Kommt jetzt Delta Pro Max 5G? Was Sie zum zweiten Covid-Sommer wissen müssen

Die Zahlen sinken, die Schweiz entspannt sich. Das hatten wir doch schon mal. Kommt es diesmal anders?

Von Ronja Beck, Oliver Fuchs, Marie-José Kolly (Text) und Martin Fengel (Illustration), 02.07.2021

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Der Schweizer Bundesrat. Man kann ihm in dieser Pandemie ja einiges vorwerfen, aber nicht, dass er das Land gelangweilt hätte.

Mal stellt er detaillierte Pläne (mit Richt­werten!) auf, was er wann genau wieder erlauben will – nur um sie ein paar Wochen später über den Haufen zu werfen. Dann lockert er so schnell, dass die Kantone verdattert hinterher­stolpern. Und dann bleibt er wieder eisenhart, obwohl die Lobby­verbände schon fast mit Mistgabel, Käsemesser und dem ergonomischen Medizinball vor dem Bundeshaus aufmarschieren.

Kurz vor den Sommerferien hat er mal wieder alle überrascht – und praktisch alles erlaubt, was noch verboten war. Nach 16 Monaten des gefühlten Ausnahmezustands versucht sich die Schweiz diesen Sommer in so was Ähnlichem wie dem, was man früher Normalität genannt hätte.

Gleichzeitig scheint die halbe Welt plötzlich Griechisch zu sprechen: Nach Alpha ist jetzt Delta unter uns, und Delta ist uns nicht gut gesinnt. Viele fragen sich: Kommt jetzt die grosse Crash­landung?

Wir tun, was wir seit März 2020 immer tun, wenn wir viele Fragen und zu wenig Antworten haben. Wir eröffnen ein Google-Dokument. Und rufen bei denjenigen an, die Antworten haben. Zum Beispiel beim Epidemiologen Marcel Salathé.

«Ich glaube, wir haben in der Schweiz das Schlimmste hinter uns», sagt er. Wir sprechen noch eine Weile weiter. Und rufen Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft an. Wir lesen Studien, hören Podcasts, wälzen amtliche Dokumente und schauen Presse­konferenzen. Wir wollen wissen, wie das mit Sars-CoV-2 so wird in den kommenden Wochen, Monaten, Jahren. Das Ergebnis sehen Sie hier, in gewohnter Frage-Antwort-Manier.

Die 14 Fragen sind in 5 Teile gegliedert:

  1. Der Wasserstand. Und was Delta damit machen wird (Fragen 1–4)

  2. Sommer! Wohin? Und was ist mit dem Herbst? (Fragen 5–7)

  3. Das langfristige Ziel. Und die langfristigen Gefahren (Fragen 8–10)

  4. Ganz praktisch: Impfen, Testen, Masken (Fragen 11/12)

  5. Wie lange noch? (Fragen 13/14)

1. Zuerst: Wie steht die Schweiz heute da mit den Impfungen, den Fallzahlen, der Impfgeschwindigkeit?

Sie kennen sie, diese Grafik. Seit mehr als einem Jahr taucht sie immer wieder irgendwo auf, wenn Sie im Internet unterwegs sind. Vielleicht hängt sie Ihnen unterdessen zum Hals heraus. Geben Sie sich die vermaledeite Kurve noch dieses eine Mal, denn sie hält gerade eine sehr gute Nachricht für uns bereit: Sie fällt so stark in Richtung Nulllinie ab, dass wir auf ihr baldiges Verschwinden hinter derselben hoffen können.

Die Infektionskurve fällt

Positiv getestete Personen: gleitender Mittelwert über 7 Tage

15. Oktober 2015. Februar 2128. Juni 2102000400060008000 Personen

Die Daten nach dem 28. Juni sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berück­sichtigt. Stand: 1. Juli 2021. Quelle: Bundesamt für Gesundheit

Dasselbe gilt für eine weitere Kurve: Es gibt immer weniger Menschen, die nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 so schwer krank werden, dass sie im Spital behandelt werden müssen.

Der Effekt wird mit dem Impffortschritt stärker, denn die allermeisten Genesenen und Geimpften werden von ihren Immun­systemen vor einer schweren Erkrankung geschützt. Vollständig geimpft ist nun in der Schweiz mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Mindestens eine Impfdosis erhielten über die Hälfte der gut 8 Millionen, die hier leben. Mancherorts kann man nun zur Impfung hinein­spazieren, ohne sich vorher anzumelden. (Hätte das Ihr Februar-Ich Ihrem Heute-Ich geglaubt, wären Sie in der Zeit zurück­gereist, um sich selber im dunklen Winter etwas Mut zu machen?)

Fast alles gut also?

Die epidemiologische Lage ertrage gerade viel, sagte der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri kürzlich an einer Medien­konferenz. Er stelle aber auch fest, dass die Menschen nachlässiger würden: weniger Distanz, mehr Umarmungen. Um ganz sorglos werden zu können, sei aber die Durch­impfung noch zu tief. Die täglichen Covid-19-Todesfälle streben zwar gegen null, das muss aber nicht zwingend so bleiben – Sars-CoV-2 kann noch weitere Überraschungen für uns bereithalten.

Wie ein Mahnmal verkündete vor knapp zwei Wochen eine Medien­mitteilung des Bundes­amts für Statistik einen traurigen Rekord: Noch nie waren in der Schweiz innert eines Jahres so viele Menschen gestorben wie 2020. Natürlich leben jetzt auch mehr Menschen, die potenziell sterben könnten, als 1920. Aber auch im Vergleich zum Vorjahr starben 2020 sehr viel mehr Menschen – nämlich 12,4 Prozent, also ein Achtel mehr.

