Drum rechne, wer sich ewig bindet

Ehepaare werden vom Schweizer Staat finanziell schlechter behandelt als Konkubinatspaare. Wie sich diese Heiratsstrafe genau auswirkt – eine Berechnung vom Anstecken der Ringe bis zum letzten Atemzug.

Von Simon Schmid (Text) und Lisa Rock (Illustrationen), 07.04.2021

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Die meisten Paare heiraten aus Liebe. Manche, weil Kinder unterwegs sind. Andere aus dem Bedürfnis nach Sicherheit, weil es der Tradition entspricht oder schlicht aus Freude am Hochzeits­fest. Nochmals andere lehnen die Heirat genau deshalb ab: weil sie den Brauch antiquiert finden, kein grosses Trara wollen, bereits verheiratet waren oder ganz einfach der Ansicht sind, dass ihre Beziehung ohne standes­amtlichen Segen genauso gut funktioniert.

Wie auch immer: Wünschbar wäre, dass Paare diesen Entscheid frei fällen könnten – ohne finanzielle Zwänge, ohne gravierende Vor- oder Nachteile.

Doch dem ist nicht so. Paare, die in einer Ehe leben, und Paare, die in einem Konkubinat leben – also zusammen sind, aber nicht verheiratet –, werden vom Schweizer Staat ungleich behandelt. Die Heirat wirkt sich auf viele Bereiche aus: Steuern, AHV-Leistungen, ja sogar darauf, was mit dem Ersparten nach dem eigenen Tod passiert. Meistens, aber nicht immer, zuungunsten der verheirateten Paare.

Man spricht in diesem Zusammen­hang auch von der Heirats­strafe (wobei diese eigentlich «Strafe für Heiraten und eingetragene Partnerschaften» heissen müsste – denn gleich­geschlechtliche Paare in eingetragener Partnerschaft werden, was die Steuern und die AHV anbelangt, wie Ehepaare behandelt).

Wie hoch ist diese Heirats­strafe? Wen trifft sie und zu welchem Zeitpunkt? Antworten darauf gibt die Geschichte der Musters, eines fiktiven Paares.

Gestatten: die Musters

Die Protagonisten heissen Petra und Peter und sind 28 und 30 Jahre alt. Sie hat einen Job als IT-Supporterin, er arbeitet als Pflege­fachmann. Die Musters wohnen in der Stadt Zürich und verdienen 75’000 beziehungs­weise 65’000 Franken pro Jahr. Damit liegen sie beide nicht weit vom Schweizer Median­einkommen entfernt.

Weil sie das romantisch finden, entschliessen sich Petra und Peter Muster zu heiraten. Im kleinen Kreis, mit einigen Familien­mitgliedern und Freunden. Das spart Geld – und mehr Gäste sind wegen Corona ohnehin nicht erlaubt.

Als nach einer Weile die erste Steuerrechnung ins Haus flattert, erleben die Musters jedoch eine Überraschung. Das Zürcher Finanzamt verlangt nun mehr Geld: Statt 13’800 werden neu 15’300 Franken Einkommens­steuern fällig. Das entspricht einem Aufschlag von 1500 Franken oder 11 Prozent.

Wer heiratet, wird zur Kasse gebeten

Paar in Zürich, keine Kinder

Einkommen
Partnerin 75’000 Franken
Partner 65’000 Franken
Total 140’000 Franken
Steuern
im Konkubinat 13’762 Franken
als Ehepaar 15’294 Franken
Heiratsstrafe
absolut 1’532 Franken
relativ 11 Prozent
Quelle: VZ Vermögenszentrum

Noch im Jahr ihrer Hochzeit stellen die Musters damit fest: Sie werden aufgrund ihres Zivilstands steuerlich benachteiligt. Und zwar so stark, dass dies das Bundes­gericht als Diskriminierung taxieren würde: Gemäss einem Entscheid von 1984 ist Diskriminierung gegeben, wenn sich die Steuerlast von Konkubinats- und Ehepaaren um mehr als 10 Prozent unterscheidet.

Grund für die höhere Steuer­rechnung ist, dass das Einkommen von Petra und Peter Muster neuerdings zusammengezählt wird: Sie verdienen total 140’000 Franken. Damit fallen sie in eine höhere Progressions­stufe, ihr Einkommen wird also mit einem höheren Satz besteuert. Zwar erhalten sie als Eheleute einen gewissen Rabatt, doch dieser wiegt den Nachteil nicht auf.

