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Im Bilde

01.03.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Als wir vor ein paar Tagen mit Daniel Baumann telefonierten, dem Direktor der Kunsthalle Zürich, erwarteten wir Euphorie am anderen Ende der Leitung. Oder zumindest gute Laune. Schliesslich hatte der Bundesrat zu diesem Zeitpunkt bereits den «ersten, vorsichtigen Öffnungs­schritt» verkündet, der bedeutet, dass der Shutdown für die Museen ab heute zu einem Kapitel der Geschichte gehört.

Stattdessen sagte Baumann, es ergebe ja überhaupt keinen Sinn, so ein Haus zu leiten, wenn es kein Publikum empfangen dürfe. Denn die drei langen Winter­monate, in denen wohl allein die Geister der Künstlerinnen durch die Ausstellungs­häuser gezogen waren, haben dem Personal doch ganz schön zugesetzt. Digitale Formate, so experimentell sie auch daher­kommen, können den direkten Austausch eben nicht ersetzen, das war im Gespräch mit Baumann kaum zu überhören.

Lassen Sie uns diesen historischen Moment deshalb angemessen würdigen, indem wir alle wieder in die Museen rennen!

Eine Reihe von Restriktionen wird es selbst­verständlich nach wie vor geben: Abstand wahren, Hände desinfizieren und so. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, zurück in den leibhaftigen Dialog mit der Kunst und ihren Botschafterinnen zu treten.

Ein wenig genervt von diesem ewigen Gefasel über die «Aura» von Rembrandt, Monet und Co. waren wir, ehrlich gesagt, schon. Davon hörte man ja in letzter Zeit ziemlich viel. Insbesondere Feuilletonisten konnten es nicht lassen, angesichts der unzugänglichen Museums­sammlungen an diese Floskel zu erinnern, nach der angeblich nur das Original die Sinne ergreifen kann. Dabei kämpfen Künstlerinnen nun schon seit so langer Zeit dafür, das olle Ölgemälde zu überwinden und die neuesten Medien (mit Vervielfältigungs­garantie) zu nutzen, um uns verschlafene Gesellschaft aufzurütteln. Paradoxer­weise merkten wir auf der Suche nach solchen Positionen zum Jahres­wechsel zu Hause auf der Couch nur, dass gerade sie von Angesicht zu Angesicht studiert werden sollten.

Die Auswahl an vielversprechenden Sonder­ausstellungen, die der Verband der Museen der Schweiz so fleissig (und gefühlt täglich) auf der Seite www.museums.ch aktualisiert, ist gross. Wir schlagen deshalb vor, dass Sie sich in den kommenden Tagen eine ganz persönliche Must-see-Liste erstellen. Vergessen Sie dabei nur nicht die der Republik-Redaktion so naheliegende Schau «Something other than either» von Pati Hill in der Kunst­halle Zürich, die eine Woche vor dem Shutdown eröffnete und nun wieder zu sehen ist.

Die 1921 in den USA geborene und hierzulande vollkommen unbekannte Künstlerin Pati Hill, die in erster Linie Schrift­stellerin war, hinterliess Romane, Gedichte, eine Geheim­sprache – und Tausende von Foto­kopien, manchmal in Farbe und auf rosa Papier, aber eben auch und vor allem in Schwarz-Weiss. Und schaute man sich das in den digitalen Ansichten der durch und durch in Grau gehaltenen Ausstellung an, käme man tatsächlich niemals auf die Idee, welche subversive Hingabe sich hinter der drögen Archiv-Ästhetik verbirgt.

Hill deklinierte mit dem Fotokopierer nämlich die Zeichen­sprache der Hausfrauen­sphäre durch und durch. Koteletten, Korsetts und Kinder­spielzeug tauchen in dem Bildatlas der Maschine auf, die das Urheber­recht im 20. Jahr­hundert tatsächlich in etwa so bedrohte wie heute das Internet – und damit auch Hills berühmte Zeitgenossen Jackson Pollock, Barnett Newman und Co. wie alte Herren aussehen lässt, die mit ihrem Pinsel in der Hand immer noch auf den sogenannten «Ausdruck» setzten.

