Briefing aus Bern

Corona-Massnahmen fallen, Bundesrat treibt Energie­wende voran und Bundesrät*innen sind verboten

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (152).

Von Reto Aschwanden, Elia Blülle, Dennis Bühler und Cinzia Venafro, 24.06.2021

Vor lauter Nachrichten den Überblick verloren? Jeden Donnerstag fassen wir für Sie das Wichtigste aus Parlament, Regierung und Verwaltung zusammen.

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Pandemie? Welche Pandemie? Mit steigender Durchimpfung und sinkenden Zahlen schreitet die Schweiz mit grossen Schritten der Normalisierung entgegen. Vor kurzem wollte der Bundesrat noch mit Tempo 30 raus aus den Einschränkungen. Jetzt beschleunigt er auf 180 – der Sommer kann kommen.

Draussen muss ab Samstag keine Maske mehr getragen werden, die Homeoffice-Pflicht fällt – und wir dürfen sogar wieder tanzen! Sichtlich entspannt trat Alain Berset gestern Mittwoch vor die Medien und verkündete die neuen Regeln:

  • Die Maskenpflicht im Freien fällt.

  • Es gilt keine Maskenpflicht mehr am Arbeitsplatz oder in der Sekundarschule II.

  • Fertig Homeoffice-Pflicht, neu gilt nur eine Empfehlung zur Heimarbeit.

  • Restaurants können beliebig viele Gäste pro Tisch bewirten.

  • In Clubs kann mit so vielen Freunden und Fremden wie gewünscht getanzt werden – allerdings mit Covid-Zertifikat.

  • Für Unis und Fachhochschulen gibt es keine Personenbegrenzung mehr.

  • Läden können beliebig viele Kunden empfangen.

  • Bei Grossveranstaltungen gibt es weder Maskenpflicht noch Zahlenbeschränkungen, sofern nur Leute mit Zertifikat eingelassen werden.

  • Ohne Zertifikat sind Veranstaltungen mit maximal 1000 Besuchern erlaubt – und diese müssen sitzen.

  • Bei Messen fällt die Personen­obergrenze ebenfalls.

  • Sport- und Kultur dürfen ohne Maske genossen werden. Sogar ins Fitnessstudio gehts maskenlos. Und auch die Tangostunde wird wie früher.

  • Für alle Tänze und auch das Singen mit anderen Leuten gilt: nur mit Corona-Zertifikat!

  • Die Einreisebeschränkungen werden massiv gelockert.

Ganz erhalten die Schweizerinnen ihre Freiheit aber noch nicht zurück: Denn im privaten Rahmen dürfen sich weiterhin in Innenräumen nur 30 Menschen treffen. Und im eigenen Garten darf man höchstens 50 Leute empfangen.

Schliesslich der letzte, grosse Wermutstropfen: In Innenräumen wird uns die Maske leider noch eine Weile begleiten. Denn ein Restrisiko für eine neuerliche Virus­verbreitung bleibt. «Dieser Schritt ist mutig. Wir dürfen aber nicht übermütig werden, damit wir die Kontrolle nicht verlieren», sagte Gesundheits­minister Berset.

Nach wie vor sei die Schweiz in der «Stabilisierungsphase» – die «Normalisierungphase» steht erst noch an. Doch auch diesbezüglich zeigte Berset am Mittwoch Zuversicht: «Es ist auch erfreulich zu sehen, dass die Impfbereitschaft hoch ist.» Mittlerweile haben rund 2 Millionen Schweizer ein Zertifikat erhalten. Sie sind also getestet, geimpft oder genesen.

Der Gesundheits­minister mahnt jedoch: Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass sich die Situation schnell verschlechtern kann. So habe es in Israel wieder neue Ansteckungen gegeben, obwohl die Leute wie viele in der Schweiz mit Pfizer/Biontech geimpft wurden. Deshalb bleibe das Contact-Tracing für Veranstaltungen in Innenräumen bestehen.

Seit dieser Woche empfiehlt das BAG auch Jugendlichen ab 12 Jahren die Impfung. Es sei aber keine Aufforderung, es müsse eine Abwägung bleiben.