Ich will es genauer wissen: Wie die Heirats­strafe zustande kommt

Ehepaare werden nach geltendem Recht gemeinsam besteuert. Sie füllen zusammen die Steuer­erklärung aus und bezahlen eine Rechnung. Das ist bei Konkubinats­paaren anders, sie erklären und zahlen ihre Steuern getrennt.

Die Einkommen der beiden Ehepartner werden dabei zusammengezählt. Das ist ein Nachteil, denn so geraten sie in eine höhere Progressions­stufe und müssen anteilmässig mehr Steuern zahlen. Vorteilhaft für die Eheleute ist dagegen, dass ein reduzierter Tarif zur Anwendung kommt: der Tarif für Ehepartner.

Generell gilt: Je mehr die Ehepartner verdienen und je gleichmässiger das Einkommen verteilt wird, desto mehr überwiegen die finanziellen Nachteile.

Wenn ein Paar Kinder hat, kommt ein weiterer Unterschied zum Tragen. In einer Ehe gilt weiterhin der Tarif für Ehepartner. In einem Konkubinat darf einer der Partner den reduzierten Elterntarif anwenden und kann so zusätzlich profitieren. Dadurch vergrössert sich tendenziell der Vorteil von Konkubinatspaaren.

Auf der anderen Seite sind für Eheleute diverse Abzüge vorgesehen. Und je nach Kanton kommt ein sogenanntes Teil- oder Vollsplitting zum Einsatz: Dabei wird die Progressions­stufe nicht anhand des gemeinsamen Einkommens der zwei Ehepartner festgelegt (140’000 Franken), sondern anhand eines bestimmten Bruchteils davon (zum Beispiel 70’000 Franken). Davon profitieren Ehepaare.

Wie hoch die Heiratsstrafe in der Schweiz ist, kann nicht mit allgemeingültigen Aussagen beantwortet werden. Die Kantone kennen unterschiedliche Regeln; in vielen Kantonen existiert für niedrige Einkommen auch ein Heiratsbonus.

Erwiesen ist der Nachteil von Ehepaaren bei der direkten Bundes­steuer. Je nach Kinderzahl liegt die Schwelle hier bei 75’000 bis 125’000 Franken: Ehepaare mit tieferem Einkommen werden belohnt, Ehepaare mit höherem Einkommen werden bestraft – und zwar umso mehr, je gleichmässiger das Einkommen verteilt ist.

Im langen und glücklichen Leben, das die Musters als Ehepaar noch vor sich haben, fängt die finanzielle Ungleich­behandlung damit aber erst richtig an.

Die Musters kriegen Kinder

Drei Jahre nach der Hochzeit bringt Petra eine Tochter zur Welt. Und zwei weitere Jahre später darf Peter einen Sohn in den Armen halten. Das verändert den Alltag der Musters: Beide sind beruflich aufgestiegen, haben aber ihr Pensum reduziert, um Zeit mit den Kindern zu verbringen. Finanziell geht das gerade auf: Die Musters verdienen nach wie vor 140’000 Franken.

Da die Steuer­beamten in Zürich Familien sympathisch finden (und auch das Steuer­recht vorsieht, dass Familien mit Kindern von diversen Abzügen profitieren), zahlen die Musters nun weniger Steuern als zuvor: statt 15’300 Franken nur noch 10’400 Franken. Yay! Das freut unsere Musterfamilie.

Doch was die Musters erst jetzt realisieren: Hätten sie nicht geheiratet, würde der Staat sie jetzt noch stärker entlasten. Denn im Konkubinat würden sie als Eltern noch weniger Steuern zahlen: 7900 Franken. Im Vergleich zu jetzt wären das nochmals 2500 Franken weniger. Diese Differenz kommt einer Heirats­strafe von 32 Prozent für Paare mit zwei Kindern gleich.

Kinderbonus im Konkubinat

Paar in Zürich, zwei Kinder

Einkommen
Partnerin 75’000 Franken
Partner 65’000 Franken
Total 140’000 Franken
Steuern
im Konkubinat 7’917 Franken
als Ehepaar 10’441 Franken
Heiratsstrafe
absolut 2’524 Franken
relativ 32 Prozent
Quelle: VZ Vermögenszentrum

Tatsächlich diskriminiert der Fiskus im Kanton Zürich Ehepaare mit Kindern sogar noch stärker als Ehepaare ohne Kinder. Etwas überspitzt könnte man sagen: Kinder kriegen ist für die Musters ein Anreiz, sich scheiden zu lassen.

