«Ich bin da, wo ich bin, weil ich gut bin»

Das neue Album der englischen Rapperin Little Simz ist eine Liebeserklärung an introvertierte Menschen. Im Gespräch erzählt sie vom Glück, einen Rückzugsort in sich selbst zu wissen. Und erklärt, warum Musiker eine grosse Verantwortung haben und auch Rap über Eierstöcke seine Berechtigung hat.

Von Theresa Hein, 29.07.2021

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Ist sie die beste Rapperin der Welt? Little Simz hat zumindest viele Fürsprecherinnen. Limmat Records

Die berühmtesten Fans von Little Simz sind wohl die aus der eigenen Branche. Jay-Z, Stormzy, Kano, Kendrick Lamar, sogar der Möchtegern-Rapper Barack Obama, alle haben sie schon ihre Bewunderung kundgetan.

Little Simz wurde als Simbiatu Ajikawo in London geboren. Heute ist sie 27 Jahre alt, war schon mit den Gorillaz auf Tour und hat für ihr Album «Grey Area» (2019) bei den NME Awards den Preis für das «beste britische Album» abgesahnt. Nebenbei spielt sie auch noch in der Netflix-Serie «Top Boy» mit.

Ihr neues Album «Sometimes I Might Be Introvert» (erscheint am 3. September) huldigt der Begabung, sich aus dem Dauer­störsender Welt zurückzuziehen – wenn auch nur für einen Moment, um im nächsten umso selbst­bewusster zurück­zukehren. Mitten unter sich möglichst durch­dringend bemerkbar machenden Hip-Hop-Künstlern und in einem Jahr, in dem (zumindest in vielen Fällen) Gehör findet, wer laut schreit, hat Little Simz ein Album für Stille aufgenommen.

An einem Freitagmittag im Juli sitzt die Künstlerin in einem dunkel­blauen T-Shirt und Shorts in der prallen Sonne auf einem Londoner rooftop. Sie räkelt sich in einem Sitzsack und gibt der Republik ein Videointerview.

Little Simz, wäre die Welt eine bessere, wenn es nur introvertierte Menschen gäbe?
Ach, nein. Wir brauchen Ausgeglichenheit. Es gibt grossartige introvertierte und einzigartige extrovertierte Menschen. Extrovertierte können sich zum Beispiel so freuen, dass es ansteckend ist. Andere bleiben lieber in ihrem Kopf. Auch das ist okay, beide Charakter­typen sind auf je ihre Weise schön.

Auf Ihrem neuen Album bekommt man den Eindruck, die Ruhigen seien klar im Vorteil. Zwischen den Songs spricht die Schau­spielerin Emma Corrin (Prinzessin Diana in «The Crown») Sätze wie Mantras. Das hört sich an, als sei Intro­vertiertheit etwas Magisches.
Sie ist definitiv meine Superkraft. Ich habe nie das Bedürfnis, die lauteste Person im Raum zu sein, und trotzdem merkt man, dass ich da bin.

Was ist mit Wut? Ist die für den kreativen Prozess nicht manchmal die bessere Emotion?
Vielleicht, ich bin aber kein wütender Mensch. Ich bin sehr ruhig. Aber wenn ich mich ausdrücken will, dann geschieht das in alle Richtungen, sehr detailliert und ehrlich. Dann halte ich mich auch nicht zurück.

Der Text des neuen Songs «Speed» ist alles andere als bescheiden. Da behaupten Sie, Sie könnten mein Leben kaufen, wenn Sie einen Penny für alle Rapper bekämen, die Sie schon beeinflusst haben.
Die Zeile ist natürlich ein bisschen provokant gemeint. Aber es ist durchaus so, dass ich weiss, wo gerade mein Platz in der Musik­szene ist, vor allem in der britischen Szene. Ich habe das Gefühl, einige Rap­künstlerinnen beeinflusst zu haben. Nicht unbedingt musikalisch, mehr durch die Art und Weise, wie ich mich behaupte und zu meinen Wurzeln stehe, dadurch, dass ich mich nicht so schnell verbiegen lasse.

