
Der Polizistenverband rüstet rhetorisch gegen Fussballfans auf
Die halbe Welt spricht über Polizeigewalt. Und das Verbandsmagazin der Schweizer Polizisten lässt einen anonymisierten St. Galler Ex-Fussballultra von Kriegsführung sprechen und Fans mit der Hitlerjugend vergleichen. Was läuft da genau?
Von Daniel Ryser, 16.03.2021
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Auch wenn seit einem Jahr wegen Covid-19 in den Schweizer Fussballstadien und Fankurven wenig los ist, herrscht in der St. Galler Fanszene derzeit Besorgnis: Die Fans befürchten, dass auf höchster politischer Ebene mit ihnen abgerechnet wird – aus privater Motivation.
Es geht um eine Artikelserie, die in der Monatszeitschrift «Police» erschienen ist, dem offiziellen Organ des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter mit einer Auflage von 25’000 Exemplaren. Der Verband vertritt die Interessen der Polizistinnen im Land und versteht sich auf dem Gebiet der inneren Sicherheit als «meinungsführend und meinungsbildend». So richtete etwa der abtretende Zürcher Polizeikommandant Thomas Würgler letzten Sommer im Magazin «Police» «seine Wünsche an die Politik».
«Vielleicht sagt dir die Hitlerjugend etwas»
Der erste der drei Artikel trägt den Titel: «Die Kunst des Krieges – kenne dein Gegenüber». Dabei geht es um die Schweizer Fussballszene und die Frage: «Wollen wir auf die kommende Zeit vorbereitet sein?» Gemeint ist, so geht aus dem Beitrag hervor, die Zeit nach Corona, wenn sich die Stadien wieder füllten und sich die Szene «alter Frische» erfreue.
Die Stossrichtung des Artikels steht in auffälligem Widerspruch zur Debatte der vergangenen Jahre. So wurde an Dutzenden von Kongressen der Fussball- und der Eishockeyliga und der städtischen Sicherheitsdirektorinnen landauf, landab darüber diskutiert, wie man der Gewalt rund um die Stadien mit weniger Repression begegnen könne. Man diskutierte Strategien von Deeskalation, Dialog und Prävention. Man diskutierte auch, ob man Pyrotechnik entkriminalisieren solle. Einig war man sich, dass mehr Geld in Fanprojekte investiert werden müsse, in die Fanarbeit, weil die Sozialarbeit ein wichtiges Mittel der Prävention sei. Immer mit am Tisch: die Polizei.
Doch diese hat offenbar andere Pläne. «In der Zeit von Corona ist es ruhig um die Fussballszene. Doch zerschlagen ist sie noch lange nicht», steht im Lead des Interviews der Artikelserie. Und im Editorial der Januar-Ausgabe fragt die zeichnende Redaktorin: «Subkultur oder Clankriminalität?»
Ausgangspunkt für die verbale Aufrüstung im Lobbyorgan der Schweizer Polizei ist dabei «ein ehemaliger Fussballchaot», wie es in der Ankündigung heisst, der im Magazin ausführlich interviewt wird, dabei aber anonym bleibt. Er führt aus, dass Fanarbeit nichts nütze, dass die Fans militärisch organisiert seien. Dass man im Militär erworbenes Wissen in den Kurven einsetze, etwa Wissen über Sprengstoffe oder taktische Angriffe.
Die Rede ist von rechtsfreiem Raum und «verdeckter Kriegsführung» – und wenn man das liest und für voll nimmt, wird man der Polizei in Zukunft jedes erdenkliche Mittel im Kampf gegen dieses vermeintliche Chaos sprechen. Das Gesagte wird weder eingeordnet noch wird nachgefragt noch wird widersprochen, auch nicht bei den extremsten Aussagen. Es ist letztlich völlig unklar, wer da überhaupt spricht.
Was hältst du von der Fanarbeit?
Es ist bestimmt ein netter Versuch, aber sie wird nicht konsequent umgesetzt. Einigen unserer Mitläufer gaben die Fanarbeiter vielleicht Halt. Wir vom harten Kern suchten nur den Kontakt, um unsere Ziele zu verfolgen. Sei es nur, um mehr Freiraum zu gewinnen.
Wo siehst du die grössten Probleme?
Der rechtsfreie Raum, der uns gewährt wurde. Sei es im Stadion, im Extrazug, auf dem Weg ins Stadion oder in der Kurve. Durch die Masse war und ist es der Polizei nicht möglich, die Szene auch nur teilweise zu kontrollieren. Durch die Kanalisierungen und das Agieren aus der Distanz bekommt die Szene ihre Stärke. Zwar versuchte die Polizei mit Spezialeinheiten einzelne Täter aus der Masse zu ziehen, was ihr auch gelang. Mit Verlusten haben wir immer gerechnet und diese waren zu verkraften. In der Regel zog sich der harte Kern rechtzeitig zurück. Die jungen Fussballfans wurden durch Aufnahmerituale angestiftet, unsere Vorhaben auszuführen. Der Mut wird in den Extrazügen durch Alkohol, Drogen, Zugehörigkeitsgefühl und Ansehen vermittelt. Hierzu werden vor allem die Jüngeren sowie schwache Charaktere verführt.