Natürlich lösen Petra und Peter ihre Ehe wegen eines finanziellen Nachteils von ein paar tausend Franken im Jahr nicht auf. Denn sie haben jetzt andere Pläne: Sie verschieben ihren Wohnsitz an den Rhein – nach Basel.

Familie Muster zieht nach Basel

Petra Muster tritt einen neuen Job in der IT-Abteilung der Pharmafirma Oldartis an. Und auch Peter findet eine Stelle in Basel – Pflege­fachleute werden schliesslich überall gebraucht, nicht erst seit der Corona-Pandemie.

Das wirkt sich steuerlich zwar erst mal schlecht aus, denn in Basel zwackt der Fiskus generell mehr Geld ab. Der ganze Eltern­rabatt aus dem Kanton Zürich geht flöten: Die Musters zahlen nun wieder 15’800 Franken Steuern im Jahr.

Aber immerhin: Die Steuer­hochburg Basel-Stadt ist ziemlich ehefreundlich. Die Musters sind gegenüber den Konkubinats­paaren in der Nachbarschaft nicht mehr gross benachteiligt. Sie zahlen nur noch 463 Franken mehr im Jahr. Die Heirats­strafe beträgt damit 3 Prozent und ist fast vernachlässigbar.

Gleich hohe Rechnung

Paar in Basel, zwei Kinder

Einkommen
Partnerin 75’000 Franken
Partner 65’000 Franken
Total 140’000 Franken
Steuern
im Konkubinat 15’418 Franken
als Ehepaar 15’881 Franken
Heiratsstrafe
absolut 463 Franken
relativ 3 Prozent
Quelle: VZ Vermögenszentrum

Wie wäre es in anderen Kantonen? Als sich die Musters hierzu informieren möchten, verlieren sie schnell den Durchblick. Jeder Kanton hat sein eigenes System mit eigenen Regeln, Tarifen und Abzügen. Manche Kantone schaffen es gemäss einer Studie des Bundes von 2014, Ehe- und Konkubinats­paare einigermassen gleich zu behandeln – andere nicht. Und im Einzelfall hängt die Heirats­strafe stark von den Einkommen und von der Kinderzahl ab.

Aus Sicht der Betroffenen ist es Glück oder Pech, ob sie an ihrem Wohnort bevorteilt oder benachteiligt werden. Das System ist ziemlich willkürlich.

Doch die Willkür ist noch das kleinste Problem. Wie die Musters feststellen, gibt es grundlegende familien­politische Fehlanreize im Steuersystem.

Familie Muster wird traditionell

Nach drei Jahren ziehen die Musters zurück nach Zürich. Dort treibt Petra ihre Karriere als Programmiererin bei der Techfirma Poodle voran. Peter kümmert sich vermehrt um Haushalt und Kinder und macht daneben eine Weiterbildung zum Intensiv­pfleger – einem schönen und wichtigen Beruf.

Die Musters gehen gewissermassen zum klassischen Familien­modell über, nur umgekehrt. Petra bringt nun jährlich 100’000 Franken nach Hause, Peter nur noch 40’000. Insgesamt bleibt ihr Einkommen gleich hoch wie zuvor.

Für die Musters ändert sich in der neuen Konstellation nicht viel. Sie zahlen jetzt 150 Franken weniger Steuern pro Jahr. Trotzdem sind sie verwirrt, als ihre Steuer­beraterin lachend sagt: «Ihre Heirats­strafe hat sich jetzt halbiert.»

Geringere Diskriminierung

Paar in Zürich, zwei Kinder

Einkommen
Partnerin 100’000 Franken
Partner 40’000 Franken
Total 140’000 Franken
Steuern
im Konkubinat 9’043 Franken
als Ehepaar 10’292 Franken
Heiratsstrafe
absolut 1’249 Franken
relativ 14 Prozent
Quelle: VZ Vermögenszentrum

Tatsächlich hat das Familien­modell in unserem Muster­beispiel einen Einfluss darauf, wie ausgeprägt die Heiratsstrafe ist:

  • Im modernen Modell mit zwei nahezu gleich hohen Einkommen zahlen Verheiratete 2500 Franken mehr Steuern als Konkubinats­paare.

