Am Gericht

Die Kunst der Steuer­hinterziehung

Milliardär und Kunstsammler Urs E. Schwarzenbach liefert sich mit den Behörden eine Verfahrens­schlacht um Steuer­forderungen. Der Fall zeigt, wie ungleich Reiche und Arme manchmal vor dem Recht dastehen.

Von Yvonne Kunz, 24.03.2021

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Anfang März haben die Stimmberechtigten des Kantons Zürich beschlossen, dass es in Ordnung ist, Privat­detektivinnen auf verdächtige Sozialhilfe­bezüger anzusetzen. Wär ja noch schöner, würden sich Schmarotzer mit unseren Steuerfranken ein schönes Leben machen. Kosten uns nämlich geschätzt bis zu 80 Millionen Franken im Jahr, diese Betrügereien.

Jährlich bis zu 18 Milliarden Franken entgehen, hochgerechnet, der Allgemeinheit durch Steuer­sünderinnen. Die Empörung darüber ist weniger laut: Im Dezember 2019 lehnte der Zürcher Kantonsrat zusätzliche Steuerfahnder ab.

Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Steuerbetrug, einem Verbrechen, auf das mehrjährige Freiheitsstrafen stehen, und der Steuer­hinterziehung. Wer bloss «vergisst», dem Steueramt ein Vermögen oder Einkommen anzugeben, begeht nur ein Vergehen, bei dem höchstens eine Busse droht.

Wer aber seine Meldepflicht gegenüber dem Sozialamt «vergisst», muss mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe rechnen, Ausländern blüht gar die Landesverweisung.

80 Millionen Franken, das war auch fast genau der Betrag, über den Milliardär Urs Schwarzenbach 2018 von den Zürcher Steuerbehörden betrieben wurde. Und das ist nur ein Teil der Steuer­nachforderungen, über die er sich seit Jahren mit dem Staat streitet. Gesamthaft sollen es 270 Millionen Franken sein. Da ist die Busse der Eidgenössischen Zollverwaltung von 7 Millionen Franken, über die das Bezirksgericht Zürich kürzlich zu befinden hatte, ein Klacks.

Ort: Bezirksgericht Zürich
Datum: 18. Dezember 2020 und 19. Januar 2021 (Verhandlungen), Urteil vom 3. Februar 2021
Fall-Nr.: GA200004 bis GA200006
Thema: Mehrfache Steuerhinterziehung

Für gewöhnlich beginnen Strafprozesse mit der «Befragung zur Person». Dabei zeichnet das Gericht in groben Zügen die Vita der Beschuldigten nach und verschafft sich einen Überblick über deren aktuelle wirtschaftliche und private Verhältnisse.

Weil aber der 72-jährige Urs Schwarzenbach aus gesundheitlichen Gründen dispensiert ist, geht es in diesem Fall nicht anders, als sich die Szene in der Fantasie auszumalen. Ein absurder Spass: Was er denn in der Freizeit so mache, würde der zuständige Einzelrichter Sebastian Aeppli typischerweise fragen. Und die Antwort wäre vielleicht: «Ich spiele Polo mit Prince Charles.»

Stellte der Richter die Standardfrage nach dem Vermögen, würde die Nr. 110 der «300 Reichsten der Schweiz 2020» sagen: Er sei AHV-Bezüger, «im Grossen und Ganzen geht es mir finanziell sehr schlecht». (Das allerdings ist keine Fantasie, genau so hatte es Schwarzenbach in einem anderen Verfahren 2017 am Bezirksgericht Bülach gesagt.)

Richter Aeppli, not amused, würde nun auf genauere Angaben zu den Vermögenswerten pochen. Das seien vor allem Kunst und Immobilien, stellen wir uns die Antwort des Beschuldigten vor. Ländereien in England, ein Jagdsitz in Schottland, ein Palast in Marrakesch, 50’000 Hektaren Farmland in Australien, Wohnungen in St. Moritz und im Wallis, das Luxushotel The Dolder Grand in Zürich. Ausserdem einen Poloverein mit 600 Pferden, eine Airline samt Flughafen und Kunst im Wert von mehreren hundert Millionen Franken.

Prima Überleitung, könnte daraufhin der Gerichtsvorsitzende sagen. Denn nach den Fragen zur Person folgen unmittelbar die Fragen zum angeklagten Sachverhalt.

