Covid-19-Uhr-Newsletter

Chambre de Perplexion

17.03.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Die offene Jugendarbeit war in den letzten Monaten auf Sparflamme: Mindest­abstand, maximale Personen­anzahl oder kürzere Öffnungs­zeiten galten auch hier. Die trotz allem offen gebliebenen Angebote schlossen zudem Jugendliche ab 16 Jahren aus. Doch der Bund erkannte, dass die Pandemie die Jungen besonders belastet. Seit den Lockerungen vom 1. März kehrt wieder mehr Leben in die offene Jugendarbeit ein.

Journalistin Daria Wild hat für die Republik einen Jugendtreff im Zürcher Quartier Leimbach besucht:

«Am Osthang des Albisgrats hat die Offene Jugend­arbeit Zürich (OJA) ein ehemaliges Gemeinschafts­zentrum zu einem Jugendtreff umfunktioniert. Mittwochs und freitags ist der Raum geöffnet, bunte Lichter hinter den Fenster­scheiben des einstöckigen Baus signalisieren den Jugendlichen im Quartier, dass der Treff offen ist.

Es ist Freitagabend, kurz vor 19 Uhr, Roxana Muresan, Stellen­leiterin der OJA Wollishofen und Leimbach, eine Jugend­arbeiterin und ein Jugend­arbeiter sind vor Ort. Noch ist der Treff leer, Muresan führt durch die Räume: ein grosser mit Töggeli­kasten, Musik­anlage, Sofas und sich drehender Disco­kugel, ein kleiner mit Sofas und einem Bildschirm zum Gamen. Vieles sei noch in Bewegung, sagt Muresan, bald wird der Linoleum­boden ersetzt, und die farbigen LEDs im kleinen Raum sind neu, ‹offenbar perfekt für Tiktok-Videos›, sagt der Jugend­arbeiter später.

Normalerweise würden rund 50 Jugendliche den Freitag­abend hier verbringen, seit Beginn der zweiten Corona-Welle seien es meistens rund ein Dutzend gewesen, sagt Muresan. Nach Weihnachten seien manchmal nur 3, 4 gekommen. Nun kämen wieder mehr, doch die Regeln sind noch immer streng: Mehr als 15 Jugendliche dürfen sich nicht im Treff aufhalten, es gilt Registrier- und Masken­trag­pflicht, weshalb auch Essen und Trinken verboten sind, und eigentlich gälten 1,5 Meter Mindest­abstand. Die wohl am schwierigsten einzuhaltende Regel für die Jugendlichen – ‹Sie kennen sich ja alle, wollen miteinander hängen›, sagt Muresan. Der Treff sei ja eigentlich ein nieder­schwelliges, freiwilliges Angebot, sagt Muresan, ‹hier können die Jugendlichen hinkommen und sein, ohne etwas zu müssen›. Doch jetzt heisst es auch hier: Regeln, Regeln, Regeln.

«Bei manchen habe ich das Gefühl, sie können es einfach nicht mehr hören», sagt eine Jugend­arbeiterin. Überdruss, Müdigkeit. Gleichzeitig seien viele über­durch­schnittlich aktiv. ‹Sie können sich nirgendwo sonst auspowern›, sagt Muresan, ‹das merkt man ihnen aktuell schon an.›

Kurz nach 19 Uhr platzen 5 Jugendliche in die OJA, auf einmal Action, auf einmal Hektik. Die 5 müssen sich in die Liste eintragen, ungeduldig stehen sie im Eingang, dann wuseln sie in den grossen Raum, lassen Hip-Hop laufen, nehmen die Sofas in Beschlag. Kurz darauf fordern sie den Jugend­arbeiter und die Jugend­arbeiterin zu einem Töggeli­match auf. 4 junge Frauen tauchen auch auf, verziehen sich in den kleineren Raum, den ‹Chiller­raum›. Wenig später verschwinden die 5 jungen Männer so schnell wieder, wie sie gekommen sind. ‹So ist es hier›, sagt Muresan, ‹sie kommen und gehen, wann sie wollen.›

Muresan ist eine leidenschaftliche Jugend­arbeiterin. Das Alter dieser Jugendlichen sei für sie die spannendste Phase im Leben eines Menschen: ‹Es passiert so viel. Sie werden zu Persönlichkeiten, entfalten sich, lernen, Verantwortung zu übernehmen.› Die meisten Jugendlichen, die den Treff in Leimbach besuchen, seien 13 bis 16 Jahre alt. Oberstufen­alter. Viele hätten wegen der Einschränkungen Mühe gehabt, Praktika oder eine Lehr­stelle zu finden, sagt Muresan: ‹Meistens klappte es dann schon, aber es war einfach viel schwieriger.›

Es ist 20 Uhr, die Jugendlichen haben sich wieder ins Quartier verzogen, sie stehen auf der Strasse, die zum Treff führt, rum, vielleicht gehen sie wieder zurück, irgendwann nach Hause.

