Massarbeit: 45 Grad vom Wirbelsäulen­ansatz zum oberen Teil des Hinterns. Tony Kelly/Trunk Archive

Rundungsfehler

Keine Schönheitsoperation ist weltweit angesagter als der «Brazilian butt lift». Und das, obwohl die Po-Vergrösserung tödlich enden kann. Wie weit würden Sie gehen, um sich endlich schön zu fühlen?

Von Sophie Elmhirst (Text) und Sarah Fuhrmann (Übersetzung), 03.04.2021

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Die Mission war einfach: Melissa, die eigentlich anders heisst, wollte den perfekten Po. Vor ihrem geistigen Auge sah er aus wie ein praller, reifer Pfirsich, wie das Pfirsich-Emoji auf dem Smartphone. Sie war schon fast so weit. 2018 hatte sie einen Brazilian butt lift, kurz BBL, durchführen lassen, einen chirurgischen Eingriff, bei dem Fett aus verschiedenen Körper­teilen entnommen und ins Gesäss gespritzt wird. Melissas Po war bereits runder und voller als zuvor, und sie war zufrieden damit, zufrieden, wie sie sich fühlte und wie sie aussah.

Aber er könnte noch besser sein. Es könnte immer noch besser sein.

Vor kurzem kam Melissa an einem Nachmittag zu einem Beratungs­gespräch bei der britischen Schönheits­chirurgin Lucy Glancey. Glancey hatte Melissas ersten BBL durchgeführt, in ihrer Privat­klinik an der Grenze zwischen Essex und Suffolk. Die Klinik ist eine Zimmer­flucht mit glänzenden weissen Schränken, einem Ganz­körper­spiegel und Schub­laden voller Spritzen. Während sie auf Melissas Ankunft wartete, zeigte mir Glancey ein Foto von Melissa am Strand in Dubai, in einem Bikini mit aufgedruckten Palmen, posierend in einer Art aufreizender Hocke, die Arme, Brüste, die Ober­schenkel und der Hintern optimal positioniert. «Schauen Sie, wie gut sie aussieht», sagte Glancey und betrachtete Melissa und ihr eigenes Werk bewundernd. «Ich habe ihr gesagt, ich sehe nicht, was wir noch tun können.»

Als Melissa ins Zimmer kam, sah sie nicht genau so aus wie ihr digitales Ich, aber wer tut das schon? Sie hatte den Dubai-Luxus gegen Suffolk-Légèreté eingetauscht: Jeans und einen rosafarbenen Pulli. Glancey – dunkelblaue OP-Kleidung, korallen­rote Zehennägel – bat Melissa nach einer kurzen Unterhaltung, sich auszuziehen. Zusammen stellten sich Ärztin und Patientin vor den Spiegel.

«Gut», sagte Glancey. «Welche Seite mögen Sie lieber?»

«Diese Seite», sagte Melissa und zeigte auf ihre linke Flanke.

Glancey begann, sich um Melissas Körper herum­zuarbeiten, und prüfte die Konturen mit erfrischender Offenheit.

«Sie haben hier ein bisschen zugenommen», sagte sie und zeigte auf Melissas Taille.

«Aber hier», sagte Melissa und drückte auf eine Delle in ihrer rechten Pobacke, einen Makel, den sie im Urlaub entdeckt hatte. «Sehen Sie?»

Aus flach mach rund

Wie jeder Mensch, der seinen eigenen Körper untersucht, sah Melissa Dinge, die niemand sonst sieht. Sie sah nicht nur die jetzige Form im Spiegel, sie sah mehrere Versionen: ihren früheren Körper, ihren ersehnten Körper, ihren digitalen Körper. Als Teenager, vor fast zehn Jahren, als Cara Delevingnes thigh gap, die Ober­schenkel­lücke, ein eigenes Twitter-Konto gehabt hatte, wollte Melissa, wie alle anderen, dünn und flach sein. Dann änderte sich die Mode. Als Erklärung, warum sie ihren ersten BBL machen liess, sagte Melissa, dass sie eine Jeans ausfüllen und bei den Männern landen wollte, die ihr gefielen. «Ich fand schwarze Männer und Männer mit gemischter Abstammung attraktiv – und die mochten kurvigere Frauen», erzählte mir Melissa, die selber weiss ist.

Die Operation, die bis zu 8000 Pfund kosten kann, hilft ihr auch beim Geldverdienen. Haupt­beruflich arbeitet Melissa in einem Fitness­center, aber nebenbei verdient sie Geld mit dem Modeln von Kleidern auf Instagram. «Wenn man schaut, was am meisten Aufmerksamkeit und die meisten Likes generiert, dann sind es immer Girls mit dieser Figur», sagte sie.

Melissas digitaler Körper, verbessert mit der Foto­bearbeitungs-App Facetune, dient als eine Art Entwurf für ihren zukünftigen realen Körper. Sie erzählte mir, dass ihre Freundinnen ihre Fotos auf Dating-Apps manchmal so stark bearbeiten, dass sie sich nicht mehr mit jemandem treffen können, weil die Version ihres Selbst, die sie präsentieren, zu weit weg ist von der Realität. «Wenn man einen BBL hatte, ist es so, als hätte man seinen Körper schon im echten Leben bearbeitet», sagte Melissa, «also muss man seine Bilder nicht mehr bearbeiten.»