Um Schwarzenbachs immensen Kunstschatz drehen sich diverse verwaltungs-, zivil- und steuerrechtliche Verfahren, die ganze juristische Odyssee in der Causa Schwarzenbach seit 2012. Eine Kernfrage in den Auseinander­setzungen ist, ob er Kunstsammler sei, wie Schwarzenbach behauptet. Oder aber Kunsthändler und damit einkommens­steuer­pflichtig, wie das Bundesgericht 2020 feststellte.

Aber ist er auch ein Kunstschmuggler? Das Bezirksgericht Zürich hat auf Begehren der Eidgenössischen Zollverwaltung über die verwaltungs­strafrechtlichen Folgen des wohl publizitäts­trächtigsten Schwarzenbach-Falls zu urteilen: die Einfuhr von 88 Kunstobjekten im Wert von rund 100 Millionen Franken.

Bis zu deren Beschlagnahmung 2017 war ein Teil dieses Kunstschatzes – darunter Werke von Picasso, Miró, Giacometti und Warhol – die Unique Selling Proposition des Hotels Dolder. Die Website schwärmte damals von den Bildern und Skulpturen aus Schwarzenbachs Privatsammlung. Das war nicht sehr schlau, denn die Werke waren im sogenannten Verlagerungs­verfahren in die Schweiz eingeführt worden. Damit können Galerien Kunstobjekte als Kommissionsware zu Ausstellungs- und Verkaufszwecken abgabefrei importieren; Steuern würden erst bei einer allfälligen Veräusserung im Inland fällig.

Nach Auffassung der hiesigen Zollbehörden hat der Nobelhotelier das Verlagerungs­verfahren zu privaten Zwecken missbraucht. Mit fingierten Kommissions­verträgen zwischen seinen Offshore-Firmen und einer namhaften Galerie habe er das Verfahren genutzt, um seine Kunst steuerfrei ins Land zu bringen. Dabei habe die Galerie gar nie über die Bilder verfügen können, sagen die Behörden – was der einigermassen frustrierte Galerist anlässlich des Prozesses am Bezirks­gericht Zürich auch bestätigen sollte: Diverse Kauf­interessenten habe Schwarzenbach jeweils umgehend mit horrenden Preisforderungen verscheucht.

Geld ist Zeit

Der Prozess kommt nur schleppend in Gang. Die Rechtsvertreter des Dolder-Milliardärs, des mitbeschuldigten Galeristen und eines ebenfalls involvierten Anwalts fordern die Einstellung des Verfahrens. Konkret feilschen die Rechtsanwälte Thomas Sprenger, Lorenz Erni und Christoph Hohler um die Verjährung.

Ein eingeleitetes Verfahren wegen Steuerhinterziehung müsse innert fünf Jahren durchgeführt werden, machen sie geltend. Diese Frist sei bereits um Monate verstrichen gewesen, als die Eidgenössische Zollverwaltung Schwarzenbach 2018 neben 11,4 Millionen Franken Nachsteuern eine Busse von 7 Millionen aufbrummte. Den Galeristen büsste sie mit 3,5 Millionen Franken; den Anwalt, der sich um die notwendigen Papiere kümmerte, mit 1 Million.

Schwarzenbachs Rechtsvertreter stellen sich auf den Standpunkt, das vorliegende Verfahren sei materiell schon 2012 eröffnet worden. Nämlich mit der Aufnahme von Ermittlungen gegen den Milliardär, nachdem er am Flughafen Zürich erwischt worden war: Er wollte mit Kunst im Wert von über 300’000 Franken im Koffer durch den grünen Ausgang spazieren. Und nicht erst, als sich im Zuge jener Untersuchung weitere Verdachts­momente ergaben und die Zollbehörden 2013 formell ein verwaltungs­strafrechtliches Verfahren bezüglich zusätzlicher Tatbestände einleiteten.

Genau denselben Antrag hatten die drei Anwälte schon im Vorfeld des Prozesses schriftlich gestellt – untermauert mit einem privaten Rechtsgutachten. Das Bezirksgericht Zürich sah es anders und lehnte ab: Das Verfahren gegen Schwarzenbach sei erst 2013 ordentlich eröffnet worden. Egal, das Anwaltstrio beharrt in Ausführungen, die sich über einen halben Tag hinziehen, auf seiner Sicht der Dinge – mit einem Ergänzungs­gutachten eines anderen Rechtsprofessors.

All das beurteilt Sebastian Aeppli, wenig überraschend, als «nicht stichhaltig» und lässt nach der Mittagspause weiterverhandeln.