Auch die Tourismusbranche kann sich freuen: Für Einreisen aus dem Schengenraum entfällt die Quarantäne, testen müssen sich nur noch Leute, die mit dem Flugzeug in die Schweiz einreisen. Zudem werden bei der Einreise mit dem Flugzeug weiterhin die Kontaktdaten verlangt.

Ganz unbeschwert wird der Sommer also nicht. Aber er bringt grosse Erleichterungen.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Gewalt gegen Frauen: Schweiz legt Bericht vor

Worum es geht: Die Schweiz hat einen ersten Bericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention vorgelegt. Anhand des Berichts überprüft der Europarat, ob seine Mitgliedsstaaten der Istanbul-Konvention nachkommen. Die Schweiz hat sich mit der Unterzeichnung verpflichtet, den Opferschutz und die Strafverfolgung bei Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt auszubauen.

Warum Sie das wissen müssen: Im Durchschnitt stirbt in der Schweiz alle zweieinhalb Wochen eine Frau an den Folgen von häuslicher Gewalt. Schätzungsweise 27’000 Kinder sind jährlich mitbetroffen – und der Trend geht nach oben. Mit 20’123 erfassten Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt gab es im vergangenen Jahr einen Rekord. Dank der Ratifizierung der Istanbul-Konvention habe sich in der Schweiz eine «neue Dynamik» entwickelt, hält das Eidgenössische Gleichstellungsbüro in seinem Bericht fest. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sei «in den Fokus der politischen Debatte» gerückt.

Wie es weitergeht: Als eine direkte Folge der Istanbul-Konvention sieht das Gleichstellungsbüro die Revision des Sexualstrafrechts. Hierzu hat die Rechtskommission des Ständerates kürzlich eine Vernehmlassung durchgeführt. Neu soll im Strafgesetzbuch etwa der Tatbestand der Vergewaltigung geschlechts­neutral formuliert werden. Zudem sollen sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person «angemessen bestraft werden, auch wenn keine Gewalt oder Drohungen vorliegen». In rund einem Jahr wird die unabhängige Expertengruppe «Grevio» die Schweiz besuchen und anschliessend Empfehlungen abgeben, wie die Schweiz Frauen besser vor Gewalt schützen soll. Dasselbe Ziel verfolgt das Schweizer Recherche-Projekt Stop Femizid. Auf der Plattform werden Eckdaten zu Gewalt gegen Frauen gesammelt, Hilfsangebote verlinkt und Tipps für eine achtsame Bericht­erstattung gegeben.

Energiewende: Neues Monsterpaket kommt ins Parlament

Worum es geht: Der Bundesrat will das Energie- und Stromversorgungs­gesetz revidieren und so den Anteil an erneuerbaren Energien im Strommix erhöhen. Das hält er in einer Botschaft zuhanden des Parlaments fest. Damit möchte die Regierung einerseits grüne Energie – wie etwa den Solarstrom – viel intensiver fördern, anderer­seits aber auch den Strommarkt liberalisieren und Massnahmen zu Versorgungs­sicherheit treffen. Das vorgeschlagene Gesetzes­paket ist sehr ambitioniert und umfassend. Politikerinnen verschiedener Parteien monieren, nach dem gescheiterten CO2-Gesetz sei es eine Hochrisiko­strategie, nun bereits wieder eine «überladene» Vorlage zu präsentieren, die so viel Angriffs­fläche biete.

Warum Sie das wissen müssen: 2017 hat die Schweizer Stimm­bevölkerung die Energiestrategie 2050 beschlossen und damit den Bundesrat beauftragt, die Energie­wende zu vollziehen. Sprich: Die Bewilligung von neuen Kernkraft­werken wurde verboten und gleichzeitig eine Reihe von Massnahmen verabschiedet, die den Stromverbrauch senken und emissionsarme Energie­quellen fördern sollen. Mit der Energie- und Stromversorgungs­gesetzgebung konkretisiert der Bundesrat diese Beschlüsse nun. Ausserdem ist diese Energie­strategie ein wesentlicher Bestandteil der Politik, mit der die Schweiz die Klima­neutralität bis 2050 anstrebt.

Wie es weitergeht: Als Nächstes wird das Parlament die Vorlage behandeln. Dabei dürfte vor allem die angestrebte Strommarkt­liberalisierung für grosse Differenzen sorgen. Insbesondere linke Parteien und die Gewerkschaften befürchten, dass durch die Marktöffnung der Service public abgebaut, staatliche Investition erschwert und die Strompreise ansteigen würden.