Vor zehn Jahren führte Schönheits­chirurgin Glancey selten BBLs durch. Heute macht sie in einer Woche zwei oder drei und erhält in diesem Zeitraum etwa dreissig Anfragen. Laut einer kürzlich erschienenen Studie der International Society of Aesthetic Plastic Surgery ist die Zahl der Po-Liftings seit 2015 um 77,6 Prozent gestiegen. Damit hat diese Schönheits­operation weltweit den grössten Zuwachs. Wenn sich Glancey auf Instagram umschaut, sieht sie sie überall: die Strandball-Pos, die den berühmtesten Hintern der Welt imitieren. Einen Po, der so genau betrachtet, nachgeahmt, zu Geld gemacht wird, dass er nicht mehr wirkt wie ein Körper­teil, sondern eher wie ein eigenes konzeptionelles Projekt, ein Start-up-Unternehmen, das gerade frisch an die Börse gegangen ist. Die Beliebtheit des BBL, erklärte mir Glancey, sei auf eine bestimmte Frau zurück­zuführen: «Ihre Reichweite», sagte sie über Kim Kardashian West, «beruht wirklich auf ihrem Körper.»

Mark Mofid, ein führender amerikanischer BBL-Chirurg, verweist darüber hinaus auf den Einfluss von Jennifer Lopez und Nicki Minaj, neben einer Fülle von Bildern in den sozialen Netz­werken, «die feminine Kurven schön und beliebt gemacht haben». Aber solche Schönheit anzustreben, kann gefährlich sein. 2017 veröffentlichte Mofid einen Fachartikel im «Aesthetic Surgery Journal», der aufzeigt, dass bei 3 Prozent der 692 von ihm befragten Chirurgen eine Patientin nach der Operation gestorben war. Insgesamt führte einer von 3000 BBLs zum Tod, damit ist die Operation der gefährlichste kosmetische Eingriff der Welt.

Der perfekte Winkel

In den letzten drei Jahren starben drei britische Frauen – Abimbola Ajoke Bamgbose, Leah Cambridge und Melissa Kerr – an Komplikationen nach einem BBL. Alle drei hatten ihn in der Türkei machen lassen, dem beliebtesten Reise­ziel für britische Patientinnen, die günstigere Schönheits­operationen suchen. Anderswo gab es weitere Todesfälle: Joselyn Cano in Kolumbien, Gia Romualdo-Rodriguez, Heather Meadows, Ranika Hall und Danea Plasencia in Miami. Gemäss lokalen Nachrichten sind allein in Südflorida in den letzten Jahren fünfzehn Frauen nach BBLs gestorben.

Melissa kannte die Risiken. Ihr erster BBL im Jahr 2018 fand zufällig in derselben Woche statt, in der Leah Cambridge starb. Im selben Jahr empfahl die British Association of Aesthetic Plastic Surgeons britischen Ärztinnen, die Operation überhaupt nicht vorzunehmen. Da sie keine Regulierungs­behörde ist, konnte sie kein Verbot durchsetzen, obwohl einige Ärzte freiwillig damit aufhörten. Dennoch fühlte sich Melissa sicherer dabei, die Operation im Vereinigten Königreich durch­führen zu lassen. Sie vertraute Glancey, und schliesslich hatte sie den Prozess schon einmal durchgemacht – sie wusste, was sie erwartete. Sie würde sich ein paar Wochen freinehmen müssen, um sich zu erholen, aber das wäre es wert. Bald würde es keine Ungleichmässigkeiten mehr geben, keine Dellen, keine Makel. Sie würde einen mit der Facetune-App geformten Hintern im echten Leben haben. Einen Photoshop-Körper. Perfektion.

Solange die Mode weiter besteht, ist der perfekte Po ein praller Ball, eine in Haut gewickelte Christbaum­kugel. «Hervorstehend» ist Glanceys liebste Bezeichnung. Zusammen mit den perfekten Brüsten verwandelt der perfekte Po den Körper in die Form eines S. «Es ist die klassische Sanduhr­form», sagte Melissa. «Die will man.»

Der perfekte Po weist ausserdem einen bestimmten Winkel auf: 45 Grad vom Wirbel­säulen­ansatz zum oberen Teil des Hinterns. In dieser Hinsicht ist der perfekte Po eigentlich das Ergebnis davon, die perfekte Wirbel­säule zu haben, eine, die von Natur aus am Ansatz hervorsteht. Gemäss einem Artikel einer Gruppe von Evolutions­psychologen, erschienen 2015 in der Fach­zeitschrift «Evolution and Human Behaviour», signalisiert eine «Rundung der Lenden­wirbelsäule» offenbar die Gebär­fähigkeit einer Frau und macht sie somit attraktiv als Partnerin. Oder wie die Autoren es formulieren: «Männer bevorzugen tendenziell Frauen, die einen Grad der Wirbel­säulen­stellung aufweisen, der dem Optimum nahekommt.»

Jene, denen dieser optimale Grad der Wirbel­säulen­krümmung fehlt, haben verschiedene Möglichkeiten. Im 18. Jahr­hundert wurde man in ein Korsett geschnürt, ein bisschen später kam die Tournüre. Heute kann man aufgepolsterte Unter­hosen kaufen oder selber Einlagen basteln. (Als eine von Glanceys Patientinnen sich kürzlich in ihrer Klinik auszog, fielen zwei Knäuel aus zusammen­gerolltem Stoff aus ihrer Hose.) Man kann Implantate einsetzen lassen oder Auffüller injizieren. Oder man macht einen BBL, was zwei Aufgaben zugleich erfüllt: Fett von Orten zu entfernen, an denen man es nicht will, und es dort zu platzieren, wo man es will. Wie Robin Hood nimmt der BBL von den Reichen – den schwabbeligen Bäuchen – und gibt es den Armen: den flachen, knochigen Hinterteilen.