Einerseits sind Sie die selbst­bewusste Little Simz, andererseits stilisieren Sie sich auf dem neuen Album als zurück­gezogener Mensch, Simbiatu. Welche Seite ist die stärkere, die zurück­haltende oder die extrovertierte?
Oh, die wohnen beide harmonisch in meinem Körper zusammen. Das ist zwar oft eine Heraus­forderung, manchmal aber auch ein unerwartetes Geschenk. Gerade geht es mir sehr gut so, ich mag es, beide Kräfte zugleich in mir zu spüren. Sie helfen mir dabei, nicht zu vergessen: Meine Arbeit ist meine Arbeit. Das Persönliche hat damit nichts zu tun.

Können Sie das immer gut trennen?
Ich schon. Aber manche Leute scheinen damit ein Problem zu haben.

Sie rappen nun mal über sehr persönliche Sachen. In «I Love You, I Hate You» widmen Sie sich Ihrem Vater, der die Familie früh verliess. Da fragen Sie sich: «Are you a sperm donor or a dad to me?» Fällt es Ihnen leichter, über Privates zu rappen, als sich darüber zu unterhalten?
Zumindest für mich ist es viel einfacher, den Dingen eine musikalische Form zu geben. Die Erlebnisse fühlen sich dann eher an wie ein Tagebuch­eintrag. Ich kann nicht so gut mit Fragen umgehen, die zu persönlich sind. Ich mag es nicht, tief in mir zu graben und dann sofort formulieren zu müssen, was in mir vorgeht. In meiner Musik dagegen kann ich Gefühle sehr transparent machen und ganz ehrlich sein. Das finde ich cool, weil ich eigentlich nicht so ein offen­herziger Mensch bin. Es ist schlicht die einfachste Art, mich auszudrücken. Selbst Leute, die mir nahestehen, lernen mich besser kennen durch meine Musik. Ich habe nie wirklich mit Freunden oder meinen Verwandten über meinen Vater geredet. Dann habe ich «I Love You, I Hate You» veröffentlicht, und Leute sind auf mich zugekommen und haben gesagt: «Hey, ich wusste gar nicht, dass du dich so fühlst.»

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Little Simz - I Love You, I Hate You (Visualiser)

Sie haben ausverkaufte Konzerte gespielt, gewinnen Preise, Barack Obama und Stormzy zählen zu Ihren Fans. Drohen Sie manchmal abzuheben und Ihre «Superkraft» zu verlieren, wie Sie die Intro­vertiertheit genannt haben?
Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, ich kann mich viel bewusster zurück­ziehen. Ich habe die Gewissheit: Egal wie weit ich gehe oder auch ganz gleich, was mit meiner Karriere noch passiert, ich werde immer diesen Rückzugs­ort in mir drin haben. Das bedeutet aber nicht, dass ich die ganze Zeit total schüchtern bin. Ich bin sogar sehr selbstbewusst.

Heutzutage wirkt Zurück­haltung wie ein knappes Gut. Jeder Mensch kann seine Meinung auf sozialen Netzwerken rausblasen, viele haben den Anspruch, ihre Meinung sei die einzig allgemeingültige.
Manchmal überfordert mich das. Ich muss mich immer erst mal sortieren und mir überlegen, was ich eigentlich selbst für eine Haltung zu gewissen Dingen habe. Ich tue das, damit ich mich nicht von den Meinungen der anderen leiten lasse, bevor ich meinen eigenen Kopf anschalten kann. Natürlich will ich mich nicht total abkapseln, sondern mich trotzdem darüber informieren, was auf der Welt los ist. Gleichzeitig versuche ich, nicht zu viel an mich heran­zulassen. Darum geht es auch im ersten Song des neuen Albums, «Introvert»: Es gibt einen Haufen Chaos und Rauschen da draussen, und man muss sehen, wie man damit umgeht und sich mit dem Lärm friedlich arrangiert.

