Das Schema F

Saatgut, Pestizide, Vertrieb: Fenaco bietet Schweizer Bauern eine Rundumversorgung – zum Preis enormer Abhängigkeit. Nun drohen zwei Initiativen das gut geölte System ins Stottern zu bringen. Und stellen die intensive Land­wirtschaft infrage.

Von Philipp Albrecht (Text) und Daniel Stolle (Illustration), 18.05.2021

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Der Giftschrank ist längst kein Schrank mehr. Sondern ein Raum, so gross wie ein Kinderzimmer.

Mit einer kräftigen Armbewegung öffnet Lea Egli die Tür. Sie seufzt und lässt den Blick durch das Zimmer schweifen. Die Regale sind von oben bis unten mit bunten Kanistern und Säcken gefüllt – Pestizide, Herbizide, Fungizide. Es sind die Pflanzen­schutz­mittel, die sie braucht, um ihre Felder zu bestellen.

Was würde es bedeuten, wenn Lea Egli auf diese Mittel verzichten müsste, so wie es die Initiativen «für sauberes Trinkwasser» und «für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» fordern, über die am 13. Juni abgestimmt wird?

Der Konzern, der das System vorgibt

Lea Egli ist Bäuerin. Keine echte Bäuerin, sondern eine erfundene. Doch die Schwierig­keiten, in denen sie steckt – und die Über­legungen, die sie sich zu Pestiziden macht –, teilt sie mit vielen realen Schweizer Landwirtinnen.

Warum wir eine fiktive Bäuerin porträtieren

Lea Egli ist eine erfundene Person. Doch die Eckdaten und Fakten zu den Betrieben von ihr und ihrem Cousin basieren auf echten Betrieben. Bauern und Lieferanten aus der Land­wirtschaft haben uns dazu detailliert Auskunft gegeben. Weil sie ihre Kritik an Fenaco aber nicht über die Medien öffentlich machen wollen – erst recht nicht so kurz vor den Abstimmungen zu den beiden Agrar­initiativen, die sie ablehnen –, haben wir ihre Ansichten sowie die Heraus­forderungen, die das Verhältnis zu Fenaco mit sich bringt, in einer fiktiven Figur konzentriert.

Ähnlich sind wir vor den nationalen Wahlen 2019 beim Thema Lobbying vorgegangen, unsere damaligen Überlegungen finden Sie hier.

Eglis Hof liegt im Kanton Thurgau, direkt am Bodensee. Sie hat ihn mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Buben vor zwei Jahren von ihrem Vater übernommen, mitsamt allen Geschäfts­beziehungen und Verträgen. Es ist kein Bio-, sondern ein konventioneller Betrieb, so wie die grosse Mehrheit in der Schweiz.

Vieles auf diesem Hof – auch das ist typisch für die Bauernwelt – spielt sich nach einem eingespielten Schema ab. Nach Mustern und Abläufen, die vom wichtigsten Landwirtschafts­konzern des Landes organisiert werden.

Dieser Konzern heisst Fenaco.

Welche Rolle er in ihrem Bauern­leben spielt, ist Lea Egli erst vor kurzem voll bewusst geworden. Sie sass abends mit ihrem Mann bei einem Glas Wein am Tisch, um administrative Arbeiten zu erledigen. Dabei fiel ihr auf, wie viele ihrer Geschäfts­verbindungen eigentlich über die lokale Landi laufen.

Ein paar Tage später war ihr Cousin Max zu Besuch, der im Aargau einen Biobetrieb führt. Er machte sie auf etwas anderes aufmerksam: Die meisten Firmen, mit denen Egli in Kontakt steht, sind Tochter­firmen von Fenaco.

Seither kreisen Eglis Gedanken darum, wie das alles zusammen­hängt: die Pflanzen­schutz­mittel, das Saatgut, die Betriebs­rechnung. Und sie fragt sich, welchen Einfluss jener weit verästelte Agrar­konzern dabei ausübt, bei dem sie gleichzeitig Kundin und Lieferantin ist.

Umzustellen, so wie es die Agrar­initiativen fordern, wäre gar nicht so einfach, realisiert Egli. Denn das Schema F, nach dem die Land­wirtschaft von Fenaco durch­orchestriert ist, lässt nicht allzu viele Abweichungen zu.