Arm, aber sexy

Der BBL nahm seinen Ursprung in Brasilien, dem Geburtsort der Schönheits­chirurgie und des Mythos eines natürlich «hervor­stehenden» Pos, zu sehen auf unzähligen Tourismus­bildern von Frauen im Bikini an der Copacabana. «Im Rest der Welt stellt man sich vor, dass die Brasilianer auf Hintern fixiert sind», sagt der Anthropologe Alvaro Jarrín, Autor des Buches «The Biopolitics of Beauty», das die Kultur der Schönheits­operationen in Brasilien untersucht. In Wirklichkeit hat natürlich nicht jede brasilianische Frau einen idealisierten brasilianischen Hintern. Und es wolle auch nicht jede Frau diesen Hintern, fügt Jarrín hinzu. Bei der Recherche für sein Buch fand er heraus, dass die Beliebtheit des BBL von der Klasse und der Ethnie der Frauen abhing, mit denen er sprach. Wenn sie reich und weiss waren, «sagten sie, ‹ich will nicht den Körper einer mulata [ein häufig abwertender Begriff für Menschen gemischter Abstammung], ich will den Körper eines europäischen Supermodels›».

Die Operation selbst wurde erstmals vom brasilianischen Arzt Ivo Pitanguy durchgeführt. In einem Land mit unzähligen Schönheits­chirurgen war Pitanguy bekannt als «der Papst». Er führte ganz verschiedene Operationen durch, und man erzählte sich, er habe Berühmtheiten wie Frank Sinatra und Sophia Loren verschönert, während er gleichzeitig ärmeren Patientinnen und Patienten in seiner Klinik in Rio subventionierte Behandlungen anbot. Schönheit, glaubte Pitanguy, sei ein Menschen­recht, obwohl er zugab, dass das Streben danach ein schwieriges Unter­fangen sein kann. «Das Wichtigste ist, ein gesundes Ego zu haben», wurde er oft zitiert, «dann braucht man keine Operation.» Ein netter Grundsatz, aber nicht jener, der ihm genug Geld einbrachte, um sich eine Privat­insel zu kaufen: Ilha dos Porcos Grande, die Grosse Schweine­insel vor der Küste von Rio.

1960 gründete Pitanguy die weltweit erste Akademie für Schönheits­chirurgie und lehrte seine Techniken einer neuen Generation von Chirurgen. «Er hatte eine Gabe dafür, Wissen weiter­zugeben», erzählte mir Marcelo Daher, ein Schönheits­chirurg aus Rio, der bei Pitanguy in die Lehre ging. «Und seine Studentinnen verteilten sich über die ganze Welt.» Als die Chirurgen die Kunst des BBL lernten, verbreitete sich das Verfahren allmählich Richtung Norden. «Es erreichte zuerst den südlichen Teil von Nordamerika», sagte Mark Mofid, der im kalifornischen San Diego praktiziert und seit zwanzig Jahren BBLs durchführt.

Raul Gonzalez, ebenfalls Brasilianer und ein Jünger von Pitanguy, ist heute der führende internationale Experte für Gesäss­verschönerung. Er hat auch die britische Ärztin Glancey unterrichtet, die nach São Paulo gereist war, um Erfahrungen zu sammeln. «Das muss mindestens siebzehn Jahre her sein», erzählte sie mir. «Er war der Beste.» Sie erinnerte sich, dass Po-Liftings damals in Brasilien «normal waren, während man das hier noch gar nicht kannte».

Brasilien bleibt das weltweite Zentrum der plastischen Chirurgie, auch wegen Pitanguys Erbe: kostenlose oder günstige Schönheits­operationen sind immer noch Teil des öffentlichen Gesundheits­wesens. Weil sie kein Luxus­gut ist, durchzieht die Praxis der Schönheits­operation alle Gesellschafts­schichten. Eine derart einfache Zugänglichkeit hat eine dunklere Seite: Brasilianische Chirurgen sind «auf der ganzen Welt bekannt dafür, neue Techniken zu erfinden», sagte der Anthropologe Alvaro Jarrín, denn «ihnen stehen diese Körper aus niedrigen Einkommens­schichten zur Verfügung, an denen sie üben können».

Schwarz für einen Tag

Im Vereinigten Königreich dagegen werden rein kosmetische Operationen nur privat durchgeführt. Glanceys Klinik liegt auf einer eigenen Etage über einer Hausarzt­praxis des Nationalen Gesundheits­dienstes. Das Erdgeschoss betreten also zwei verschiedene Arten von Patientinnen: solche, die bezahlen, und solche, die es nicht tun. Glanceys Patienten treffen eine Konsumenten­entscheidung: Sie wollen etwas, und vorausgesetzt, dass es möglich und sicher ist, verkauft sie es ihnen. Trotzdem besteht Glancey darauf, sie Patientinnen und nicht Kundinnen zu nennen: «Ja, es ist freiwillig», sagte sie, ein wenig heftig. «Aber es ist immer noch medizinisch, es ist immer noch ein chirurgischer Eingriff.»

Während sie in einer Pause zwischen zwei Terminen in ihrer Klinik sass, scrollte sie durch Instagram-Nachrichten potenzieller Patientinnen. «Schauen Sie», sagte sie, während sich der Feed von Nachrichten endlos aktualisierte. «Das sind nur die letzten vierundzwanzig Stunden!» Jede Nachricht enthielt Bilder, die die Frauen von sich selbst in Unter­wäsche aufgenommen hatten. Glancey muss sehen, womit sie es zu tun hat, bevor sie einer Beratung zustimmt. Sie kann allein beim Anblick eines Körpers einschätzen, wie erfolgreich eine Operation wäre. Oder wie unrealistisch die Wünsche sind.