  • Im traditionellen Modell mit einer Haupt­verdienerin zahlen Verheiratete nur 1250 Franken mehr als Konkubinatspaare.

«Wie kann das sein?», fragen sich Petra und Peter. Die Beraterin erklärt: Es liegt an der Steuer­progression. Sie trifft nicht nur Ehepaare, sondern auch Konkubinats­paare, in denen einer der beiden Partner viel verdient. Deshalb ist die Heirats­strafe im traditionellen Familien­modell weniger hoch.

Die Musters verstehen zwar noch immer nicht ganz.

Doch was sie hören, hielt der Bundesrat schon vor zwei Jahren fest: «Je gleichmässiger die Einkommens­aufteilung ist, desto eher resultiert tendenziell eine steuerliche Benachteiligung eines verheirateten Paares gegenüber einem Konkubinats­paar in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen.» Das Problem ist in der Politik also weitherum bekannt.

Tatsächlich existiert in vielen Kantonen sogar ein Heiratsbonus. Aber eben nur, wenn ein Partner in der Beziehung fast alles Einkommen beisteuert. Der Staat gibt damit implizit die Losung aus: Traditionelle Paare sollten besser heiraten – moderne Paare mit gleich verteilten Einkommen besser nicht.

Diese finanziellen Regelungen wirken seltsam antiquiert. Trotzdem wurden Änderungen oft abgelehnt. Ein Argument: Die Heirats­strafe gäbe es nur bei hohen Einkommen. Deshalb sei es sozialpolitisch unfair, sie abzuschaffen.

Das stimmt jedoch nicht unbedingt.

Familie Meister

Das zeigt das Beispiel der Nachbars­familie, den Meisters. Paul Meister arbeitet auf dem Bau, Paula Meister als Köchin. Zusammen verdienen sie 90’000 Franken im Jahr. Damit sind sie am unteren Ende der Verteilung.

Die Meisters zahlen deutlich weniger Steuern als die Musters. Und das ist gut so. Doch auch sie werden als Verheiratete im Kanton Zürich steuerlich benachteiligt, und zwar mit rund 350 Franken pro Jahr. In anderen Kantonen variiert der Betrag, im Kanton Aargau wären es beispiels­weise 1300 Franken.

Kein Ehebonus für Geringverdienende

Paar in Zürich, zwei Kinder

Einkommen
Partnerin 46’000 Franken
Partner 44’000 Franken
Total 90’000 Franken
Steuern
im Konkubinat 1’933 Franken
als Ehepaar 2’299 Franken
Heiratsstrafe
absolut 366 Franken
relativ 19 Prozent
Quelle: VZ Vermögenszentrum

Dass Ehe- und Konkubinats­paare bei den Steuern ungleich behandelt werden, ist unschön – egal, wer dabei gewinnt und wer verliert. Noch viel grösser sind die Diskrepanzen aber in der wichtigsten Sozial­versicherung: der AHV.

Und damit zurück zu den Musters.

Peter Muster stirbt

Die Familie ereilt ein Unglück: Kurz nach seinem 40. Geburtstag wird Vater Peter in einen Verkehrs­unfall verwickelt – er kommt dabei ums Leben.

Petra und ihre beiden Kinder sind nun Hinterlassene (dafür steht das H in der AHV). Die Kinder erhalten eine Waisen­rente, Petra eine Witwen­rente. Da ihr Mann nach der Weiterbildung wieder voll ins Berufs­leben eingestiegen und sein Gehalt gestiegen war, erhält sie eine Rente in maximaler Höhe.

Zum ersten Mal erfährt Petra Muster damit einen finanziellen Ehevorteil. Denn als Hinterlassene in einer Konkubinats­partnerschaft bekäme sie keine Witwenrente (ein Vorstoss, um dies zu ändern, ist im Parlament hängig).

Wie gross ist dieser Vorteil?

  • Im Fall von Petra Muster, deren Mann tatsächlich gestorben ist, kann man dies einfach anhand der Rentenhöhe beziffern: 22’944 Franken pro Jahr.

