Was diese Woche wichtig war

Ex-Glencore-Händler gesteht Bestechung, Staatskrise in Tunesien und EU lockt Forscher von Schweizer Unis

Woche 30/2021 – das Nachrichten­briefing aus der Republik-Redaktion.

Von Philipp Albrecht, Christian Andiel, Reto Aschwanden, Ronja Beck und Christof Moser, 30.07.2021

Keine Lust auf «Breaking News» im Minuten­takt? Jeden Freitag trennen wir für Sie das Wichtige vom Nichtigen.

Kommen Sie an Bord, und abonnieren Sie das wöchentliche Nachrichtenbriefing der Republik!

Tunesien: Staats­präsident reisst die Macht an sich

Darum geht es: Staats­präsident Kais Saied hat am Sonntag den Minister­präsidenten Hichem Mechichi abgesetzt, das Parlament für 30 Tage suspendiert und die Immunität der Abgeordneten aufgehoben. Sicherheits­kräfte umstellten das Parlament und andere Institutionen. Auf den Strassen von Tunis gab es Auseinander­setzungen zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen. Das Büro des Nachrichten­senders al-Jazeera wurde von Polizisten gestürmt.

Tumulte auf den Strassen von Tunis: Unterstützer und Gegner des Putsches treffen vor dem Parlamentsgebäude aufeinander. Jdidi Wassim/SOPA Images/LightRocket/Getty Images

Warum das wichtig ist: In Tunesien begann vor gut zehn Jahren der Arabische Frühling. Seither ist das Land auf dem Weg zur Demokratisierung. Allerdings gab es in dieser Zeit neun verschiedene Regierungen, was eine nachhaltige Stabilisierung des Landes erschwerte. Kritiker bezeichnen das Vorgehen des 2019 mit grosser Mehrheit gewählten, parteilosen Präsidenten als Putsch. Allerdings begrüssten viele Tunesierinnen die Entmachtung des Minister­präsidenten und des Parlaments, weil sie dadurch den Einfluss der Islamisten geschmälert sehen. Die mächtige Gewerkschaft UGTT rief alle politischen Kräfte auf, die Verfassung zu respektieren. Die Menschen leiden schon länger unter einer schweren Wirtschafts­krise, die von einer stark steigenden Zahl von Corona-Ansteckungen noch verschärft wurde. In den letzten Wochen kam es immer wieder zu gewaltsamen Protesten. Manche richteten sich gegen die grösste Partei des Landes, die konservativ-islamische Ennahda, die den Parlaments­präsidenten stellt. Allerdings gingen auch Ennahda-Anhänger auf die Strasse, um gegen die Regierung zu protestieren.

Was als Nächstes geschieht: Der abgesetzte Minister­präsident Mechichi erklärte, er wolle die Lage nicht weiter erschweren und seine Verantwortung abgeben. Die Ennahda ruft zu einem nationalen Dialog auf. Bis Ende August gilt eine nächtliche Ausgangs­sperre. Momentan scheint keine Partei ein Interesse an einer weiteren Eskalation zu haben. Allerdings zeichnen sich in der weitgefächerten Parteien­landschaft auch keine stabilen Mehrheiten ab.

Corona blüht unter den fünf Ringen

Darum geht es: Die Olympischen Spiele in Tokio werden immer mehr zu «Corona-Spielen». Die Ansteckungs­zahlen in Japans Hauptstadt steigen exponentiell. Bis Ende Juni überstieg die Zahl der Neuinfektionen pro Tag nie die Zahl 500, seit Mitte Juli liegt dieser Wert bei über 1000 pro Tag, gestern erreichte er mit 3865 einen neuen Rekord. Damit stieg der Tages­schnitt im Vergleich zur Vorwoche auf über das Doppelte. Bei Olympia selbst waren bis gestern 193 Infizierte gemeldet, darunter 20 Athletinnen. Die Kritik im Land wird zunehmend schärfer, nachdem schon vor Beginn der Spiele mehr als 80 Prozent der Bevölkerung gegen die Austragung waren. «Die Leute sind extrem sauer auf das IOC und die japanische Regierung», sagte der Tokioter Politik­wissenschaftler Koichi Nakano im deutschen Sender ZDF.