2. Okay, viele Menschen sind gestorben. Aber wir impfen! Gleichzeitig sind die Bars und Strassen voller Fussball­fans. Sollte mich das nervös machen?

Gute Frage. Grosse Frage. Beginnen wir doch mal mit drei guten Nachrichten.

Erstens: Wir haben Sommer. Und Sars-CoV-2 ist, wie viele andere Viren, wahrscheinlich saisonal. Was bedeutet: Wäre jetzt Herbst oder Winter, würde uns das Virus vermutlich etwas mehr beschäftigen. Diese Saisonalität kann mehrere Gründe haben. Zum Beispiel, dass UV-Licht das Virus schädigt oder wir im Sommer häufiger draussen statt drinnen sind. Die Frage ist jetzt, wie stark diese Saisonalität ist. Gemäss einer aktuellen (noch nicht peer-reviewten) Studie soll sich Rt – also die Anzahl Menschen, die eine infizierte Person ansteckt – bei Sars-CoV-2 im Sommer im Durchschnitt um 42 Prozent verringern. Bisherige Schätzungen gingen bloss von rund 20 Prozent aus. Dennoch fügen die Studien­autoren an, dass diese Reduktion immer noch zu klein sei, um komplett auf Massnahmen verzichten zu können, ohne Rt damit in die Höhe zu treiben.

Zweitens: Wir haben bald Schul­ferien. Was bedeutet: keine ungeimpften Kinder in den Schul­zimmern und weniger Menschen im Büro. Für ein Virus, das sich von Mensch zu Mensch verbreiten will, ist beides wiederum eine ausgesprochen schlechte Nachricht. Jetzt kommt es nur noch etwas darauf an, wie wir diese Sommer­ferien verbringen. Aber dazu später mehr.

Drittens und bestens: Wir haben wirksame Impfungen. Impfungen sind der beste Schutz, den wir gegen eine Infektion mit Covid-19 haben. In der Schweiz werden gar zwei der effektivsten Impfstoffe auf dem Markt gespritzt. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sie auch sehr gut gegen Varianten wirken, die es noch gar nicht gab, als die Impfstoffe entwickelt wurden.

3. Aber was ist mit Delta?

Willkommen zum Teil mit den nicht so guten Nachrichten.

Die Virusvariante Delta, die im Oktober 2020 erstmals in Indien nachgewiesen wurde, ist zurzeit das grösste Sorgen­kind in dieser Pandemie. Warum? Nun:

  • Delta (B.1.617.2) soll deutlich ansteckender oder «fitter» sein als die Variante Alpha (B.1.1.7), die in weiten Teilen der Welt zuletzt die Oberhand hatte (und bereits wesentlich ansteckender ist als der ursprüngliche Wildtyp). Wissenschaft­lerinnen gehen unterdessen davon aus, dass sie nochmals 40 bis 60 Prozent ansteckender ist als Alpha. Und damit wohl etwa doppelt so ansteckend wäre wie ihr Urgrossonkel aus Wuhan.

  • Delta kann Antikörpern besser entwischen, die wir dank Impfung oder Erkrankung gebildet haben. Und das wohl deutlich besser als Alpha, das dazu kaum fähig ist, wie Virologe Christian Drosten im Corona-Podcast vom NDR kürzlich festhielt. Eine Untersuchung der englischen Gesundheits­behörde Public Health England (PHE) hat gezeigt, dass eine Spritze voller Impfstoff von Astra Zeneca oder Pfizer nur zu 33 Prozent vor einer nachweisbaren Ansteckung mit der Delta-Variante schützen soll. Bei Alpha waren es noch 50 Prozent. Wie sich das mit der zweiten Impfdosis verändert, zeigen wir gleich.

Wir halten fest: alles ziemlicher Mist. Aber möglicher­weise in der Schweiz nicht so tragisch. Wir kommen noch dazu.

3a. Wo ist Delta?

Gemäss der Weltgesundheits­organisation WHO haben die Sequenzier­maschinen schon in über 90 Ländern «Delta!» ausgespuckt.

In Europa verbreitete sich Delta zuerst vor allem in Gross­britannien. Reisende aus Indien sollen die Variante mitgebracht haben, worauf es in Quartieren mit niedriger Impfquote und in vielen Schulen zu Ausbrüchen kam. Die Fallzahlen gehen seit Ende Mai wieder aufwärts, und dies, obwohl ausser Malta niemand in Europa bisher schneller geimpft hat als die Briten. Schottland verzeichnete kürzlich so viele Positiv­befunde wie noch nie in dieser Pandemie. Über 90 Prozent aller sequenzierte Fälle auf den Britischen Inseln sollen inzwischen Delta sein. Den angekündigten freedom day, an dem praktisch alle Verbote und Massnahmen hätten wegfallen sollen, hat die Regierung darum Mitte Juni um vier Wochen verschoben. Neu ist er für den 19. Juli geplant. (Und er heisst jetzt terminus date, also Endstations­datum. Fragen Sie uns nicht, warum.)

Die europäische Gesundheitsbehörde ECDC geht unterdessen davon aus, dass bis Ende August 90 Prozent aller Fälle in Europa durch die Delta-Variante verursacht werden. Ehrlich gesagt würde es uns nicht überraschen, wenn das schon deutlich früher so wäre. Die Virologin Sandra Ciesek sagte etwa diese Woche, dass Delta wohl jetzt schon in Deutschland dominiert. In der Schweiz schätzt das Bundesamt für Gesundheit den Anteil von Delta an den Erkrankungen auf 30 Prozent.

