Covid-19-Uhr-Newsletter

Sie wissen, was jetzt kommt

19.03.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Es ist 19 Uhr, am 19. März 2021, schön, sind Sie hier.

Um es gleich vorweg­zunehmen: Es ist das letzte Mal.

180 Ausgaben mit «Brauchbarem zur Pandemie» haben wir Ihnen ins Postfach legen dürfen. Es war uns eine Ehre. Und Sie können sich gar nicht vorstellen, was für ein Kompliment Sie uns mit Ihrer anhaltenden Aufmerksamkeit, Ihren Fragen, Ihren Rück­meldungen gemacht haben.

Entsprechend verpflichtet fühlen wir uns zu einer ehrlichen Antwort auf die Frage: Warum gerade jetzt?

Als wir diesen Newsletter am 19. Oktober 2020 reaktivierten, gaben wir folgendes Programm­versprechen ab: «Die Neuauflage richtet sich an alle, die eigentlich die Schnauze voll haben von der Pandemie. Unser Ziel ist quasi ein Schutz­konzept für Ihr Nervenkostüm.»

Wir hoffen, das haben wir für Sie im Grossen und Ganzen eingelöst. Und gleichzeitig wissen wir, dass wir es nicht mehr allzu lange einhalten könnten. Nach einem Jahr Covid-19 (die Hälfte davon mit täglichem Newsletter) sind wir nun an den Punkt gekommen, wo in dieser Sache die wichtigen Dinge gesagt sind. Zumindest jene Dinge, zu denen wir in der Form dieses Newsletters etwas zu sagen hatten.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Diese Pandemie ist alles andere als «vorbei». Eine ausgesprochen unsympathische Variante von Sars-CoV-2 schickt sich gerade an, uns den Frühling zu verhageln: B.1.1.7 – der unwillkommenste britische Export nach Kontinental­europa seit Nigel Farage. Und wie schon vor einem Jahr finden wir ganz in der Nähe gruselige Beispiele dafür, was dieses Virus anrichten kann. Im März 2020 schauten wir besorgt nach Bergamo – nun heulen die Sirenen in Paris.

«Wir haben zweimal die Kontrolle verloren», sagte Gesundheits­minister Berset heute in Bern. Und darum haben er und seine Kolleginnen am Morgen entschieden: Lockerungen gibt es diesen Monat keine mehr. Die Restaurants bleiben also geschlossen, die Bühnen bleiben dunkel – und die Büropulte in der eigenen Stube. Einzig im Familien- und Freundes­kreis gilt nun: 10 Menschen dürfen sich treffen statt wie bisher 5.

Die Lage ist volatil. Viele sind müde und verstimmt, aus vielen verschiedenen Gründen. Vielleicht müssen bald die Läden wieder schliessen, hoffentlich nicht die Schulen. Das Wetter wird wärmer, und das ist gut so. Die Impfungen gehen voran, aber wir brauchen noch Geduld. Das Ende rückt näher – und passen Sie bis dahin bitte gut auf sich auf!

Alles richtig, alles wichtig – alles schon gesagt.

Einige der Expertinnen, denen wir seit Ausbruch der Pandemie sehr genau zuhören, sind unterdessen der Meinung, dass wir kollektiv verlernt haben, uns über gute Nachrichten richtig zu freuen. Seit Anfang Jahr wissen wir zum Beispiel, dass die Impfungen wirken. Und es wird immer deutlicher, dass sie das besser tun, als man hätte hoffen dürfen. Woche für Woche sind mehr von uns damit vor den schlimmsten Folgen dieser Krankheit geschützt. Und andere Länder haben die dritte Welle bereits mit den altbekannten Mitteln brechen können: mit Masken und Rücksicht, mit Abstand und Verzicht.

Das sind fantastische Nachrichten! Sie bedeuten, dass aus der Katastrophe in absehbarer Zeit eine Heraus­forderung wird.

Und dann, irgendwann, eine Erinnerung.

Damit zu ein paar Dingen, die wir unterdessen wissen.