Hoffentlich tragen sie die Maske nicht nur für den Fotografen: Warten in einem Park gegenüber dem Olympiastadion auf die Eröffnungsfeier. Mike Theiler/UPI Photo/Newscom/Keystone

Warum das wichtig ist: Mit den Olympischen Spielen 2020 wollte sich Japan fulminant als eine der führenden Wirtschafts- und Kultur­nationen präsentieren. Dann sollte es nach der Verschiebung um ein Jahr das ganz grosse Fest zur überwundenen Pandemie werden. Jetzt schreibt der englische «Guardian»: «Die Japaner geben Milliarden öffentlicher Gelder für eine Party aus, an die sie selbst nicht einmal gehen können.» Die Stadien sind leer, die Wettkampf­stimmung entsprechend absurd, dafür tummeln sich Zehn­tausende in der Stadt und jubeln und feiern. Dabei ist für Tokio bis zum 22. August, also gut zwei Wochen nach der olympischen Schluss­feier, der Corona-Notstand ausgerufen: die Bürgerinnen sollen zu Hause bleiben, Restaurants dürfen keinen Alkohol ausschenken und müssen abends früher schliessen. Der Image­schaden für Tokio und Japan ist enorm, schon im Vorfeld gab es eine Reihe an Skandalen und erzwungenen Rücktritten von Funktionären wegen Fehlplanungen, frauen­feindlicher oder antisemitischer Aussagen. Auch wirtschaftlich geht die Sache nicht auf, Sponsoren haben die Eröffnungs­feier boykottiert, nationale Medien fordern den sofortigen Abbruch der Spiele. Auch am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und an seinem Boss Thomas Bach wächst die Kritik, weil es aus rein wirtschaftlichen Gründen an der Austragung festhält – und weil die Folgen Japan zu tragen hat und nicht der Weltverband mit Sitz in Lausanne. Zudem liess das IOC Athletinnen per Unterschrift erklären, dass sie «auf eigenes Risiko und eigene Verantwortung» teilnehmen. Auch Todes­fälle sind dabei eingeschlossen.

Was als Nächstes geschieht: Wie sich die Infektions­zahlen entwickeln, ist unsicher, angesichts der häufig nicht befolgten Masken­pflicht in den und um die olympischen Stätten bleibt Olympia der perfekte Superspreader-Event. Zudem gibt es zunehmend Probleme mit der enormen Hitze. Bei 36 Grad und hoher Luft­feuchtigkeit sagte Tennisspieler Daniil Medwedew zum Referee: «Wenn ich sterbe, wer ist dann verantwortlich?» Beachvolley­ballerinnen müssen auf 50 Grad heissem Sand spielen. Doch egal, was passiert, das IOC wird nicht wanken, Japan wird die Sache durchziehen – und am 24. August beginnen an gleicher Stätte die Paralympics.

Ex-Glencore-Händler hat Behörden in Nigeria bestochen

Darum geht es: Ein langjähriger Glencore-Angestellter hat zugegeben, während Jahren in Nigeria Beamte der staatlichen Ölgesellschaft NNPC bestochen zu haben. Dank den Zahlungen soll Glencore einfacher an lukrativere Ölsorten gekommen sein. Am Montag wurden bei einem New Yorker Gericht Dokumente eingereicht, wonach sich der Brite, der bis 2019 bei Glencore angestellt war, nach Verhandlungen mit dem US-Justiz­ministerium schuldig bekannt hat. Die USA ermittelten schon seit 2018 gegen mehrere Glencore-Angestellte. Mindestens 7 weitere Personen sollen ebenfalls in die Bestechungen involviert sein.