  • Im Fall von allen anderen Frauen, die mit 28 Jahren heiraten und noch nicht wissen, ob sie ihren Mann verlieren werden, ist die Berechnung etwas schwieriger. Man muss der Tatsache Rechnung tragen, dass nur ein kleiner Teil (rund 9 Prozent) der Ehemänner stirbt, bevor die Frau das Rentenalter von 64 erreicht. Bezieht man diese Wahrscheinlichkeit mit ein, so zeigt sich: Der statistisch erwartbare Vorteil summiert sich über die gesamte Renten­bezugs­dauer (von 28 bis 64) auf rund 20’000 Franken.

Die Witwenrente ist ein Heirats­bonus (der übrigens unter etwas strengeren Konditionen auch Witwern zusteht). Konkubinats­paare müssen sich anders absichern, etwa über eine private Lebens­versicherung. Die Prämien dafür können zwischen 500 und 1000 Franken im Jahr kosten. Summiert man dies über einen Zeitraum von 36 Jahren auf, so kommt man auf einen ähnlich hohen Betrag wie den statistisch erwartbaren Witwenrenten-Bonus.

Ehebonus im Todesfall

Paar in der Schweiz

Witwenrente
maximal pro Jahr 22’944 Franken
Erwartungswert insgesamt rund 20’000 Franken
Lebensversicherung
Kosten pro Jahr 500–1’000 Franken
Kosten insgesamt 18’000–36’000 Franken
Quelle: eigene Berechnungen

Ich will es genauer wissen: Wie rechnet man so etwas aus?

Unser Muster­beispiel basiert auf den Sterbetafeln des Bundesamts für Statistik. Dort lässt sich die Wahrscheinlichkeit dafür ablesen, dass ein Mann im Lauf eines bestimmten Lebens­jahres stirbt, sofern er bereits dieses Alter erreicht hat.

Anhand dieser Angaben lässt sich etwa die Wahrscheinlichkeit dafür berechnen, dass der Mann bis zum 65. Lebens­jahr stirbt. Sie beträgt 9 Prozent. Eine Witwen­rente bezahlt die AHV aber nur, wenn die Frau zu diesem Zeitpunkt noch lebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt, ist etwas kleiner: 8 Prozent.

Für jedes Lebensjahr bis zur Pension lässt sich so eine Wahrscheinlichkeit ermitteln, mit der eine Witwen­rente ausgezahlt wird, und anhand dieser eine statistisch erwartbare Auszahlung. Wird im 65. Lebensjahr beispiels­weise mit einer Wahrscheinlichkeit von 8 Prozent eine Witwen­rente von 22’944 Franken ausgezahlt, so gibt dies einen Erwartungs­wert von 1036 Franken für dieses Jahr. Summiert man diese Erwartungs­werte über alle Lebens­jahre, erhält man den Gesamtwert der statistisch erwartbaren Renten: rund 20’000 Franken.

Ähnlich funktioniert die Rechnung zur AHV-Heirats­strafe weiter unten im Text. Dort haben wir für jedes Lebens­jahr von 65 bis 100 die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass beide Ehepartner noch am Leben sind, und die Heirats­strafe von 1196 Franken sodann mit dieser Wahrscheinlichkeit gewichtet. Das Gesamt­total über alle Lebens­jahre entspricht dem statistisch erwartbaren, lebens­langen Nachteil von Ehepaaren gegenüber Konkubinats­paaren in der AHV.

Doch die Sozialversicherung hält auch Nachteile für Ehepaare bereit. Sie kommen dann zum Tragen, wenn das A in der AHV eintritt: das Alter.

Die Musters werden alt

Weitere Jahre sind vergangen – die beiden Kinder sind inzwischen erwachsen, und die Musters geniessen ihren wohlverdienten Ruhestand.

Die Musters?

Ja, richtig! Peter Muster ist erfreulicher­weise wieder auferstanden (das geht, weil wir hier nicht im echten Leben, sondern in einem Fallbeispiel sind).

Wie die meisten Arbeits­tätigen haben Petra und Peter Muster stets brav ihre AHV-Beiträge eingezahlt. Sie bekommen im Alter deshalb die volle Rente.

Doch weil sie ein Ehepaar sind, ist die Rente eben doch nicht voll. Sondern sie ist plafoniert: Statt zweimal die Einzel­rente – einmal für die Frau, einmal für den Mann – erhalten die Musters nur eineinhalbmal die Einzelrente.

Wie vergleicht sich dieser Nachteil mit dem Bonus der Witwenrente?