Wie muss man sich das vorstellen?
Vielleicht sagt dir die Hitlerjugend etwas. Ich denke, es ist ähnlich zu sehen. Wir erfassten die Talente sowie ihre Schwachstellen und versuchten, sie anhand ihrer Interessen an die Kurve zu binden. Es galt, ihren Gehorsam zu erlangen, damit sie für unsere Befehle empfänglich wurden und diese ausführten. Verlangt wurden Kameradschaft, Disziplin und Selbstaufopferung.
Eine seltsame Verbindung
Die Fanarbeit ein Witz, die Fankurven «Hitlerjugend»: Wofür und wogegen wird im «Police» eigentlich Politik gemacht? Die Bestrebungen von Fussball- und Eishockeyverband, von Sicherheitskonferenzen der letzten Jahre: ein Witz? Und wer ist dieser Interviewte überhaupt, der sein früheres Fanleben mit einem «Rambo»-Film zu verwechseln scheint und gleichzeitig froh darüber ist? Und gleichzeitig freut sich der Mann, dass er nach Abbruch seiner Ultra-Karriere wieder im Militär aufgenommen worden ist? Auf die Frage der Polizistin, ob er bereit wäre, sein Wissen an Schulungen der Polizei weiterzugeben, sagt er: «Ja, falls Interesse besteht, auf jeden Fall.»
«Dieses Interview wirkt von A bis Z inszeniert und liest sich wie eine Zusammenfassung aller populistischen Aussagen zum Thema Fans der letzten Jahre», sagt Luca Maggi, Zürcher Gemeinderat (Grüne), Jurist und Fussballfan (FCZ). «Ich dachte eigentlich, das muss erfunden sein. Diese Aneinanderreihung von Plattitüden. Dieser unwidersprochene Vergleich mit der Hitlerjugend: Entspricht das der Meinung des Polizistenverbands? Die ganze Ausgabe liest sich, als würde sich die Polizei regelrecht für die Zeit nach den Pandemie-Geisterspielen aufputschen. Man kann sich auch fragen: Wozu eigentlich all die runden Tische und Veranstaltungen zu Dialog und Deeskalation in den letzten Jahren, wenn das Sprachrohr der Schweizer Polizei jetzt in Bezug auf Fankurven von Krieg und Clankriminalität spricht?»
Recherchen ergeben, dass es sich beim Interviewten um Y. B. handelt, ehemaliges Mitglied der Ultra-Gruppe «Green Power 2004». Er machte vor einigen Jahren Schlagzeilen, weil er dabei war, als der Sohn des Sicherheitschefs des FC St. Gallen zusammengeschlagen wurde – wofür er unter anderem verurteilt wurde.
«Der Mann hat eine völlig verdrehte Sicht auf seine Zeit in der Fanszene», sagt ein aktiver St. Galler Ultra. «Dieses ganze Gerede von Krieg und gezielten Manipulationen: Das stimmt einfach nicht. Diese Hirngespinste, man sei militärisch oder gar mafiaähnlich organisiert: Das glaubt er ja selber nicht, oder er hätte es vielleicht gerne so erlebt. Der Mann hat offensichtlich eine Rechnung mit der Szene offen, die nichts mehr mit ihm zu tun haben will, und die versucht er nun zu begleichen.»
Fragen wirft zudem die Tatsache auf, dass die Polizistin, die zwischen 2011 und 2014 Szenekennerin der St. Galler Stadtpolizei war und als solche Leute wie Y. B. jagte, und ebenjener Y. B., ein bis vor wenigen Jahren stadtbekannter Ultra, offensichtlich eng befreundet sind.
Der Republik liegen mehrere Fotos der beiden vor: Sie zeigen Y. B. und die Polizistin am Sommernachtsfest in Romanshorn, an einer Party in Arbon oder in einem Pub in Wattwil (beides im Jahr 2017). Hätte diese Freundschaft angesichts der Tragweite des Interviews nicht ausgewiesen werden müssen? Und woher kennen sich die beiden überhaupt? Und warum hielt sich die Stadtpolizistin im Mai 2016, wie Fotos belegen, Bier trinkend und privat dort auf, wo sie publizistisch den Krieg herbeischreibt: im Gästeblock des St. Galler Stadions, mitten im harten Kern der Luzerner Ultras?