Warum das wichtig ist: Die Nachricht kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt für das Unter­nehmen. Mit dem Südafrikaner Gary Nagle hat gerade erst ein neuer Chef das Ruder des viertgrössten Rohstoff­konzerns der Welt mit Sitz in Zug übernommen. Sein Vorgänger Ivan Glasenberg führte Glencore fast 20 Jahre lang mit wenig Rücksicht auf Umwelt und Personal. Die Kombination aus Menschen­rechts­verletzungen und hohen Investitionen in fossile Energien hat in der jüngsten Vergangenheit dazu geführt, dass die Aktie für Investoren unattraktiv wurde. Erst letztes Jahr hat der norwegische Staatsfonds, einer der weltweit grössten Investoren, seine Glencore-Beteiligung verkauft und das Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt. Dass ein Ex-Angestellter nun zugegeben hat, Behörden im Namen von Glencore bestochen zu haben, könnte die Bemühungen des neuen Chefs behindern, der den Konzern in allen Bereichen nach­haltiger gestalten muss.

Was als Nächstes geschieht: In einer Mitteilung bezeichnete Glencore das Verhalten des Ex-Angestellten als «inakzeptabel». Das interne Ethik- und Compliance-Programm sei in den letzten Jahren erheblich verbessert worden. Ruhiger wird es damit für Glencore aber voraus­sichtlich nicht. Noch offen ist etwa, was mit den 7 anderen in die Bestechungen involvierten Personen geschieht. Ausserdem laufen noch weitere Unter­suchungen wegen Korruption in den USA, Brasilien, Gross­britannien und der Schweiz.

Nach Aus für Rahmen­abkommen: EU lockt Schweizer Wissenschaft­lerinnen

Darum geht es: Spitzen­forscherinnen an Schweizer Hoch­schulen, die für ihre Projekte im Rahmen des EU-Forschungs­programms «Horizon» Förder­beiträge beantragt hatten, erhielten laut Recherchen des «Tages-Anzeigers» vom Europäischen Forschungsrat (ERC) das Angebot, an eine Hochschule in der Europäischen Union zu wechseln, um weiter von EU-Mitteln profitieren zu können. In der Schweiz gab es empörte Reaktionen. «So dreist versucht die EU, Top-Forscher abzuwerben», titelte der «Blick».

Warum das wichtig ist: Ende Mai hat die Schweiz das Rahmen­abkommen mit der EU einseitig für gescheitert erklärt. Eine der gravierendsten Folgen: Die EU hat die Schweiz beim fast 100 Milliarden Euro schweren «Horizon»-Forschungs­programm bis auf weiteres zum «nicht assoziierten Drittstaat» herabgestuft. Dies bedeutet für Forscher in der Schweiz, dass sie sich nur noch für europäische Forschungs­programme bewerben können, wenn der Bund einspringt und die Kosten übernimmt. Dafür sind 6 Milliarden Franken budgetiert. Von einem Drittland aus können Schweizer Forscherinnen sowie Unter­nehmen europäische Projekte allerdings nicht mehr koordinieren. Bereits zwischen 2014 und 2016 war die Schweiz nicht Teil von «Horizon». Damals brach die Beteiligung der Schweiz an EU-Forschungs­projekten ein.

Was als Nächstes geschieht: Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) hat die Schweizer Regierung in einem Brief aufgefordert, mit der EU so rasch wie möglich Verhandlungen über die volle Teilnahme an «Horizon» aufzunehmen. Auch die Vereinigung der Schweizer Universitäten schlug in einer Stellung­­nahme Alarm. Die Schweiz sei als Wissenschafts­standort auf die europäische Zusammen­arbeit angewiesen.

