Überraschungsbesuch beim Junggesellen­abschied: Carey Mulligan als Cassie in «Promising Young Woman». Focus Features/AP/Getty Images

Schwanz ab

Mit «Promising Young Woman» rückt ein Oscar-verdächtiger Film eines der umstrittensten Filmgenres zurück in den Mainstream: den Rape-and-Revenge-Film. Dabei stellt sich die Frage: Wie feministisch sind vergewaltigte Rächerinnen?

Von Solmaz Khorsand, 27.02.2021

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Es ist schon befriedigend, Männern beim Leiden zuzusehen. Insbesondere jenen, die sich selbst für so nett halten, weil sie sich einer betrunkenen Frau im Club nähern und sich nach ihrem Befinden erkundigen, da sie so wackelig auf den Beinen steht. Es sind diejenigen, die ihr dann anbieten, sie nach Hause zu bringen, sie auf einen letzten Drink in die eigene Wohnung einladen und ihr sachte die Haarsträhnen aus dem Make-up-verschmierten Gesicht streichen.

Und die sie dann vergewaltigen.

Auf diese Typen hat es Carey Mulligan als Cassandra in «Promising Young Woman» abgesehen. Jede Woche streift sie durch die Clubs und gibt vor, sturzbetrunken zu sein, bis sie irgendwann zu später Stunde auf einem fremden Bett liegt. Dann schnappt die Falle zu. Und das Leiden beginnt.

Es macht Spass, mit Mulligan als aufgedonnerter #MeToo-Mary-Poppins mitzufiebern, ihr zuzusehen, wie sie ach so netten Männern das Einmaleins von consent einbläut. Besonders in dem Augenblick, in dem Cassandra ihren Vergewaltigern in spe, die gerade dabei sind, ihrem vermeintlich bewusstlosen Ich den Slip runter­zuziehen, plötzlich vollkommen nüchtern und wach die Frage stellt: «Was tust du da?»

Ein Horrormoment für die Ertappten. «Psycho!», brüllen die Männer dann. Nur eine Verrückte würde sich so verhalten, so tun, als wäre sie dermassen hinüber, dass sie das Rumgefummel und Rumgefingere nicht mitkriegt. Wer so besoffen ist, folgt schliesslich in der Regel einem Skript, dessen Ausgang jede kennt. Doch Cassandra schreibt das Skript um. Aus Rache für ihre beste Freundin Nina, die im College vergewaltigt wurde. Sie war betrunken und bewusstlos. Ihre Peiniger wurden nie zur Rechenschaft gezogen.

Sieht so weibliche Selbst­ermächtigung aus?

Für die Rolle der Cassandra wird die britische Schau­spielerin Carey Mulligan dieses Jahr für den Oscar als beste weibliche Haupt­darstellerin gehandelt. (Die Verleihung wurde vom 28. Februar auf den 25. April verschoben.) Die Nominierung für den Golden Globe hat sie dafür schon in der Tasche, ebenso Emerald Fennell für Regie und Drehbuch. Diese Verleihung findet morgen Sonntag statt. Das Publikum kennt Fennell aus der Serie «The Crown», in der sie Camilla Parker Bowles spielt, und als Drehbuch­autorin der Serie «Killing Eve». «Promising Young Woman» ist Fennells erster Spielfilm. Seit Ende Januar läuft er in den US-Kinos und sorgt seither für viel Diskussionsstoff.

So richtig warm werden die Kritiker nicht mit der Handlung. Sieht so weibliche Selbst­ermächtigung aus? Ist das feministisch? Auge um Auge, Zahn um Zahn? Gute alte Selbstjustiz? Die Kontroverse kommt nicht von ungefähr. Mit ihrem Spielfilm­debüt rückt Fennell eines der umstrittensten Filmgenres in den Mainstream: den Rape-and-Revenge-Film.

Cassandra gibt sich betrunken … Focus Features/Keystone
… und stellt so die perfekte Falle auf: «Promising Young Woman». Focus Features/Everett Collection/Keystone

Das Genre ist ein einziges Minenfeld. Wenig überraschend bei seiner DNA: Frau wird vergewaltigt, zumeist brutal. Frau rächt sich, umso brutaler. Seit Jahrzehnten versuchen sich Film­schaffende aus aller Welt an diesem Plot, von Ingmar Bergman («Die Jungfrauenquelle», 1960) über Meir Zarchi («I Spit on Your Grave», ursprünglich «Day of the Woman», 1978) bis hin zu Shekhar Kapur («Bandit Queen», 1994) und Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi («Baise-moi», 2000). Mal von der Kritik gefeiert, mal von der Zensur verboten. Für Aufregung sorgten sie alle. Allen voran in feministischen Kreisen.