  • Für die Musters ist die Rechnung einfach. Statt 57’360 Franken erhalten sie nur 43’020 Franken pro Jahr – ein Abschlag von 14’340 Franken pro Jahr.

  • Für alle anderen Paare, die im Alter von 30 heiraten und noch nicht wissen, ob sie überhaupt so alt werden, dass beide eine Rente erhalten, ist die Rechnung abermals schwieriger. Dafür muss die statistisch erwartbare AHV-Heirats­strafe vom Renten­alter bis zum Tod aufsummiert werden. Insgesamt ergibt dies einen Nachteil von rund 150’000 Franken.

Geht man von Paaren wie den Musters aus, so übersteigt der Nachteil bei den Renten für Ehepaare den Vorteil bei den Witwen­renten damit ungefähr um das Siebenfache. Statistisch ziehen Verheiratete in der AHV also den Kürzeren.

Ehestrafe im Alter

Paar in der Schweiz

AHV-Rente im Konkubinat
Partnerin 28’680 Franken
Partner 28’680 Franken
Total 57’360 Franken
AHV-Rente für Ehepaare
Total (maximal 150 Prozent einer Einzelrente) 43’020 Franken
Heiratsstrafe
pro Jahr 14’340 Franken
Erwartungswert insgesamt rund 150’000 Franken
Quelle: eigene Berechnungen

Früher wandte man dagegen ein: Ja, Verheiratete erhalten weniger Rente, doch dafür müssen sie auch weniger einzahlen. Das stimmt. Aber es gilt nur im klassischen Familien­modell – wenn einer der Partner nicht erwerbs­tätig ist. Für die meisten heutigen Ehepaare ist dieser Bonus daher irrelevant.

Ein weiterer Einwand ist der sogenannte Verwitweten­zuschlag: Stirbt der Ehepartner, wenn man bereits im Renten­alter ist, so stockt die AHV die eigene Rente um 20 Prozent auf – bis zur maximalen Einzelrente. Doch auch dieser Bonus ist für Petra und Peter Muster praktisch irrelevant, da sie mit ihrem Mittelstands­einkommen bereits nahe der höchsten Renten­stufe sind.

Echte Vorteile geniessen Verheiratete erst wieder – beim Ableben.

Petra Muster stirbt

Petra Muster ist an Darmkrebs erkrankt und nicht lange darauf gestorben. Nun steht der Nachlass im Zentrum: Wer erbt das gemeinsame Vermögen?

Dank eines cleveren Investments zählen die Musters nicht zu den Ärmsten. In jungen Jahren haben sie Bytecoins gekauft, eine Krypto­währung, die damals in Mode war, und damit einen Gewinn von 1 Million Franken erzielt.

Zum Glück haben die Musters ihre Bytecoins rechtzeitig vor dem Crash wieder verkauft – sonst hätte sich ihr ganzes Krypto­vermögen in Luft aufgelöst. So liegt die Million aber auch heute noch auf dem Bankkonto.

Was passiert damit, wenn einer der Ehepartner stirbt?

Als Verheiratete mussten sich die Musters darüber nicht den Kopf zerbrechen. Das Gesetz hält für sie eine Reihe von vorteilhaften Bestimmungen bereit:

  • Der Ehepartner einer Verstorbenen erbt standard­mässig die Hälfte und mindestens ein Viertel des Vermögens.

  • Ehepartner sind überall in der Schweiz von Erbschafts­steuern befreit.

Wären sie ein Konkubinats­paar, würde es unter Umständen teurer.

  • Die Partnerin eines Verstorbenen erbt standard­mässig nichts und maximal ein Viertel des Vermögens.

  • Je nach Kanton fallen Erbschafts­steuern in unterschiedlicher Höhe an. In Zürich betragen sie ab 50’000 Franken zwischen 12 und 36 Prozent.

Wären die Musters nicht verheiratet, so könnten von der halben Million Franken, die Petra hinterlässt, maximal 125’000 Franken an Peter gehen. Und der Kanton Zürich würde davon wiederum 22’800 Franken einziehen.

Das ist ein finanzieller Nachteil des Konkubinats. Er materialisiert sich dann, wenn Peter an Petras Erbschaft teilhaben will (je nachdem würde er aber auch darauf verzichten, da er selbst eine halbe Million auf dem Konto hat).

Fazit

Heiraten – oder nicht?

