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Tuts noch weh im BAG?

04.03.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir darüber berichtet, wie überfordert das Bundesamt für Gesundheit damit war, die Pandemie sauber zu dokumentieren: Fallzahlen wurden geschätzt, indem Papier­stapel gewogen wurden, Formulare wurden per Fax übermittelt, BAG-Mitarbeiterinnen erfuhren über Wikipedia von Todesfällen.

Was ist seither geschehen? Unsere Tech-Expertin Adrienne Fichter, die damals für die Recherche zuständig war, hat die Pleiten, Pech und Pannen des BAG in vier Akten rekonstruiert:

1. Akt

Vor über einem Jahr fing es an: Der Kanton Tessin meldete den ersten Covid-Fall. Weitere Fälle wurden ans Bundesamt für Gesundheit rapportiert. Doch bald schon, als die Zahl exponentiell anstieg, kam der Informations­fluss ins Stocken. Wer nachzählte, merkte, dass das Total der gemeldeten Fälle auf den Websites der Kantone nicht mit den gemeldeten Fällen des BAG übereinstimmte. Irgendwo harzte es. Erste Gerüchte kamen auf: Was verschweigt der Bund? Will er die Zahlen nicht nennen?

Die Wahrheit war harmloser: Der Datentransfer war wegen Faxpapier und PDFs enorm verlangsamt. Dadurch fehlten nicht nur aktuelle klinische Befunde von Covid-Patientinnen. Das Papier stapelte sich – und wurde für die provisorischen Meldungen mit Massstab und Waage gemessen. Die Resultate wurden unter grossem Zeitdruck manuell eingegeben. Die Fehleranfälligkeit war riesig.

Und dann? Bald nachdem die Republik darüber berichtete, wurde ein Webformular aufgeschaltet. Doch das klassische PDF für die Covid-Meldungen konnte immer noch nicht online ausgefüllt werden, man musste es ausdrucken. Das BAG ignorierte Hilfsangebote von Open-Data-Aktivisten, welche die PDF-Versionen modifiziert hatten. Immerhin konnten Ärztinnen klinische Befunde bald via verschlüsselte HIN-Mail verschicken, die Labors ihre Befunde automatisiert als CSV-Datei.

Im Sommer 2020 folgte ein kurzer digital­politischer Lichtblick: Forscherinnen der EPFL und ETH legten die technischen Standards für die Contact-Tracing-App – Apple und Google übernahmen diese für ihre Betriebs­systeme. Das Parlament verabschiedete ein umfangreiches und weltweit vorbildliches digitalethisches Gesetzespaket. Dass die App ihr Potenzial nicht ausreizen wird, lag nicht an der Technik, sondern an menschlichen Fehlern: Die Codes für die Kontakt­benachrichtigung wurden teils erst nach Wochen ausgestellt.

2. Akt

Im Juli 2020 berichtete die Republik, dass sich beim klassischen manuellen Contact-Tracing ein weiteres Zettel­desaster anbahnte. Die Kantone setzten bei der Datenerhebung Excel, Papier und unterschiedliche Software ein, womit kein automatisierter Datenaustausch möglich war. Schon bei 100 täglich gemeldeten Fällen drohte die Rückverfolgung der Infektions­kette zu scheitern. Es gab keinen interkantonalen Konsens darüber, welche Daten bei positiven Covid-Fällen erhoben werden sollen oder welches Erhebungs­instrument eingesetzt wird.

Immerhin entschieden sich auf Initiative des Kantons Luzern schliesslich 15 Kantone für die etablierte Software Sormas. Und das BAG übernahm bei den zu erhebenden Kategorien das Zepter und machte Vorgaben. Verbesserung war in Sicht.

Doch Monate später, mitten in der zweiten Welle, stellte sich heraus, dass die Software Sormas teilweise nicht richtig genutzt wurde. So kannten die kantonalen Contact-Tracer einerseits nicht deren vollen Funktions­umfang oder waren schlecht geschult, andererseits funktionierten Schnittstellen zwischen den Laboren und der Software nicht. Der föderale Software-Dschungel blieb somit weiterhin bestehen.

3. Akt

Nach dem plötzlichen Durchbruch der Impfstoffe wurden Bund und Kantone im Dezember einmal mehr überrumpelt von den aktuellen Entwicklungen. Die Impfplattform wurde zu spät bestellt und in einem freihändigen Verfahren vergeben. Dann brach die Impfplattform aufgrund des grossen Ansturms kurz nach Start der Impfkampagne Ende Dezember zusammen. In Luzern, Schwyz oder Glarus konnte sich niemand für eine Impfung registrieren. Das BAG verwies darauf, dass die Probleme mit einem Sub-Lieferanten zusammen­hingen, und erklärte, solche Störungen seien zu Beginn normal.

Danach ging es darum, die Impfplattform an den elektronischen Impfausweis Meineimpfungen.ch anzubinden. Auch dieser entsprach nicht gerade zeitgemässen Standards, sowohl in Sachen Benutzer­freundlichkeit als auch Datensicherheit, wie die Republik im Januar 2021 herausfand. Die Plattform wies eine gravierende Sicherheits­lücke auf, zudem waren veraltete Protokolle im Einsatz.

4. Akt

Bis heute fehlen beim BAG simple Grundlagen. So sind beim Zahlen-Dashboard stets PDFs und Bilder in Überzahl vorzufinden. Aber es gibt bis heute nicht genügend offene Schnittstellen für den automatisierten Datenfluss und keine strukturierten, maschinen­lesbaren Daten und Datenformate. Das Thema Digitalisierung des Gesundheits­wesens muss zu einem späteren Zeitpunkt grundlegend aufgearbeitet werden, nicht zuletzt aufgrund der künftigen elektronischen Patientendossiers.