Auch ausserhalb Europas verbreitet sich Delta. Russland, wo 11 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind, kämpft wegen der aggressiven Variante gerade mit einer dritten Welle. Dasselbe in Südafrika, bei einer Quote von vollständig Geimpften von unter 2 Prozent. Das Land befindet sich seit kurzem wieder im Lockdown. Und gemäss WHO steigen in mindestens 12 afrikanischen Staaten die Fallzahlen. Auch die Todes­zahlen sind im Juni innerhalb einer Woche um 40 Prozent gestiegen.

Selbst im Schnellimpfer-Land Israel hat die Regierung wieder eine Masken­pflicht in Innen­räumen erlassen, nachdem es (vor allem in Schulen) zu Ausbrüchen mit der Delta-Variante gekommen war.

4. Okay, das klingt übel. Fängt jetzt der ganze Mist wieder von vorne an?

Atmen Sie zuerst mal 30 Sekunden lang durch.

Fertig? Also …

Das war gerade viel Information. Und vieles davon macht Angst. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass wir noch nicht back to normal sind und hier immer noch ein aggressives Virus umgeht. Aber genauso dürfen wir nicht vergessen: Es ist nicht 2020. Wir sind weiter als damals. Um die beste der guten Nachrichten zu wiederholen: Wir haben wirksame Impfungen.

Nun haben Sie weiter oben gelesen, dass eine Impfdosis gegen Delta deutlich weniger gut schützt, als dies bei anderen Varianten der Fall ist. Bei zwei Impfdosen jedoch sieht die Rechnung sehr viel besser aus.

Gemäss einer Studie der britischen Gesundheits­behörde PHE zeigen zwei Pfizer-Dosen gegen Delta eine Wirksamkeit von 88 Prozent (statt 93) gegen eine symptomatische Krankheit. Zum Stoff von Moderna, der ebenfalls in der Schweiz verimpft wird, gibt es noch keine richtig belastbaren Daten. Das Preprint einer ersten (von der Herstellerin mitfinanzierten) Studie deutet aber in dieselbe Richtung. Und noch einmal besser als gegen einiger­massen harmlose Symptome wie Fieber oder Husten werden Sie beide Impfstoffe vor der Einlieferung ins Spital schützen.

Daten aus den USA zu den Todes­fällen im Mai haben ausserdem gezeigt, dass 99 Prozent der Verstorbenen nicht geimpft waren.

Wichtige Anmerkung hierzu: Im Mai war Variante Delta in den USA wahrscheinlich noch kaum verbreitet. Doch auch der Blick ins Vereinigte Königreich, wo Delta sehr stark verbreitet ist, stimmt zuversichtlich. Zwar steigen die Fallzahlen seit über vier Wochen stark an, doch die Anzahl Todes­­fälle bleibt bisher tief. «Viel tiefer, als das vor einigen Monaten noch bei gleichbleibenden Fallzahlen passiert wäre», sagt Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft. In Ländern mit niedriger Impfquote sieht das leider anders aus.

5. Sommerferien. Verstreuen wir jetzt Delta und andere Varianten über den ganzen Globus?

Vor einem Jahr ist genau das passiert.

Feriengäste haben Varianten in ganz Europa herum­geschleppt. Passiert nun dasselbe in griechischen Buchstaben? Sprich: ansteckender und immun­evasiver?

Vielleicht nicht, denn: «Wir haben nun ein paar Dinge, die wir im vergangenen Sommer nicht hatten», sagt die Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft.

Erstens: Impfstoffe. Das heisst für Geimpfte: eine stark verringerte Wahrscheinlichkeit, Sars-CoV-2 zu erwischen oder zu übertragen. Und damit auch ein viel, viel niedrigeres Risiko, es ins Ausland mitzutragen oder heimzuschleppen.

Zweitens: Testing. Das heisst für Reisende: Ein Test gehört für viele Routen einfach ins Reise­mäppli, und manche Staaten übernehmen die Kosten dafür. Man vergesse das oft, sagt Hodcroft, aber im vergangenen Sommer sei es noch ganz anders gewesen. Viele Rück­kehrerinnen mussten testlos in Quarantäne. Ohne Symptome gab es in vielen Ländern keinen Test – oder man musste ihn selber bezahlen.

Natürlich sei reges Testen kein wasserdichter Schutz gegen die länder­übergreifende Verbreitung von Varianten, sagt Hodcroft. Aber das System erwische eben doch viele Fälle. «Und, you know: Es ist für die Menschen schwieriger, sich an die Quarantäne zu halten, wenn sie sich gesund fühlen und gar nicht wissen, ob sie überhaupt Covid-19 haben.» Wenn sie einen positiven Test hätten, sei das etwas ganz anderes: Dann wolle man nicht aus dem Haus und andere infizieren. Wer weiss, dass sie eine Virus­mutante im Gepäck hat, hält sich eher an die Quarantäne­bestimmungen.

5a. Okay, man darf ins Ausland reisen. Aber soll man?

Für viele Menschen war es ein richtiges Mistjahr. Da wäre es hart, ihnen auch noch die Ferien zu nehmen, sagt Hodcroft. Ganz besonders den Familien – auch wenn die jüngeren Kinder noch nicht geimpft werden können. Vielleicht könnte man also, wie die Molekular-Epidemiologin vorschlägt, mit Common Sense an die Sache herangehen:

  1. Vor den Ferien möglichst zweimal impfen, wenn man nicht sowieso schon immun ist.

  2. Den Ferienort gezielt nach niedrigen Fallzahlen und seriösen Schutz­massnahmen auswählen. Vielleicht Ferien­modelle meiden, bei denen Horden von Kindern aus ganz Europa im selben Sandkasten oder Plansch­becken zusammen­kommen und Rotz austauschen.

