Wie viel würden Sie persönlich für den Klimaschutz zahlen?
Netto null Emissionen bis 2050: Dieses Ziel zu erreichen, kostet weniger, als man denkt. Und es bringt viel mehr, als es kostet.
Von Simon Schmid, 10.05.2021
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Nehmen wir für einen Moment an, mit dem Klimaschutz wäre es wie mit einer kostenpflichtigen Feuerwehr: Sie bezahlen jährlich einen Betrag X, und im Gegenzug sorgt eine Truppe mit Wasserschläuchen, gelben Helmen und roten Autos dafür, dass Ihr Haus nicht abbrennt – beziehungsweise, dass sich die Erde künftig um nicht viel mehr als 1,5 Grad Celsius erwärmt.
X Franken pro Jahr überweisen, und damit hat sich die Sache erledigt: So funktioniert Klimaschutz in der Realität natürlich nicht. Dazu ist viel mehr erforderlich: dass wir unsere Shopping-, Reise- und Essgewohnheiten ändern, dass wir Hausdächer isolieren und Fassaden sanieren, dass wir eine Infrastruktur für E-Mobilität aufbauen und Solarkraftwerke bauen.
Ähnlich wie bei der Feuerwehr finanzieren wir den Klimaschutz auch nicht als Individuen, sondern zu einem Grossteil über gemeinsame Töpfe: aus Gemeinde-, Kantons- oder Bundessteuern und aus Abgaben auf Strom, Benzin oder Heizöl, die für klimafreundliche Zwecke eingesetzt werden.
Trotzdem gibt uns dieses Herunterbrechen auf einen konkreten Betrag X einen nützlichen Ausgangspunkt für die Diskussion. Eine Diskussion darüber, wie viel Klimaschutz eigentlich kostet, und ob wir – rein gefühlsmässig – überhaupt bereit sind, so viel Geld auszugeben.
Was der Klimaschutz kostet
Zunächst eine terminologische Präzisierung. Wenn wir hier über Geld reden, dann geht es nicht um irgendwelches Geld, das aus dem Fenster geworfen oder zum reinen Vergnügen ausgegeben wird, sondern um Geld, das einen (monetären oder nicht monetären) Nutzen stiften soll. Um Investitionen.
Wie umfangreiche Investitionen bräuchte es, um die Schweizer Emissionen von CO2 und weiteren Treibhausgasen bis 2050 auf netto null zu senken?
Eine Antwort darauf hat der Bund in einer Studie gegeben, die vor einem halben Jahr erschienen ist (und die wir in der «Langen Sicht» eingeordnet haben): den «Energieperspektiven». Diese Studie zeigt auf, wie die Schweiz über die nächsten drei Jahrzehnte hinweg klimaneutral werden kann.
In ihrem zentralen Energieszenario kommen die Autoren auf 109 Milliarden Franken. So viel Geld muss die Schweiz insgesamt investieren, damit sie das Netto-null-Emissionsziel schafft. Verteilt man die Summe auf 30 Jahre und 8,5 Millionen Köpfe, kommt man auf folgenden Betrag: 425 Franken. So viel würde ein effektiver Klimaschutz pro Jahr und Person also zunächst kosten.
Ausgegeben würde dieses Geld für erneuerbaren Strom: für Solarpanels und weitere Elektrizitätsquellen, mitsamt der nötigen Netzinfrastruktur. Daneben würden Haushalte und Betriebe Geld in den Gebäudepark stecken – für Sanierungen, Wärmepumpen und weitere Haustechnik. Und schliesslich würde auch die Industrie auf emissionsarme Produktionsanlagen umrüsten.
Doch wie bereits erwähnt: Investitionen für den Klimaschutz macht man nicht umsonst. Sondern weil man sich davon einen Nutzen verspricht.
Die eine Seite dieses Nutzens liegt auf der Hand: Man schützt das Klima, die Artenvielfalt, die Ökosysteme, kurz: den Planeten, so, wie wir ihn kennen.
Die andere Seite offenbart sich, nachdem die Investitionen erfolgt sind: Man hat tiefere Betriebsausgaben. Stellt die Schweiz grossflächig auf E-Mobilität um, so fallen künftig weniger Kilometerkosten an – Fahren mit Strom ist günstiger als Fahren mit Benzin. Analog ist es bei der Wärmeversorgung: Heizen mit Wärmepumpen kostet weniger als Heizen mit Öl oder Gas.