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Little Simz - Introvert (Official Video)

Was am neuen Album auffällt, sind die vielen Stücke mit Orchester. Es gibt Flöten, Bläser, Streicher, Chöre. Manchmal wirkt es mehr wie eine Oper als ein Rap-Album.
Ja, das triffts vielleicht. Als wir im Studio waren und ich sah, wie die einzelnen Songs, die ich geschrieben hatte, sich zu einem grossen Ganzen zusammen­fügten, hatte ich manchmal das Gefühl, wir würden einen Sound­track aufnehmen. Manchmal hat das Album sogar diesen Mary-Poppins-Vibe, eigentlich könnte die Musik auch einen Disney-Animations­film begleiten. Ich finde, die Instrumente eines Orchesters rufen noch mal andere Emotionen hervor.

Was fühlen Sie dann?
Das Orchester reichert mein Songwriting an mit etwas, von dem ich vorher vielleicht gar nicht unbedingt wusste, dass es da war. Manchmal lasse ich mich auch zuerst von der Musik führen und schaue, wo ich ankomme. Bei der Arbeit zu «Sometimes I Might Be Introvert» war es jedenfalls fast surreal, dem Prozess beizuwohnen – dabei ging es ja um mein eigenes Album. Dennoch habe ich mich manchmal gefühlt, als sei ich auf dem Beifahrer­sitz. Und die anderen nehmen gerade die Musik zu einem Film auf, der mein Leben ist.

Das Thema des Albums passt sehr gut in die Zeit. Hatten Sie die Idee, ein Konzept­album zu Intro­vertiertheit aufzunehmen, schon vor der Pandemie?
Das war alles vorher schon in meinem Kopf. Ich finde es nach wie vor irre, dass diese Pandemie passiert ist. Und jetzt könnte man im Nachhinein vielleicht denken, ich hätte die Songs als Reaktion darauf geschrieben. Aber das stimmt nicht. Ein paar der angesprochenen Themen wurden sicher durch die Erfahrung des Lockdowns noch mal beeinflusst. Aber ein Grossteil der Gefühle und der Gedanken, die ich mir gemacht habe, war schon vorher da.

Sie betonen oft, Sie seien in Ihrer Kindheit von starken Frauen umgeben gewesen. Was war das Wichtigste, was die Ihnen beigebracht haben?
Meine Mutter hat mich darin bestärkt, ich selbst zu sein. Sie war es auch, die mir versichert hat, ich würde jemanden finden, der mich genau dafür liebt.

Der Song «How Did You Get Here» bezieht sich auf die Heraus­forderung, als junge Frau im Musik­business Fuss zu fassen. Sie sind sehr früh sehr erfolgreich geworden. Was haben Sie erlebt, was Männer im Business nicht erlebt haben?
Die Konfrontation mit der Behauptung: «Du bist nur erfolgreich, weil du ein Mädchen bist und eine Ausnahme.» Ich musste dann für mich selbst erst lernen: Nein, ich bin da, wo ich bin, weil ich gut bin. Das ist einer der Kämpfe, die ich immer wieder kämpfen muss, er zieht sich durch meine Karriere. Anders als andere muss ich nicht nur ständig unter Beweis stellen, was ich wert bin, sondern auch, dass dieser Wert nichts mit meinem Geschlecht zu tun hat. Eine weitere Erkenntnis, die erst mit der Zeit kam: Ich kann in einem männlich dominierten Business arbeiten und trotzdem eine starke Person sein und gut auf mich selbst aufpassen.

Arbeiten Frauen in der Musik­branche Ihrer Erfahrung nach gut zusammen?
Ich bin sehr dafür, dass sich Frauen im Rap-Business unterstützen und gegenseitig voranbringen. Nur sollte das nicht durch Zwang passieren. Wenn zwei Menschen nicht miteinander auskommen, dann kommen sie eben nicht miteinander aus. Es sind nicht alle auf der gleichen Wellenlänge. Aber ich finde es grossartig, wenn Frauen Frauen unterstützen, in der Musik­industrie sollte das unbedingt viel selbst­verständlicher sein. Mein Song «Woman» ist zum Beispiel ein Liebes­brief an alle Frauen. Ich wollte damit ausdrücken: Auch wenn dich niemand wahrnimmt, ich sehe dich. Ich bin stolz auf dich. Ich unterstütze dich, so wie du bist.