  3. Dort viel im Freien sein: am Strand, im Wald, auf dem Velo, auf dem Berg.

  4. «Und wenn vor dem Museum oder der Sehens­würdigkeit schon eine grosse, maskenlose Menge steht: vielleicht morgen früh wieder­kommen», sagt Hodcroft. Einfach so, dass Sie sich möglichst sicher fühlen.

Der Epidemiologe Marcel Salathé sagt, er selber würde nicht in ein Land reisen, wo die Viruslast sehr hoch ist. Einerseits aus Eigenschutz: Wo die Fallzahlen hoch sind, ist auch die Wahrscheinlichkeit grösser, dass man mit vielen Infizierten in Kontakt kommt. Andererseits, weil so ein Land gerade genügend eigene Sorgen habe. «Da muss ich nicht auch noch eine potenzielle Last für ihr Gesundheits­system sein», sagt Salathé. Dann doch lieber Ferien an einem Ort, wo bisher erst wenige geimpft sind, aber die Epidemie unter Kontrolle ist.

Wie der Rotz-Austausch im Planschbecken ist leider übrigens auch Trinken und Tanzen mit nicht immunen Leuten aus aller Welt keine besonders pandemie­taugliche Idee. Gerade mussten sich 5000 Personen in Quarantäne begeben, nachdem in den vergangenen Wochen Studentinnen aus verschiedenen spanischen Regionen auf Mallorca das Ende der Prüfungen gefeiert hatten.

6. Letztes Jahr freuten wir uns über den unbeschwerten Sommer, dann kam im Herbst der Hammer. Droht uns das erneut?

Wir wiederholen uns ein bisschen, aber es muss nochmals gesagt sein: Es gibt hochwirksame Impfungen. Und jede erwachsene Person in der Schweiz, die eine möchte, hat bis dann zwei Dosen im Oberarm. Damit ist das Allerschlimmste vorbei.

Aber Achtung: Das heisst nicht, dass die Situation nicht wieder deutlich mühsamer werden kann. Nur hat sich der Brennpunkt, verglichen mit letztem Jahr, doch deutlich verschoben. Weg von den Risiko­gruppen, hin zu den Ungeimpften.

Keine oder kaum noch Massnahmen, kein Sommer, keine Schul­ferien und eine aggressivere Variante – wenn da die Immunität fehlt, wirds gefährlich.

«Um die Geimpften mache ich mir mit Blick auf den Herbst keine grossen Sorgen», sagt Marcel Salathé, «eher um das Gesundheits­personal.» Er rechnet vor: Wenn bis im Herbst 60 Prozent der Schweizerinnen doppelt geimpft seien und weitere 10 Prozent genesen, wären immer noch 30 Prozent immunologisch naiv. «Und das ist viel.»

Ob es für unsere Spitäler zu viel ist, kommt einerseits darauf an, inwiefern wir das Virus im Herbst im Griff haben. Und andererseits darauf, wie sich die Impfungen im Land verteilen. «Wir müssen nicht nur hohe Impfzahlen erreichen, sie müssen so gleichmässig verteilt sein wie möglich», sagt Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft. «Wir dürfen keine ganze Stadt oder Bevölkerungs­gruppe ungeschützt lassen.»

6a. Was ist mit dem Impfen? Müssen wir bald ein drittes Mal ran? Und dann der jährliche Familien­ausflug ins Impfzentrum?

Eine neue Studie zu den mRNA-Impfstoffen von Pfizer und Moderna gibt Hoffnung, dass eine erneute Spritze vielleicht erst nach Jahren notwendig werden könnte.

Wann Sie sich nochmals impfen müssen, hängt mitunter davon ab:

  • wann Sie Ihre ersten beiden Spritzen erhalten haben – logischerweise;

  • wie fit Ihr Immunsystem ist

Das Bundesamt für Gesundheit und die eidgenössische Impf­kommission gehen zurzeit von Auffrisch­impfungen «frühestens ab Winter 2021/2022» aus. Viele Impfhersteller sorgen derweil vor und sind schon seit Monaten daran, die Impfrezepte an Varianten anzupassen.

7. Ich habe von «Delta plus» gehört. Das hat mir nicht gefallen

Verständlich. «Plus» bei Namen von Virensträngen ist ja ganz intuitiv etwas, das man lieber nicht hören möchte. Denn wenn Delta schon schlimm ist – wie schlimm ist dann erst Delta plus?

Aber keine Panik. Die ist hier nämlich nicht angebracht.

In die Schlagzeilen geraten ist Delta plus wegen einer Mutation namens K417N. Das ist eine Veränderung im Spike-Protein von Sars-CoV-2, also an dem Teil, mit dem das Virus an unsere Zellen andockt. Diese Mutation zeigte sich bisher bei zwei Varianten, die als besonders immunevasiv gelten, unser Immun­system so austricksen können. Und nun zeigt sie sich also auch bei Delta.

Die indische Gesundheitsbehörde hat Delta plus in mehreren Dutzend Proben entdeckt und die Unter­variante gleich als variant of concern eingestuft, also unter Beobachtung gestellt. «Es ist natürlich realistisch, K417N als red flag zu sehen und zu sagen: Hey, lasst uns hier ganz genau hinschauen», sagt Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft. «Bei Sars-CoV-2 wissen wir aber inzwischen, dass wir nicht einfach die Mutationen zusammen­zählen können und das Virus entsprechend gefährlicher wird. So einfach ist das nicht.»

