Wie man einen nicht übertrieben guten Roman schreibt

Ein unverkennbarer Stil? Masslos überschätzt. Originalität? Viel zu anstrengend. Es gibt vielfach erprobte Alternativen dazu. Eine Anleitung.

Von Daniel Graf, 17.08.2021

Synthetische Stimme
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Das Elementare zuerst: Gehen Sie grund­sätzlich davon aus, dass Ihre Leser genügsam sind und nicht übertrieben smart; auf gar keinen Fall so smart wie Sie selbst! Aus dieser Erkenntnis leiten sich alle weiteren Regeln ab.

Eine der wichtigsten lautet:

Show AND tell!

Generationen von Schreibenden wurden mit der Losung «Show, don’t tell!» gequält: Roman­autorinnen, hiess das, sollten Phänomene sinnlich erfahrbar machen, anstatt sie zu erklären. Aber warum sollte man sich hier entscheiden müssen?

Schreiben ist Service. Lassen Sie also in Ihrem Roman kein Bild einfach so stehen – erläutern Sie es auch.

Falsch:

Obelix verschlingt drei ganze Wildschweine.

Richtig:

Obelix verschlingt drei ganze Wild­schweine, er hat einen Bärenhunger.

Klären Sie am Ende von Schlüssel­szenen noch einmal die Lage und halten Sie nach Möglichkeit kurz und bündig fest, wie die Haupt­person sich jetzt fühlt. Geläufige Adjektive und Redens­arten bieten sich hierfür besonders an. So räumen Sie auch etwaige Ambivalenzen und inter­pretatorische Vagheiten aus und stellen sicher, dass Sie richtig verstanden werden. Das ist vor allem bei gewagteren Sätzen wichtig. Beim Chatten, wenn Sie was Ironisches schreiben, vergessen Sie ja schliesslich auch nie den Zwinker-Smiley. Oder?

Wenn Sie Ihren Roman im Präsens verfassen, führt eine geschickt eingesetzte «Show and tell»-Methode übrigens ganz wie von selbst dazu, dass sich zentrale Passagen nicht unnötig von ihrer eigenen Inhalts­angabe unter­scheiden. Wodurch sie sich auch direkt für Ihren Klappen­text verwenden lassen.

Gut in Form

Da Sie allerdings auch und gerade in Form­fragen immer mit der Unaufmerksamkeit Ihrer Leserinnen rechnen müssen, besteht die Gefahr, dass Ihre besten Kunst­griffe unbemerkt bleiben. Gestalten Sie Ihre literarischen Kniffe deshalb nicht allzu subtil. Im Zweifels­fall: Wieder­holen Sie sie mehrfach und in kurzen Abständen. So machen Sie Ihre Einfälle zu Mehr­fällen! Das ist auch deutlich nachhaltiger.

Ihre besondere Hingabe sollte dem Motto des Romans gelten. Am besten wählen Sie eine ganze Motto-Serie: das Songzitat, von dem Sie schon Jahre vor Ihrer Roman­idee wussten, dass es das perfekte Motto ist. Eine Zeile aus einem literarischen Werk (prestige­trächtiger Klassiker oder entlegener hot shit). Sowie den Spruch aus Ihrem letzten Glückskeks.

Philosophisches in der richtigen Dosierung ist jedenfalls unabdingbar – auch für die Geschichte, die Sie erzählen. Um Ihrem Plot Tiefgang zu verleihen, ohne es damit zu übertreiben, eignen sich in besonderer Weise der erste und der letzte Satz eines Romans oder Kapitels. Hier können Sie Ihre Gedanken mit dem gebotenen Tremolo versehen, ohne sich in die Zwänge der Handlung zu begeben, in die Sie entweder noch nicht eingetreten sind oder von der Sie sich bereits wieder lösen.

Tiefgründigkeits-Trick: Mit dem vorletzten Satz lassen Sie im Helden eine Erkenntnis aufblitzen. Das ist Ihre Rampe für einen kühnen philo­sophischen Sprung. Mit dem Schluss­satz sagen Sie quasi noch einmal dasselbe, greifen dabei aber vom Konkreten aus ins Allgemeine – und erfassen eine anthropo­logische Konstante:

… Da erst realisierte er: Er stand tief in Sophies Schuld.

