Die zweite Dosis

Sie kennen Leute, die noch unsicher sind, ob sie sich wirklich gegen Covid-19 impfen lassen sollen? Oder Sie hegen selber noch Zweifel? Hier wird Ihnen geholfen.

Von Ronja Beck (Text) und Martin Fengel (Illustration), 28.05.2021

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Wenn man ganz still war, konnte man es fast hören: das kollektive Aufatmen, das durch die Schweiz ging.

Ahhhh …!

In den letzten Wochen konnten viele Menschen im Land – junge, gesunde Menschen – ihre Impftermine buchen oder kriegten ihre erste Spritze verpasst.

Bis heute sind über 30 Prozent der Einwohnerinnen in der Schweiz und in Liechtenstein mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft.

Doch nicht alle Menschen atmen bei dieser Meldung auf.

Gemäss eines wöchentlichen Monitorings der Universität Zürich zweifelt ein Fünftel der Befragten daran, ob sie sich impfen lassen sollen, oder lehnt die Impfung gleich ganz ab. Eine Umfrage von Sotomo von Mitte März zeigte, dass es mit der Impfbereitschaft in der Schweiz vor allem bei den unter 35-Jährigen harzt.

Für gewisse Leute kommt die Spritze aus Prinzip nicht infrage. Für andere eigentlich schon. Sie haben eher situative Zweifel: Lief das mit den Covid-Impfungen nicht alles etwas zu schnell und zu glatt?

Ende Januar hat die Republik versucht, mit einem grossen Explainer die wichtigsten Fragen zu den Impfungen zu beantworten. Aber wie bei einer Impfung braucht es auch bei Information manchmal eine Auffrischung. Eine, die nicht eine Million Zeichen lang ist.

Deshalb: Ein kleiner Booster in acht Schritten gegen das letzte Bauchweh.

1. Warum ging es so schnell?

Wir alle kennen das Sprichwort: Was lange währt, wird endlich gut. Was im Umkehr­schluss heisst: Was kurz währt, wird endlich schlecht, oder?

Yes, but no.

Zuerst ganz grundsätzlich: In der Schweiz werden zurzeit ausschliesslich die beiden mRNA-Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna gegen Covid-19 gespritzt. Es ist das erste Mal, dass ein derartiger Impfstoff kommerziell, also ausserhalb von Studien, Menschen verabreicht wird.

Diese mRNA-Imfpstoffe sind in der Tat ein medizinischer Durchbruch. Ein Durchbruch, der allerdings auf einem sehr soliden Fundament gelang. Denn an dieser Impftechnologie wird seit gut 15 Jahren geforscht, und das auch an Menschen. Man darf also durchaus auch hier feststellen: Was lange währt.

Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass der Durchbruch dann doch genau jetzt gelang. Auf den zweiten Blick aber ist er die logische Folge von sehr günstigen Umständen, die eine globale Gesundheits­krise ironischer­weise mit sich bringt und von denen alle Impfstoff­produzenten profitieren. Denn von zwei Zutaten, die für die Medizinal­forschung essenziell sind, hatten wir in sehr kurzer Zeit sehr viel. Nämlich:

  • Geld, von Staaten und Organisationen, die Milliarden in die Entwicklung und Produktion der Impfstoffe schütteten.

  • Probanden für die Studien, weil Pandemie. Sprich: Weil sich sehr viele Menschen in sehr kurzer Zeit ansteckten, wusste man schnell, ob die Impfung besser wirkte als die Kochsalz­lösung für die Kontrollgruppe.

Dazu kam das sogenannte rollende Verfahren, bei welchem mehrere Stufen eines Entwicklungs­prozesses synchron ablaufen. Das Ergebnis: ein wirksamer Impfstoff zum richtigen Zeitpunkt.

2. Wie stehts um die Nebenwirkungen?

Auch dazu haben wir in unserem Explainer bereits ausgeführt: Sie müssen nach der Impfung mit einem schmerzenden Arm, mit Schlappheit, Fieber und weiteren Unannehmlichkeiten rechnen. Bei Menschen, die weder sehr alt noch sehr krank sind, sind solche Neben­effekte natürlich unerfreulich. Lebens­bedrohlich sind sie nur in den allerseltensten Fällen.