Viele Paare tun sich mit diesem Entscheid allein schon aus persönlichen Gründen schwer. Noch komplizierter wird es, wenn man die finanziellen Folgen betrachtet. Sie sind mannigfaltig und schwer durchschaubar.

Grund dafür sind die Gesetze, die im Steuer­wesen, bei Erbschaften und Sozial­versicherungen gelten. Sie wurden zu einer Zeit geschrieben, als der Staat noch primär auf Männer ausgerichtet war.

Genau zwei Daseins­formen waren damals geläufig:

  • Mann war solo (oder wie es damals hiess: Junggeselle);

  • Mann war verheiratet (und damit auch Familienernährer).

Verheiratete Männer (und deren Familien) anders zu behandeln als Ledige, ergab damals Sinn. Ehemänner sollten gewisse finanzielle Privilegien erhalten, wenn sie für Frau und Kinder zu sorgen hatten.

Doch diese Zweiteilung ist von der Realität überholt.

Paarbeziehungen sind symmetrischer geworden. Menschen heiraten oder lassen sich als eingetragene Paare registrieren, bekommen Kinder, lassen sich scheiden, bekommen weitere Kinder, heiraten vielleicht nochmals. Doch mit all diesen Konstellationen wird das bipolare System nicht mehr fertig.

So kommt es zu Willkür. Die eigentlichen Betroffenen dieser Entwicklung sind Konkubinats­paare: Sie werden in Kategorien und Tarifen besteuert, die gar nie für sie gedacht waren. Sie fallen gewissermassen durch die Maschen.

Der Gag daran ist: Konkubinats­paare profitieren in vielen Fällen davon – sie sparen Steuern und erhalten die volle AHV-Rente. Ja, man kann es auch so sehen: Die Heiratsstrafe ist auf gewisse Weise auch ein Konkubinats­bonus, der umso grösser ist, je eher ein Paar zum Mittelstand gehört, Kinder hat und auf ausgeglichene Weise das gemeinsame Einkommen erwirtschaftet.

Doch egal, wie man es dreht: Es ist längst klar, dass sich das ändern muss.

Die CVP hat es vor einigen Jahren mit einer konservativen Reform versucht. Ehepaare seien «in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschafts­gemeinschaft», stand in ihrer Initiative «für Ehe und Familie», diese dürfe gegenüber andern Lebens­formen bei Steuern und Sozial­versicherungen nicht benachteiligt werden. Die Vorlage scheiterte unter anderem daran, dass sie die Ehe als «Lebens­gemeinschaft von Mann und Frau» bezeichnete, was schwule und lesbische Paare ausschloss. Nachdem das Bundes­gericht die Abstimmung wegen eines Fehlers im Abstimmungs­büchlein für ungültig erklärt hatte, hat die CVP kürzlich eine Neuauflage angekündigt. Zwischen­zeitlich versuchte auch der Bundesrat, die Heirats­strafe abzuschaffen, scheiterte aber im Parlament.

Die FDP-Frauen probieren es nun anders: mit der Individual­besteuerung. Diese Variante ist progressiver, aber auch anspruchsvoller. Statt an einzelnen Tarif­rädchen zu drehen und Ergänzungs­klauseln für Ehepaare in den Steuer­code zu schreiben, muss das ganze System neu erfunden werden. Verschiedenste Gruppen werden ihre Interessen einbringen und darauf bestehen: Wir dürfen nicht schlechter als vorher behandelt werden.

Welcher Vorschlag ist besser?

Familie Muster kann es zum Glück egal sein. Sie ist nur ein Fallbeispiel.

Uns realen Individuen, Konkubinats-, Ehe- und eingetragenen Partnern aber nicht. Es lohnt sich daher, sich anlässlich der kommenden Initiativen vertieft mit dem Steuer­system auseinander­zusetzen. Damit dieses am Ende auch wirklich im 21. Jahrhundert ankommt.

Zu den Rechenbeispielen

Die Steuerberechnungen stammen vom VZ Vermögens­zentrum. Sie beinhalten jeweils die Einkommens­steuern ohne Vermögens- und Kirchen­steuern. Das Einkommen bezieht sich auf den Nettolohn. Ausgegangen wurde jeweils von einer Muster­familie (entweder im Konkubinat oder in der Ehe), die keine Immobilien besitzt. Die beiden Partner zahlen je 3000 Franken pro Jahr in die 3. Säule ein.

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