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Wenn Verfassungs­freunde die Verfassung verletzen

Ein unbekanntes Mitglied der «Freunde der Verfassung» hat sich offenbar aus einem Facebook-Datenleck bedient. Und verschickt via SMS Abstimmungs­propaganda an Bürgerinnen.

Von Adrienne Fichter und Patrick Seemann, 09.06.2021, Update: 18.00 Uhr

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Es ist politische Propaganda, gezielt und direkt aufs Handy. Haben Sie in den letzten Tagen auch eine ominöse SMS von den Nummern 076 704 83 86 oder 076 267 13 79 erhalten mit einer Abstimmungs­empfehlung? Der Text der SMS lautet: «Du [xy], hesch das scho gseh? Ha mer das nie so genau überlegt ...» Dann folgt ein Link: 13juni.ch. Auf der Website findet man die Parolen: 5 × Nein.

Falls Sie auch so eine Nachricht erhalten haben, so sind Sie mit grosser Wahrscheinlich­keit mit Namen, Vornamen, Telefon­nummer und Geburts­datum sowie vielleicht auch mit Ihrem Beziehungs­status in einer Daten­bank einer unbekannten Orts­gruppe der sogenannten «Freunde der Verfassung» gespeichert. Dabei handelt es sich um jenen Verein, der mit einem erfolg­reichen Referendum gegen das Covid-19-Gesetz überhaupt erst die entsprechende Abstimmung vom kommenden Sonntag bewirkte.

Woher wissen wir, dass es «Verfassungs­freunde» sind, die diese Aktion starteten – und woher haben sie die Daten von so vielen Bürgerinnen?

Der Spenden-Button führt nach Dornach-Arlesheim

Die Website 13juni.ch, auf die der Handy-Link führt, enthält kein Impressum und keinerlei Hinweise auf die Urheberschaft; sie wurde offenbar erst am 26. Mai 2021 gekauft. Die Absender halten sich also auf den ersten Blick bedeckt.

Doch Massenversand von SMS und digitale Kampagnen kosten Geld, und folgt man der Spur dieses Geldes, erfährt man mehr: Der Spenden-Button führt nämlich zur Website des Vereins «Regio­gruppe Dornach-Arlesheim» – und diese organisiert nach eigenen Angaben unter anderem die regionalen Aktivitäten der Verfassungs­freunde Schweiz.

Noch direkter zu den Urhebern führte eine frühere Version der 13.-Juni-Seite, die letzte Woche noch rasch ersetzt wurde: Hier führte der Spenden-Link gleich ohne Umwege zur Website der «Freunde der Verfassung». Beide Seiten (diejenige der Regio­gruppe Dornach-Arlesheim wie auch die 13.-Juni-Seite) werden von der Firma Cynova AG entwickelt und betrieben, einem erst kürzlich von Studierenden gegründeten Unternehmen.

Dafür, dass die Gruppe für ihre Aktion das Daten­leck von Facebook nutzte, sprechen einige Indizien: Alle der Republik bekannten Empfängerinnen der SMS sind mit derselben Telefon­nummer (und genau demselben Namen) im Daten­leck von Facebook enthalten. Ein solcher mutmasslicher Missbrauch überrascht auch wenig: Das Anfang April bekannt gewordene Daten­leck betraf über 1,5 Millionen Schweizer Facebook-Accounts. Ihre Daten waren mehrere Tage frei im Netz über einen Link abrufbar. Die Republik konnte mehrere Dutzend überein­stimmende Fälle zwischen den Facebook-Daten­files und SMS-Nummern identifizieren.

Mit diesen Recherchen konfrontiert, wollen die «Freunde der Verfassung» bislang weder von der Aktion gewusst noch etwas damit zu tun haben.

Sprecher Michael Bubendorf sagt: «Bis heute kennen wir die Person, die diese Aktion durch­führte, nicht. Wir versuchen, diese zu eruieren. Sollte sich heraus­stellen, dass es sich um ein Mitglied der Verfassungs­freunde handelt, werden wir diese Person aus unserem Verein ausschliessen, da das Vorgehen unseren Werten widerspricht.»

Im weiteren Verlauf des Nachmittags nach Publikation dieser Recherche teilten die «Freunde der Verfassung» in einer Stellung­nahme mit, der Urheber – ein Mitglied der «Freunde der Verfassung» – habe mittler­weile identifiziert werden können. Er habe für die SMS-Kampagne mit einer externen Firma zusammen­gearbeitet.

Eine Fan-Base aufgebaut

Eines ist die Kampagne: geschickt und professionell. Neben dem reinen Informations­versand wollen die Verantwortlichen nämlich auch das Interaktions­verhalten der Empfängerinnen messen: Jeder Betroffene erhielt eine individuelle URL (zum Beispiel: www.13juni.ch/OIzt), anhand der die Kampagne erkennen kann, wer (beziehungs­weise welche Telefon­nummer) die Seite effektiv angesehen und die Sharing-Buttons zur Verbreitung der Parolen via Social Media genutzt hat. Damit wissen die Aktivisten, wer für weitere künftige Kampagnen empfänglich sein könnte. Die Klickraten der Handy­nutzerinnen können gar in einer Daten­bank gespeichert werden. So kann sich der Verfassungs­freunde-Fan eine Sammlung von Unter­stützern aufbauen – ohne dass diese je ihre Einwilligung dazu gegeben haben.

Es sind genau solche Aktionen, vor denen Kritikerinnen bei der Nutzung von Facebook und anderen Diensten immer wieder warnen. Diese Kampagne ist der erste mutmassliche Missbrauch der Facebook-Daten – doch die Facebook-Informationen dürften in den Tagen des Leaks im April von zahlreichen weiteren Akteuren kopiert worden sein.

Ein mahnender Brief des Daten­schützers Adrian Lobsiger an die Adresse der «Freunde der Verfassung» ist bereits unterwegs, wie die Republik auf Anfrage erfahren hat. Lobsiger bestätigt ausserdem, dass aus der Öffentlichkeit eine Anzeige eingegangen ist. Die Verwendung unrechtmässig beschaffter Personen­daten könne gegen das Datenschutz­gesetz und das Bundes­gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstossen, «die entsprechenden Personen­daten sind unverzüglich zu löschen».

Die unbekannte Person (oder Gruppe) der Verfassungs­freunde, die sich gemäss eigenen Angaben «für eine Stärkung unserer Grund­rechte» einsetzen, hat also mutmasslich selber wenig Respekt vor der Schweizer Verfassung.

Artikel 13 Absatz 2 der Bundes­­verfassung besagt nämlich: «Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.»

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