Es stellen sich weitere Fragen.
Hält man die Aussagen von Y. B. über Kriegsführung und die Nutzlosigkeit von Fanarbeit für glaubwürdig? Warum wird solchen Aussagen und dem Vergleich mit der Hitlerjugend nicht widersprochen? Ist der nationale Polizistenverband der Meinung, dass man mit der Fussballszene im Krieg ist?
Stellung dazu nimmt Alexia Hungerbühler, Leiterin Kommunikation und Marketing des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter. Sie schreibt im Namen der Redaktorin und mit Kopie an Verbandspräsidentin Johanna Bundi Ryser: «Wir sind uns im Klaren, dass gewisse Berichte in unserer Mitgliederzeitschrift polarisieren. Das nehmen wir gerne in Kauf und freuen uns über Feedback.»
Besonders viel Freude scheint das Feedback der Republik dann allerdings nicht auszulösen: Hungerbühler stellt im Namen des Polizistenverbands klar, «dass wir zu Ihren Fragen keine Antwort liefern werden. Die Art der Fragestellung stellt für uns keinen objektiven Journalismus dar.»
Die St. Galler Stadtpolizei schreibt auf die Anfrage, wie sie die Aussagen des St. Galler Ex-Ultras bezüglich Hitlerjugend, Kriegsführung und Fanarbeit beurteilt: «Vergleiche dieser Art können wir seitens Polizei für die St. Galler Szene nicht bestätigen. Wir pflegen einen regelmässigen Austausch mit der Fanarbeit sowie auch dem FCSG und anderen Partnern. Dies ist uns wichtig, da mit Repression alleine allfällige Problemfelder kaum zu bewältigen sind.»
Bezüglich der Frage der engen Bekanntschaft zwischen der Polizistin und dem Interviewten schreibt Polizeisprecher Roman Kohler: «Die Verfasserin des Beitrages ist eine Mitarbeiterin der Stadtpolizei St. Gallen. Den Beitrag verfasste sie jedoch nicht im Auftrag der Stadtpolizei St. Gallen, sondern im Rahmen einer bewilligten Nebenbeschäftigung für das Magazin ‹Police›. Die Stadtpolizei St. Gallen hat damit keinen Einfluss auf Beiträge in diesem Magazin. Die erwähnte Mitarbeiterin war von Anfang 2011 bis September 2014 Szenekennerin. Es kam zu keinerlei uns bekannten Abgrenzungsproblemen.»
«Alles kann gegen dich verwendet werden»
Antworten zum Selbstverständnis der Schweizer Polizei oder zumindest des mächtigen Verbands von Johanna Bundi Ryser finden sich aber auch im Magazin «Police» selber. Die Verbandszeitschrift, die es gerne in Kauf nimmt, zu polarisieren, ist diesbezüglich eine interessante Lektüre. So wird in einem Editorial im Mai 2019 etwa eine direkte Linie gezogen von den Werten der Fussballhooligans zu jenen der Polizistinnen. Neben Ehre wollten Hooligans Macht demonstrieren, heisst es da:
Macht gegenüber dem Staat, der Polizei und den Fussballverbänden. Hierzu ist jedes Mittel recht. Einschüchterungen, Platz einnehmen und den eigenen Willen aufzwingen, das ist das Ziel. Zusammenhalt macht nachweislich stark. Davon lebt auch unser Verband. Nur durch starke Sektionen ist es der Geschäftsleitung möglich, sich auf politischer Ebene für die Rechte von Polizistinnen und Polizisten einzusetzen.
Im Oktober 2020 erteilt die gleiche Redaktorin, die später das Ultra-Interview publizierte, Tipps, wie man sich als Polizist verhalten solle, wenn man auf jemanden geschossen habe. Schliesslich seien in Foren der «kriminellen Gegenseite» ja auch allerhand «Verhaltensanleitungen im Umgang mit der Polizei und der Justiz» zu lesen. «Doch was, wenn wir selbst in diese Situation geraten?» Der Polizistenverband rät:
Nach einer Schussabgabe wollen alle wissen, was vorgefallen ist. Doch um Psychohygiene zu betreiben, ist das definitiv der falsche Moment. Bedenke: Augen und Ohren auf. Mund zu! Alles kann im schlimmsten Fall gegen dich verwendet werden. Funksprüche und Anrufe werden ausgewertet. Telefone sichergestellt. Jedes kleinste Detail wird analysiert und mehrfach umgedreht. Vermeide Gespräche, egal mit wem, auch nicht bei Aufforderung. Solange du nicht als Zeuge vorgeladen wirst, bist du zu keinerlei Aussagen verpflichtet.
Der Schweizer Polizistenverband, eine Gang?