Die wichtigsten Erkenntnisse der letzten 12 Monate

  • Wir können als Zivilgesellschaft – wenn wir wollen – Solidarität und gemeinsame Verantwortung. Zum Beispiel vor einem Jahr, als sich plötzlich Nachbarschafts­hilfen übers ganze Land spannten – deren Netzwerke bestehen heute noch. Oder als wir uns über die Feiertage so zurück­hielten, dass die Zahlen im Januar nicht explodierten.

  • Wir haben uns noch nie so breit und so intensiv damit auseinander­gesetzt, wie wissenschaftliche Erkenntnis­findung funktioniert. Und wir haben gelernt: Wissenschaft hat mit unser aller Alltag zu tun.

  • Kultur und Unterhaltung sind nicht nur schön­geistiger Luxus. Gemeinsam erlebte Konzerte, Kinofilme, Partys, Sport­veranstaltungen – das fehlt. Und umso mehr Wert­schätzung gebührt jenen, die sie ermöglichen.

  • Physische und psychische Gesundheit sind wichtig. Es stellt sich die Frage: Was sind sie uns wert?

  • Der Feierabendapéro, der Schwatz mit der Nachbarin, das Lächeln von Fremden im Vorbeigehen – so was nährt uns in unserem innersten Kern. Einsamkeit ist nicht etwas, was erst jetzt entstanden ist. Aber jetzt sehen wir sie mehr. Sie ist auch etwas, wogegen wir etwas tun können.

  • Wir haben gelernt, was Fairness heisst: Wer hart getroffen wird, kann oft nichts dafür – egal ob als Beizerin, als psychisch betroffener Mensch, ob durch Arbeits­losigkeit oder als Sozialhilfe­bezüger. Eine funktionierende Gesellschaft fängt das auf.

  • «Wir können Corona!» hiess es vor einiger Zeit. Vielleicht stimmt das so nicht. Was aber stimmt: Wir haben gelernt, dass wir nie nur Einzelne sind. Wir haben gelernt, mit Unsicherheiten umzugehen. Wir haben Erfahrungs­werte, auf die wir zurück­greifen können. Das sind Werkzeuge, die wir nun in unseren Händen halten.

Und zum Schluss

«Ich sage nur, dass es auf dieser Erde Plagen und Opfer gibt und dass man sich, so weit wie möglich, weigern muss, auf Seiten der Plage zu sein. Das erscheint Ihnen vielleicht etwas simpel, und ich weiss nicht, ob es simpel ist, aber ich weiss, dass es wahr ist. Ich habe so viele Diskussionen gehört, die mir fast den Kopf verdreht hätten und die genügend andere Köpfe verdreht haben, bis sie dem Morden zustimmten, dass ich verstanden habe, dass das ganze Unglück der Menschen entsteht, weil sie keine klare Sprache sprechen. Da habe ich den Entschluss gefasst, klar zu sprechen und zu handeln, um auf den richtigen Weg zu kommen.

Folglich sage ich, dass es Plagen und Opfer gibt, und sonst nichts. Wenn ich damit selbst zur Plage werde, stimme ich dem wenigstens nicht zu. Ich versuche ein unschuldiger Mörder zu sein. Wie Sie sehen, bin ich nicht sehr ehrgeizig. Es sollte natürlich eine dritte Kategorie geben, die der wahren Ärzte, aber von denen findet man nicht viele, und es muss schwer sein. Deshalb habe ich beschlossen, mich bei jeder Gelegenheit auf die Seite der Opfer zu stellen, um den Schaden zu begrenzen. Unter ihnen kann ich wenigstens danach suchen, wie man zur dritten Kategorie kommt, das heisst zum Frieden.»

aus: Albert Camus, «Die Pest»

Danke, dass Sie dabei waren. Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

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PS: Sie haben den Lagebericht zur Woche vermisst? Sie finden die heutige Folge hier. Und ab nächster Woche immer freitags im Republik-Nachrichtenbriefing «Was diese Woche wichtig war».

PPS: Alle Ausgaben des Covid-19-Uhr-Newsletters finden Sie hier.

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