Bezieht man dies in die Rechnung mit ein, so verbilligt sich der Klimaschutz. Statt 425 fallen nur noch 285 Franken an – rund ein Drittel weniger als zuvor.
285 Franken pro Jahr also – ungefähr so viel, wie ein Wellnessweekend oder eine edle Lederhandtasche kostet. Gar nicht so viel, im Grunde genommen.
Ähnlich sieht es in anderen Ländern aus. In Grossbritannien etwa hat das Climate Change Committee, eine unabhängige Forschungseinrichtung, letztes Jahr das «Carbon Budget» publiziert. Die Kosten einer Netto-null-Strategie werden in dieser Studie bis 2050 auf 478 Milliarden Pfund geschätzt. Rechnet man dies pro Jahr, pro Kopf und in die Schweizer Währung um, kommt man auf ähnliche Grössenordnungen wie in der Schweiz: einige hundert Franken.
In derselben Gegend liegen auch die Zahlen, die das Beratungsunternehmen McKinsey im Dezember für die gesamte Europäische Union berechnet hat.
Und sogar weltweit sind die Kosten des Klimaschutzes mit jenen in der Schweiz vergleichbar. So schätzt die Energy Transitions Commission, ein privatwirtschaftlicher Zusammenschluss, dass in den kommenden drei Jahrzehnten rund 50 Billionen Dollar an zusätzlichen Investitionen nötig sind, um die globale Wirtschaft auf Netto-null-Emissionskurs zu bringen.
Das hört sich abermals nach sehr viel Geld an. Doch heruntergerechnet auf die einzelne Erdenbewohnerin entspricht das weniger als 200 Franken.
Zahlen, die um die betriebswirtschaftlichen Einsparungen bereinigt sind, liefert diese Studie nicht. Dafür drängt sich hier ein anderer Vergleich auf: der mit dem volkswirtschaftlichen Nutzen, den der Klimaschutz mit sich bringt.
Was wir für das Geld erhalten
An dieser Stelle eine weitere Präzisierung. Oder besser gesagt: eine Warnung. Verstehen Sie die Zahlen in diesem Text nicht als punktgenaue Prognosen.
Allein schon bei der Umrechnung von Währungen oder bei der Bewertung künftiger Ausgaben (ist ein Franken im Jahr 2050 gleich viel wert wie ein Franken heute?) gibt es mehrere valide Herangehensweisen, sodass man auf unterschiedliche Ergebnisse kommen kann. Darüber hinaus gibt es diverse Unsicherheiten – etwa darüber, wie sich die Kosten von klimafreundlichen Technologien wie Batterien oder Solarzellen entwickeln werden. Deshalb lassen sich die Kosten des Klimaschutzes nur annäherungsweise bestimmen.
Dasselbe gilt auch für den Nutzen – hier sind die Unsicherheiten sogar noch grösser. Das liegt nicht daran, dass Forscherinnen grundsätzlich an diesem Nutzen zweifeln, sondern daran, dass dessen Berechnung unglaublich schwierig ist.
Es braucht dazu unter anderem:
ein meteorologisches Modell, um Veränderungen der Temperatur und des Niederschlags je nach Weltregion zu berechnen,
ein agronomisches Modell, um klimabedingte Veränderungen in der Landwirtschaft abzuschätzen,
ein medizinisches Modell, um klimabedingte Auswirkungen auf die Gesundheit von Arbeitskräften zu quantifizieren,
ein räumlich-ökonomisches Modell, um Landverluste und Schäden an Gebäuden in Küstennähe zu bestimmen,
und ein makroökonomisches Modell, das die wirtschaftlichen Auswirkungen all dieser Veränderungen zusammenbringt.
Trotz all dieser Schwierigkeiten wurde der Nutzen des Klimaschutzes in einer Reihe von Studien untersucht. Viele kommen auf ähnliche Ergebnisse: Wird das Pariser Klimaziel umgesetzt, so liegt das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) zur Mitte des Jahrhunderts um 2 bis 3 Prozent höher als in einer Welt ohne Klimaschutz.
Rechnet man dies auf Pro-Kopf-Einheiten um, so ergeben sich ähnliche bis leicht höhere Beträge wie bei den Kosten. Das bedeutet: Der globale Nutzen einer Netto-null-Strategie wiegt die Kosten wahrscheinlich auf (wegen der Unsicherheiten verzichten wir hier jedoch darauf, genaue Zahlen zu nennen).