1. Saatgut und Dünger: Die Landi liefert

Auf ihrem Hof hält Lea Egli 100 Kühe. Deren gesamte Milch verkauft sie einem Käse­produzenten in der Region. Daneben hat sie 70 Hektaren Land, auf denen hauptsächlich Apfel­bäume stehen, wo aber auch Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Raps, Mais und Zucker­rüben kultiviert werden. Dafür braucht Egli in regel­mässigen Abständen frische Samen und Setzlinge.

Unter den Samenhändlern in der Schweiz gibt es wenig Konkurrenz. So kauft die Bäuerin 80 Prozent ihres Saatguts bei der Fenaco-Tochter UFA ein. Fast alles davon ist aus Deutsch­land, Frankreich und anderen EU-Ländern importiert. Egli hat heraus­gefunden: Sie zahlt dafür in der Schweiz bis zu 50 Prozent mehr als ein Bauer auf der deutschen Seite des Bodensees.

Das System ist so angelegt, dass Egli Rabatt erhält – und zwar dann, wenn sie die Ernte später wieder der Landi verkauft, also an Fenaco. Das steht zwar nicht explizit so im Vertrag, aber von einem anderen Obst­bauern, der die Samen für seinen Raps und Mais bei der Landi bezieht, die Ernte aber woanders verkauft, weiss sie, dass er mehr fürs Saatgut bezahlt als sie.

Ihre Apfelbäume hingegen, die nur alle 15 bis 20 Jahre ersetzt werden müssen, bezieht sie bei einer unabhängigen Baum­schule aus der Region. Dort kauft sie jeweils zweijährige Bäume, die bereits über 1,80 Meter gross sind. Hier hat der Bauern­konzern Fenaco die Hände nicht im Spiel.

Beim Dünger kann sie einen Teil des Bedarfs mit dem Mist der eigenen Kühe decken. Aber weil dessen Nährstoff­gehalt schwankt, braucht sie gerade im Frühjahr, wenn der Boden noch kalt ist, mitunter viel Stickstoff. Am einfachsten erhält sie diesen bei der Landi. Allerdings nicht ganz günstig: Dünger kostet in der Schweiz rund ein Drittel mehr als im benachbarten Ausland. Das ist auch der Dominanz der Fenaco-Tochter Landor geschuldet, die den Dünger meist abgepackt ausliefert (in Deutschland kauft man ihn mehr­heitlich offen) und die dank hohen Import­mengen der Konkurrenz wenig Chancen lässt. Der Markt­anteil von Landor liegt bei 70 bis 80 Prozent.

Cousin Max, der Biobauer, muss sich beim Dünger nicht mit Fenaco herum­schlagen. Er verwendet den Mist seiner eigenen Kühe und setzt auf Grün­düngung. Den Anteil Biodünger, den er hin und wieder zukaufen muss, kann er zum Glück klein halten – er kostet viermal mehr als konventioneller.

Egli will versuchen, nächstes Jahr erstmals beim Maschinen­ring Ostschweiz einzukaufen, einer landwirt­schaftlichen Organisation. Diese hat unlängst einen Kanal für Parallel­importe ausfindig gemacht und beliefert nun Betriebe in der Ostschweiz. Allerdings ist die Nachfrage enttäuschend klein, wie Egli erfahren musste, da viele Bauern die Beziehungen mit der Landi nicht aufs Spiel setzen wollen. Es herrscht eine Art soziale Kontrolle: Bestellt ein Obst­bauer plötzlich keinen Dünger mehr bei der Landi, wird das registriert. Und bald spricht es sich herum.

Die Verhältnisse sind zwar offener als auch schon. Bis vor 15 Jahren zwangen gewisse Landis die Bauern noch zu Knebelverträgen: Wer etwa Gemüse oder Obst liefern wollte, musste auch den Dünger bei den Landis kaufen. Heute gibt es offiziell keine solchen einseitigen Vorgaben mehr.

Doch die Wirkung ist dieselbe geblieben. Je mehr Dienst­leistungen über die Landi abgewickelt werden, desto besser die Bedingungen.

Das gilt auch für den Pflanzenschutz.

Ich will es genauer wissen: Die fünf Geschäfts­felder von Fenaco

Agrar: Für den Anbau von Gemüse, Obst und Getreide werden Samen, Setzlinge, Dünger und Pflanzen­schutz­mittel geliefert. Für Nutztiere wird das Futter­mittel produziert und geliefert. Zudem wird die Zucht und Mast von Nutztieren vermarktet. Ins gleiche Geschäfts­feld fallen auch der Import, der Verkauf und die Reparatur von Land­maschinen aller Art. Wichtigste Firmen und Marken: UFA, Melior, Landor, Agroline, Anicom, Serco. Umsatz 2020: 1,96 Milliarden Franken.