Dabei war es dem Feminismus zu verdanken, dass sich das Genre in den 1970er-Jahren etablieren konnte, gar zum Durchbruch kam. Die zweite Welle der Frauen­bewegung hatte die Öffentlichkeit für das Thema sexuelle Gewalt sensibilisiert. Vergewaltigung wurde nicht länger als Kavaliers­delikt kleingeredet, sondern als Verbrechen geahndet und geächtet. Der Rape-and-Revenge-Film trug diesen Debatten kinematografisch Rechnung.

Dennoch, rückhaltlos anfreunden können sich viele Feministinnen bis heute nicht mit den Filmen rund um die vergewaltigten female avengers. Zwar sei die «Auferstehung des Vergewaltigungs­opfers als übermächtige Rächerin» nicht nur ein Triumph über die Täter, sondern auch eine «(radikal-)feministische Fantasie», schreibt die deutsche Medien­wissenschaftlerin Julia Reifen­berger in ihrem Buch «Girls with Guns». Doch wie viel ist so eine Fantasie wert, wenn «die narrative ‹Voraussetzung› für die weibliche Selbst­ermächtigung eine Vergewaltigung ist?», reflektiert Reifen­berger eines der Grund­dilemmata des Genres.

Anders gefragt: Kann ein Rape-and-Revenge-Plot feministisch sein?

Die Frage der «männlichen Zuschauer­lust»

Wer sich in die Filme vertieft, wird feststellen, dass der weibliche Empowerment-Grad vom Zeitgeist abhängt. Zum Beispiel kommt es darauf an, wie das Thema Vergewaltigung in einer Gesellschaft aktuell verhandelt wird: als ein Hirngespinst, das sich die Betroffenen nur einbilden; oder als eine Tat, die als Ausdruck eines kaputten Systems verstanden wird. Auch die Darstellung spielt natürlich eine erhebliche Rolle. Wie wird die Vergewaltigte gezeigt? Dient ihr misshandelter – zumeist nackter – Körper als Masturbations­vorlage, gut ausgeleuchtet mit Extra-Nahaufnahmen ihrer Brüste? Oder ist die Kamera auf das Gesicht des Täters gerichtet? Wie sehr werden «feministische Weiblichkeits­bilder» in Wirklichkeit nur von einer «männlichen Zuschauerlust» instrumentalisiert, wie es Reifenberger formuliert?

Meir Zarchis Klassiker «I Spit on Your Grave» kann da etwas Aufklärung schaffen. Er gilt als einer der härtesten frühen Rape-and-Revenge-Filme, nicht zuletzt wegen der brachialen Gruppen­vergewaltigung zu Beginn des Films. Camille Keaton spielt Jennifer, eine New Yorkerin, die sich in die Einöde eines Land­hauses am See zurückzieht, um einen Roman zu schreiben. Regisseur Zarchi inszeniert sie bewusst als urbane, gebildete, sehr freie Frau, die in Gesprächen mit ihren zukünftigen Vergewaltigern schon einmal fallen lässt, dass sie ein paar boyfriends hat und Artikel für feministische Magazine schreibt.

Jennifer (Camille Keaton) muss in «I Spit on Your Grave» durch das Martyrium einer Gruppenvergewaltigung. ratocine

Sehr klar verhandelt Zarchi die Debatten rund um weibliche Selbst­bestimmung und traditionelle Rollen­bilder. Etwa wenn er den Tankwart, den Anführer der Gruppe, nach der Vergewaltigung erklären lässt, warum er nicht anders konnte, als über Jennifer herzufallen. Ganz entspannt listet er all die Gründe auf, während Jennifer die Waffe auf ihn richtet. Sie habe es doch selbst herauf­beschworen, als sie Tage zuvor mit ihren langen, nackten Beinen vor ihm an der Tankstelle auf und ab marschiert sei. Als ihr sein Kollege die Einkäufe vorbei­gebracht habe und sie ihn in Hotpants und einer Bluse empfangen habe, unter der kein BH zu erkennen gewesen sei. Als sie sich im Bikini am See gesonnt habe, sichtbar für alle. Wie hätte Mann das denn anders verstehen sollen? Ihre Signale waren eindeutig! Warum also die Aufregung?