Auf ähnliche Werte kommen Untersuchungen auch für die Schweiz. Auf sie beruft sich der Bund in den «Energieperspektiven». Gemäss diesen Studien könnte das Schweizer BIP ohne Klimaschutz im Jahr 2050 um 2,5 Prozent tiefer ausfallen, als wenn es gelingt, das Pariser Klimaziel einzuhalten.
Doch wie gesagt: Diese Schätzungen sind sehr ungewiss. Es existiert ein erhebliches Risiko, dass ein ungebremster Klimawandel deutlich grössere Schäden anrichten könnte, als die meisten Studien bisher ausweisen.
Dies hat mehrere Gründe:
Es ist schwierig bis unmöglich, die Schwere von krassen, klimabedingten sozioökonomischen Disruptionen vorherzusagen – zum Beispiel von einer Massenemigration aus klimageschädigten Weltregionen.
Es ist ebenfalls nicht leicht, die Häufigkeit und wirtschaftlichen Folgen meteorologischer Extremereignisse exakt zu prognostizieren: Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen. Doch mit zunehmender Häufigkeit solcher Ereignisse steigen die Schäden überproportional an.
Und man weiss ebenfalls nicht mit letzter Sicherheit, wie rasch irreversible Ereignisse eintreten, die den Klimawandel nochmals potenzieren – wie zum Beispiel das Abschmelzen der polaren Eiskappen.
Man kann diesen Risiken Rechnung tragen, indem man Studienergebnisse mit einem gewissen Unschärfebereich umgibt. Die Versicherungsgesellschaft Swiss Re hat dies in einem kürzlich publizierten Papier gemacht. Die Autoren fassen diverse Risiken darin als «(un)bekannte Unbekannte» zusammen.
Je nachdem, wie stark diese (un)bekannten Risiken gewichtet werden und welches Klimaszenario als Vergleichsbasis dient, kommt man auf deutlich höhere Schadenswerte. Statt zwischen 2 und 3 Prozent bewegen sich die globalen Folgen des Klimawandels nun zwischen 1 und 10 Prozent des BIP.
Im Gegenzug nimmt auch der wirtschaftliche Nutzen zu, den man mit einer konsequenten Verhinderung des Klimawandels erzielen kann. Umgerechnet auf Pro-Kopf-Einheiten reicht er bis in die Gegend von 1000 bis 2000 Franken (beachten Sie, dass die horizontale Achse auf der folgenden Grafik fünfmal weiter reicht als auf den bisherigen Grafiken: bis 5000 statt 1000 Franken).
Diese Beträge liegen nun deutlich über jenen, die weiter oben als Kosten des Klimaschutzes veranschlagt wurden. Zur Gegenüberstellung nochmals die Zahlen zur Schweiz: Wie in den «Energieperspektiven» angegeben, wäre die Netto-null-Strategie hierzulande für einen Aufwand von 425 Franken pro Kopf und Jahr zu haben – respektive für 285 Franken, wenn man die direkten betriebswirtschaftlichen Einsparungen dieser Investitionen berücksichtigt.
Geht man davon aus, dass die Erde dank weltweiter Investitionen von einem 2,6-Grad-Kurs (was gemessen an der aktuellen Politik bereits optimistisch ist) auf einen Paris-kompatiblen Kurs von «deutlich unter 2 Grad» umschwenkt, so resultiert daraus ein volkswirtschaftlicher Nutzen, der gemäss den Berechnungen von Swiss Re ziemlich sicher über 1000 Franken pro Kopf reicht, aber ohne weiteres auch über 3000 Franken hinaus steigen kann.
Festzuhalten ist bei diesem Vergleich schliesslich Folgendes: Blickt man übers Jahr 2050 hinaus, so verringern sich die Kosten des Klimaschutzes. Die grossen Investitionen sind bis dann erfolgt – die Energiewende ist geschafft.
Der Nutzen aber bleibt. Das wird klar, wenn man sich den umgekehrten Fall vor Augen führt: eine Welt, in der die Klimaziele nicht eingehalten werden. Dann nimmt nicht nur die Natur irreparablen Schaden – sondern auch die Wirtschaft bleibt unter ihren Möglichkeiten. Jahr für Jahr für Jahr.
Wären Sie bereit, 285 Franken für den Klimaschutz auszugeben?