Inzwischen sind aber einige Monate vergangen seit dem Impfstart, über eine Milliarde Menschen weltweit haben eine Spritze gegen Covid-19 erhalten. Hat sich die Lage geändert? Die Zulassungs­stelle Swissmedic berichtet in ihrem letzten Briefing vom 21. Mai zur Situation in der Schweiz von 2269 Meldungen zu sogenannten «vermuteten unerwünschten Arzneimittel­wirkungen» bei den Covid-Impfungen. Bei über 1,2 Millionen vollständig geimpften Personen im Land.

84 Personen, durchschnittlich 82 Jahre alt, sind nach der Impfung verstorben. Swissmedic hält fest, dass in allen bisherigen Fällen nicht die Impfung zum Tod führte, sondern schwerwiegende (Vor-)Erkrankungen.

Die Zulassungsstelle hält in ihrem neunten Briefing zu den Nebenwirkungen fest: «Retrospektiv zeigt sich in den letzten Wochen eine etwas rückläufige Melderate, die von einer Meldung auf 0,8 Meldungen pro 1000 verimpften Dosen gesunken ist.»

Das ist eine sehr kleine Zahl, selbst wenn man noch Raum lässt für eine Dunkel­ziffer. Das Nutzen-Risiko-Profil der Impfungen bleibe deshalb, so die Swissmedic, unverändert.

2a. Und was ist mit den Thrombosen?

Bei den Impfstoffen von Astra Zeneca und Johnson and Johnson – der erste hängt in der Schweiz noch im Zulassungs­verfahren, den anderen hat die Schweiz nicht eingekauft – traten bei den breitflächigen Impfungen seltene Arten von Blutgerinnseln auf, auch Sinusvenen-Thrombosen genannt. Diese können tödlich verlaufen.

Die europäische Arzneimittel­behörde EMA hält jedoch fest, dass solche Thrombosen nach den Impfungen sehr selten sind. Bei Astra Zeneca soll sie lediglich bei 1 von 100’000 geimpften Personen auftreten.

Zudem deuten erste Daten von Forschern der Universität Oxford darauf hin, dass das Risiko einer derartigen Thrombose auch mit einer Covid-Erkrankung steigt. Und das stärker als nach einer Impfung. Die Daten sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen: Es handelt sich hierbei um einen Preprint, der noch von weiteren Wissenschaftlerinnen überprüft werden muss.

Zu schwerwiegenden Nebeneffekten kann es auch bei den mRNA-Impfstoffen von Pfizer und Moderna kommen. So vermeldete Israel, dass bei einigen Dutzend Geimpften Entzündungen des Herzmuskels auftraten. Aber wichtig: Auch hier sind die Zahlen und damit das Risiko verschwindend klein: Es sind einige Dutzend, bei mehreren Millionen Geimpften. Und auch hier weisen mehrere Studien darauf hin, dass solche Entzündungen auch als Folge einer Covid-19-Infektion eintreten können.

Es ist psychologisch verständlich, dass uns selbst seltene Nebenwirkungen einer Impfung oft mehr beunruhigen als die Risiken, die beispiels­weise eine Erkrankung mit sich bringt. Eine Krankheit ist sehr akut und kann sich bedrohlich anfühlen. Impfen lässt man sich hingegen oft, wenn man sich eigentlich völlig gesund fühlt. Das verändert die Wahrnehmung. Trotzdem kann es helfen, sich bewusst zu machen, dass eine Covid-Infektion für viel mehr Menschen viel stärkere Folgen hat als die Impfung. Zum Beispiel anhaltender Geruchs­verlust, Brain Fog, chronische Müdigkeit, Haarausfall, Kurz­atmigkeit, Depressionen, PIMS, Organ- und Nerven­schäden. Genau darum empfehlen Gesundheits­behörden wie das BAG die Impfung nicht nur als Beitrag für eine bessere Situation für alle – sondern eben auch als ganz persönlichen Schutz.

2b. Kann mich eine Impfung unfruchtbar machen?

Diese Frage haben wir im Vorfeld dieses Textes erstaunlich häufig gehört. Die Antwort lautet: NEIN, in Gross­buchstaben. Denn es handelt sich hier um eine ziemlich fiese Falschmeldung.

