Covid-19-Uhr-Newsletter

Rahmenhandlungen

09.03.2021

Teilen

Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Ein Selbstbildnis zeigt sie mit sehr direktem, wasserblauem Blick, die Pinsel hält sie als Werkzeug unverrückbar vor ihrer Brust. Ottilie Wilhelmine Roederstein (mit OWR signierte sie jeweils ihre Bilder) war eine grosse Porträtistin. Sie ist ausserdem 1859 in Zürich geboren und – falls Sie noch nie von ihr gehört haben, grämen Sie sich nicht – für viele längst vergessen. Bis jetzt.

Menschen leben nicht als Inseln, sondern in Beziehungen mit anderen Menschen, eingebunden in eine Zeit, eine Landschaft, in eine Gesellschaft, in Erzählungen. Unter anderem darum kann Kunst uns stärken – weil sie unseren Horizont öffnet über das hinaus, was wir grade im Moment, bei grellem Tageslicht betrachtet, sind und tun. Mit anderen Worten: Kunst wäre in diesem beengten Pandemiejahr sehr willkommen gewesen.

Umso grossartiger ist es, dass Museen zu den Orten gehören, die seit dem 1. März wieder offen sein dürfen. Und sie bieten genau rechtzeitig jene Grösse und Weite, die viele von uns jetzt brauchen können.

Sowohl das Kunsthaus Zürich als auch die Fondation Beyeler in Riehen richten gross an. Das Kunsthaus stellt noch bis zum 5. April die erwähnte Ottilie W. Roederstein vor – und OWR ist derart umwerfend, dass Sie sie danach mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht wieder vergessen werden. Noch bevor die Roederstein-Werkschau wieder schliesst, folgt bereits eine Einzelausstellung zu Gerhard Richter, dem bekannten zeitgenössischen deutschen Maler. Die Fondation Beyeler bringt Bildhauereien von Auguste Rodin und Skulpturen von Hans Arp zusammen, und ab April übernimmt der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson das Museum.

Wer sich statt nach Zeit und Raum eher nach frischer Luft sehnte, hatte es in den letzten Monaten einfacher. Spazieren ging immer, und wir schrieben hier darüber, wie manche es für sich wieder entdeckten. Auch über die Natur lässt es sich gut nachdenken: Das Kunsthaus Grenchen widmet sich dem Wald, das Naturmuseum Thurgau dem Wolf und das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen – besonders charmant – dem Huhn.

Wenn Sie mögen, reisen Sie also nach Zürich oder Basel, nach Grenchen, Frauenfeld oder Schaffhausen. Und atmen Sie auf.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Der Impfstoff von AstraZeneca bietet voraussichtlich einen guten Schutz gegen die brasilianische und südafrikanische Variante. Das sagte AstraZeneca-CEO Pascal Soriot. Bisher wurde aufgrund einer südafrikanischen Studie davon ausgegangen, dass der Impfstoff gegen die Varianten nicht gut nützen würde. Neue Daten aus einer bisher nicht publizierten Studie zeigten neue Erkenntnisse, so der Impfstoffhersteller.

Die Baselbieter Regierung nimmt an Massentests teil. Dies als Teil von «Breites Testen Baselland» – im Kanton läuft seit Anfang März die gross angelegte Testaktion. Das Ziel sei, in den nächsten Monaten Schulen, Alters- und Pflegeheime sowie bei der Verwaltung und in den Firmen wöchentlich 50’000 Personen zu testen.

Ungarn wird von der dritten Welle hart getroffen. Damit kommt das 10-Millionen-Land ähnlich an seine Grenzen wie Tschechien, was die Auslastung der Spitalkapazitäten betrifft. Es sei eine neue Erscheinung, dass ganze Familien infiziert seien und mehr Jugendliche hospitalisiert würden, so der Infektiologe Janos Slavik vom Budapester Zentrum-Krankenhaus. Auch in Italien und Österreich steigen derzeit die Fälle wieder, wie auch in der Schweiz.

Und zum Schluss: Eine Monsterdebatte

Die Schweiz öffnet. Der erste Schritt des Öffnungsplans des Bundesrats wurde bereits am 1. März vollzogen – es lockerten sich einige Dinge: Museen durften öffnen, die Läden auch. Draussen darf man sich derzeit mit 14 statt 4 anderen Menschen treffen. Am kommenden Freitag will der Bundesrat über einen zweiten Öffnungsschritt beraten – gemäss Plan müssen dafür aber einige Voraussetzungen im Infektions­geschehen gegeben sein (diese finden Sie hier). Im Moment schaut es wie folgt aus: Derzeit sind 3 von 4 dieser Voraussetzungen leider nicht erfüllt.

Dennoch hatte es vor Sessionsbeginn des Parlamentes Anfang Woche rumort: Die Wirtschafts­kommission des Nationalrates wollte den Bundesrat überstimmen – und ins Covid-19-Gesetz (das gestern im Parlament wieder einmal ausdiskutiert wurde) festschreiben, dass die Restaurants am 22. März öffnen dürfen, unabhängig von der epidemiologischen Lage. Gehauen oder gestochen.

Nach einer Monsterdebatte gestern Montag (die bis tief in die Nacht dauerte) lässt sich sagen: Hunde, die bellen, beissen in diesem Fall nicht. Das Anliegen kam nicht durch. (Die Kolleginnen von «Watson» haben das Ganze kurz und knapp und ganz unterhaltsam zusammengefasst.)

Dass der bundesrätliche Plan nicht ganz am Virusgeschehen und nicht ganz am viel beschworenen Volkswillen vorbeigeht, zeigt eine Umfrage des Meinungs­forschungs­instituts Marketagent von Mitte Februar. Gemäss dieser sind 55 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit den Massnahmen «sehr oder eher» einverstanden, 19 Prozent lehnen sie «eher oder ganz» ab, 26 Prozent waren bei der Einschätzung unentschlossen.

Entschlossen hingegen, oder zumindest Schulter an Schulter, verteidigten Finanzminister Ueli Maurer und Gesundheits­minister Alain Berset die bundesrätliche Linie. Nach neun Stunden Debatte gönnten sie sich ein gemeinsames Bier.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Olivia Kühni und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Der englische Ausdruck «shot» kann für zwei Dinge stehen: für eine Impfdosis wie auch für eine Portion eines alkoholischen Getränks. Doch was, wenn der Impfstoff wirklich wie ein Getränk zu einem Konsumgut mutierte? Sagen wir, zu einem Bier? Sagen wir, zu einem Craft-Bier? Satiriker Gabriel Vetter nimmt in der Sendung «Deville» nicht nur übereifrige Hipster aufs Korn, sondern auch den ganzen Bullshit-Talk mancher Bierbrauerinnen (wo nicht mehr in Brauereien, sondern in «Manufakturen» gebraut wird). Und sagt denn auch: «Bei der Impfmanufaktur steht nicht nur das Resultat im Zentrum, sondern der Prozess.» Hier gehts lang zum «nachhaltigen Impfen»!

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!