Referenden: Drei Gesetze könnten an die Urne kommen

Worum es geht: Bei der zu Ende gegangenen Sommersession haben der National- und der Ständerat insgesamt 16 Vorlagen verabschiedet. Gleich gegen drei von ihnen werden bereits oder demnächst Unterschriften gesammelt: das aktualisierte Covid-19-Gesetz, die Abschaffung der Stempelsteuer und das Medienförderungs­paket.

Warum Sie das wissen müssen: Am 13. Juni ist das Covid-19-Gesetz von gut 60 Prozent der Abstimmenden gutgeheissen worden. Formal richtete sich das von den «Freunden der Verfassung» lancierte Referendum zwar gegen das vom Parlament im September 2020 beschlossene Gesetz, mit einem Volks-Nein wären aber auch die Erweiterungen vom Dezember 2020 und März 2021 aufgehoben worden. Nun sammeln die «Freunde der Verfassung» und die Junge SVP bereits wieder Unterschriften – gegen die Erweiterung des Covid-19-Gesetzes vom März. Die Frist läuft bis zum 8. Juli. Kommt das Referendum zustande und würde es an der Urne angenommen, fielen wohl auch die vom Parlament in der Sommersession beschlossenen Änderungen dahin, wobei der Chefjurist des Bundes in der NZZ sagte, man müsse diese Frage «erst noch genauer studieren». In der Sommersession einigten sich die beiden Ratskammern nach langem Hin und Her darauf, im Gesetz keine Ausnahmen von Zulassungsbeschränkungen für Inhaber von Covid-Zertifikaten (Geimpfte, Getestete und Genesene) festzuschreiben.

Gegen die vom Parlament beschlossene Abschaffung der Stempelsteuer, für die bürgerliche Kreise jahrzehntelang kämpften, hat die SP das Referendum angekündigt. Sie sieht darin ein Steuergeschenk für Reiche. Was unbestritten ist: Die Abschaffung würde Steuereinbussen von jährlich einer Viertelmilliarde Franken bedeuten.

Gegen das Medienförderpaket, das bei der Schluss­abstimmung sowohl vom National- als auch vom Ständerat deutlich angenommen wurde, haben sich zwei Komitees in Stellung gebracht: zum einen die «Freunde der Verfassung», zum anderen der von libertären und rechtskonservativen Exponenten gegründete Verein «Nein zu staatlich finanzierten Medien».

Wie es weitergeht: Kommen die Referenden zustande, würde voraussichtlich am 28. November 2021 (Covid-19-Gesetz) respektive am 13. Februar 2022 (Stempelsteuer und Medienpaket) darüber abgestimmt.

Kriegsmaterial: Exporte nach Saudiarabien bleiben möglich

Worum es geht: Der Ständerat hat eine Motion abgelehnt, die verlangte, kein Kriegsmaterial mehr an Saudiarabien und seine Allianz zu liefern, die im Nachbarland Jemen Krieg führt.

Warum Sie das wissen müssen: Anfang Oktober 2018 wurde der Journalist und Regimekritiker Jamal Khashoggi im saudiarabischen Konsulat in Istanbul umgebracht. Zwei Monate später reichte die Zürcher SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf eine Motion ein, mit der sie die Waffenausfuhr (inklusive Ersatzteile und Munition) nach Saudiarabien unterbinden wollte. Auch alle anderen im Jemen Krieg führenden Staaten sollen kein Kriegsmaterial mehr aus der Schweiz erhalten. «Nach Erkenntnissen des amerikanischen Geheimdienstes erfolgte die Ermordung von Jamal Khashoggi auf Anordnung allerhöchster Stellen in Saudiarabien», begründete Seiler Graf. Obwohl der Bundesrat die Motion zur Ablehnung empfahl, wurde sie vom Nationalrat im vergangenen Dezember knapp angenommen; neben den geschlossen zustimmenden Fraktionen von SP, Grünen und Grünliberalen hatte eine knappe Mehrheit der Mitte-Fraktion dem Vorstoss zum Durchbruch verholfen. Anders nun im Ständerat: Am letzten Donnerstag votierte eine Zweidrittelsmehrheit gegen Seiler Grafs Motion.