Absatz, Trommelwirbel:

Und stehen wir nicht alle tief in jemandes Schuld?

Es kann für den philosophischen Gehalt Ihres Romans äusserst vorteilhaft sein, den Text in viele Kleinst­kapitel zu unterteilen. Denn mehr Kapitel bedeuten: mehr Anfangs- und Schluss­sätze, die sich mit einer Aura der erratischen Bedeutsamkeit versehen lassen. Und aus denen Ihre Leser selbst dann eine Menge heraus­holen werden, wenn Sie gar nix hinein­gelegt haben.

Die Philosophie ist jedoch nur die eine beste Freundin der Erzähl­kunst. Es gibt noch eine zweite.

Poesie!

Verwenden Sie unbedingt die Wörter «gleissend» und «Unter­holz». Sie sind sehr poetisch!

Meta hilft

Doch seien wir ehrlich: Solche poetischen Höhen­flüge sind selten – selbst die Grössten werden nicht jeden Tag von den Musen bestürmt. Was also tun mit den etwas schwächeren Ideen?

Nur Anfänger und übertriebene Perfektionistinnen füllen in solchen Momenten den Papier­korb – und übersehen, dass ein Roman ein Kosmos voller mangel­hafter Wesen ist.

Schieben Sie Gedanken­armes und ästhetische guilty pleasures einfach Ihren Figuren in die Schuhe und drehen Sie dazu ein kleines Meta-Schleifchen. Nachdem Ihr Held seiten­weise belanglose Reflexionen angestellt oder klischee­umsäumte Felder durch­schritten hat, lassen Sie Ihre Erzählerin sagen: «Werners Alltag ähnelte mehr und mehr einem schlechten Roman.» Schon sind Sie aus dem Schneider.

Besonders praktisch ist es, wenn Ihr Protagonist beruflich irgendwas mit Sprache macht. Wortwitze und sprach­philosophische Gedanken, die Ihnen, streng genommen, ein wenig flach vorkommen, die aber irgendwie doch auch ganz gut sind, platzieren Sie in der Figuren­rede. Dann lassen Sie eine andere Figur lakonisch kommentieren, das sei ja nun eine eher mässige Pointe gewesen. So müssen Sie nie mehr einen Darling killen!

Pro-Tipp: Unschlagbar als Haupt­figur ist ein Schrift­steller in der Krise. Mit diesem Move können Sie ganze Text­entwürfe, in die Sack­gasse geratene Figuren­skizzen sowie ungeordnete Fund­stücke aus Ihrem digitalen Zettel­kasten als Text im Text in die Handlung integrieren. Im Interview zum Buch sagen Sie dann, Sie hätten schon immer ein Faible für die literatur­geschichtlichen Errungenschaften der Meta­fiktion gehabt. Um dem Gespräch final eine philosophische Note zu geben, erinnern Sie sich an den Philo-Abschnitt oben und fügen Sie nach einer Kunst­pause hinzu: «Und ist in der digitalen Post­moderne nicht längst alles Intertext?»

Take-away-Message: Ihre Freundin in der Not heisst Meta. Meta hilft immer!

Fazit

Versuchen Sie nicht krampfhaft etwas Unverwechselbares zu schaffen. Schöpfen Sie aus der gängigen Praxis. Das ist dann, im Wortsinn, selbst wieder attraktiv: Wer anziehend schreiben will, muss selbst ein Magnet sein!

Das heisst keineswegs, dass Sie die bewährten Erfolgs­pfade allesamt beschreiten müssen. Zahllose Kombinationen sind denkbar, viele Mittel­wege führen nach Rom. Sie müssen nur unterwegs die richtigen Blüten auflesen.

Dann gleisst es im Unterholz.

Zum Weiterlesen

Stephan Waldscheidt: «Schreib den verd… Roman!» Die simple Kunst, einen Bestseller zu verfassen. Ein Anti-Ratgeber. Uschtrin-Verlag, München 2006.

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