kindswohls gehandelt zu haben. Ein Punkt, der vom Rechtsvertreter Adam Quadronis, der in dem Verfahren als Privatkläger auftritt, vehement bestritten wird. So hätten die Kinder explizit polizeiliche Massnahmen abgelehnt, was mit der unverhältnismässigen, militärischen Aktion in keiner Weise gewürdigt wurde, sagt Quadronis Anwalt – noch dazu, ohne dass sich das Gericht überhaupt die Frage gestellt habe, ob auch mildere Mittel genügt hätten.
Ob Adam Quadroni oder der ausserordentliche Staatsanwalt Sutter Berufung gegen den Entscheid einlegen, ist noch offen.
Damit verschwindet der weisse Elefant nach kurzer Sichtung fürs Erste wieder im Gebüsch.
Der nächste Prozess in der Causa Quadroni steht im Winter an – vor Gericht steht dann der Polizist, der entlastende Aussagen unterschlagen haben soll.