Selbstbestimmung hat ihren Preis, Schätzchen.

Und der ist hoch. Fast eine halbe Stunde dauert Jennifers Vergewaltigung, in der vier Männer sie misshandeln. Von Einstellung zu Einstellung wird ihr nackter Körper immer blutiger, zerkratzter, zerbeulter. Bis am Ende nur mehr ein Klumpen Mensch übrig bleibt. Das Martyrium ist elementar für das Genre. Je brutaler die Vergewaltigung, umso brutaler darf die Rache sein. Erst als gebrochenes Opfer kann frau zur blutrünstigen Rächerin wiederauferstehen. Nur dann kann die Rache auch so wirken, wie sie beabsichtigt ist: kathartisch.

Der Rachefeldzug beginnt: Jennifer richtet ihre Waffe auf Johnny. Jackbel/imfdb

Und sie ist es durchaus, obgleich sie ruhig noch etwas länger und grausamer hätte sein können. Regelrecht anfeuern möchte man Jennifer im zweiten Teil des Filmes, wenn sie ihre Vergewaltiger verführt und anschliessend eiskalt der Reihe nach in einem pervertierten Kevin-allein-zu Hause-Parcours massakriert – inklusive Kastration in der Badewanne.

Vergewaltigt? Nicht der Rede wert

Doch geht es auch ohne vorgelagertes Folter­martyrium? Kann eine Frau einem Mann – im Film – einfach nur so den Penis abschneiden? Oder ihm den Lauf einer Pistole in den Hintern stecken, ohne zuvor eine traumatische Vergewaltigung erlebt zu haben?

Sie kann. Die französische Feministin Virginie Despentes zeigt, wie. In ihrem Rape-and-Revenge-Roadmovie «Baise-moi» («Fick mich!») legt sie neue Massstäbe an das Genre. Ihre Protagonistinnen Manu und Nadine – gespielt von den zwei Porno­darstellerinnen Raffaëla Anderson und Karen Lancaume – verzichten auf den Opferstatus.

Manus Vergewaltigung am Anfang des Films spielt keine nennenswerte Rolle für den späteren Blutdurst der beiden. Sie passiert fast nebenbei. Es ist faszinierend, wie lapidar Virginie Despentes die Tat abhandelt. Manu ist unglaublich genervt von der Vergewaltigung, fast so, als würde jemand sie bloss dazu zwingen, Spinat zu essen. «Ich habe nichts Wertvolles in meiner Muschi für diese Wichser», versucht sie ihre wimmernde Freundin, die ebenfalls vergewaltigt wird, zu trösten: «Es ist nur ein bisschen Schwanz.»

Roadmovie mit Gemetzel: Karen Lancaume als Nadine (link) und Raffaëla Anderson als Manu in «Baise-moi». Moviestore Collection/Alamy

Nur ein bisschen Schwanz, nicht der Rede wert, und erst recht kein Trauma. Als Manus Bruder ihr später vorwirft, die Vergewaltigung provoziert zu haben, erschiesst sie ihn. Wenig später trifft sie auf Nadine, die soeben ihre Mitbewohnerin erwürgt hat. Gemeinsam metzeln und vögeln sie sich durch Frankreich.

Zwei Tage lang wurde «Baise-moi» im Jahr 2000 in den französischen Kinos gezeigt. Danach durfte er nur noch in den Porno­kinos laufen. Der französische Staatsrat begründete seine Entscheidung damit, dass der Film eine «pornografische Botschaft und einen Ansporn zur Gewalt» enthalte. Im Vorfeld hatten rechtsextreme Gruppierungen gegen den Film Stimmung gemacht.

In ihrem Buch «King Kong Theorie» bezieht Virginie Despentes Stellung zu den ablehnenden Reaktionen. Vor allem die Haltung vieler Frauen, die ihren Film verurteilt hätten, weil er Gewalt verherrliche, lasse ihr keine Ruhe: «Eine althergebrachte, unbarmherzige Politik lehrt die Frauen, sich nicht zu wehren. Die übliche Zwickmühle: Uns wird klargemacht, dass es nichts Schlimmeres [als die Vergewaltigung] gibt, und zugleich, dass wir uns weder wehren noch rächen dürfen. Wir sollen leiden und nichts anderes tun können, ein Damokles­schwert zwischen den Schenkeln», schreibt sie. Die einzige Gewalt, die eine Frau nach einer Vergewaltigung ausüben dürfe, sei die Gewalt gegen sich selbst. Sie kann 20 Kilo zunehmen, in Schlabber­kleidung verschwinden, sich vor Sex ekeln.

Was, wenn auch Männer Angst haben müssten?

In ihrem Buch wagt Despentes ein Gedankenexperiment. Was würde passieren, wenn wir nicht Frauen vor Vergewaltigern warnen müssten, sondern Männer davor, was ihnen zustösst, wenn sie vergewaltigen? Wenn die Geschichten der brutalen Racheengel keine Fiktion, sondern Realität wären?

«Doch an dem Tag, wo die Männer Angst haben müssen, dass ihr Schwanz mit einem Cutter zerfetzt wird, wenn sie versuchen, einer Frau Gewalt anzutun, werden sie plötzlich ihre ‹männlichen Triebe› besser beherrschen können und verstehen, was ‹nein› bedeutet», prophezeit Despentes. Nur so liesse sich begreifbar machen, dass die «Unversehrtheit» eines Männer­körpers nicht wichtiger ist als die eines Frauenkörpers.

Auch Emerald Fennell stellt in ihrem Film «Promising Young Woman» solche Überlegungen an. In einer Szene warnt Cassandra eines ihrer Opfer, dass sie nicht die Einzige sei, die durch die Clubs streife, um auf Männer­jagd zu gehen. Da draussen gebe es ein ganzes Heer von Frauen, die es ihr gleichtun würden, einige von ihnen mit Scheren bewaffnet. «Alles müsst ihr uns ruinieren!», schreit der Mann, als er vor ihr flüchtet. Die Drohung, dass die rächende Frau mit der Schere genauso zu seinem Ausgehalltag gehören könnte wie der vergewaltigende Mann mit den K.-o.-Tropfen zu ihrem, behagt ihm nicht. Es ist eine spannende Vorstellung von ausgleichender Gerechtigkeit.

Was hab ich denn falsch gemacht? Max Greenfield als Joe in «Promising Young Woman». Focus Features/Keystone

Was würde sich in der Geschlechter­dynamik verändern, wenn Männer ebenso viel Vorsicht, vielleicht gar Angst hätten wie die Frauen, wenn sie sich spätnachts in Clubs amüsieren? Wenn ihre Eltern sie vor jedem Ausgang zur Seite nehmen würden, um ihnen einzubläuen, bloss aufzupassen, mit wem sie wo zu welcher Uhrzeit und in welchem Betäubungs­zustand verkehren? Und dass sie mit nur einem Hoden aufwachen könnten, wenn sie ihren Penis ungefragt in fremde Körper­öffnungen stecken?

Die deutsche Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal glaubt nicht, dass es etwas ändern würde: «Abgesehen davon, dass ich nicht in einem Land leben möchte, in dem Menschen zur Strafe Körperteile abgeschnitten werden, sind sich ja alle einig, dass Vergewaltigung schlecht ist. Es herrscht nur keine Einigkeit darüber, was eine ‹echte› Vergewaltigung ist.» Sanyal ist Autorin des preisgekrönten Buchs «Vergewaltigung». In ihrer Recherche hat sie festgestellt, dass die Androhung höherer Strafen, ob juristisch, finanziell oder persönlich, nichts am Verhalten potenzieller Vergewaltiger verändert. Sie hat nur Einfluss auf die Bereitschaft der Betroffenen, die Tat anzuzeigen. Das Angstphantasma der femme castratrice wäre also nicht unbedingt so wirkungsvoll, wie Virginie Despentes sich das vorstellt.

Die Racheengel sind Realität

Dennoch sind die Rächerinnen längst keine Fiktion. Es gibt sie in der Realität. Zum Beispiel in Frankreich. Dort heisst der berühmteste Rache­engel Jacqueline Sauvage. Im Alter von 65 Jahren tötete sie ihren Ehemann mit drei Schüssen in den Rücken und zeigte vor Gericht keine Reue für die Tat. 47 Jahre lang hatte ihr Ehemann sie misshandelt und ihre Töchter vergewaltigt.

Aus Notwehr habe sie handeln müssen, verteidigte sie sich, und sie wurde in Frankreich zu einem Symbol des Wider­stands gegen häusliche Gewalt. Das Gericht verurteilte sie zu zehn Jahren Haft, der damalige Präsident François Hollande begnadigte sie nach zwei. Bis zu ihrem Tod, im Juli 2020, bereute Jacqueline Sauvage nicht.

Ähnlich wie Phoolan Devi. Die Inderin ist wohl die berühmteste Vergewaltigungs­rächerin, die die Welt gesehen hat. Auf ihrer Biografie basiert der Rape-and-Revenge-Film «Bandit Queen». Missbraucht als Kind und Jugendliche aus der unteren Kaste der Mallah, wurde sie von einer Banditen­bande entführt, der sie schliesslich mit ihrem Liebhaber vorstehen sollte. Das Paar machte darauf Schlagzeilen à la Bonnie und Clyde, nicht zuletzt, weil Phoolan Devi bei ihren Raubzügen reiche Männer demütigte, die sie oder andere Frauen misshandelt hatten. «Als ich eine Banditin wurde und anfing, Listen zu machen mit den Leuten, die mich gefoltert und missbraucht hatten, als ich es ihnen mit gleicher Münze zurückzahlen konnte, freute mich das ungemein», sagte sie dem Magazin «Atlantic».

Der Film «Bandit Queen» basierte auf dem Leben von Phoolan Devi, dargestellt von Seema Biswas. RGR Collection/Alamy
Im realen Leben war Devi später als Politikerin im Wahlkampf unterwegs, beschützt von Bodyguards (April 1996). Raveendran/AFP/Getty Images

Ihren Ruf als «Königin der Banditen» und Inkarnation der indischen Rachegöttin Durga, mit der sie sich selbst gerne verglich, besiegelte Phoolan Devi 1981 mit einem Massaker. 22 Männer liess sie damals hinrichten, allesamt Angehörige einer höheren Kaste. 17 Monate zuvor hatte eine rivalisierende Bande ihren Partner getötet und sie ins Dorf Behmai entführt. Drei Wochen lang wurde sie in einen Schuppen gesperrt, wo sie die reichen Dorfbewohner vergewaltigten. Anschliessend wurde sie nackt durch den Ort getrieben. Eine Szene, die Regisseur Shekhar Kapur in seinem Film «Bandit Queen» genüsslich ausschlachtet.

Gegen Phoolan Devis Willen. Sie verlangte, dass die Szene gemeinsam mit drei weiteren rausgeschnitten wird. Der Regisseur bestand jedoch auf dem bestialischen Rape-Teil. «Ich werde nur gezeigt als jemand, der vergewaltigt wird, immer und immer wieder», sagte Devi im «Atlantic»-Interview. Ihre Rolle als Kriegerin und Klassen­kämpferin, die von den Reichen stahl und den Armen gab, interessierte den Regisseur weniger. Sein Fokus war ihr vergewaltigter Körper.

Wenig Überlebens­chancen

1983 ergab sich die Königin der Banditen und musste für 11 Jahre ins Gefängnis. Danach engagierte sich Devi als Menschen­rechtlerin und wurde 1996 für die linke Samajwadi-Partei ins Parlament gewählt. Ihre einstigen Anhängerinnen hatten ihre Ikone nicht vergessen. Ihre Gegner ebenso wenig. 2001 wurde Phoolan Devi ermordet, aus Rache für das Massaker von 1981.

Es ist ein Schicksal, das sie mit fast allen ihren fiktiven Kolleginnen teilt. Wenige Protagonistinnen überleben auf der Leinwand ihren Rachefeldzug. Und auch das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Weibliche Selbst­ermächtigung, die im gut ausgeleuchteten Opferdasein wurzelt und im Tod endet? In der Tat, schwer verdaulich. Doch auch der Fantasie sind offenbar Grenzen gesetzt. Das Damokles­schwert bleibt schön, wo es ist. Es verlässt nur kurz seine Besitzerin. Bis es mit voller Wucht am Ende auf sie niederdonnert. Schade. Die Katharsis könnte ruhig ein wenig länger dauern, zumindest auf der Leinwand.

Die indische Rachegöttin nennt sich Durga, nicht Druga – wir haben das korrigiert. Äxgüsi und ein Dank an die aufmerksamen Leserinnen!

Und noch ein Hinweis: Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Begriff «alttestamentarisch» problematisch ist, weil er zumeist in einem antijudaistischen Sinn gebraucht wird und überwiegend negativ konnotiert ist. Das war nicht unsere Absicht. Wir haben das Wort ersetzt und bitten um Entschuldigung.

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