Zum Schluss: Unangemessen kurze Hosen im Beach­handball

Bis vor einer Woche wussten viele Leute nicht, dass es eine Sportart namens Beach­handball gibt. Sogar der üblicher­­weise gut unterrichtete «Guardian» musste in einer Fussnote einräumen, dass in einem Artikel zum Thema zunächst von Beach­volleyball die Rede gewesen war. So gesehen haben die Funktionäre der Europäischen Handball­föderation EHF (die auch für Beach­handball zuständig ist) einen PR-Coup gelandet. Dummerweise war es schlechte PR. Das Regelwerk schreibt nämlich vor, dass das Beinkleid von Beach­handballerinnen an der Seite maximal 10 Zentimeter breit sein dürfe. Doch das norwegische Frauenteam hatte keinen Bock auf Bikini­höschen und trat im Spiel um Rang 3 an den Europa­meisterschaften in Shorts an. Die Disziplinar­kommission der EHF sanktionierte diese «unangemessene Bekleidung» mit einer Busse von 1500 Euro. Und katapultierte damit die Randsportart ins Zentrum des medialen Interesses. Popstar Pink verkündete ihren gut 31 Millionen Followern auf Twitter, sie sei stolz auf die Norwegerinnen, die gegen diese «sexistischen Regeln» protestierten, und bot an, die Busse zu bezahlen. Eine Bestätigung der Überweisung steht aus. Was aber offiziell verkündet wurde: Die EHF spendet das Bussgeld. Und zwar einer «Sportstiftung, welche die Gleich­stellung von Frauen und Mädchen im Sport unterstützt».

Was sonst noch wichtig war

  • Schweiz I: Eine Arbeitsgruppe des Nachrichten­dienstes verlangt, man müsse die «Kultur des Dienstes von Sexismus befreien». Zuvor hatte eine Personal­umfrage gezeigt, dass die Angestellten sehr unzufrieden sind, besonders die Leitung kam schlecht weg. Schon im Mai war bekannt geworden, dass Geheim­dienst­chef Jean-Philippe Gaudin gehen muss.

  • Schweiz II: Im Pandemie­jahr 2020 wurden 10 Prozent mehr Krankentag­gelder ausbezahlt als noch 2019. Ähnlich hohe Auszahlungen sind fürs laufende Jahr zu erwarten, das zeigen Zahlen von Swica, der Branchen­führerin im Bereich der Kranken­taggeld­versicherung.

  • Olympische Spiele: Die Schweizer Mountain­bikerinnen holten sich in Tokio gleich alle drei Medaillen: Jolanda Neff siegte vor Sina Frei und Linda Indergand. Es ist das erste Mal, dass Schweizerinnen an Olympischen Spielen alle drei Podest­plätze besetzen. Schweizer Männern war dies zuletzt 1936 in Berlin im Boden­turnen gelungen.

Die Top-Storys

Fechter unter Verdacht Der US-amerikanische Fechter Alen Hadzic darf an den diesjährigen Olympischen Spielen teilnehmen. Im olympischen Dorf schlafen darf er aber nicht. Grund für die Spezial­behandlung: Mehrere Fechterinnen haben gegen Hadzic Beschwerde wegen sexueller Übergriffe eingereicht. Eine Recherche von «Buzzfeed News» offenbart, wie die Karriere des Fechters seit Jahren von Vorwürfen der sexualisierten Gewalt begleitet wird – und immer weitergeht.

And still I rise Gleich noch mal nach Tokio, dieses Mal zu einer bewunderns­werten Teilnehmerin: Die Turnerin Simone Biles ist eine der eindrücklichsten Sportlerinnen unserer Zeit. Erst recht, seit sie diese Woche wegen mentaler Probleme ihre Wettkampf­teilnahme an den Olympischen Spielen abgebrochen hat. Ihre Ehrlichkeit ist genauso ein Marken­zeichen wie ihre unfassbaren Sprünge. Das zeigt ein Porträt der «New York Times» über die Ausnahme­athletin, die am glücklichsten ist, wenn sie freihat.

Ausflug in die Arktis Das Eis in der Arktis schmilzt. Nur wie schnell? Eine Expedition von 300 Wissenschaftlern soll Klarheit bringen. Die NZZ hat die Arbeit von Schweizer Schnee­forscherinnen im Eis dokumentiert. Wie sie arbeiteten und was sie dabei rausfanden, lässt sich in der eindrücklich animierten Geschichte nacherleben.

Illustration: Till Lauer

Was diese Woche wichtig war

Wir beobachten für Sie das Weltgeschehen, filtern das Wichtigste heraus, ordnen es ein – und schicken es Ihnen jeden Freitag ansprechend verpackt in Ihre Inbox.

Wir fassen das Tagesgeschehen nicht nur zusammen, wir ordnen auch ein und fragen nach. Jetzt 21 Tage kostenlos Probe lesen: