Die Republik gewinnt vor Bundesgericht
Nach zwei Jahren Rechtsstreit muss das Zürcher Sozialamt Einsicht in die Millionenverträge des Asylwesens gewähren. Das Sozialamt von Sicherheitsdirektor Mario Fehr hatte bis vor Bundesgericht versucht, die Verträge geheim zu halten.
Von Carlos Hanimann, 31.03.2021
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Hier gibt es nichts zu sehen! Seit vielen Jahren war das die Antwort der Zürcher Behörden auf Forderungen nach Transparenz im Umgang mit Asylsuchenden.
Die Geheimniskrämerei hat jetzt ein Ende: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde des Zürcher Sozialamts abgewiesen, mit der die Behörde verhindern wollte, dass die Republik Einsicht in die Millionenverträge im Zürcher Asylwesen erhält. Damit stärkt das höchste Gericht nach einem zweijährigen Rechtsstreit die Pressefreiheit und das in den Verwaltungen geltende Öffentlichkeitsprinzip.
Die Republik hatte Anfang 2019 gestützt auf das kantonale Öffentlichkeitsgesetz die Herausgabe der Verträge des Kantons Zürich mit den Asyldienstleistern ORS Service AG und Asyl-Organisation Zürich (AOZ) verlangt. Die Verträge mit einem Auftragsvolumen von rund 120 Millionen Franken über fünf Jahre regeln unter anderem, wie das Asylwesen im Kanton organisiert und Asylsuchende sowie abgewiesene Asylbewerberinnen betreut werden. Der Kanton Zürich hat diese staatlichen Aufgaben seit über zwanzig Jahren an private und öffentlich-rechtlich organisierte Firmen ausgelagert. Das sorgte immer wieder für Kritik: Der Staat versuche seine Verantwortung auszulagern; und die privaten, gewinnorientierten Firmen würden auf dem Rücken von Geflüchteten Profit machen.
Das Sozialamt unter Amtschefin Andrea Lübberstedt wollte die Verträge unter keinen Umständen veröffentlicht sehen und zog dafür bis vors höchste Schweizer Gericht. Aber die politische Verantwortung dafür trägt der sozialdemokratische Regierungsrat Mario Fehr, der sich persönlich mit Unterschrift dafür einsetzte, die Verträge unter dem Deckel zu halten. Der Bundesgerichtsentscheid ist eine herbe Niederlage für Sicherheitsdirektor Fehr und seine Amtschefin Lübberstedt.
Private Firma war mit Offenlegung einverstanden
Man kann mit Fug behaupten: Das Zürcher Sozialamt unternahm fast jeden Winkelzug, um der Öffentlichkeit den Einblick in die Asylverträge zu verweigern.
Das Amt drohte mit hohen Gebühren zur Bearbeitung des Einsichtsgesuchs. Es behauptete, eine Offenlegung der Verträge würde Geschäftsgeheimnisse verletzen. Zudem würden die privaten Asyldienstleister gar keine öffentliche Aufgabe wahrnehmen, weshalb die Verträge nicht öffentlich seien. Das Amt versuchte, die Verträge hinter der Vertraulichkeitsklausel im Submissionsrecht zu verstecken, und verstieg sich am Ende gar zur Behauptung, eine Herausgabe der Verträge würde dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, weil die Veröffentlichung von in den Verträgen festgehaltenen Informationen wie Betreuungsschlüssel, Pauschalentschädigungen oder Minimalabgeltungen künftige Ausschreibungen verunmöglichen würden und das Sozialamt also seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen könne.
Nichts davon hielt einer Prüfung durch die Gerichte stand.
Wie aus einem früheren Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts hervorging, hatte die betroffene Firma ORS nie etwas gegen eine Herausgabe der Verträge eingewendet. Und auch die Asyl-Organisation AOZ musste vom Sozialamt erst daran erinnert werden, gegen eine Veröffentlichung Stellung zu nehmen. «Das ist mir untergegangen», schrieb Direktor Thomas Kunz auf Nachfrage des Sozialamts.
Es war also in erster Linie das Sozialamt, das die Verträge geheim halten wollte. Das Verwaltungsgericht gab der Republik vor einem Jahr gleich zweifach recht: Die Verträge des Sozialamts mit der ORS seien «umfassend» herauszugeben. Und die AOZ müsse darlegen, wo ihre Geschäftsinteressen tangiert würden, da sie zuvor «nur pauschal und nicht genügend substanziiert» Geschäftsgeheimnisse geltend gemacht hatte.
Doch diese Niederlage wollte das kantonale Sozialamt nicht hinnehmen, es holte gleich zum doppelten Gegenschlag aus.
Erstens zog es den Entscheid des eigenen kantonalen Gerichts mit aufschiebender Wirkung ans Bundesgericht weiter, um damit die Herausgabe der ORS-Verträge an die Republik zu verhindern.
Zweitens umging es den Entscheid des Verwaltungsgerichts bezüglich der AOZ-Verträge, indem es das Einsichtsgesuch der Republik kurzerhand auf Eis legte: Es sistierte das Verfahren eigenmächtig bis zum Entscheid des Bundesgerichts in Sachen ORS, weil es davon eine präjudizielle Wirkung erwartete. Damit war die Herausgabe der AOZ-Verträge vorläufig verhindert. Auch dagegen ging die Republik juristisch vor.
Nun erhielt sie in beiden Verfahren recht.
«Wichtige demokratische Kontrolle»
Bereits Ende Januar entschied das Verwaltungsgericht Zürich, dass die Sistierung des Verfahrens um die AOZ-Verträge widerrechtlich war. Es sei nicht ersichtlich, schrieb das Gericht, wie das zu erwartende Bundesgerichtsurteil eine präjudizielle Wirkung haben könnte. Und: «Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es an einem triftigen Grund für die Sistierung fehlt.» Der Entscheid ist rechtskräftig: Am 22. März informierte das Sozialamt die AOZ über die Wiederaufnahme des Verfahrens und bat um Stellungnahme bis Ende April.
Und nun hat Ende Februar auch das Bundesgericht entschieden und das Urteil den Parteien Anfang dieser Woche zugestellt. Darin werden alle Beschwerden des Sozialamts abgewiesen: Weder sei der Zürcher Asylbehörde das rechtliche Gehör verweigert worden, noch gelte die submissionsrechtliche Vertraulichkeit über den Zeitraum eines Vergabeverfahrens hinaus, noch sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts willkürlich gewesen. Das Sozialamt vermöge nicht darzulegen, warum die Veröffentlichung von vertraglichen Informationen wie Betreuungsschlüssel, Pauschalen und Entschädigungen künftige Submissionsverfahren beeinträchtige.
«Ausserdem», hält das Bundesgericht fest, «ist das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe genau dieser Informationen besonders hoch, da sie die Kontrolle des staatlichen Handelns und der öffentlichen Ausgaben ermöglichen. Diese demokratische Kontrolle des Staatshandelns ist umso wichtiger, als dass der Kanton Zürich vorliegend hohe Beträge für die durch die beiden Vertragspartnerinnen erbrachten Leistungen bezahlt.»