Ihren Ursprung hat sie in einer Abfolge von vier Aminosäuren. Die findet sich beim Spike-Protein, das an der Aussenseite von Sars-CoV-2 sitzt, wie auch bei Syncytin-1, einem Protein, das für den Aufbau der Plazenta verantwortlich ist. Diese Sequenz führte bei Impf­skeptikern zum Schluss, dass die durch die Impfung entstandenen Anti­körper nicht nur das Spike-Protein attackieren würden, sondern auch das Plazenta-Protein. Und Frauen somit unfruchtbar würden.

Ein Fehlschluss, wie Genetikerinnen festhalten. Zwar gibt es diesen Effekt im menschlichen Körper durchaus, beispiels­weise bei Kreuz­allergien. Die Abfolge von vier Aminosäuren, die sich übrigens vielfach im menschlichen Genom findet, reiche dafür aber bei weitem nicht aus. Zumal sich die Plazenta erst nach der Einnistung der Eizelle bildet, biologisch gesehen also Fruchtbarkeit voraussetzt.

Und sowieso: Würden Frauen nach einer Covid-19-Impfung tatsächlich unfruchtbar, würden sie es auch nach einer Covid-19-Erkrankung, da unser Körper ja auch bei einer Infektion Antikörper bildet. Doch auch hierfür gibt es trotz zig Millionen Corona-Fällen weltweit keine Hinweise.

3. Was ist mit Spätfolgen?

Hier hat sich seit unserem Explainer von Anfang Jahr nichts verändert: Wir können es noch immer nicht genau sagen, weil noch immer zu wenig Zeit vergangen ist. Aber wir wissen aus Erfahrung mit vorherigen Impfstoffen und aufgrund der Art und Weise, wie Impfstoffe in unseren Körpern wirken, dass sich die allermeisten Nebenwirkungen innerhalb der ersten Stunden oder Wochen nach der Injektion zeigen.

Doch dass sich viele Monate oder gar Jahre nach Ihrer Impfung plötzlich ein neuer Nebeneffekt zeigt? Sehr unwahrscheinlich. Zudem darf man Spätfolgen nicht mit seltenen Nebenwirkungen verwechseln: Nur weil ein Effekt erst Monate nach der Impfung von den Behörden zugeordnet werden kann, heisst das nicht, dass der Effekt bei den Geimpften erst nach Monaten eingesetzt hat.

4. Schützen die Impfstoffe gegen die Mutationen?

Hier wirds etwas tricky.

Zurzeit überwachen die Behörden in der Schweiz sieben verschiedene Virusvarianten, die im Land zirkulieren. Das Feld beherrscht B.1.1.7., auch britische Variante genannt. Sie verursacht zurzeit fast alle Covid-Infektionen in der Schweiz.

Hierzu gleich die guten Neuigkeiten: Die Impfstoffe von Pfizer und Moderna, das hat unter anderem eine Studie aus dem Schnellimpfer-Land Israel gezeigt, schützen gegen B.1.1.7.

Aber was ist mit den restlichen Varianten? Der südafrikanischen, der brasilianischen, der indischen?

Hier ist der Nebel noch etwas dicker. Daten aus Katar zur südafrikanischen Variante sind vielversprechend und zeigen eine noch immer hohe Effektivität des Pfizer-Impfstoffs. Auch gegen die indische Variante B.1.617.2 soll er – zwei Wochen nach der zweiten Dosis – zu sehr guten 88 Prozent wirksam sein, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der britischen Gesundheits­behörde Public Health England zeigt. Bei Astra Zeneca liegt die Wirksamkeit gemäss Studie bei 60 Prozent.

Dass sich das Virus Sars-CoV-2 mit der Zeit verändert, ist natürlich auch den Impfstoff­herstellern bewusst. Pfizer und Moderna sind schon seit Monaten daran, sogenannte Booster zu entwickeln und zu testen. Booster sind zusätzliche, teilweise modifizierte Impfungen, die die Immunität bei den Geimpften erhöhen und neuen Varianten standhalten sollen. Erste Zwischen­resultate von Moderna von Anfang Mai sehen gut aus.

5. Kann ich nach der Impfung noch an Covid-19 erkranken?

Sie können. Aber Sie werden es wahrscheinlich so schnell nicht.

