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Nachts sind alle Kinos echt

25.02.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Wie geht es einer Bühnen­künstlerin, die seit fast einem Jahr nicht richtig arbeiten kann? Das Geld fehlt, ja. Aber auch das, was nicht so sehr greifbar ist – was ist mit dem Applaus, der Energie, der Kreativität? Sie träume nachts vom Kino, schreibt die Kabarettistin Rebekka Lindauer. Das sind ihre Zeilen für die Republik:

«Statisch. Das ist mein Dauer­zustand. Zwischendurch leuchten kleine Ideen­funken auf, die mal zünden und mal verglühen.

Seit über einem Jahr ist mir bewusst, dass ich grösstenteils nicht für Geld arbeite. Ist unbezahlte Arbeit überhaupt Arbeit, und wer bestimmt deren Wert? Für wen oder was arbeite ich eigentlich? Ich verliere mich in Fragen und Gedanken­gängen, die in Korridoren von Metaphern münden und stets vor geschlossenen Amts­türen enden.

Ich tauche ab in Wechselbad-Trilogien aus Lethargie, Resilienz und Wut. Wie ein unangekündigter Sturm bricht die Wut teilweise aus mir heraus und schreit den Fernseher bei Bundesrats-Presse­konferenzen an: ‹Dann halt nicht!› Energisch erhebe ich mich vom Sofa (was ich in diesen Zeiten als eine Leistung erachte), laufe direkt vor den Flimmer­kasten und hole weiter und lauter aus: ‹Wenn wir auf eure Hilfe verzichten müssen, sollt ihr künftig auf jede Form von Kultur verzichten!› Es ist erstaunlich, mit welch devot-helvetischer Muster­gültigkeit ich mich allen behördlichen Massnahmen füge und dafür seit Monaten keine Unterstützung erhalte. Nicht mal einen Steuererlass. Und das in Zürich. Nachdem ich mich abermalig und vollkommen im Rausch des Zorns verausgabt habe, sacke ich im Sofa zusammen und starre wieder apathisch die Decke an.

Eine richtige Performance leiste ich nur noch in der Küche, wobei, was heisst da ‹nur› – beim Kochen entflammen meine Sinne noch in jeder Faser meines Seins. Wut war schon immer eine verlässliche und treibende Kraft, aus der Kreationen aller Art entsprangen, und meine Kochwut hat mich noch nie enttäuscht. Ich habe die Küche zu meiner Komplizin gemacht, sie ist die Einzige, die mein erhitztes Wesen beruhigen kann und keine Fragen stellt. Beim Kochen habe ich ein unmittelbares Erfolgs­erlebnis, das mundet und mich von innen umarmt. Merci, Monsieur Paul, pour tout!

Kochen ist meine einzige Tagesroutine. Entgegen allen gut gemeinten Ratschlägen schmiede ich keine weiteren Pläne mehr. Pläne, die dieser Tage wieder verworfen werden, schaden mittlerweile meinem Gemüt. Es ist mir ein Mysterium, wie ich die Notwendigkeit eines geregelten Alltags so überschätzen konnte. Dabei hatte ich niemals Skrupel bei gelegentlichem Müssig­gang, war schon immer eine Feindin der Selbst­optimierung und Meisterin der Prokrastination. Gerade Kunst ist etwas, was du kreierst und an dem du feilst – Tage, Wochen oder sogar ein Leben lang. Sie ist immer dazu bestimmt, gesehen, gehört und erlebt zu werden. Wenn das plötzlich wegfällt, entsteht ein leerer Raum, der nicht richtig zu füllen ist und unbegreiflich bleibt.

Ich liebe meine Arbeit grösstenteils, und sie fehlt mir. Diesen einen Satz vermochte mir bisher keine andere Arbeit zu entlocken – das will also was heissen. Neulich war ich im Kino und sah mir den neuen Film von Aki Kaurismäki an, als ich plötzlich aufwachte. Ich träume nachts vom Kino. Tagsüber habe ich mein Unter­bewusstsein unter Kontrolle.

Diesen Herbst werde ich endlich die Premiere meines ersten Solostücks feiern, mit echtem Publikum und all den Menschen, die ich schon viel zu lange nicht gesehen habe – vielleicht.