Emma Hodcroft sagt, ausserhalb von Indien gebe es bisher zwei Delta-plus-Cluster, also Häufungen von Infektionen: eine vor allem in Europa und eine in den USA. «Ein paar hundert Sequenzen. Die Cluster sind nicht wirklich gross», sagt die Epidemiologin. Es gebe schlicht noch nicht genügend Daten, um klar zu sagen, ob Delta plus nun gefährlicher sei oder nicht.

Die Virologin Sandra Ciesek weist im Corona-Podcast des NDR zudem darauf hin, dass wir ja schon bei Alpha von einer Alpha-plus-Unter­variante gesprochen hätten. Diese verfügt über E484K, eine weitere Mutation im Spike-Protein, die ebenfalls mit Immun­evasion in Verbindung gebracht wird. «Bisher geht von der Alpha-plus-484-Mutation kein grosses Problem aus, sodass das im besten Fall hier genauso sein kann», sagt Ciesek.

8. Erreichen wir jetzt bald diese Herdenimmunität?

Machen wir doch erst einmal einen Schritt zurück. Es sieht nämlich so aus, dass im vergangenen Jahr sehr viele über Herden­immunität gesprochen oder geschrieben haben – aber nicht alle haben dasselbe damit gemeint.

Der Virologe Christian Drosten sagte im Interview mit der Republik Folgendes:

Wir: Haben wir bald Herdenimmunität?
Er: Erklären Sie, was Sie damit meinen.

Wenn sich, je nach Quelle, 70 oder 80 oder 90 Prozent haben impfen lassen oder immun geworden sind durch Krankheit und dann das Virus nicht weiter zirkulieren kann. Somit sind dann auch die Nicht­geimpften geschützt.
Ja – das wird hier nicht funktionieren.

Wie man am Wort selber leicht erkennen kann, kommt der Begriff aus der Veterinär­medizin. Er bezeichnet den Zustand einer Herde von – sagen wir mal – Kühen, nachdem so viele Tiere gegen einen Krankheits­erreger geimpft sind, dass dieser nicht mehr zirkulieren kann. Weil er beim Ausbrechen immer wieder durch immune Tiere geblockt wird – und irgendwann durch einen Zaun.

Nun leben Menschen ganz anders als Kühe. Nicht in abgeschlossenen Gruppen hinter Zäunen. Sondern in Netzwerken, deren Kontakt­ketten locker einmal rund um den Globus reichen. Und deren Kontakt­intensität sich lokal häuft: Mit wem wir zum Kaffee oder Bier abmachen, ist nicht zufällig. Wir haben mehr Kontakt zu Menschen, die nahe bei uns leben, die ähnlich alt sind, ähnliche Interessen haben, ähnliche Einstellungen, ähnliche Ängste. Ähnliche Haltungen zu Impfungen.

Das bedeutet, dass das Virus in Menschen, auch wenn sehr viele von ihnen geimpft sind, weniger leicht zu bremsen ist als in Kühen, von denen sehr viele geimpft sind. Es stösst erstens nicht an natürliche Grenzen wie Zäune. Und zweitens sind die Blocker – die Geimpften – nicht gleichmässig auf die Bevölkerung verteilt. In einem Freundeskreis von nicht immunen Menschen hat das Protein­häufchen auch dann freie Bahn, wenn rundherum 90 Prozent der Einwohnerinnen eines Landes geimpft sind.

Dieses Virus wird unter uns bleiben. Deshalb sagte der Zuger Kantonsarzt kürzlich an einer Medien­konferenz in Bern, es gebe für den Einzelnen im Prinzip zwei Wege: Impfung oder Ansteckung. Und deshalb sagte Christian Drosten im Republik-Interview: «Alle, die sich nicht impfen lassen, werden sich mit Sars-2 infizieren.»

8a. Okay – taugt also die Idee der Herden­immunität bei Menschen gar nicht?

Doch. Sie taugt dann, wenn man sie als Spiel mit Wahrscheinlichkeiten versteht und nicht als hundert­prozentigen Schutz für nicht immune Personen. Das greift heute schon: Mit steigendem Anteil jener, die gegen das Virus immun sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Infektion für die anderen.

Man könne sich den Immunschutz wie eine doppelte Schutzwand vorstellen, sagt die Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft. Mit einer Schicht, die Sie direkt schützt – Immunität durch Impfung oder Infektion. Und mit einer Schicht, die Sie durch die Immunität Ihrer Mitmenschen schützt. Besonders wichtig ist diese für Menschen, die beim Impfen eine schwächere Immun­antwort produzieren, oder jene, die sich nicht impfen lassen können.

Je mehr Löcher – sprich: Nichtimmune – diese zweite Schutzwand aber hat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine ungeschützte Person auf eine Viruswolke trifft. Die Idee der zweiten Schutzwand falle also in sich zusammen, wenn zu viele Leute auf sie vertrauten und sich nicht impfen liessen, sagt Hodcroft.

Je mehr Immune die zweite Schutzwand stellten, desto näher kämen wir an einen Zustand, in dem der Reproduktions­wert des Virus ganz natürlich unter 1 bleibe, sagt der Epidemiologe Marcel Salathé. «Also ohne irgendwelche Massnahmen – rein durch den Immun­schutz in der Bevölkerung.» Auch das schliesse aber lokale Ausbrüche nicht aus. Und es wisse schlicht noch niemand, sagt Salathé, ob sich lokale Ausbrüche auch zu einem grossen, das Gesundheits­system bedrohenden Ausbruch entwickeln könnten.