Sie benötigt ausserdem Körper­masse: Alter, Gewicht, Grösse, Body-Mass-Index. «Wenn der über 30 liegt [was krankhafte Adipositas bedeutet], operiere ich nicht, ich sage ihnen nur, dass sie Gewicht verlieren sollen», sagte sie unverblümt. «Es ist Fettabsaugen, keine Heilung für Adipositas.» Sie zeigte mir ein Bild einer Frau, die ihren Körper in eine Acht verwandelt sehen wollte. Glancey schüttelte den Kopf: Die Frau war übergewichtig, aber so oder so, die Form einer Acht verschiebt das Sanduhr-Ideal in Richtung eines physiologisch unmöglichen Extrems. «Man muss keine Expertin sein, um ihr zu sagen, was ich zu ihr gesagt habe», sagte Glancey, nämlich bestimmt und mehrfach: «Nein.»

Nicht jede kann den Körper von Kim Kardashian erreichen. Wie vieles am Gesamtwerk Kardashian bringt ihr Po eigene Kontroversen mit sich, nicht zuletzt, weil es scheint, als wolle er die idealisierte Version des Pos einer schwarzen Frau sein. Kim Kardashian West, die armenischer Abstammung ist und immer bestritten hat, eine Gesäss­operation gehabt zu haben, wurde schon oft des blackfishing beschuldigt – schwarze Kultur zu imitieren und sich anzueignen, um die eigene Marke aufzuwerten.

Kim Kardashian präsentiert ihr Geschäftsmodell.

«Es ist komplett konstruiert, eine Art erfundene Geschichte», sagte Alisha Gaines, Englisch-Professorin an der Florida State University und Autorin von «Black for a Day: White Fantasies of Race and Empathy». «Sie hat ein Imperium darauf aufgebaut, sich Schwarzsein anzueignen und es allen möglichen Leuten zu verkaufen, auch schwarzen Menschen.»

Ästhetische Chirurgie war schon immer untrennbar verbunden mit race. Professorin Gaines zieht eine Linie von der Fetischisierung der Hintern schwarzer Frauen bis zum giftigen Erbe der Sklaverei und des Kolonialismus. Genauer: zurück zu Saartjie Baartman, einer Südafrikanerin, die 1810 von einem britischen Arzt nach London gebracht und zuerst an der Piccadilly Street und anschliessend im ganzen Land als Hottentott Venus zur Schau gestellt wurde. Die Massen zahlten, um ihren Körper anzuschauen, insbesondere ihren Po. (Als Kardashian West 2014 für das «Paper»-Magazin mit einem Champagnerglas auf dem Hintern posierte, verglichen einige befremdete Beobachter die Fotografie mit Bildern von Saartjie Baartman, die benutzt wurden, um ihre «Darbietungen» zu bewerben.)

In Brasilien wiederum ging die Kultur der Schönheits­chirurgie aus der Geschichte der Eugenik des Landes hervor. Der Arzt Renato Kehl, der 1918 die Gesellschaft für Eugenik von São Paulo gründete, sprach sich in seinem Buch «The Cure of Ugliness» für die Chirurgie aus. Sein Ziel war einfach: die brasilianische Bevölkerung durch «die Auslöschung der schwarzen und im Regenwald lebenden Rassen» zu «perfektionieren». Der Anthropologe Jarrín schreibt, «für Kehl hing ‹Verschönerung› eindeutig mit ‹Weissmachen› zusammen».

Indem der BBL eine vermeintliche Eigenheit des Schwarzseins und nicht des Weissseins imitiert, scheint er eine andere Richtung einzuschlagen. (Melissa erzählte mir, eine schwarze Freundin habe nach ihrem ersten BBL zu ihr gesagt, wie selten ein weisses Mädchen einen richtigen Po habe. «Und ich so, ja, total selten», sagte sie, zufrieden mit ihrer Täuschung. «Aber es kommt vor.») Aber wonach man damit strebt, meint Professorin Gaines, sei eine Art heraus­gepickte, symbolische schwarze Ästhetik, während man das gesellschaftliche Privileg, weiss zu sein, behält. «Ich glaube, was Kim Kardashian genau weiss, ist, dass die Leute schwarze Kultur und Schwarzsein lieben, aber nicht unbedingt schwarze Menschen», fügte sie hinzu. «Es ist Teil einer langen Geschichte von weissen Leuten, die sich Teile der schwarzen Kultur nehmen, ohne irgendeine der Konsequenzen zu tragen, die es eben mit sich bringt, schwarz zu sein oder als Schwarze zu leben.»

Die Schönheitschirurgin Glancey erzählte mir, dass sie etwa die Hälfte der Anfragen für BBLs von schwarzen Frauen erhalte. «Sie fühlen sich hässlich, wenn ihr Rücken nicht die Kurve hat», sagte sie. Es ist verwirrend, die Kette der kulturellen Aneignung zu verfolgen, die zu diesem Punkt geführt hat. Der idealisierte brasilianische Po, den einige reiche weisse brasilianische Frauen wegen seiner stereotypischen Assoziationen mit gemischt­ethnischen Frauen gering­schätzen, ist unter bestimmten weissen Frauen in den USA und Europa zur begehrtesten Form geworden. Sie streben einen Körper an, der künstlich hergestellt und von einer armenisch-amerikanischen Frau populär gemacht wurde, der wiederum oft vorgeworfen wird, sich eine schwarze Ästhetik zu eigen zu machen. Und diese wollen einige schwarze Frauen dann imitieren, weil sie nicht die idealisierte Körper­form haben, von der sie glauben, sie von Natur aus haben zu müssen. «Du klaust eine Version dessen, wie der Körper einer schwarzen Frau sein soll, verpackst sie neu, verkaufst sie den Massen, und wenn ich dann schwarz bin und nicht so aussehe? Das ist ein mindfuck», sagt Gaines.