Wie es weitergeht: Die Motion ist damit beerdigt. Das Thema Kriegsmaterial­exporte bleibt allerdings aktuell. Anfang Juni hat der Ständerat einem bundesrätlichen Gegenvorschlag zur Korrekturinitiative zugestimmt. Die 2019 zustande gekommene Volksinitiative war eine Antwort auf einen aufsehenerregenden Entscheid des Bundesrats, Waffenexporte auch in Konfliktregionen zuzulassen. Falls auch der Nationalrat Ja sagt zum Gegenvorschlag – was nach einem Kommissionsentscheid vom Dienstag wahrscheinlich erscheint –, werde man den Rückzug des Begehrens prüfen, teilte das Initiativkomitee mit.

Grundversorgung: Bern will schnelles Internet in den Bergen – und kein 5G-Verbot

Worum es geht: Die Schweiz soll schneller surfen – und das schon bald. So sollen Mobilfunkanbieter bis 2024 den Mobilfunk­standard 5G ausbauen können, der Nationalrat hat eine entsprechende Motion der FDP-Fraktion angenommen. Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter verwies vergeblich auf das Problem der Strahlenbelastung. Gleichzeitig hat die grosse Kammer dem Bundesrat den Auftrag erteilt, dem Parlament eine sogenannte «Hochbreitbandstrategie» zu unterbreiten.

Warum Sie das wissen müssen: In der Schweiz fährt das Postauto noch in die entlegensten Täler, und das Schweizer Fernsehen gibts auch auf Rätoromanisch. Diese Dienstleistungen gehören zum sogenannten Service public, für den sich Parlament und Stimmbevölkerung immer wieder aussprechen. Doch in den Bergen werde der Markt auch zukünftig «das gewünschte Versorgungs­niveau nicht abdecken», schreibt die Verkehrskommission des Nationalrates in einem Postulat von Mitte-Nationalrat und Randregionenlobbyist Martin Candinas. So seien «zukunftsfähige Hochbreitband­netze im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung ein zentraler Bestandteil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens».

Wie es weitergeht: Das Geschäft geht nun in den Ständerat. Dort wird Mitte-Rechts das Postulat von Megabit-Candinas, wie der Bündner in Bundesbern gern genannt wird, voraussichtlich ebenfalls durchbringen. Ziel wären damit in einem ersten Schritt 80 Megabit pro Sekunde. Ein hochauflösender Film liesse sich damit in einer Viertelstunde runterladen. Derzeit schreibt die Grundversorgung überall eine Mindest­geschwindigkeit von 10 Megabit pro Sekunde vor.

Kampfjets: Amherd will die US-Flieger kaufen

Worum es geht: Es war bisher das am stärksten versiegelte Geschäft unter der Bundeshaus­kuppel. Doch kaum hatte Verteidigungs­ministerin Viola Amherd das Dossier zur Kampfjet-Beschaffung dem Gesamtbundesrat unterbreitet, hagelte es Indiskretionen aus den Departementen. So vermelden die «NZZ» und die SRF-«Rundschau», der F-35 des US-Herstellers Lockheed habe in den Tests am besten abgeschnitten und Amherd beantrage daher, diesen Jet zu kaufen.

Warum Sie das wissen müssen: Nicht nur Amherds Ergebnisse der Jet-Evaluation sind durchgesickert, auch die Sichtweisen ihrer Kollegen werden in Bern kolportiert. So käme Widerstand aus dem EDA von Ignazio Cassis, und auch Ueli Maurer habe «Bedenken». Und dann meldete sich auch noch der ehemalige Armeechef André Blattmann zu Wort und stellte die Notwendigkeit neuer Kampfjets grundsätzlich infrage.

Wie es weitergeht: Hauchdünn sagte die Stimm­bevölkerung Ende September Ja zum Kreditrahmen von 6 Milliarden Franken für neue Kampfjets. Vom knappen Volks-Ja mit nur 50,1 Prozent beflügelt, haben die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die SP und die Grünen bereits eine neue Volksinitiative angekündigt. Die Linke misstraut vor allem den Jets aus den USA. Der Bundesrat will sich nächsten Mittwoch mit dem Geschäft befassen.