Lebensmittelindustrie: In fünf Produktions­betrieben werden Tiere geschlachtet und die verarbeiteten Produkte an Metzgereien und den Detail­handel verkauft. Gastronomie und Detail­handel beziehen Gemüse, Früchte, Salate, Eier und Pasta. McDonald’s Schweiz wird seit den 1970er-Jahren mit Pommes frites beliefert. Zudem wird Wein gekellert und Apfelsaft produziert. Wichtigste Firmen und Marken: Ernst Sutter, Suttero, Frigemo, Provins, Ramseier, Sinalco. Umsatz 2020: 1,33 Milliarden Franken.

Detailhandel: Verarbeitete Eigen­marken und eingekaufte Marken­produkte sowie Non-Food-Ware für Haus und Garten werden in 924 Verkaufs­stellen an Endkunden verkauft. Wichtigste Firmen und Marken: Volg, Landi, Top Shop. Umsatz 2020: 2,33 Milliarden Franken.

Energie: Heizöl und Holzpellets werden an Haus­eigentümer und Vermieter verkauft. An über 400 Tankstellen gelangt Treibstoff an die Endkundschaft. Zudem werden Solar­anlagen vertrieben und gebaut und deren Strom wird vermarktet. Wichtigste Firmen und Marken: Agrola, Solvatec. Umsatz 2020: 1,22 Milliarden Franken.

Diverse: Die Ware aus dem Fenaco-Universum wird mit der Lastwagen­flotte der Logistik-Tochter Traveco transportiert. Die IT-Firma Bison entwickelt Business­software für die Fenaco-Tochter­firmen und für Handels­firmen. Umsatz 2020: 0,14 Milliarden Franken.

2. Pflanzenschutz­mittel: Auf die Grösse kommt es an

Immer zu Jahresbeginn, erinnert sich Lea Egli, kam ein Berater von Fenaco zu Besuch – ein Pflanzen­schutz­experte. Diese Beratung sei wichtig, hatte ihr Vater gesagt, weil die Ernte permanent von Käfern, Faltern und Bakterien bedroht sei.

Die Schädlingsliste ist tatsächlich beeindruckend. Der Schalen­wickler, der Kleine Fruchtwickler, die Spanner- und die Eulen­raupen und der Apfelblüten­stecher sind nur die bekanntesten. Sie setzen Eier ab, nagen an der Schale oder bohren ganze Kanäle durchs Frucht­fleisch. Und dann lauern auch noch Pflanzen­krankheiten wie Mehltau, Schorf und Feuerbrand.

Ohne Pflanzen­schutz­mittel wie Fungizide, Herbizide und Pestizide gelangt kein einziger Apfel in die Auslage. Das lernte Lea Egli von klein auf. Gleichzeitig wäre sie froh, müsste sie weniger dieser Mittel spritzen.

Immerhin hat sie es geschafft, des Apfel­wicklers Herrin zu werden – ganz ohne Gift, dafür mit Boten­stoffen, sogenannten Phero­monen. Diese verwirren die männlichen Falter so sehr, dass sie die Weibchen nicht mehr finden, was die Fort­pflanzung in der Plantage abwürgt. Die Methode ist auch im Bioanbau zugelassen und wird von einer Firma angeboten, die in Konkurrenz zur Fenaco-Tochter Agroline steht.

Doch der Rest ist Chemie. Zwischen 50’000 und 60’000 Franken pro Jahr gibt Egli für Pflanzen­schutz­mittel aus. Das meiste davon geht via Tochter­firma Agroline an Fenaco, ein weiterer Teil an die Papst AG in Hefenhofen. Doch Papst geschäftet eher wie eine Apotheke, die nur kleine Mengen verkauft. Mit einen Anteil von 60 bis 75 Prozent ist Fenaco in der Schweiz klarer Marktführer.

Beratung und Verkauf, vom Saatgut bis zum Pflanzen­schutz­mittel – all das läuft bei Lea Egli in der Regel so wie bei vielen Bauern: über Fenaco.

Alternativ könnte Egli auch Berater von Spritz­mittel­herstellern wie Syngenta, Bayer oder Omya beiziehen. Allerdings würde das keine besseren Preise bringen. Denn kaufen müsste sie letztlich fast ausnahmslos bei Agroline.