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Little Simz – Woman (Live on Later)

Sie haben in Ihren Texten auch schon weibliche Geschlechts­organe thematisiert. Wird zu wenig über Eier­stöcke gerappt?
Wenn mir danach ist, mache ich das vielleicht mal wieder. Es ist so: Ich gebe in meiner Musik sehr viel preis, teile viel. Ich muss das nicht. Manchmal ist es für mich stimmiger, über etwas total Oberflächliches zu rappen. Irgendwas, was kein Problem ist. Insgesamt ist das allerdings nicht das, was Musik für mich ausmacht. Ich hatte immer schon das Gefühl, das steht alles in einem grösseren Zusammen­hang. Dass mir Menschen zuhören und dass ich diejenige sein kann, die ausspricht, was in ihren Köpfen vorgeht. Andere Dinge behalte ich gerne für mich, weil ich es darf, weil ich meine Privat­sphäre schätze. Und manchmal habe ich auch einfach Lust, mein Herz auszuschütten, vor allem auf diesem Album jetzt. Da ist es mir leicht­gefallen, ich habe einfach alles auf die Platte gebannt.

Die Musik der erfolgreichen Rapperinnen Megan Thee Stallion und Cardi B lebt von der Sexualisierung des weiblichen Körpers, ihre Videos sind von einer explosiven Vulgarität, die im Namen des Feminismus Frauen befreien soll. Wie stehen Sie zu dieser Art von Empowerment?
Ich kann nur sagen, was ich selbst als empowering bezeichnen würde, was mir Kraft gibt. Ich kann nicht für alle sprechen. Es gibt Mädchen und junge Frauen, die mögen diese Fokussierung auf den Körper durchaus bestätigend finden. Sie denken sich vielleicht, wenn sie das sehen oder hören: Ja, ich will sinnlich sein und mich sexuell befreit fühlen und für genau diese Dinge auch bewundert werden. Das ist nicht verkehrt.

Aber?
Wichtig ist: Wir brauchen viel mehr Auswahl­möglichkeiten. Als ich klein war, war Missy Elliott gerade sehr angesagt. Und ich weiss noch, dass ich damals schon verstanden habe, dass sie im Vergleich zu anderen nicht unbedingt sehr viel nackte Haut zeigt. Aber ich habe sie trotzdem als sinnliche Frau wahr­genommen. Sie muss das nicht vermarkten, es ist aber trotzdem in ihr drin. Der Mensch lässt sich nun mal nicht auf eine Eigenschaft beschränken. Bei Missy Elliott fand ich toll, dass sie so sie selbst war – zumindest hat es sich glaubhaft so angefühlt. Ich konnte mich darin wiederfinden und tue es heute noch. Das wünsche ich mir für die nächsten Generationen: eine grössere Bandbreite an Vorbildern. Damit die jungen Frauen nicht denken, es gäbe nur den einen Weg, Erfolg zu haben. Die Vorstellung, es gäbe nur ein Muster, mit dem man es an die Spitze schafft, ist Bullshit. Wir können alle neben­einander existieren und unsere Sache sehr gut machen und uns dadurch inspirieren. Das nimmt der Einzelnen nichts von ihrer Einzigartigkeit.

Aber ist es fair, dass Megan Thee Stallion berühmt wird mit Rap über ihren Hintern, während Kendrick Lamar für seine Texte über soziale Ungleichheit den Pulitzer­preis bekommt? Ist das gleich­berechtigt?
Ich finde, es muss sich die Balance halten. Es können nicht alle Kendrick Lamar sein, und es können nicht alle Meg sein. Für die unter­schiedlichen Menschen bedeutet Musik ja auch oft etwas ganz anderes. Es gibt Menschen, die wollen nicht ständig super introspektiv angesprochen werden oder sich tiefgründige Gedanken machen. Deren Leben ist schon hart, und dann wollen sie einfach nur chillen, wenn sie Musik hören. Dann wollen sie sich etwas anhören, was Spass macht, und das verstehe ich sehr gut. Es gibt aber natürlich auch Menschen, für die ist Musik eine Art Heilung, ein Weg, um Anschluss zu finden. Die wissen, da steht jemand hinter dieser Musik, der sie versteht und vielleicht einen ähnlichen Kampf ficht. Natürlich braucht man auch jemanden, der dieses Publikum anspricht. Also: Ist doch alles okay. Unfair wäre es, wenn man sagen würde, nur die höchsten Höhen haben eine Berechtigung, und der Rest gilt nichts.