Die Frage nach einem bestimmten Zielwert – 70, 85, 90 Prozent Immune – ist vielleicht gar nicht so wichtig: weil Geimpfte sich eben nicht gleichmässig auf die Bevölkerung verteilen. Und weil ein Zielwert nicht festzunageln ist. Eine ansteckendere Variante, schwindende Antikörper oder ein trüber Herbst würden ihn immer wieder verändern.

Der sinnvollste Zielwert: so viel wie irgendwie möglich Prozent.

9. Delta war ja kaum die letzte Mutation – wie gefährlich sind die nächsten?

Das Horrorszenario einer Super­mutante, die sich durch zweifach geimpfte Immun­systeme frisst und im Spätherbst die Intensiv­stationen mit geschützt geglaubten Menschen füllt: Es ist nicht komplett auszuschliessen. Die Natur kennt kein Null­risikospiel.

Aber es ist sehr unwahrscheinlich.

Denn es gibt virologische Gründe, anzunehmen, dass dieses kleine Protein­häufchen nicht mehr allzu viele Kniffe zwischen seinen Stacheln versteckt hat. Das Repertoire der für Menschen ungünstigen Mutationen, die es bisher produzierte, ist – etwa im Vergleich zu den viel wandlungs­fähigeren Influenzaviren – nicht enorm. Und auch wenn die Antikörper von vollständig geimpften oder genesenen Personen abklingen, ein mutiertes Virus wieder Eingang in ihre Atemwege findet und milde Covid-19-Symptome verursacht, auch dann ist noch lange nicht alles verloren: Unser Immunsystem kann mehr als Antikörper. Seine T-Zellen etwa, die uns vor schwerer Krankheit schützen, würden das Virus an vielen verschiedenen Stellen erkennen, erklärte der Virologe Christian Drosten im erwähnten Republik-Gespräch. «Da kann das Virus ruhig ein paar seiner Merkmale durch Mutationen verlieren.»

Ein schon einmal immunisiertes Immun­system ist dem Virus gegenüber also nicht mehr «naiv». So sehe man auch bei Virus­varianten, die manche Impfungen teilweise umgehen können, dass die Impfung immer noch viel mehr leiste als nichts, sagt die Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft. Eine Virus­variante, die den gesamten Immun­schutz umgehen könnte, würde ein ziemliches Kunststück hinkriegen, sagt sie. Zudem seien die mRNA-Impfstoffe (etwa die von Pfizer und Moderna) bisher robust gegen Virus­varianten, die das Immun­system zu umgehen lernten.

Wenn also tatsächlich irgendwo eine Variante auftauche, die auch die Wirksamkeit von mRNA-Impfstoffen massiv reduziere: «Auch dann wären wir nicht zurück auf Feld eins», sagt auch der Epidemiologe Marcel Salathé. «Aber natürlich macht uns so etwas Sorgen.» Deshalb sei es wichtig, viele Viren zu sequenzieren und so die Entstehung und Verbreitung neuer Varianten zu überwachen. Und sie dann allenfalls einzudämmen.

Vorhersagen sind schwierig. Gerade in der evolutionären Biologie, sagt Hodcroft, verändere sich nicht nur ein Virus, sondern auch die Landschaft rundherum. Das heute fitteste Virus ist in der immuneren Landschaft von morgen nicht mehr besonders fit. Das morgen fitteste Virus ist in der vielleicht noch stärker immunisierten Bevölkerung von übermorgen wiederum nicht die beste Version seiner selbst. So schaffen es vielleicht andere Varianten mit breiterem Mutationen­repertoire an die Oberfläche.

«Ist das, was wir jetzt sehen, das Beste, was dieses Virus tun kann?», fragt Hodcroft. So etwas könne man als Wissen­schaftlerin einfach nie mit Sicherheit beantworten. Wissenschaftler müssten sich bei aller Hoffnung und bei aller Unwahrscheinlichkeit darauf vorbereiten, dass noch mehr kommen könnte.

Sie als Laie können sich aber fürs Erste entspannen.

10. Für wen wird es in dieser Pandemie schwierig bleiben?

In der Schweiz bleibt es wohl anstrengend für alle, die sich nicht impfen lassen können oder wollen, und für die, bei denen die Impfungen schlecht wirken.

Weiterhin gefährdet sind die Kinder. Seit kurzem können sich in der Schweiz zwar auch 12- bis 15-Jährige impfen. Alle, die jünger sind, müssen jedoch auf ihre Spritze warten. Die Rolle der Kinder und der Schulen in der Pandemie ist seit jeher eine der umstrittensten Fragen. Fakt ist: Kinder können sich mit Sars-CoV-2 infizieren, sie können Long Covid oder andere Folge­erkrankungen erleiden und sie können andere mit dem Virus anstecken. Ob sie Letzteres weniger stark tun als Erwachsene, ist bis heute nicht wirklich geklärt.

In Grossbritannien oder Israel sieht man dieser Tage, wie gefährdet die ungeimpften Kinder trotz der hohen Impfraten der Erwachsenen sind. In Israel machen sie die Hälfte aller Fälle aus. Noch nicht peer-reviewte Daten vom britischen Imperial College zeigen, dass das Virus bei Kindern und jungen Erwachsenen inzwischen fünfmal häufiger nachgewiesen wird als bei den über 65-Jährigen. Weiter weisen Daten der britischen Gesundheits­behörde gemäss Wissenschaftlerinnen darauf hin, dass die Schulen zurzeit zu den grössten Treibern zählen.

«Wir werden mit der Saisonalität des Virus im Herbst mehr Probleme haben. In so einer Situation ist das Testen in Schulen von zentraler Bedeutung», sagte auch Bundesrat Alain Berset an der Pressekonferenz vom 30. Juni.