Letztlich sagte Glancey der Frau, die wie die Ziffer Acht aussehen wollte, dass sie, auch wenn all ihr Fett abgesaugt würde, immer noch grosse Falten überschüssiger Haut behalten würde. Schliesslich hörte die Frau auf, Nachrichten zu schreiben. Die Kluft war einfach zu gross: nicht nur zwischen Wunsch und Wirklichkeit, sondern auch zwischen Bild und Möglichkeit – die Sehnsucht, wie etwas auszusehen, was nicht nur eine optimierte Version von einem selbst oder jemand anderem ist, sondern etwas, was ausserhalb der Band­breite an menschlichen Körpern liegt: auszusehen wie eine Zahl.

Bildhauern im Dunkeln

Kurz vor Melissas zweitem Termin bei Glancey, ein paar Wochen nach dem ersten, trafen wir uns in einem Pub, und sie erzählte mir, dass sie nun einen neuen Plan für ihre Operation habe. Glancey sollte nicht nur Fett von ihrem Bauch absaugen, sondern auch Fett von unter ihrem Kinn und ihren Oberarmen – und es in ihren Po spritzen.

Während des Termins am späteren Nachmittag musste Glancey prüfen, ob das überhaupt möglich war. Manchmal wollen Patientinnen, dass man Fett von Orten entfernt, an denen sie kaum welches haben: wo nur Knochen sind, Muskeln und Haut. Wieder vor dem Ganz­körper­spiegel, kniff Glancey in das Fleisch um Melissas Bizeps. «Es ist machbar», sagte sie fröhlich.

Dann wanderte sie hoch zu Melissas Kinn. «Was stört Sie hier?»

Melissa verzog das Gesicht, als wolle sie sagen, was stört mich hier nicht?

«Ja, warum ist das hier? Warum ist das alles so?», fragte Melissa und deutete auf ein winziges Kissen aus Fett unter ihrer Kinnpartie. Glancey beschrieb es als «natürliches Pölsterchen» und sagte, sie werde das Fett von Hand entnehmen, mit einer Spritze, und wahrscheinlich werde sie da nicht mehr als 20 Kubik­millimeter heraus­bekommen. Sie erinnerte Melissa daran, dass sie nach der Operation eine Kompressions­bandage unter dem Kinn würde tragen müssen, ausserdem spezielle Kleidung an Bauch und Po, um die Heilung zu unterstützen. Sich von einem BBL zu erholen, ist schmerzhaft. Melissa erzählte, dass sie in den Wochen direkt nach ihrem ersten BBL kaum Beschwerden im Po hatte, weil er durch das neue Fett gepolstert war. Aber die Stellen, wo Fett abgesaugt worden war, die seien so empfindlich gewesen, dass sie wenige Wochen nach der Operation vor Schmerz aufgeschrien hatte, wenn jemand sie im Vorbeigehen berührte.

Bei der Operation selbst, die in ein paar Wochen angesetzt war, würde Glancey wie üblich vorgehen. Zuerst markiert sie die Patientin mit einem Stift – schwarz für die Stellen, an denen sie Fett entfernt; rot für die, wo es hinkommt. Sie macht das mit der Patientin zusammen und fotografiert es, damit es nach der Operation keinen Streit darüber gibt, was geplant war. Dann wird die Patientin anästhesiert und eine Salzlösung mit lokaler Betäubung und Adrenalin wird durch den Körper gepumpt, um die Blut­gefässe zu verengen, die Blutung zu kontrollieren und einen Benetzungs­effekt zu erreichen, damit man das Fett leichter absaugen kann. Ohne das, sagte Glancey, sei Fett­absaugen ein bisschen so, wie wenn man versuchen würde, eingetrocknetes Essen ohne Wasser von einem Teller zu kratzen.

Als Nächstes macht Glancey einen weiteren kleinen Schnitt und führt eine stumpfe Kanüle unter die Haut ein, um das Fett zu «ernten». Wenn das Fett aus dem Körper gesaugt wird, läuft es durch einen Plastik­schlauch in einen geschlossenen Kanister, wo es von Blut und Lokal­anästhetikum gereinigt wird. Einmal entnommen, überlebt das Fett nur für ein oder zwei Stunden. Es ist immer noch «lebendig» – Fett wird wegen seiner Fähigkeit, Hormone auszusondern, oft als «endokrines Organ» beschrieben –, und man kann sehen, wie es seine Farbe wechselt. Zuerst hat es einen gelblichen oder orangen Farbton, wenn es mit Blut vermischt ist, und dann wird es allmählich braun. («Kein gutes Zeichen» gemäss Glancey.)

Damit das Fett die grösste Chance hat, im Körper zu überleben, muss es schnell wieder in den Po gespritzt werden, auch das mit einer stumpfen Kanüle und mithilfe einer fussgesteuerten Pumpe. Dabei wird die Chirurgin zu einer Art Mischung aus blinder Bildhauerin und einem Strassen­musiker, der mehrere am Körper befestigte Instrumente gleichzeitig spielt. Während ihr Fuss die Geschwindigkeit kontrolliert, mit der das Fett zurück in den Körper fliesst, führt Glanceys rechte Hand die Kanüle, und ihre linke Hand – die sie die «sehende Hand» nennt – streicht über die Haut­oberfläche, um zu erfühlen, wo das Fett platziert werden soll. «Es ist keine offene Wunde», sagte sie. «Man sieht nichts.»