Terror: Teile des PMT gelten bereits ab Oktober

Worum es geht: Nach dem Ja zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) vor zwei Wochen macht der Bundesrat Tempo. Er setzt zwei Bestimmungen bereits auf den 1. Oktober in Kraft: Ab dann will die Regierung Kooperations­abkommen mit ausländischen Polizei­behörden ohne vorherigen Parlaments­beschluss genehmigen und anpassen. Zudem wird das Bundesamt für Polizei zu verdeckten Fahndungen im Internet ermächtigt. Weitere Umsetzungen werden in einer Verordnung geregelt, zu der die Vernehmlassung eröffnet wurde.

Warum Sie das wissen müssen: Bald wird sich zeigen, wie die Behörden ihre erweiterten Möglichkeiten einsetzen. Wie vor der Abstimmung von den Gegnern befürchtet, werden jedenfalls bereits Teile der Klimabewegung des Terrors bezichtigt, etwa vom FDP-Vizepräsidenten Philippe Nantermod. Hintergrund: Die Umwelt­bewegung Extinction Rebellion verlangt vom Bundesrat, er müsse sofort handeln, um den Klimakollaps abzuwenden. Ansonsten sähe man sich «moralisch gezwungen», die grösste Stadt des Landes friedlich lahmzulegen.

Wie es weitergeht: Die Vernehmlassung läuft bis Mitte Oktober. In Kraft treten sollen die meisten PMT-Bestimmungen in der ersten Jahreshälfte 2022.

Asyl: Afghanen werden trotz prekärer Sicherheitslage ausgeschafft

Worum es geht: Abgewiesene Asylsuchende aus Afghanistan werden im Einverständnis mit der dortigen Regierung wieder ausgeschafft. Das betrifft aktuell 144 Personen. Menschenrechts­organisationen kritisieren den Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM) scharf.

Warum Sie das wissen müssen: Afghanistan zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Durch den laufenden Abzug der Nato-Truppen verschlechtert sich die Sicherheitslage zusätzlich. In den letzten Tagen brachten die Taliban immer mehr Gebiete unter ihre Kontrolle. Lokale Politiker rufen Zivilisten dazu auf, sich zu bewaffnen und mit staatlichen Sicherheitskräften gegen die Taliban zu kämpfen, viele ziehen aber die Flucht vor. In den letzten Wochen kam es wiederholt zu Attentaten, bei denen Zivilisten getötet wurden. Das SEM versichert, es prüfe in jedem Fall «wirklich haargenau und detailliert, ob diese Person persönlich bedroht oder verfolgt sei. (…) Deshalb spielt in diesen Fällen der Truppenabzug keine Rolle.» Amnesty International Schweiz hingegen erachtet «jede Abschiebung nach Afghanistan als eine klare Menschenrechtsverletzung».

Wie es weitergeht: Das SEM gibt nicht bekannt, wann die Rückschaffungs­flüge stattfinden sollen. Dafür schickte der Bundesrat am Mittwoch eine Gesetzesänderung in die Vernehmlassung: Er will Ausreisepflichtige zu einem Covid-Test zwingen können, was bisher nicht möglich ist. Den Test verlangen viele Herkunfts- und Dublinstaaten, doch würden ihn Leute, die vor der Ausschaffung stehen, laut Regierung «immer häufiger» verweigern.

Verbot der Woche

Wie kann man sich korrekt ausdrücken, ohne jemanden auszuschliessen? Aktivist*innen greifen dazu gerne zum eben verwendeten Genderstern – und auch immer mehr Gemeinden setzen auf Pünktchen oder Striche. Aus Bürgern werden Bürger:innen, aus den Gemeindepräsidenten werden Gemeindepräsident_innen. Im Bundeshaus aber haben Genderzeichen nichts verloren: Das hält die Bundeskanzlei in einem neuen Leitfaden fest. Dem Vernehmen nach soll es in Bern gar Kräfte geben, welche grad alle potenziellen Bundesrät:innen samt ihrer Sternchen und Punkte zurück an den Herd befördern wollen. Wir finden: Soll doch die Sterne am Himmel lassen, wer will! Die Republik schreibt ihrerseits übrigens mal von Bundesrätinnen, mal von Bundesräten. Ob damit dem Ziel der Inklusion Genüge getan ist, dazu laufen immer wieder Diskussionen. Ist doch sternenklar!

Illustration: Till Lauer

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