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Eine kleine Erinnerung

23.02.2021

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Liebe Leserin, lieber Leser – and everyone beyond

Die Literatur wird häufig als Seismograf von gesellschaftlichen Themen und Entwicklungen bezeichnet. Und wenn man auf die Deutschschweizer Erzählliteratur der vergangenen Monate schaut, könnte man versucht sein, die Metapher wieder einmal zu bemühen. Republik-Kulturjournalist Daniel Graf gibt uns einen Überblick:

2020, im Jahr der Corona-Pandemie, sind so viele aussergewöhnliche Bücher über den Tod und das Trauern erschienen wie lange nicht. Und das in so unterschiedlichen Formen und Tonlagen, als wollten die Autorinnen betonen: Nicht nur jedes Leben ist einzigartig. Auch jeder Tod ist anders.

Die Ärztin und Schriftstellerin Melitta Breznik hat ein beeindruckendes autobiografisches Buch über den Tod ihrer Mutter vorgelegt: die «Chronik eines Abschieds», wie es im Untertitel heisst. Tom Kummer hat in einem dunklen literarischen Roadtrip den Tod seiner Frau verarbeitet – wie bereits in seinem Roman zuvor. Pedro Lenz hat einen tieftraurigen und hochkomischen Arbeiterroman in Mundart vorgelegt, in dem ein junger Maurerstift den plötzlichen Tod seines Kollegen verkraften muss, der ihm ein väterlicher Freund war. Anna Stern gewann mit «das alles hier, jetzt.», ihrem Requiem für einen geliebten Menschen, gar den letztjährigen Schweizer Buchpreis. Und in wenigen Tagen erscheint «Bei den grossen Vögeln», der Debütroman der Basler Autorin Annina Haab. Darin geht es um Ali, doch dieser Name könnte täuschen: «Ali ist ein Code, drei Buchstaben, damit ich nicht Oma sagen muss oder Grossmama. Ali ist meine Grossmama.»

Keines dieser Bücher handelt von Covid-19. Ja, die Autorinnen konnten, als sie mit der Arbeit an ihren Romanen begannen, noch gar nicht von der Pandemie wissen.

Und doch, lässt sich im Rückblick sagen, hat sich die Schweizer Literatur längst dem Thema Tod und Trauer gewidmet, als wir alle zwar schon monatelang auf Todesfall­statistiken blickten, aber das Thema Trauer in der öffentlichen Diskussion ebenso wenig vorkam wie Fragen nach einem würdigen Sterben. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es auch in der Republik eine Literatin, Mely Kiyak, war, die im Herbst dem dröhnenden Schweigen den leidenschaftlichsten Appell entgegensetzte?

Die Literatur ist also nicht Seismograf, weil Hellseherei zu ihrem Geschäft gehören würde. Sondern weil sie sich den Universalien des menschlichen Lebens widmet. Weil sie, möglicherweise, ein Gespür hat für die Themen, denen wir auch ohne Pandemie in unserem hoch beschleunigten Leben lieber nicht zu viel Aufmerksamkeit widmen. Und sie lädt uns zur Beschäftigung mit diesen Themen ein, ohne zu belehren. Literatur erklärt nicht, sie erzählt. Tastend, zeigend. Indem sie den Lesenden Platz für eigene Gedanken lässt.

Nach einem langen, dunklen Corona-Winter ist der aktuelle Frühlingseinbruch eine Erlösung. Den in Aussicht gestellten Lockerungen am Montag sehen viele mit Ungeduld und Vorfreude entgegen.

Vielleicht aber gelingt es, auch diejenigen nicht zu vergessen, die in den vergangenen Monaten Angehörige und Freunde verloren haben. In den Tagen des Aufatmens fühlen sich die Trauernden womöglich besonders alleine – und sind froh um Trost und Mitgefühl.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Der Staat darf die Rechte von geimpften Personen nicht gleich stark einschränken wie jene von ungeschützten, sagt die zuständige Kommission im Ständerat. In den letzten Tagen hat die Debatte um «Impfprivilegien» in der Schweiz Fahrt aufgenommen. Die Staatspolitische Kommission fordert heute vom Bundesrat: «keine schweren individuellen Grundrechtseingriffe (insbesondere keine Quarantäne) mehr» für Geimpfte. Dies, sobald wissenschaftlich erwiesen sei, dass eine Impfung auch wirksam die Ansteckung Dritter verhindere. Ausserdem soll die Regierung rechtzeitig ein praktikables System aufgleisen, mit dem man beweisen kann, dass man geimpft ist.

Hotellerie-Betriebe können sich neu für Coaching-Hilfe bewerben. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und der Branchenverband Hotellerie­suisse lancieren ein Coaching-Programm für die Beherbergungs­branche. Damit sollen kleinere und mittlere Betriebe für die Zukunft gestärkt werden, deren Eigentümerinnen in den operativen Betrieb eingebunden sind und die das unternehmerische Risiko selbst tragen. Die Massnahme ist auf drei Jahre befristet und umfasst maximal fünf Tage pro Betrieb. Ab heute ist die Anmeldung dafür möglich.

Marokko stellt per sofort alle Flugverbindungen in die Schweiz ein. Dies aus Sorge vor einer weiteren Verbreitung des Coronavirus, insbesondere der mutierten Varianten. Die marokkanische Regierung habe beschlossen, den Gesundheits­notstand bis zum 10. März zu verlängern, schreibt die Schweizer Botschaft in Rabat. Alle zwei Wochen werde der Entscheid überprüft. Von diesem sind auch Länder wie Deutschland und die Türkei betroffen.

Deutschland will die Grenzkontrollen zu Tirol und Tschechien verlängern. Diese sollen bis zum 3. März dauern. Derweil spitzt sich deswegen der Streit zwischen der EU-Kommission und Deutschland zu. Die Brüsseler Behörde sieht in den Massnahmen eine Einschränkung der Bewegungs­freiheit und damit des Warenflusses im Schengen-Raum und fordert Änderungen.

Und zum Schluss: Was ist eigentlich eine Strategie?

Morgen will der Bundesrat nochmals über die angekündigten Lockerungs­schritte für März, April und Mai kommunizieren. Wir reden im Vorfeld viel von nötigen Lockerungen und nötigen Shutdowns, von Beizerinnen ohne Ausschank und Virologen mit Warnhinweisen. Von politischem Hin und Her, von Interessen­gruppen und Lobbying.

Aber Massnahmen, Lockerungen und Etappen sind keine Gesamtstrategie. Es stellt sich die Frage:

Was ist eigentlich die Pandemiestrategie der Schweiz?

Eine Strategie ist ein genauer Plan des eigenen Vorgehens – der dazu dient, ein militärisches, politisches, psychologisches, wirtschaftliches oder ähnliches Ziel zu erreichen. So viel zur Definition von «Strategie».

Es gibt einen Grund, warum wir vor jeder Pressekonferenz im Dunkeln tappen. Denn: Die Regierung hat nie klar formuliert, welche Ziele sie eigentlich verfolgen will. Es gibt keine Meilensteine, die erreicht werden sollen. Keine allgemein verständlichen und klar kommunizierten Kriterien, die uns sagen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.

Wir sind orientierungs­los, weil die Covid-19-Strategie für unser Land unklar ist.

Republik-Journalist Simon Schmid hat eine Auslege­ordnung gemacht: Was ist der Unterschied zwischen Eliminierung und Schadens­minderung – und wo verortet sich die Schweiz? Was bedeutet No Covid? Und welche Strategie ist die beste? Hier geht es zum äusserst gelungenen Lesestück.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Daniel Graf, Marguerite Meyer und Simon Schmid

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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