Ebenfalls zu den Gefährdeten gehören die Immun­supprimierten. Also Menschen, die Medikamente einnehmen, die ihr Immun­system unterdrücken. Um beispielsweise zu verhindern, dass es ein transplantiertes Organ abstösst. Für Immun­supprimierte sind Impfungen erfahrungs­gemäss deutlich weniger wirksam. Sie sind selbst mit Impfung einer grösseren Gefahr ausgesetzt, an Covid-19 zu erkranken.

Ähnliches gilt für alte Menschen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Zahl der Abwehr­zellen ab, und das Immunsystem wird schwächer. Entsprechend wirken Impfungen bei älteren Menschen – bei den Grippe­impfungen wohl ab 60 aufwärts – häufig deutlich schlechter als bei jüngeren. Sie werden schneller wieder krank. Vielleicht haben Sie kürzlich gelesen, dass in Gross­britannien doppelt geimpfte Menschen an Covid verstorben sind? Alle waren über 50.

Wie stark die Wirkung von zwei Covid-Impfungen bei älteren Menschen über die Zeit nachlässt, muss noch genauer untersucht werden. Eine gerade erst veröffentlichte Studie der Universität Cambridge zeigt, dass eine erste Pfizer-Dosis bei über 80-Jährigen deutlich schlechter wirkt als bei jüngeren Menschen.

11. Ich gehöre zu denen, die sich nicht impfen lassen können oder wollen. Gibt es für mich irgendwelche Nachteile?

Erstens: Sie sind, sofern Sie auch nicht als Genesene immun sind, nicht gegen Covid-19 und seine teilweise wirklich hässlichen Nachspiele geschützt. Und Sars-CoV-2 geht mit Immunen ganz anders um als mit Nichtimmunen. Ein Beispiel: In den USA sind im Mai noch fast 20’000 Menschen an den Folgen einer Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben, dabei gingen mehr als 99 Prozent der Todes­fälle auf ungeimpfte Personen zurück. Aus welchem Grund auch immer Sie (noch) ungeschützt sind: Für Sie lohnt es sich umso mehr, vorsichtig zu bleiben.

Zweitens: Sie müssen nach wie vor in Quarantäne, falls Sie Kontakt mit infizierten Mitmenschen hatten oder aus einem sogenannten Risikoland zurück­reisen, in dem gerade eine «besorgnis­erregende» Virus­variante um sich schlägt. (Geimpfte und genesene Personen sind während 12 beziehungsweise 6 Monaten von der Quarantäne ausgenommen.)

Ansonsten: nicht wirklich. Sie kommen überallhin, wo Sie auch als nachweislich Immunisierte hinkämen, manches wird für Sie aber etwas aufwendiger, weil Sie sich für bestimmte Aktivitäten testen lassen müssen. Etwa wenn Sie per Flugzeug von irgendwoher einreisen, auch aus dem Schengen-Raum. Oder wenn Sie in einen Club oder an ein Konzert möchten, das ein Covid-Zertifikat verlangt. Wenn Sie mehrmals pro Woche an so einen Ort möchten, kein Problem: Der Bund bezahlt einen Test pro Tag. Wie lange er die Kosten übernehmen wird, «kann zum heutigen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden», schreibt das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage.

Übrigens: Falls Sie Kinder haben (oder eines sind): Wer jünger als 16 Jahre ist, hat auch ohne Covid-Zertifikat denselben Zugang wie geimpfte, genesene oder kürzlich getestete Personen. Bei Ausland­reisen verlangen manche Länder bei der Einreise für Kinder ein negatives Testresultat, andere tun das nicht. Es lohnt sich also, sich vor der Reise bei der Botschaft des jeweiligen Landes in der Schweiz über die aktuellen Regeln zu informieren.

12. Apropos Bestimmungen: Wann fällt jetzt eigentlich diese Maskenpflicht?

Wenn der Bundesrat und die Kantone sie nicht mehr wollen.

12a. Das wars?

Okay, etwas ausführlicher. Zuerst eine kurze grundsätzliche Anmerkung zu den Masken, um die seit Tag eins dieser Pandemie gestritten wird: Viele Wissenschaftlerinnen sind sich einig, dass Sie mit einer Maske das Risiko einer Covid-Erkrankung für sich selber und für andere mindern können. Und das nicht nur da, wo kein Abstand möglich ist – Stichwort Aerosole. Wie stark Masken das tun, hängt davon ab, welche getragen wird und wie sie getragen wird, also ob sie sitzt oder nicht.

Aber was, wenn man geimpft ist? Warum sollte man da noch Maske tragen? In den USA hat die Regierung die Masken­pflicht für zweifach Geimpfte im Mai aufgehoben. Das Problem dabei: Wie soll man kontrollieren, wer geimpft ist und wer nicht? «Epidemiologisch gesehen ist der Entscheid natürlich richtig», sagt Marcel Salathé. «Aber eine Masken­pflicht ergibt nur Sinn für alle oder für keinen.»

In der Schweiz ging man bisher so weit, die Masken­pflicht im Freien und in gewissen Umgebungen zu lockern: auf der Restaurant­terrasse, im Club (für Geimpfte, Genesene oder Getestete) oder am Arbeits­platz, wenn der Arbeit­geber denn will.

Mit Auge auf Delta wäre es wohl nicht verkehrt, es in öffentlichen Räumen bis auf weiteres im Istzustand zu belassen. In Grossbritannien hat die Regierung Mitte Mai die Masken­pflicht für Schüler aufgehoben, im Nachgang wohl nicht der gescheiteste Entscheid. In Israel derweil hat die Regierung wegen Delta gerade erst Masken in allen Innen­räumen ausserhalb der eigenen vier Wände wieder für obligatorisch erklärt.