Fenaco und die Agrochemie sind gut vernetzt. Ehemalige Syngenta-Leute sind beim Bauern­konzern in führender Position angestellt. Und auch das Bundesamt für Land­wirtschaft hat Personal von Syngenta rekrutiert. Ihr Cousin Max hat dies Lea Egli kürzlich nicht ohne Schaden­freude erzählt.

Unabhängige Expertise, befürchtet Egli, wird sie bei Fenaco nie erwarten dürfen. Aber sie könnte sich künftig selbst informieren – schliesslich lassen sich viele Angaben auch online finden, inklusive Spritzplan. Den braucht es, damit das richtige Misch­verhältnis zur richtigen Zeit in der richtigen Menge ausgetragen werden kann. Angeblich liessen sich 50 bis 90 Prozent Pflanzen­schutz­mittel einsparen, wenn computer­gesteuerte Geräte gezielt eingesetzt würden.

Könnte sie auf diese Weise umwelt­verträglicher anbauen? Lea Egli würde es gerne wissen. Klar ist aber auch: Wenn sie etwas ändern will, muss sie erst einmal viel Zeit investieren. Doch die Tiere, der Stall, die Felder, die Bäume – all das gibt schon so viel zu tun.

3. Landmaschinen: Alles aus einer Hand

Immerhin: Ein Teil der Arbeiten wird maschinell erledigt. Eglis besitzen 6 Traktoren und 30 Maschinen und Wagen. Einige davon teilen sie mit anderen Betrieben. Alles in allem hat der Maschinen­park einen Wert von fast einer halben Million Franken. Das meiste Geld floss an eine Firma namens Serco.

Genau: eine weitere Fenaco-Tochter.

Serco vertreibt alles, vom Traktor über den Ballen­wickler bis zur Rinder­tränke. Und ist die einzige Firma in der Schweiz, die Maschinen des Mähdrescher-Markt­führers Claas importieren darf. Ein gewichtiger Vorteil: Stottert der Claas-Traktor unverhofft, wird er in einer der vielen Service­firmen repariert, die ebenfalls Fenaco gehören. Eglis Vater schätzte diese Bequemlichkeit. Und sie, wenn sie ehrlich ist, eigentlich auch.

Als sie Max fragte, wo er seine Land­maschinen beziehe, wusste der auch nicht mit Sicherheit, ob seine drei regionalen Händler alle unabhängig sind. Serco habe schliesslich in letzter Zeit mehrere Firmen übernommen – und diese teils unter gleichem Namen weiter­laufen lassen. So geschehen bei der Hans Kunz Land­technik im Luzernischen, die 2012 von Fenaco gekauft worden war und den prominenten Besitzer noch heute nicht auf der Website vermerkt. Max’ Verdacht: Fenaco will das auch gar nicht an die grosse Glocke hängen.

Ein geniales System, wie der Biobauer zugeben muss: Nach der Übernahme dürfen die ehemaligen Besitzer die Firma unter gleichem Namen mit dem gleichen Team weiter­führen, und niemand, der nicht ganz genau hinschaut, bemerkt einen Unterschied. Die Fenaco-«Krake», wie sie der frühere Preisüberwacher Rudolf Strahm einmal nannte, wächst unbehelligt weiter.

Je mehr sich Lea Egli mit Fenaco beschäftigt, desto wider­sprüchlicher wirkt das alles auf sie. Denn hier handelt es sich nicht um eine börsen­kotierte Firma, sondern um eine Genossenschaft. Sie gehört 43’000 Mitgliedern, darunter 23’000 Bäuerinnen, die wiederum in 174 lokalen Genossenschaften organisiert sind, den Landis (nicht zu verwechseln mit den Landi-Läden, die ebenfalls Fenaco gehören). Und diese Landis haben eine lange Tradition: Die ältesten von ihnen wurden im 19. Jahrhundert gegründet – als Selbsthilfe­organisationen.

Unterdessen ist Fenaco, der 1993 gegründete Zusammen­schluss der Landis, zum Koloss geworden. Zu einem Konzern, der 7 Milliarden Franken umsetzt und 10’000 Menschen in über 80 Tochter­firmen beschäftigt und bis heute nicht aufgehört hat zu wachsen. Mit Ausnahme der Milch­wirtschaft, die den Molkereien vorbehalten ist, hat Fenaco einen Grossteil der bäuerlichen Wert­schöpfung im Griff.