Glancey schickte mir eine Reihe von Videos, in denen sie Operationen durchführt, und die schiere Kraft, die sie dabei aufwenden muss, ist bemerkens­wert. Sie stösst die Kanüle wiederholt vor und zieht sie zurück; ein bisschen wie bei einer besonders mühsamen Putzsession mit einem Hand­staubsauger. Eine Operation kann zwischen drei und sechs Stunden dauern, und die stossende Bewegung ist für das Fett­absaugen und das Wieder­einbringen notwendig. Am Ende ist Glancey meistens erschöpft. Der Körper der Patientin dagegen, wie jeder betäubte Körper, der einer ernsten Operation unterzogen wird, sieht dann aus wie ein lebloses Stück Fleisch, von Glancey bearbeitet mit jener seltsamen chirurgischen Balance zwischen Behutsamkeit und Kraft.

Eine Patientin muss wochenlang warten, bis sie weiss, wie ihr Hintern letztlich aussieht. Das Fett braucht Zeit, sich zu setzen, und Glancey muss ihre Patientinnen daran erinnern, dass sogar im besten Fall nur 50 Prozent des Fettes «ansetzen». Der Rest wird vom Körper absorbiert und über das Lymph­system ausgeschieden. Damit die optimale Menge an Fett im Körper überlebt, braucht es die Geschicklichkeit der Chirurgin.

Glancey vergleicht ihre Arbeit mit dem Anlegen eines Gartens: Man kann die Pflanzen nicht zu nah neben­einander einsetzen, sie brauchen Platz, um zu gedeihen. «Wenn ich das meinen Patientinnen sage, sagen sie einfach, spritz mehr hinein», erzählte sie. «Und ich sage, tja, so funktioniert das nicht.» Glancey hält sich an die Richt­linien des Vereinigten König­reichs und beschränkt die Menge, die sie spritzt: 300 Kubik­zentimeter pro Pobacke, ein bisschen weniger als eine Dose Cola. Sie sagt ihren Patientinnen, dass sie ihren BBL über mehrere Operationen fertig­stellen sollen, bei denen jedes Mal ein bisschen hinzugefügt wird.

Izmir einfach

In der Türkei, dem beliebtesten Reiseziel für Patienten von Schönheits­operationen in Europa (und nach Thailand und Mexiko dem dritt­beliebtesten auf der Welt), sieht man das weniger eng. Manche Chirurginnen werben in den sozialen Netzwerken offen damit, dass sie mehr als 1000 Kubik­zentimeter in den Po einer Patientin spritzen. Glancey sagte, dass sie häufig Patientinnen sehe, die aus der Türkei zurück­kehrten und unglücklich mit dem Ergebnis seien, oft weil ein grosser Teil des Fettes abgestorben ist – und ihr Hintern deshalb schief oder unförmig aussieht.

Das Risiko bei der Durchführung eines BBL hängt nicht nur von der Menge an Fett ab, sondern auch davon, wie es gespritzt wird. (Ausserdem davon, ob überhaupt Fett gespritzt wird: Eine Reihe der jüngsten Todes­fälle im Zusammen­hang mit einer Gesäss­verschönerung trat auf, weil den Patientinnen stattdessen Silikon gespritzt wurde.) Während der Operation selbst besteht die Gefahr in einem ganz bestimmten Moment: wenn die Kanüle in den Po eingeführt wird. Wenn sie unter die Haut dringt, muss die Kanüle über dem Gesäss­muskel bleiben. Wenn sie tiefer geht und Fett in die Blutbahn gelangt, können Fetttropfen zusammen­wachsen, sich durch die Blutbahn bewegen und eine Embolie auslösen, ein Blutgerinnsel in der Lunge – die Todes­ursache im Fall der Britin Leah Cambridge, die ihren BBL 2018 in einer Privat­klinik im türkischen Izmir machen liess.

Auf ihrem Smartphone zeigte mir Melissa auf Instagram Bilder von Bekannten, die BBLs in türkischen Kliniken durchführen liessen. Dabei wies sie auf verräterische Anzeichen hin wie eine Kunst­händlerin, die Fälschungen aufdeckt. Der Bauch­nabel zum Beispiel. Wenn man so viel Fett von der Taille wegnehme, könne der Bauchnabel am Ende ganz verzerrt sein, sagte Melissa. Die Proportionen sind auch tendenziell extremer, die Taille nach innen ausgehöhlt und der Po cartoon­artig aufgeblasen.

«Es sieht einfach nicht menschlich aus», sagte Melissa und zeigte auf eine Frau, deren Bauch­nabel aussah, als wäre er plattgewalzt und dann langgezogen worden. Melissa schüttelte wissend den Kopf. «Das ist schlecht gemacht», sagte sie. «Und es gibt so viele junge Frauen wie sie.»

Mehr, mehr, mehr!

Eine der beliebtesten türkischen Kliniken, sie bewirbt auf Instagram aggressiv ihr BBL-Paket für 3000 britische Pfund, heisst Comfort Zone. Ihre Chronik ist ein Karneval aus Zähnen, Brüsten, Nasen und Pos, während die intimeren Körper­teile – Brust­warzen, After – geschmack­voll von einem sternförmigen «CZ»-Logo bedeckt sind. Auf der Website von Comfort Zone wirkt Schönheits­chirurgie wie ein Wellness­urlaub. Die Fotos zeigen Villen und Pools und glücklich aussehende Menschen, die rund um einen Frühstücks­tisch sitzen, auf dem tropische Früchte zur Blume drapiert sind. Rätselhafter­weise gibt es auch Bilder von leeren Sitzungs­zimmern, vielleicht um zu zeigen, dass hier seriöse Geschäfte getätigt werden.

Comfort Zone wurde vor zehn Jahren vom britisch-türkischen Geschäfts­mann Engin Yesilirmak gegründet, der zuvor eine Fracht­transport­firma betrieb. Yesilirmak erzählte mir, dass er die Idee für sein neues Projekt hatte, als er Schönheits­operationen für Freunde und die Familie in Istanbul arrangierte und merkte, wie einfach es war und wie viel billiger als im Vereinigten Königreich: ein ideales Geschäfts­modell also. Chirurgen bei Comfort Zone führen jetzt 200 Operationen pro Monat durch, und die Firma beherbergt in ihren «Erholungs­villen» konstant vierzig Patientinnen.