In der Schweiz ist es den Kantonen seit dem 26. Juni selber überlassen, ob sie eine Masken­pflicht an Mittel- und Berufs­schulen noch wollen oder nicht. Der Kanton Zürich beispiels­weise hat sich gegen die Masken entschieden.

In gewissen Situationen werden wir Masken dafür wohl noch länger antreffen, zum Beispiel im Flugzeug. Oder beim Besuch im Pflegeheim.

13. Wann ist diese Pandemie endlich vorbei?

Sobald die WHO sagt, dass sie vorbei ist.

13a. Come on – gebt euch Mühe!

Es ist wirklich so. Ganz offiziell. Doch das wollten Sie nicht hören. Sie wollen hören, wann dieser Mist hier ein Ende hat. Wann wir uns nicht mehr vor rasant steigenden Fallzahlen fürchten müssen. Wann wir keine Massnahmen mehr brauchen. Wann alles wieder so wird wie früher.

Jetzt kommts darauf an, wie Sie «Ende» definieren.

«Das Virus ist auf der ganzen Welt verstreut, und es wird bleiben», sagt Marcel Salathé.

Heisst das jetzt, dieser Mist endet niemals? Natürlich nicht.

Salathé ergänzt: «Ein Virus, das zwar zirkuliert, aber keine grossen Ausbrüche oder Wellen mehr verursacht, interessiert nur ein paar Experten.» Eine Pandemie wird dann zur Endemie. Das Virus streunt zwar umher, aber es bringt unser Gesundheits­system nicht mehr an den Anschlag.

Salathé sagt: «Für Europa ist die Pandemie nach dem Herbst oder Winter fürs Erste erledigt.» Also doch ein Ende in Sicht. Für Europa.

Das Ding ist nur, und das weiss natürlich auch Marcel Salathé: Eine Pandemie entsteht weltweit – und sie endet weltweit.

«Wir müssen dringend auf die Frage fokussieren: Wie helfen wir dem Rest der Welt?», sagt Emma Hodcroft. «In vielen Ländern lässt die Delta-Variante die Fallzahlen steigen. Doch sie haben keine Impfungen und, was mich am meisten besorgt, sie haben nicht die Gesundheits­systeme, die wir hier im Westen haben.»

Von allen Impfdosen, die bisher global gespritzt wurden, gingen verschwindend kleine 0,3 Prozent an einkommens­schwache Länder. Afrika ist mit 3,6 Impfungen pro 100 Personen der Kontinent mit der tiefsten Impfrate (zum Vergleich: in Europa sind es 66 auf 100 Personen).

Die internationale Einkaufs­gemeinschaft Covax sollte hier eigentlich für Abhilfe sorgen und die Verteilung der Impfstoffe verbessern. Doch das Programm, das schleppend anlief, stockt bis heute, und die bis auf Ende Jahr versprochenen Impfdosen reichen lediglich für 20 Prozent der Bevölkerung in den Zielländern.

Was wir hier nicht vergessen sollten: Europa ist nicht abgekapselt vom Rest der Welt. «Wir haben gelernt: Wo das Virus zirkuliert, tauchen neue Varianten auf. Varianten, die auch Länder im Westen mit hohen Impfraten Sorge bereiten können», sagt Emma Hodcroft. «Wir müssen dieses Virus überall austreten und alle beschützen. Oder wir werden noch jahrelang in dieser Pandemie festsitzen.»

14. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, weil ich nun geschützt bin, in vielen anderen Ländern aber Impfstoff schmerzlich fehlt?

Falls Sie als Exekutiv­politikerin oder als Pharma­manager um Impfstoff verhandelt haben: vielleicht. Vielleicht nicht. Das müssen Sie mit sich selber ausmachen.

Andernfalls: nein.

Es wäre übrigens auch sinnlos, auf Ihre Impfung zu verzichten. Sie ist gekauft, sie ist hier, sie wird vermutlich so oder so aufgetaut. «Auch wenn sie nicht in Ihren Arm gespritzt wird – sie wird nicht in ein Flugzeug geladen, und sie wird nicht an eine Person gegeben werden, die sie nötiger hätte», sagt die Molekular-Epidemiologin Emma Hodcroft. Verzichten wäre unnütz, und verzichten wäre auch ungünstig: Wenn Sie als Individuum Ihren Teil zum Ende der Pandemie beitragen möchten, lassen Sie sich impfen, wenn Sie können.

Aber es spricht nichts dagegen, sich als Bürgerin dafür einzusetzen, dass reiche Länder wie die Schweiz mehr über den Teller­rand schauen. Und mehr tun, um diese Pandemie zu beenden. Etwa indem sie Impfstoff-Überschüsse schnell an die Covax-Initiative weitergeben, die daran arbeitet, einen weltweiten Impfzugang zu schaffen. Oder indem sie als Teil der internationalen Gemeinschaft Gelder für Impfstoffe und logistische Unter­stützung zur Verfügung stellen.

Einerseits: damit in Ländern, die bisher kaum Impfstoff hatten, das Schlimmste verhindert werden kann.

Und andererseits, weil wir wissen: Je weniger Virus auf der Welt zirkuliert, desto weniger Virus wird künftig vor unserer Haustür sein. «Wir dürfen nicht glauben, wir lebten in einer Blase», sagt Emma Hodcroft.

Viel zu lange habe die Welt nach China geschaut und gedacht: «Oh, schau mal, was dort passiert – isn’t that terrible.»

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