Fenaco wird schon seit einigen Jahren mit dem Vorwurf der immer grösseren Markt­macht konfrontiert und reagiert stets mit dem gleichen Argument: Niemand wird gezwungen, mit Fenaco zu arbeiten. Von zu hohen Preisen könne keine Rede sein, Tatsache sei, dass Fenaco «laufend daran arbeitet, die Preise für die Bauern zu senken».

Immerhin fliesst die Mehrheit des Gewinns wieder zurück zu den Besitzerinnen. Aber auch hier geht der Mutter­konzern nicht ganz uneigen­nützig vor, wie Egli erfahren hat. Denn ein Teil der Erfolgs­beteiligung fliesst nur in die Kassen jener Höfe zurück, die bei der Landi für mindestens 5000 Franken pro Jahr Futtermittel, Saatgut oder Dünger bezogen haben.

Und damit das System Fenaco fortbesteht, braucht es in der Schweiz weiterhin hohe Zölle für land­wirtschaftliche Produkte und Direkt­zahlungen. Fenaco lobbyiert zusammen mit dem Bauern­verband in Bern dafür, dass sich daran so wenig wie möglich ändert. Unter­stützung kommt von den SVP-Bundes­räten Ueli Maurer und Guy Parmelin, die beide jahrelang im Fenaco-Verwaltungs­rat sassen.

Diese Lobbyarbeit ist für Betriebe wie ihren wichtig, findet Lea Egli. Denn schliesslich braucht sie eine finanzielle Perspektive. Auch sie ist auf die Subventionen an die Schweizer Land­wirtschaft angewiesen.

Sonst wäre ein grosser Teil ihrer Ernte schlicht­weg nichts wert.

4. Ernte: Die perfekte Dienst­leistung

Dazu zählen auch ihre drei Apfel­sorten. Sie sind ihr ganzer Stolz: Golden, Gala und Pink Lady. Gala ist die früheste Sorte – und die sensibelste. Die Ernte­helfer sortieren die weniger schönen Früchte gleich fürs Mosten aus. Die anderen holt die Fenaco-Tochter Traveco Transporte AG ab. Sie bringt die Äpfel nach Sursee in die Fenaco-Obsthalle, wo diese nochmals nach Qualitäts­klassen sortiert werden und entweder in die Mosterei oder ins Lager kommen. Dort werden sie bis zu einem Jahr lang gekühlt aufbewahrt und schritt­weise in die Läden geliefert.

Die weniger schönen Äpfel aus der Obsthalle und jene, die schon Eglis Helfer auf dem Hof aussortiert haben, landen bei der Fenaco-Tochter Ramseier. Sie vermostet über die Hälfte der gesamten Schweizer Apfelernte.

Auch die Birnen, Kirschen und Zwetschgen werden von Traveco abgeholt. Sie werden in eines der 13 Verarbeitungs­zentren gebracht, die unter Namen wie Steffen-Ris, La Montagne, Léman Fruits oder Fenaco Landes­produkte bekannt sind. Auch sie gehören alle zur Fenaco-Gruppe.

Und wenn diese Unternehmen die Früchte am Ende nicht an die Migros oder Coop verkaufen, dann erreichen sie über eine der beiden Fenaco-Töchter Volg oder Landi die Kundschaft.

Diese Vollversorgung vom Feld bis auf den Tisch: Sie bringt eine Bequemlichkeit mit sich, die Lea Egli durchaus versöhnlich stimmen kann. Etwa wenn sie auf dem Hof keine ruhige Minute findet, wenn Ernte­helferinnen unerwartet ausfallen oder der Feld­häcksler streikt. Dann lässt sie sich von der Vorstellung beruhigen, dass sie in der Landi auf die Schnelle alles bekommt, was sie braucht – und dass sie sich keine Sorgen machen muss, wie sie ihre Ernte loswird.

Die Fenaco-Betriebe liefern immer pünktlich und bezahlen Rechnungen zuverlässig. Ist es wirklich so schlimm, wenn die Bäuerin auf der anderen Seite des Bodensees viel weniger für den gleichen Dünger zahlt, nur weil dort der Wett­bewerb besser spielt?