Mein Name ist Rebekka Lindauer, ich bin Slam-Poetin, Kabarettistin, Autorin und Musikerin. Meine Zeit verbringe ich mit Kino, Konzerten, Theater und dem Kochen mit Familie und Freunden. Kurz gesagt: mit Kultur und Kunst. Ich bedauere jeden Menschen zutiefst, der sie nicht wertzuschätzen weiss, denn wie Friedrich Schiller sagte: ‹Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.›»

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Restaurants können als Betriebs­kantinen über Mittag offen sein. Die Regelung bezieht sich auf die Zeit zwischen 11 und 14 Uhr unter der Woche, so das Bundesamt für Gesundheit. Zugang haben jedoch ausschliesslich Leute, die im Aussen­einsatz in der Landwirtschaft und im Bausektor arbeiten, sowie Handwerkerinnen auf Montage.

Mehrere Kantone wollen ihre Skiterrassen offen lassen. Dies geht gegen den Beschluss des Bundesrats, Restaurants im Innen- und Aussen­bereich sicher bis zum 22. März geschlossen zu halten. Derzeit wollen Nidwalden, Obwalden, Schwyz, Uri, Glarus und das Tessin die Terrassen nicht schliessen. Graubünden hat sich dem Beschluss des Bundesrats gefügt.

Und zum Schluss: Astra Zene-was?

Immer wieder erreichen uns Fragen bezüglich des Impfstoffs von Astra Zeneca. Dieser ist in der Schweiz bisher noch nicht zugelassen – in über 50 Ländern jedoch schon, unter anderem in jenen der Europäischen Union.

Es ist wieder mal Zeit für eine kleine Auslegeordnung.

Was die Wirksamkeit betrifft, liegt Astra Zeneca mit rund 60 Prozent gemäss der Europäischen Arzneimittel-Agentur unter derjenigen der Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna. Das heisst nicht, dass er nicht funktioniert – im Gegenteil. (Hier haben wir bereits darauf verwiesen, was Wirksamkeit bei einem Impfstoff überhaupt bedeutet.)

Vor gut einer Woche hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Astra-Zeneca-Impfstoff für die Notfall-Listung freigegeben. Emergency Use Listing (EUL) heisst das, quasi ein WHO-Stempel für Sicherheit und Qualität von Medikamenten und Vakzinen in grösseren Gesundheits­krisen. Die Beurteilung wägt laut WHO die Gefahr des medizinischen Notfalls mit den potenziellen Risiken des Produkts ab.

Astra Zeneca ist auch in der EU zugelassen – und dennoch mancherorts eine Art Laden­hüter geworden, wie in Deutschland. Viele Impfwillige wollen zwar eine Impfung – aber keinen von Astra Zeneca. Die Skepsis ist gross: Grund dafür seien Missverständnisse (wie bei dem Verständnis von Wirksamkeit) und Kommunikations­probleme gewesen, sagt denn auch der deutsche Virologe Christian Drosten.

Gute Nachrichten kommen derweil aus vielen Ländern, so auch aus Schottland. Eine Beobachtungs­studie von schottischen Universitäten und der Gesundheits­behörde hatte gezeigt: Schon nach der ersten Dosis sinkt die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs – und somit eines Spital­aufenthalts. In Schottland waren bei den Geimpften 94 Prozent weniger Klinikaufenthalte nach der ersten Dosis zu verzeichnen. Der Impfstoff scheint also das Schlimmste zu verhindern, zudem ist er billiger als andere Vakzine und lässt sich auch einfacher aufbewahren, weil er nicht so stark gekühlt werden muss.

Wie steht es in der Schweiz damit?

Im Oktober hatte die Schweiz bereits bis zu 5,3 Millionen Dosen des schwedisch-britischen Impfstoffs vorbestellt. Doch Anfang Februar teilte die Schweizer Arzneimittel­behörde Swissmedic mit, dass die Zulassung für den Moment gestoppt sei – weil noch weitere Daten der Phase-III-Studien ausstünden. Diese werden auf Mitte März erwartet. Danach sollte das Verfahren wieder aufgenommen werden. Vor Ende März ist mit Astra Zeneca in der Schweiz also nicht zu rechnen.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Man ist versucht, bei der folgenden Meldung ein Wortspiel mit Navy Seal(s) zu kreieren – aber das lassen wir. Im kanadischen Städtchen Charlottetown hatte sich ein Seehund in ein Wohnquartier verirrt – und robbte ziellos auf dem Trottoir herum. Grund genug, dass die örtliche Polizei anrückte – und das Tier kurzerhand im Auto auf dem Rücksitz mitnahm. Es habe sich nicht besonders kooperativ gezeigt, sagte der involvierte Polizist schmunzelnd. Danach ging es allerdings nicht zur Polizei­station zur Befragung, sondern direkt zur Wasserfront, wo der Seehund wieder in die Freiheit – beziehungsweise auf das Eis – entlassen wurde. Happy End.

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