Sie machen sich viele Gedanken über die Menschen, die nach Ihnen kommen. Eine Zeile lautet: «Don’t mislead the youth in your raps». An wen richtet sich die?
An alle, die versuchen, andere zu verarschen. Musik kann Menschen sehr stark prägen. Es gibt Künstler, die denken, sie hätten diese Kraft nicht. Aber das ist falsch. Als Missy Elliott in ihren Videos Adidas-Tracksuits trug, musste meine Mutter mit mir los und einen Adidas-Tracksuit kaufen. Musik kann das Unter­bewusstsein sehr stark beeinflussen, deswegen muss man auch so aufpassen, was man verbreitet. Einer der ersten Rapsongs, die ich bewusst gehört habe, war von Lauryn Hill, «Lost Ones». Ich habe ihr Selbst­bewusstsein genossen und liebte die Art, wie sie sich vom Beat tragen liess. Ich weiss nicht mehr, wie alt ich damals war, aber noch lange nicht reif genug, die emotionale Tiefe des Songs zu verstehen. Das kam erst, als ich älter wurde. Aber ich habe dennoch gespürt, dass sie etwas in mir auslöst und mich verändert. Ich konnte nicht genau sagen, was es war. Aber es war beinahe übermächtig.

Sie sagen oft den Satz, Sie möchten kein role model sein, sondern ein real model.
Jeder ist für sich selbst verantwortlich, und die Menschen treffen ihre eigenen Entscheidungen. Aber sobald du eine öffentliche Figur bist oder zur Stimme einer Generation ernannt wirst, solltest du dir dessen wenigstens bewusst sein. Vor allem in der heutigen Zeit. Das meine ich, wenn ich den Ausdruck real model verwende. Ich werde auch nicht immer alles richtig machen können. Nur: Ich will gar nicht immer alles richtig machen. Dann lerne ich ja nichts. Dabei will ich eigentlich immer wachsen und neue Dinge lernen. Und ich will auch Fehler machen. Es wäre geradezu unnatürlich, wenn ich keine machen würde.

Manchmal könnte man meinen, unsere Gegenwart würde Fehler am liebsten abschaffen. Gerade wer in der Öffentlichkeit steht, darf keine begehen.
Ja, und genau das ist doch total unrealistisch, oder? Fehler sind ein wichtiger Bestand­teil der menschlichen Entwicklung. Und anstatt jemanden öffentlich zu geisseln und zu vernichten, fände ich es besser, wenn man mit den Menschen das Gespräch suchte und sagte: «Hey, so geht es nicht.» Es gehört aber auch zu meinem Wesen, das Beste in den Menschen zu sehen und nicht das Schlimmste. Meine Nichten und Neffen haben mir zum Beispiel geholfen, die Dinge, die ich ihnen vorlebe, anders zu gewichten. Sie sind die Zukunft. Daran muss ich oft denken, wenn ich mit ihnen Zeit verbringe. Das beeinflusst, wie ich mit ihnen umgehe, und das wiederum wirkt sich auf meine Musik aus. Nicht dass meine Songs sich an Minder­jährige richten oder an Klein­kinder, aber ich merke, dass ich einen Weg finden will, in meiner Arbeit Generationen miteinander zu verbinden.

Gelingt Ihnen das?
Ich denke schon. Wenn ich auf Tour bin und ins Publikum schaue, bin ich immer ein bisschen verblüfft. Wenn ich Sie auf der Strasse sehen würde, würde ich zum Beispiel auch nicht davon ausgehen, dass Sie meine Musik hören. Und auf Konzerten ist es ähnlich, das beeindruckt mich jedes Mal. Ich kann nach rechts schauen und sehe ein älteres Paar, beide auf jeden Fall in ihren Sechzigern, aber wenn ich nach links schaue, sehe ich eine Gruppe von Teenagern. Und sie alle verstehen meine Musik. Sie erreicht eine ganze Palette an Menschen. Das finde ich wunderbar.

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