Selbst Cousin Max, der so gerne über Fenaco wettert, liefert an den Konzern. Und zwar Erbsen und Bohnen: Zusammen mit anderen Biobauern aus der Region hat er vor ein paar Jahren einen Deal mit der lokalen Landi abgeschlossen. Die Landi liefert die Bohnen­setzlinge, vereinbart mit Max das Pflanz­datum und fährt später zur Ernte mit eigenem Gerät auf, um ihm die ausgewachsenen Bohnen gleich selbst wieder abzunehmen. Die Fenaco-Tochter Frigemo verarbeitet einen Teil der Erbsen und Bohnen dann zu Tiefkühl­ware. Ihr Cousin stellt praktisch nur die Bioerde zur Verfügung.

Egli muss anerkennen: So sehr sie von Fenaco abhängig ist – so gut funktioniert der Laden auch. Wären da nur nicht diese Agrar­initiativen, die eine umwelt­bewusste Land­wirtin wie sie durchaus ins Grübeln bringen.

Lobbying gegen den Wandel

So viel steht fest: Fenaco sieht diese Initiativen als Bedrohung. Der «grüne Riese» glaubt, dass die inländische Produktion bei einem Verbot von Pestiziden stark zurück­ginge: «Dies würde sowohl für die Bäuerinnen und Bauern wie auch für die Fenaco bedeutende Ertrags­einbussen bedeuten», steht im aktuellen Jahres­bericht. «In letzter Konsequenz stellen diese radikalen politischen Vorstösse den Zweck­auftrag der Fenaco infrage.»

Kein Wunder, hat Fenaco in den letzten zwei Jahren viel Geld in den Kampf gegen die beiden Volks­begehren gebuttert – bisher 600’000 Franken.

Wahrscheinlich zu Recht, findet Egli, sie hofft, dass die Volks­initiativen am Stände­mehr scheitern. Sie will sich von den Städtern und Akademikerinnen, die das Begehren unterstützen, nicht vorschreiben lassen, wie sie ihren Beruf auszuüben hat. Denn etwas scheinen viele nicht zu verstehen: Kein einziger land­wirtschaftlicher Betrieb hat ein Interesse daran, Pestizide zu verwenden.

Doch dann ist da diese Geschichte, die ihr Cousin Max gestern am Telefon erzählt hat. Es ging um eine Einsprache von Fenaco gegen ein grosses Selbsthilfe­projekt von Biobauern im Seeland. Unter dem Namen «Bio Gemüse Seeland» planen diese, die Wert­schöpfung in der Region zu steigern: Sie wollen ihre Produkte einheitlich vermarkten und Konsumentinnen das Bauern­leben mit Veranstaltungen und Führungen näher­bringen. Bund und Kanton gaben ihren Segen, das Freiburger Parlament sprach sogar einen Millionen­kredit ohne Gegen­stimme. Doch am letzten Tag der Einsprache­frist intervenierte Fenaco: Das Unter­nehmen hatte sich an der «Subventionierung von einzelnen Akteuren in der nach­gelagerten Stufe» gestört.

Max war entsetzt über das Verhalten, und selbst in den lokalen Landis stiess es auf Unverständnis, wie zu hören war. Fenaco kann das Projekt theoretisch über viele Jahre verzögern und bis vor Bundes­gericht ziehen. Ihr Cousin glaubt: Der Konzern wolle verhindern, dass solche Projekte schweizweit Schule machen. Je mehr Bauern, die biologisch produzieren und selbst­ständig ihre Ware verarbeiten, desto schlechter sei das für Fenaco.

Noch immer steht Lea Egli in ihrem Giftschrank.

Sie ist fest entschlossen, Alternativen für jedes einzelne Pestizid, Herbizid und Fungizid in diesem Raum zu finden. Gleich auf Bio umsteigen wie ihr Cousin Max, das wäre wohl zu viel verlangt: Um einen Betrieb dieser Grösse komplett umstellen zu können, hat sie noch nicht genug Erfahrung.

Bis dahin will sie sich aber aus der Umklammerung von Fenaco lösen. Denn dieser Konzern ist zwar immer für sie da – wie bereits für ihren Vater. Aber so lange sie im Schema F drinsteckt, wird es schwierig, bei den Pestiziden etwas zu ändern.

Lea Egli zieht sich die Gummi­handschuhe über, zieht den Gesichts­schutz herunter, packt einen Kanister, löscht das Licht und zieht die schwere Tür zu. Die Arbeit wartet.

In einer früheren Version haben wir beim Dünger den Preisunterschied zu Deutschland nicht ganz korrekt berechnet. Wir haben die Stelle korrigiert und entschuldigen uns für die Ungenauigkeit.

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