Muresan schickt später ein Bild einer Tafel, welche die Jugendlichen in dieser Woche mit Kreide beschriftet haben, es sind ‹Wünsche und Träume für das Jahr 2021›. Auf der Tafel stehen:

Strandurlaub, Kinoabend, Kochduell, Singduell, gratis essen, FIFA 21, schwimmen, Hallenbad­party, keine Maske, Partys. Und ‹Corona go home›.»

Und nun:

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Ascona führt ein Masken­obligatorium im Freien ein. Dieses gilt ab Mitte kommender Woche im Ortskern der Tessiner Gemeinde sowie auf der Piazza am See. Die Massnahme soll ein «covidfreies Ascona» und die Basis für «verantwortungs­volle Ferien» im Ort schaffen, so Gemeinde­präsident Luca Pissoglio. Auch die Tessiner Städte Locarno und Lugano haben über ein Masken­obligatorium diskutiert. Locarno hat sich dagegen entschieden, will jedoch noch mehr auf die bestehende Masken­pflicht für belebte Zonen hinweisen, die schon auf Bundes­ebene gilt. Lugano will in den nächsten Tagen über ein generelles Obligatorium entscheiden.

Deutschland verlängert die Grenz­kontrollen zu Tschechien sowie Tirol um zwei Wochen. Dies teilte das deutsche Bundesinnenministerium mit. Mitte Februar waren die Kontrollen aufgrund der Verbreitung der ansteckenden Virus­varianten in Gebieten der beiden Nachbar­länder eingeführt worden.

Die EU hat den geplanten Impfausweis vorgestellt. Der Nachweis soll «Digitales Grünes Zertifikat» heissen und sowohl digital als auch in Papierform gelten, so EU-Kommissions­­präsidentin Ursula von der Leyen. Die Zertifikate sollen ausgestellt werden, wenn ein EU-Bürger geimpft, negativ getestet oder von einer Covid-19-Erkrankung genesen ist. Die Bescheinigung soll von allen 27 EU-Staaten gegenseitig anerkannt werden. Sie soll auch in den Schengen-Staaten gelten, also auch in der Schweiz.

Die Weltgesundheits­organisation (WHO) empfiehlt weiterhin den Einsatz des Astra-Zeneca-Impfstoffs. Derzeit seien die Vorteile einer Impfung gegen Covid-19 vorerst höher als die Risiken, so die WHO. Sie schliesst sich somit der Einschätzung der europäischen Arznei­mittel­behörde EMA gestern Dienstag an. Weiterhin werde die Sicherheit des Vakzins geprüft, erklärte die Organisation in Genf. Mehrere europäische Staaten hatten den Einsatz kurzfristig gestoppt, um den Zusammen­hang von allfällig aufgetretenen Neben­wirkungen und der Impfung abzuklären.

Und zum Schluss: Gemetzel

Mitten in der Frühlings­session des Parlaments verabschiedet eine Mehrheit aus SVP, FDP und Teilen von «Die Mitte» im Nationalrat eine Erklärung. In dieser wird der Bundesrat de facto dazu aufgefordert, die Pandemie am 22. März per Gesetz für beendet zu erklären.

Eine globale Pandemie per Gesetz für beendet erklären? Das klingt wie das Werk von Wahnsinnigen – wer macht denn so was?

Die Ausgangslage: Das Schweizer Parlament ringt um das Covid-19-Gesetz. Während die einen mehr Unter­stützung und niedrige bürokratische Hürden fordern, wollen andere die Pandemie offiziell beenden. Weil Tote zwar schlimm sind, aber Schulden noch schlimmer.

Das Fazit: In der Krise offenbart sich einiges.

Es ist ein launiger Text, die Reportage von Republik-Kollege Daniel Ryser aus der «Wandelhalle des Wahnsinns». Und er liest sich wie ein absurdes Theaterstück. Doch vielleicht ist genau das die angemessenste Art und Weise, sich dem grotesken politischen spectacle de merde der letzten Wochen anzunähern.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Kennen Sie Super Junior? Nein? Dann sind Sie hierzulande vermutlich in guter Gesellschaft. Im asiatischen Raum hingegen würde man von Ihnen sagen, Sie lebten hinter dem Mond. Denn die Boygroup ist eine erfolgreiche K-Pop-Band (K-Pop ist koreanisch­sprachige Popmusik). Die Hitmaschinerie – die Band hat kürzlich ihr 10. Album herausgebracht – zollt den gemeinsamen Pandemie-Massnahmen-Mühen Tribut. Und zwar in einem sehr, sehr poppigen Song. Grossartig sind die textlichen Höhenflüge. So heisst es: «Let’s put aside our feelings of wanting to be together for a while» – und kurz darauf, als Ode an die Lockdowns: «House Party!» Alles mit atem­beraubender Choreografie. Der musikalische Fund kommt von Republik-Kollegin Ronja Beck. Wenig überraschend: Auf der Redaktion sind die Meinungen zum Song und zum Videoclip gespalten. Aber: Whatever works!

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