Der Fall ziehe sich tatsächlich hin, sagt der Strafverfolger der Zollbehörden, André Haiböck. Er zeigt auch auf, warum: Über hundert Beamte mussten für die Razzia 2013 disponiert werden und Dutzende EDV-Experten einsatzbereit sein, um die beim Zugriff massenhaft sichergestellten Daten zu analysieren.

Und diese Analyse förderte ein paar bemerkenswerte Dinge ans Licht. Zum Beispiel ein Bankkonto in Liberia, Guthaben: drei Milliarden Dollar. Gewinne aus Pferdewetten, sagen die Schwarzenbach-Anwälte.

Vor allem aber stiess man auf das wohl entscheidende Beweisstück der Zollbehörden: Ein vom mitbeschuldigten Anwalt verfasstes Memorandum aus dem Jahr 2007. Ab jenem Jahr durften Kunstschätze nicht mehr auf unbeschränkte Zeit im steuertechnischen Niemandsland der Zollfrei­lager aufbewahrt werden, sondern nur noch für sechs Monate. Viele Kunstwerke von Schwarzenbach müssen exakt so eingelagert gewesen sein, denn gemäss Memo bestand «dringender Handlungsbedarf».

Das Dokument hält im Detail fest, wie Schwarzenbachs Schätze abgabefrei importiert werden konnten. Dazu wurden sie erst exportiert, zum Beispiel nach Grossbritannien, und kurz darauf, manchmal am selben Tag, im Verlagerungs­verfahren wieder importiert. Haiböck: «Wären die Kunstgegenstände tatsächlich für den Verkauf vorgesehen gewesen, macht es einfach keinen Sinn, sie teuer aus- und wieder einzuführen.»

Schon im verwaltungs­rechtlichen Verfahren in der gleichen Sache wurde Schwarzenbach das Memo zum Verhängnis. Das Bundesverwaltungs­gericht in St. Gallen wies in seinem Schuldspruch darauf hin, dass im Dokument ja genau stehe, dass die Absicht bestehe, «Kunstwerke im Dolder oder anderswo permanent auszustellen».

Zeit ist Geld

Wie in verwaltungs­strafrechtlichen Fällen üblich, wird das Urteil des Bezirksgerichts Zürich erst ein paar Wochen nach dem zweiten Verhandlungstag schriftlich mitgeteilt: Drei Schuldsprüche wegen mehrfacher Hinterziehung der Einfuhrsteuer. Schwarzenbach wird mit sechs Millionen gebüsst, der Galerist mit einer Million, der mitbeteiligte Rechtsanwalt mit einer halben.

Für das Gericht ist erwiesen, dass Schwarzenbach einfach keine Einfuhr­steuer zahlen wollte. Dem Galeristen sei bewusst gewesen, dass er mit dem Import die Bewilligung der Galerie missbrauchte. Über den Anwalt seien fiktive Kommissions­papiere ausgestellt worden, um gegenüber dem Zoll zu suggerieren, die Voraussetzungen für das Verlagerungs­verfahren seien erfüllt.

Am Bezirksgericht Zürich fährt Schwarzenbach also eine weitere Schlappe ein. Zwar hat er eine Million Busse eingespart, trotzdem fragt man sich, weshalb er das tut: die Behörden in einen immer erbitterteren Streit verwickeln, mit Gegenanzeigen, serienweise privaten Rechts­gutachten. Einer Einsprache folgt die nächste, jeder Fall wird bis zur letzten Instanz durchprozessiert, vermutlich auch dieser. Mit geringen Erfolgschancen. Die Gerichte werden in ihren Urteilen immer deutlicher.

Eine Verzögerung der geschuldeten Abgaben dürfte sich für den Schuldner lohnen. Solange Schwarzenbach die mehreren hundert Millionen Franken nicht zahlen muss, kann er sie gewinnbringend einsetzen. Und es kann durchaus sein, dass er nach wie vor davon überzeugt ist, im Recht zu sein.

Wie schrieb die Eidgenössische Steuerverwaltung 1944 anlässlich einer Steueramnestie in einem Merkzettel? «Die Steuermoral ist ein leidiges Kapitel; wollte man die geistige Gesundheit und Widerstandskraft unserer Eidgenossenschaft danach beurteilen, so stände es bös um unsere Aussichten. Die Steuer­defraudation ist ein alteingesessenes nationales Übel, das durch Sitte, schlechtes Beispiel und unzweckmässige Steuermethoden und Gesetze leider ein gewisses Bürgerrecht erlangt hat.»

Illustration: Till Lauer

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