Im April wäre Pati Hill 100 Jahre alt geworden. Sie starb 2014 im französischen Sens. Ob die geplante Feier stattfinden kann, steht gegenwärtig leider noch in den Sternen. Aber die Avantgarde überzeugt in der Regel auch ohne Apéro.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Zum Auftakt der Frühlings­session mahnt der Nationalrats­präsident Politikerinnen zu Fairness in der Krise. Die Stimmung werde zunehmend aggressiver und kompromissloser. «Wir sind Teil dieser Entwicklung», sagte Andreas Aebi, SVP. Er rief die versammelten National- und Ständeräte auf, sich mit den korrekten ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für Lösungen einzusetzen. In den vergangenen Wochen haben Exponenten gerade von Aebis Partei den Bundesrat rhetorisch sehr hart angegangen.

Deutsche Bevölkerung wünscht sich zum ersten Mal seit Beginn des zweiten Lockdowns mehrheitlich Lockerung der Massnahmen. Das Institut Yougov führt regelmässige repräsentative Befragungen zur Pandemie­politik durch. Der neuesten Ausgabe zufolge seien nun 43 Prozent der Befragten für Lockerungen, 17 Prozent hätten sich für eine komplette Rückkehr zur Normalität ausgesprochen. Die Kanzlerin und die Minister­präsidenten der Bundes­länder werden am Mittwoch über die nächsten Schritte entscheiden.

Massive dritte Welle rollt durch Tschechien. Kein Land der Welt ist aktuell schwerer betroffen, gemessen am Anteil der Neuinfizierten an der Gesamt­bevölkerung. Aktuell ist dieser Anteil etwa zehnmal höher als jener der Schweiz. Seit heute gelten darum strenge neue Massnahmen, insbesondere eine stark eingeschränkte Bewegungs­freiheit. Minister­präsident Andrej Babiš sagte, das Gesundheits­system stehe nun kurz vor dem Zusammen­bruch.

EU-Länder gespalten über Reise­freiheit für Geimpfte. Die EU-Kommission will Mitte des Monats einen Entwurf für einen «Impfpass» vorlegen. Immunisierte würden sich damit innerhalb der EU weitgehend ohne Einschränkungen bewegen können – sowohl zum Arbeiten als auch für Ferien. Wie der «Guardian» berichtet, hätten sich etwa Spanien, Portugal und Griechenland für das Projekt ausgesprochen – Belgien sei dagegen skeptisch. Die Schweiz hat sich – obwohl als Mitglied des Schengenraums potenziell auch betroffen – noch nicht dazu geäussert.

Und zum Schluss: Aus dem Gleich­gewicht

Auf dem Höhepunkt der zweiten Polio-Epidemie in den USA, die jährlich 15’000 Kinder lähmte und Tausende tötete, gelang dem Wissenschaftler Jonas Salk von der Universität Pittsburgh 1955 die Entwicklung des ersten Impfstoffs. Auf die Frage, wem das Patent gehöre, antwortete er: «Well, the people, I would say», also dem Volk.

Februar 2021: Die Corona-Pandemie hat bisher weltweit über 2 Millionen Menschen das Leben gekostet. Seit Beginn der Pandemie liegt die grosse Hoffnung auf den Pharma­konzernen. Insgesamt wurden bisher weltweit 7,8 Milliarden Impfdosen verkauft, 60 Prozent davon an westliche Industriestaaten, die nur 16 Prozent der Welt­bevölkerung ausmachen.

Auch wenn es uns hierzulande manchmal nicht schnell genug gehen kann, empfiehlt sich ein Blick auf die Relationen – und auf das krasse Ungleich­gewicht: Die Schweiz hat Verträge für über 30 Millionen Impfdosen abgeschlossen – genug, um damit die Bevölkerung vier Mal zu impfen. In 130 Ländern wurde bis heute keine einzige Person geimpft. In den ärmsten Ländern werden 9 von 10 Personen 2021 keine Impfung erhalten.

Diese Ungleichheit habe schwer­wiegende Konsequenzen, sagt Mohga Kamal-Yanni, politische Beraterin der Organisation «People’s Vaccine Alliance» sowie von Unaids, dem Programm der Vereinten Nationen zur Eindämmung von HIV und Aids. Hier geht es zum Interview der Kolleginnen Daniel Ryser und Nathalie Schmidhauser.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Oliver Fuchs, Marguerite Meyer und Antje Stahl

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Am Freitag haben wir Ihnen im Editorial des Newsletters die Verkupplungs­plattform «Be My Quarantine» vorgestellt. Leider haben wir dabei unsere freie Autorin Flavia von Gunten fälschlicher­weise als Flavia Kleiner bezeichnet. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

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