Comfort Zone bietet alles an – Nasen­operationen, BBLs, Brust­implantate, Zahn­modellierung und den mommy makeover, eine Operation mit dem Ziel, die ästhetischen Folgen des Gebärens zu korrigieren. Yesilirmak deutete an, dass Frauen sich nicht nur wegen des günstigen BBL-Pakets von Comfort Zone angezogen fühlen, sondern auch wegen der Freiheiten, die türkische Chirurginnen geniessen. «Die Ärzte hier sind mutiger als in Europa», sagte Yesilirmak. «Hier entnehmen wir vier Liter Fett.» In einigen Instagram-Posts der Klinik geben sie neben den Bildern eines verwandelten Körpers stolz die exakte Menge Fett an: «4200 Kubik­zentimeter entnommen, 1200 Kubik­zentimeter injiziert.»

Ebenfalls «mutig» sind laut Yesilirmak die jungen Frauen, die seine Klinik regelmässig allein besuchen. Yesilirmak, der die vielen Geschichten von Frauen wohl kennt, die mit Komplikationen aus der Türkei zurück­kehren, betonte beflissen, dass es – wie bei allen Operationen – Risiken gebe. «Es ist das Gesetz des Durch­schnitts», sagte er. Laut Yesilirmaks Schätzung gibt es bei 2 Prozent der Operationen von Comfort Zone gering­fügige Komplikationen (eine Verbesserung gegenüber den 3 Prozent vom letzten Jahr), einen schwerwiegenden Vorfall habe es aber nie gegeben. Wenn etwas schieflaufen würde, sagte er, würden sie nach drei Monaten eine kostenlose «Korrektur» anbieten. (Es gibt mindestens zwei Instagram-Konten, die behaupten, verpfuschte Operationen zu dokumentieren, die bei Comfort Zone durchgeführt wurden. «Leider starten einige Patientinnen, anstatt für eine Korrektur­operation zurück­zukommen, eine Hasskampagne», sagte Yesilirmak dazu.) Er behauptete auch, dass sie ehrlich zu Frauen seien, bei denen sie nicht glauben, ihnen helfen zu können. «Wenn sie zum Beispiel stark übergewichtig sind und auf einen Schlag ganz schlank werden wollen», sagte er. «Das ist einfach nicht möglich.»

Yesilirmak sagte, er zwinge niemanden, eine Operation durchführen zu lassen. Comfort Zone bewerbe einfach ihre Dienste, und es liege bei den Kunden, ob sie kämen oder nicht. «Wir werben nie aggressiv», sagte er. Ihr Marketing funktioniert hauptsächlich über Instagram-Persönlichkeiten wie das Model Holly Deacon, die einstige «X Factor»-Kandidatin Chloe Khan, die zu einer kosmetisch verwandelten Influencerin wurde, und die ewige Reality-Show-Veteranin Katie Price. Manchmal wenden sie den einen oder anderen Trick an. Kürzlich feierte Comfort Zone 100’000 Follower bei Instagram und lud Fans ein, einen Kommentar unter einem Post zu hinterlassen und fünf Freunde zu markieren. Sie zogen dann eine Gewinnerin und schenkten ihr eine kostenlose Operation nach Wahl, in der Hoffnung, dadurch die Anzahl der Follower zu vervielfachen. («Das unverantwortliche Marketing, das Verherrlichen, die Trivialisierung, die Anreize», sagte Mary O’Brien, Präsidentin der British Association of Aesthetic Plastic Surgeons, «das sind alles Dinge, die unsere Organisation als problematisch hervor­heben möchte.»)

Gut investiertes Fett

«Die Werbegeschenke sind nicht so effektiv», sagte Yesilirmak. Die beste Strategie war immer Werbung durch Influencerinnen: So lockt man neue Kundinnen an. Wie Katrina Harrison, die der Boulevard­zeitung «Mirror» 2019 sagte, dass sie für einen BBL bei Comfort Zone gewesen sei, weil sie gesehen hatte, wie Katie Price die Klinik bewarb. Harrison behauptete, dass sie nach ihrer Operation fast an einer Blutvergiftung gestorben sei. Als sie nach Gross­britannien zurückkam, brach Harrison angeblich am Flughafen Manchester zusammen und wurde für neun Tage ins Krankenhaus eingeliefert. (Yesilirmak sagte, ihre Behauptungen seien «völlig frei erfunden». Dennoch führte das türkische Gesundheits­ministerium wegen ähnlicher Fälle 2018 ein strengeres Zulassungs­verfahren für türkische medizin­touristische Firmen ein.)

Ende 2019, nach ihrem letzten Zyklus von Operationen, drehte Price ein Werbevideo für die Firma, in dem sie in einer Szene hinten in einer Limousine sitzt und zu 50 Cents «In Da Club» einen eigenen Text rappt: «Comfort Zone, da will man hin! Kleinere Brüste und meine Augen­lider!» In einem üppigen Garten sitzend verkündete sie, dass ihre letzten Operationen der Beginn eines Prozesses seien, während­dessen sie sich nach und nach in eine «menschliche Puppe» verwandeln werde. «Bei Comfort Zone haben sie gesagt, dass sie mir den perfekten Körper geben werden», schwärmte Price. «Aber es braucht Zeit, man kann es nicht alles auf einmal machen lassen. Das ist erst der Anfang!»