Interessant sind die Gründe, weshalb das Gesundheits­wesen so viele digitale Defizite hat. Zu diesem Thema sagte der Leiter der digitalen Transformation beim BAG, Sang-Il Kim, in einem Interview, er sehe die Verantwortung nicht allein beim Departement, sondern auch bei den Spitälern und Ärzten beziehungs­weise deren markt­wirtschaftlichen Optimierung. Das Problem bestehe darin, dass jede Gesundheits­organisation als einzelne Firma agiere und dementsprechend gut wirtschaften und wenn möglich Gewinn machen wolle. Es fehle daher der Anreiz, in die kostenintensive Digitalisierung zu investieren.

Andreas Amsler von der Open-Data-Fachstelle Kanton Zürich nennt noch einen weiteren Grund: Der Bund habe eigentlich sehr fähige Leute in der IT, man müsse ihnen nur den nötigen Spielraum geben, um Dinge auszuprobieren.

Und damit zur heutigen Lage.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Gute Nachrichten für die Kultur­branche – national und kantonal. Maximal 3840 Franken pro Monat können Zürcher Musikerinnen, Schauspieler, Museums­führerinnen oder Designer ab sofort als Unterstützung beantragen. Das teilte der Kanton heute mit. Ebenfalls ein solches «Grundeinkommen» für Kultur­schaffende beschlossen hat der Kanton Basel-Stadt. Und im Bundeshaus entschied der Ständerat heute, die Obergrenze für Beiträge an Kultur und Kultur­schaffende aus dem Covid-19-Gesetz zu streichen, womit neue Kredite gesprochen werden könnten.

Junge Frauen verloren 2020 am häufigsten den Job. Die Gruppe der Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren verzeichnete im Vergleich zum Jahr davor den grössten Anstieg der Erwerbslosen­quote. Das geht aus den aktuellsten Zahlen des Bundesamts für Statistik hervor. Hingegen hat sich die Quote bei den 40- bis 54-jährigen und bei den 55- bis 64-jährigen Frauen im Vergleich zu 2019 weniger verändert. «Bei Letzteren ist die Erwerbslosen­quote sogar leicht zurückgegangen», schreibt das BFS. Bei den Männern stieg die Erwerbslosen­quote durchs Band an.

Psychologinnen und Psycho­therapeuten bekommen in der zweiten Welle deutlich mehr Terminanfragen. Die Belastung vieler Menschen sei seit September 2020 offenbar deutlich grösser geworden, schreiben die drei einschlägigen Berufsverbände in einer gemeinsamen Mitteilung. Sie haben ihre Mitglieder zu ihrer Auslastung befragt. Rund 60 Prozent gaben an, ihre Auslastung sei gewachsen. Und zwei Drittel gaben an, sie hätten Anfragen zurückweisen müssen, weil sie keine freien Kapazitäten hätten.

Schweden und Deutschland werden ältere Menschen ab jetzt auch mit dem Stoff von Astra Zeneca impfen. Heute hat die Ständige Impfkommission in Deutschland das Mittel für über 65-Jährige empfohlen. Es gebe unterdessen genügend Daten zur Wirksamkeit in dieser Altersgruppe. Zum selben Schluss kam heute Schweden. In der Schweiz hat Swissmedic das Mittel noch nicht zugelassen. Sie wartet auf die Ergebnisse einer Studie in den USA. Italien hat derweil die Ausfuhr von 250’000 Dosen nach Australien gestoppt – und die EU bereits Ende letzter Woche über den Schritt informiert.

Und zum Schluss: Am Sonntag schon was vor?

Sie können keine Geschichten über die Pandemie mehr hören, lesen oder sehen? Dann verlassen wir ausnahmsweise kurz das Thema und schwenken auf ein anderes Drama, royal Drama! Unser Tipp: Widmen Sie Ihre kostbare Zeit dem zweitwichtigsten Thema der Neuzeit, dem Megxit. Für Nicht-Royalisten: Dies ist die fachlich korrekte Bezeichnung des Bruchs zwischen dem britischen Königshaus mit Prinz Harry und seiner Frau Meghan Markle. Harry und Meghan hatten sich letztes Jahr über den Atlantik abgesetzt. Die ehemalige Schauspielerin war Zielscheibe des berüchtigten britischen Boulevards geworden – wie schon Harrys Mutter Diana zuvor. Diese Woche nun geht das königliche Drama um den Bruder des Kronprinzen und seiner Frau in die nächste Runde: Am Sonntagabend packen die beiden bei Talk-Queen Oprah Winfrey aus. Einen Vorgeschmack gibt es schon: «Ich weiss nicht, wie sie nach all dieser Zeit denken können, dass wir immer noch schweigen würden», sagt die schwangere Meghan in dem kurzen Clip. Und fügt nachdenklich an: «Es ist bereits viel verloren gegangen.»

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Adrienne Fichter, Oliver Fuchs und Cinzia Venafro

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Als Queen of the United Kingdom ist Elizabeth II. natürlich Namenspatin für eine ganze Reihe von Dingen – Schulen, Rosen, Flugzeug­träger. Für ein Tier (oder Virus) aber offenbar noch nicht. Dafür haben unsere Recherchen zum Thema eine 2013 entdeckte und definitiv queen-inspirierte Kleinlibelle zutage gefördert: Heteragrion freddiemercuryi.

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