Bereits in den grossen Phase-3-Studien von letztem Jahr sind einzelne Probandinnen trotz Impfung an Covid-19 erkrankt, denn: Die Impfungen bieten keinen 100-prozentigen-Schutz. Dazu kommt die Sache mit den eben beschriebenen Varianten: Je häufiger das Virus mutiert, desto eher laufen wir Gefahr, dass es Geimpfte infizieren kann.

Das BAG hat bisher 129 sogenannte Impf­durchbrüche verzeichnet, also geimpfte Menschen, die auch zwei Wochen nach der zweiten Injektion an Covid-19 erkrankt sind.

Die Zahlen sind sehr klein, und so gilt weiter: Wer sich impfen lässt, hat ein wesentlich kleineres Risiko, an Covid-19 zu erkranken oder zu sterben.

6. Ich hatte Covid bereits. Soll ich mich überhaupt noch impfen, um geschützt zu sein?

Sie sollten. Die Frage ist nur, wann.

Die Eidgenössische Kommission für Impffragen EKIF empfiehlt, sich frühestens 6 Monate nach einer bestätigten Covid-Erkrankung impfen zu lassen. Oder nach 3 Monaten, falls man zu den besonders gefährdeten Personen zählt.

Andere Länder machen das anders. Das amerikanische CDC (unser BAG in sehr gross) zum Beispiel sieht eine derartige Zeit­spanne für Genesene nicht vor. Es sei denn, man wurde mit Anti­körpern oder Blut­plasma behandelt.

Wie die WHO in einem Briefing von Mitte Mai festhält, waren in mehreren Studien ein Gross­teil der Probandinnen 6 bis 8 Monate nach ihrer Genesung noch gegen eine Infektion geschützt. Auch bei milden Symptomen soll eine Immunität für mindestens 5 Monate bestehen, wie eine New Yorker Studie mit über 30’000 Probanden zeigte.

Doch was ist mit den Varianten? Können diese uns schneller erneut krank machen? Vor allem der «Fall Manaus» wirft hier Fragen auf. Wissenschaftlerinnen hatten hochgerechnet, dass gut drei Viertel der Bewohner der brasilianischen Stadt 2020 an Covid-19 erkrankt waren. Doch bereits gegen Ende des Jahres schnellten die Fallzahlen wieder so hoch wie nie zuvor. Expertinnen stellten schliesslich fest, dass die neue Variante P.1 in der Stadt grassierte. Ob die Hochrechnung nicht stimmte, die Variante verantwortlich war oder beides ein bisschen: Man weiss es noch nicht.

Wissenschaftlerinnen vermuten, dass sich gewisse Varianten an den Anti­körpern vorbei­mogeln und uns erneut infizieren können. Wie stark und häufig sie das tun, muss jedoch noch weiter unter­sucht werden.

7. Kann ich jemanden anstecken, auch wenn ich geimpft bin?

Jetzt, da in Europa gelockert wird, als wäre es Juli 2020, ist das eine der meistdiskutierten Fragen. Erste Studien dazu aus den USA, Grossbritannien und Israel geben eine vorsichtige, aber ermutigende Antwort.

So soll bereits ein Shot von den Impf­stoffen von Pfizer und Astra Zeneca eine Übertragung an Nichtgeimpfte um bis zu 49 Prozent verringern. In Israel haben Untersuchungen an Geimpften, die positiv auf Covid-19 getestet wurden, gezeigt, dass die Viruslast bei ihnen deutlich tiefer war als bei ungeimpften Erkrankten. Und wer weniger Viren in sich hat, das wissen wir aus vorangehender Forschung, ist wahrscheinlich auch weniger ansteckend.

Trotz dieser Ergebnisse lohnt sich Umsicht. Denn nur, weil man weniger ansteckend ist, heisst das nicht, dass man gar nicht mehr ansteckend ist.

So weit der aktuelle Stand der Dinge. Unser Fazit bleibt nach wie vor: Es dürfte sich für die allermeisten Menschen lohnen, sich impfen zu lassen – auch wegen des persönlichen Schutzes, der wieder ein viel unbeschwerteres Leben ermöglicht. Falls Sie immer noch Zweifel haben, fragen Sie Ihre Ärztin. Oder Ihre geimpften Kollegen. Viele werden Ihnen bestätigen: Es fällt doch eine ziemliche Last von den Schultern.

In einer früheren Version haben wir eine zu tiefe Zahl der Erstgeimpften in der Schweiz angegeben. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

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