Schönheit war schon immer ein grausamer Zufall: Man wird als sich selbst geboren und nicht als jemand anderes. Wir alle nutzen alle Tricks, die unser Aussehen verbessern und die wir überheblicher­weise nicht in dieselbe Kategorie einordnen wie Schönheits­operationen – Zähne begradigen, Augen­brauen zupfen, Spanx-Unterwäsche. Vor kurzem ertappte ich mich dabei, wie ich in den Spiegel starrte und mich fragte, was es wohl kosten würde, eine Gruppe brauner Alters­flecken von meiner Wange wegzulasern. (Zu viel.) Mit der Natur zu ringen, kann teure, lebenslange Arbeit bedeuten. Deshalb kann man die Verbilligung und damit die Demokratisierung von Schönheits­operationen als Stinke­finger an die Evolution sehen. Wir können heute alle schön sein und die ästhetischen und finanziellen Belohnungen einheimsen, die das mit sich bringt.

Die kommerziellen Auswirkungen eines BBL liegen auf der Hand: «Es bringt einem mehr Arbeit», sagte die Schönheits­chirurgin Glancey zu Melissa in der Klinik. «Und mehr Geld», stimmte Melissa zu. Ihr BBL-Körper siegt im algorithmischen Schönheits­wettbewerb: Sie bekommt mehr Instagram-Likes, und die Likes verschaffen ihr mehr Jobs.

«Es ist eine Investition», sagte Glancey. «Es ist, als würde ich einen neuen Operations­saal bauen, ich investiere in mein Unternehmen … man sollte es von der Steuer absetzen können!» (Melissa verrechnet 50 Pfund für einen Instagram-Post und bekommt viele kostenlose Kleider zugeschickt: Es wird eine Weile dauern, bis sie die Investition von 8000 Pfund wettgemacht hat.)

Über die Runden

Eine weitere Kundin von Glancey namens Jema erzählte mir, dass ihr Job als Glamour-Model seit ihrem ersten BBL um einiges einfacher geworden sei. Jema ist ein alter Hase in dem Beruf und erschien häufig in der Boulevard­zeitung «Sunday Sport», fokussierte dann auf die sozialen Netzwerke und arbeitet jetzt meist auf «Only Fans», einer überaus erfolgreichen Online­plattform, die von Glamour-Models und Porno­darstellerinnen dominiert wird, die mit zahlenden Abonnenten privat Fotos und Videos teilen. Früher, sagt sie, habe sie sich für ihre Fans ausziehen oder Creme auf ihren Brüsten verreiben müssen, und jetzt müsse sie nur noch ein Unter­hemd und Shorts anziehen und vor der Kamera mit ihrem neuen Po wackeln.

Jema rechnete aus, dass sie 5000 bis 6000 Pfund pro Monat auf «Only Fans» verdient: gutes Geld, wenn auch nicht so viel wie ihre Pornostar-Freundinnen, die auf der Plattform jeden Monat bis zu 15’000 Pfund umsetzen. Und nicht so viel wie das, was der Gründer von «Only Fans», Tim Stokely, oder der grösste Anteils­eigner, der Porno-Unternehmer Leonid Radvinsky, mit diesen Menschen verdienen. (Schätzungen gehen von einem jährlichen Netto­umsatz der Plattform von 400 Millionen US-Dollar aus.)

Melissa dachte, dass sie nach ihrem zweiten BBL und all den Vorteilen, die er mit sich bringen würde, zufrieden sein würde. Aber wenn man einmal mit Operationen anfange, erzählte sie, könne das Aufhören schwierig werden. Sie ertappt sich dabei, wie sie auf Operations-Websites herumsurft. «Jetzt finde ich die ski-slope nose toll», sagte sie. «Wo kommt das auf einmal her?»

Melissa war überrascht von ihrer eigenen Sehnsucht, aber sie stellte sich ein, wie es Sehnsüchte tun: Man sieht etwas, was einem gefällt, und will es selber haben. Eine Operation kann verändern, wie man den eigenen Körper sieht. Er ist nicht länger ein langsam zerfallendes biologisches Ding, nein, jetzt ist er ein Projekt, das man ständig verbessern kann, wie eine Küche.

Das Problem ist nur: Was passiert, wenn man die perfekte blaue Küche gebaut hat – und dann alle beschliessen, dass die perfekte Küche eigentlich rot sein müsste?

«Wenn jemand einen besonders grossen Po will», sagte Glancey eines Abends am Telefon, «erkläre ich der Person, dass sich die Mode ändern kann.» Die Ärztin legt ihr nahe, sich für einen konservativeren Look zu entscheiden, sonst sind weitere Operationen notwendig, wenn irgendwann wieder eine andere Körper­form als begehrens­wert gilt.

So oder so bleibt der Körper lebendig, organisch, unberechenbar, egal, wie viel Arbeit man hineinsteckt. Selbst der Hintern von Kim Kardashian wird wahrscheinlich nicht für immer so aussehen, wie er es jetzt tut; eingehüllt wie kürzlich in ein Kleid, bedruckt mit dem Gesicht von Kim Kardashian selbst (2,1 Millionen Likes). Egal, wie sehr wir es versuchen, niemand kann die Natur für immer ausbremsen. Schwerkraft und Zeit werden auch den alternden BBL zu Boden ringen – so wie sie es immer tun.

Auch der perfekte Po wird eines Tages in sich zusammensacken.

Auch der perfekte Körper hat ein Ablaufdatum.

Zur Autorin

Sophie Elmhirst ist Redaktorin bei «Harper’s Bazaar» und schreibt regelmässig für die «Financial Times» und andere Medien. Dieser Beitrag erschien erstmals im Februar 2021 unter dem Titel «Brazilian butt lift: behind the world’s most dangerous cosmetic surgery» im «Guardian».

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